Traum und Realität
Die Arme weit ausgebreitet stehe ich am Abhang. Ich schließe meine Agen und der Wind streichelt mein Gesicht und spielt mit meinem Haar. Lange Zeit - so scheint es - stehe ich einfach nur hier und lausche dem Wind, lass mich voll und ganz von ihm umhüllen. Langsam öffne ich meine Augen und lasse mich fallen.
Immer tiefer und tiefer falle ich. Der Wind zerrt an meiner Kleidung, als ob er mich halten wollte. Ich sehe, wie der Boden immer näher und näher kommt. Kurz vor dem Aufprall breite ich meine Flügel aus und lasse mich vom Wind in die Lüfte tragen. Lachend fliege ich in Richtung Wolkendecke. Ich durchstoße die Wolkenwand und schwebe über einem scheinbar endlosen weißen Meer. Weit und breit nichts außer mir, den Wolken und meinen Gedanken.
Doch so schön der Anblick dieser Weite ist, so schnell überfällt mich auch die Einsamkeit. Tausend Gedanken in meinem Kopf und jeder einzelne so laut wie ein ganzer Chor. Mich durchläuft ein kalter Schauer. Schnell fliege ich zurück, um nicht dem Wahnsinn zu verfallen – es sind einfach zu viele.
In der Ferne sehe ich eine kleine Gestalt. Ich fliege näher heran und erkenne, dass es eine Frau ist, doch ich kann ihr Gesicht nicht erkennen. Ich empfinde Mitleid für sie, so wie sie dort alleine steht. Sie muss sich fühlen wie ich mich über den Wolken fühlte – allein, ersetzbar, klein und unwichtig.
Sie breitet ihre Arme aus. Will sie etwa springen? Ich fliege schneller, denn ich muss sie einfach aufhalten. Ich schreie verzweifelt, doch der Wind verweht meine Worte, kaum dass sie meinen Mund verlassen.
Sie springt. Tränen laufen über ihr Gesicht – über mein Gesicht. Im letzten Moment konnte ich ihr Gesicht erkennen… Es war mein Gesicht. Ich spüre, wie ich unsichtbar werde, wie meine ganze Kraft mich verlässt. Nicht mehr lange und ich werde nicht mehr hier sein. Dann werde ich über den Wolken sein – für immer. Warum bist du gesprungen? Du hast doch keine Flügel, so wie ich – dein Traum.