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Treffen am Morgen

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12.04.2003
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Treffen am Morgen

Um die Nacht zu überstehen hatte sie alle Fenster geöffnet und eines von den Büchern aus dem Regal genommen, was sie schon ewig hatte lesen wollen, aber nie die Zeit dazu gehabt hatte. Sie war müde, aber ihre Gedanken waren stärker und hielten sie wach. Es war fast wie ein Fluch und so langsam begann sie an ihrem Verstand zu zweifeln. Nie hatte sie an so etwas wie Magie geglaubt, nie wirklich. Alles was sie gehört hatte- über Liebe- über Verlangen- hatte sie von sich gewiesen und es abgetan als Idiotie. Man kann das mit dem Kopf schon irgendwie regeln, da war sie sich sicher. Ihr Kopf senkte sich, ihre Augen konnten schon lange nicht mehr die kleinen, verworrenen Buchstaben vor ihr voneinander trennen. Gott, sie konnte nicht mehr, sie hatte alle Kraft, allen Glauben, jede Vernunft verloren. Nichts, was sie jetzt mehr rational erklären konnte, ihre Gedanken waren bei ihm. Das war Ironie, sie wollte nie in ihrem Leben ein Mann ihr Tun beherrschen lassen, das hatte sie sich geschworen und jetzt? Sie schloß ihre Augen und verfluchte sich dann gleich wieder dafür.
Seine Augen waren wie das Leuchten eines einzigen Lichtes in dunkler Nacht. Ihr Herz fing an zu rasen, ihre Hände zitterten und dann legte sie sich zurück, um mit den Augen fein säuberlich jedes Muster an ihrer Decke nachzuzeichnen. Ablenken nannte sie das und doch war er noch da. Sie hatte nicht die erste zarte Berührung seiner Hände vergessen, als sie zum ersten Mal einander näher gekommen war. Wie Magie, egal was das auch sein mag, aber so muß es sich anfühlen, wie seine Hände, das war Magie.
Sie überlegte und bemerkte, wie schnell die Zeit schon vergangen war, die Zeit von dem Moment an, in dem sie ihn zum ersten Mal getroffen hatte bis jetzt. Eine Ewigkeit und doch kaum länger als der Schlag der Wanduhr in ihrem Schlafzimmer. Ein sich verlieren in der Sekunde, das Hier und Jetzt genießend und sich völlig entmachtend lassen, von der Gegenwart des anderen. Wie verwirrt mußte sie klingen, wenn sie jemand dieses Gefühl erklären sollte.
Sie waren sich begegnet und doch wieder nicht, sie waren stehen geblieben und hatten sich gesehen und doch nur die Silhouette des anderen wahrgenommen. Irgendwo zwischen dem Hier, Dort und Nirgendwo. Niemand hatte sie gesehen und doch hatte jeder ihre Stimmen gehört...
Sie war damals zu spät aufgestanden und noch heute konnte sie das schrille Geräusch ihres Weckers hören, was sie aus dem Schlaf riß. Mitten in der Nacht, wie sie fand.
Egal, sie hatte endlich bemerkt, dass ihr Wecker eine Stunde zu spät seinen Dienst getan hatte und nun war es mehr ein Marathonlauf als ein Spaziergang durch das Haus. Schnell, schnell, nur nicht noch mehr Zeit verschwenden, noch mehr Ärger einfangen. Sie sah sich um, wo waren ihre Klamotten? Ihre Tasche, ihre Armbanduhr?
Mußte ihr das gerade heute passieren, wo dieser Vertreter aus der anderen Firma sie besuchen wollte, wichtiges Meeting oder so. Eigentlich war ihr das egal, er nahm ihr dadurch nur die Zeit, an ihrem aktuellen Auftrag weiterzuarbeiten. Sie schnaufte, sie konnte es nicht ändern, es war passiert und nun mußte sie das Beste daraus machen. Fertig. Ihre feingliedrigen Finger strichen sich nervös durch das Haar, während die Zahnbürste wie von alleine durch ihren Mund huschte. Schnell, schnell.
Irgendwie schaffte sie es dann doch ziemlich schnell alles zusammen zu packen und so war saß sie dann kurz vor halb zehn in der S-Bahn. Menschen, wo das Auge hinblickte. Groß, klein, häßlich, hübsch, vom Leben gezeichnet und voller Tatendrang für die Zukunft. Sie sah zu ihren Schuhen, schwarze Lederstiefel mit kleinem Absatz, die mittlerweile schon sehr vom vergangenen Winter mitgenommen waren. Aber sie fühlte sich wohl in ihnen, das war für sie die Hauptsache. Ein Duft, leicht süsslich, stieg ihr in die Nase und natürlich hob sie neugierig den Kopf. Zwei große braune Augen sahen sie an, nein sie starrten, fixierten sie, ließen sie nervös werden. Er war groß, mindestens 1,80 und seine männliche Statue wurde von einem schwarzen Anzug elegant hervorgehoben. Er blickte sie noch immer an. Mit der rechten Hand hielt er sich an einer Stange fest, während sein dunkler Mantel von den Bewegungen der S-Bahn hin- und hergeworfen wurde. Durch ihren Körper zuckte ein seltsames Gefühl, so als hätte sie einen Stromschlag bekommen. Es gefiel ihr, nicht nur, dass er sie ansah. Er lächelte nicht, nur dieser starre Blick war es, den er an den Tag legte. Doch dieser reichte, fast wie Fesseln legte er sich um ihren Körper, ihr Gesicht, ihr Haar. Sie wagte es nicht wegzugucken, mit der Angst, er könnte dann nicht mehr da sein, wenn sie wieder zu ihm blickte.
Seine Haut schimmerte im Licht des Tages und einzelne Strähnen seines fast schwarzen Haares fielen ihm in das markante, eckige Gesicht.
Was war das? Was für ein Gefühl, was ihr durch den Magen fuhr? Sie konnte es selbst nicht definieren und jetzt war ihr so, als hätte jemand die Zeit angehalten. Wenn sie jetzt gekonnt hätte, dann hätte sie seine Hand genommen, wär´ mit ihm bei der nächsten Station ausgestiegen und hätte den Rest des Tages verrückte Sachen mit ihn gemacht. Sie mußte mit dem Kopf schütteln, so was Dummes auch, sie kannte diesen Mann gar nicht. Vielleicht hatte er Familie und zwei Kinder und war lediglich auf ein kleines Abenteuer aus oder so. Denn so was wie „Liebe auf den ersten Blick“ gab es doch gar nicht. Nein, das war keine Liebe, sie spürte Verlangen, Verlangen zu ihm zu gehen und zu sagen, dass sie heute nacht nicht ohne ihn einschlafen wollte, sie stutzte: Es lag bestimmt an der Tatsachen, dass sie schon eine Ewigkeit keinen Sex mehr gehabt hatte. Sie lächelte und dann hielt die S-Bahn. Endstation, jedenfalls für sie. Gleich würde sie eine andere Welt betreten. Die Welt ihres Arbeitsplatzes. Ihr war kalt, aber sie stand auf und drängte sich durch die Masse, ohne noch mal in seine Richtung zu gucken. So was passiert eben, man sieht oft Menschen, die einen faszinieren, aber die man dann nie wieder sieht.
Mit leicht wackligen Knien lief sie zum großen Gebäude, in dem sie arbeitete. Trotzdem dachte sie noch an ihn.....
Am Abend, als sie auf dem Heimweg war, der tag war mehr schlecht als recht gewesen, dachte sie schon gar nicht mehr an ihn. Es war eben eine Begegnung wie jede andere am Tag gewesen. Sie seufzte und noch bevor der letzte Hauch Atem aus ihrem Innersten entwichen war, legten sich zwei Hände um ihren Bauch... sie drehte sich um und sah in diese wahnsinnig großen braunen Augen, seine Augen. So, als würde sie ihn schon ewig kennen nahm sie vorsichtig sein Gesicht in ihre Hände. Es begann zu regnen. Mit sanften Berührungen machten ihre Hände sanfte Bewegungen über seine weiche Haut. Sie sahen einander an. Jeder dem anderen bis auf den Grund seiner Seele sehend, keine Worte, nur ein Ertasten des anderen. Fühlen- in sich aufsaugen, mit einem einzigen Blick. Sein Kopf glitt an ihre Schulter, seine Lippen begannen ihre Haut zu erkunden. Langsam, voller Ehrfurcht, voller Magie.
Sie war erschrocken und doch war sie wie gelähmt, nichts in ihr wollte diesen Moment jetzt enden lassen. Nicht einmal der Regen, der nun sanft ihre Haut streichelte und an seinen Haaren zärtlich abprallte, ließ sie aus diesen Augenblick fliehen. Doch es war so anders, als alles, was sie bisher gekannt hatte. Nie war ein Mann mit ihr so umgegangen, hatte ihre Gedanken so beherrscht. Er schien sie zu nehmen und all´ ihre Sinne in einen Rausch zu tauchen, ein anderes Dasein, in einer Welt, die ihr eigentlich so vetraut gewesen war. Bis vor kurzem. Seine Hände, mächtig genug, um mit einer einzigen Berührung sie ihrer Kräfte zu entmachten, begannen sich liebevoll um jeden Zentimeter ihrer weichen Haut zu kümmern. Der Regen war stärker geworden, das teure Kostüm, was sie trug, war mittlerweile durchnäßt. Es war ihnen egal, sie wollten sich nicht voneinander trennen, wollten dieses Ereignis auskosten, denn es war süß, süß wie das erste Eis im Jahr, wie Erdbeeren mit Champagner. Ihre Lippen huschten über einander und fanden sich immer wieder in einem genussvollen Treffen der Zungen. Er schmeckte nach Pfefferminz, leicht scharf und doch so prickelnd, dass sie den Geschmack noch tagelang unter ihrer Zunge behalten würde. Er duftete noch genauso wie am frühen Morgen, es hatte sich aber ein leichter Schweißgeruch dazugemischt, den sie tief in sich aufsog.
Es war wie ein neues Aufwachen, ein ankommen Irgendwo, wo sie nie zuvor gewesen war, hier, wo alle Gefühle in ihrem Inneren aufwachten und sich durch ihren Körper schlichen, sie aufweckten, aus einem Schlaf, den sie zu lange geschlafen hatte. Viel zu lange.....
Als sie diesmal aufwachte war sie früher wach, als der Wecker. Ja, sie schmeckte ihn noch und fast erschien ihr der vergangene Tag wie ein Traum, etwas, was in ihrer Fantasie passiert war und doch wusste sie, sie würde ihn wiedersehen. Bald sogar. Und sie würden sich wieder lieben, so wie sie es am vergangenen Tag gemacht hatten. Als würde es kein Morgen mehr geben, als wäre alles, was sie je über Liebe gehört hatten falsch, als hätten sie ganz neue Regeln aufgestellt. Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln, er hatte etwas mit ihr gemacht und sie war sich klar darüber, dass es ihm nicht anders ging, dafür war da zuviel Magie gewesen. Er hatte sie zum Abschied geküsst und leise geflüstert: „ Lass uns das wiederholen, immer und immer wieder!!!“ Dann war er gegangen und hatte seine Handynummer in ihre Jackentasche hinterlassen.
Jetzt lebte sie nur noch von Moment zu Moment, von einer Stunde mit ihm bis zur nächsten. Er rief sie an, sagte einen Ort und dann trafen sie sich wieder. Irgendwann dann stand sie in seinem Apartment. Es war groß und sehr edel eingerichtet. Er schien einen guten Stand im Leben zu haben. All´ das war ihr egal, sie wollte nur jede freie Minute mit ihm verbringen. Und das taten sie auch ganz oft. Mal waren sie irgendwo, mal bei ihm oder ihr, nie schien es langweilig zu werden. Wirklich nie.
Und es war ein Fluch, oder eine Bestimmung. Es ist wie, wenn zwei Menschen bemerken, wie sehr sie sich lieben und doch keinen Weg zueinander finden.
Jetzt saß sie auf ihrem Bett und blätterte in ihrem Buch herum. Sie würde ihn anrufen, heute noch oder nein, vielleicht auch erst morgen nach der Arbeit. Sie würde ihm sagen, dass es keinen Sinn mehr hatte, dass sie ein eigenes Leben ohne ihn bräuchte und dann würde sie auflegen und nie wieder von ihm hören wollen. Sie würde ihn, den sie jetzt schon so gut kannte, nicht mehr sehen. Würde einen anderen Weg zur Arbeit nehmen und andere Bars besuchen. Sie würde nie wieder an diese Nächte mit ihm denken, oder vielleicht nur in ganz schwachen Momenten. Jetzt sah sie zum Hörer, sie nahm ihn von der Station und wählte seine Nummer. Sie musste ihm alles sagen. Jemand nahm den Hörer am anderen Ende ab:
„ Ja, hallo? !“ „Ich bin´ s! Ich wollte...!“ „Ja, ich wollte dich heute auch noch sehen, ich komm vorbei!“ Er legte den Hörer auf, bevor sie etwas sagen konnte. Dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht und sie sprang vom Bett auf, um sich frisch zu machen.....
Ende

 

Eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Das Zusammentreffen der beiden geht fast zu reibungslos, aber du quälst deine Leser wenigstens nicht. Wie kommt er dazu, sie einfach zu berühren? Warum will sie sich schließlich von ihm trennen? Du gibst einige Anregungen zum Grübeln, ich muss die Story wohl nochmal lesen, um sie richtig zu verstehen. Das Wort "gucken" macht ein bisschen die Wortmalerei kaputt, vielleicht suchst du ein elganteres aus. Nur ein Vorschlag. Ansonsten ist dir das Erzählen gut gelungen, mir gefällt's!
Viele Grüße,
Dryad

 

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