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Treibsand
Treibsand
Sie Sonne schien an diesem Nachmittag wie ein Scheinwerfer von dem Hochhausgebäude an der Ecke. Wenn man dem Kalender glauben schenkte, so war es Sommer. Und auch das Wetter ließ keine Zweifel daran aufkommen. Die Hitze war unerträglich und machte es unmöglich den Weg unbeschwert fortzusetzen. Sie stand an der stark befahrenen Straße und wartete beim Elektronikgeschäft an einer Ampel, die sie mit blutunterlaufenen Augen anstarrte. Die Hitze brannte ihr auf der Haut und trieb ihr den Schweiß aus den Poren. Treibsand. Sie blickte auf ihre Schuhe, die schon vom breiigen Treibsand umrandet waren und diese langsam einhüllten. Treibsand. Mitten in der Stadt. Mitten am Tag. Hektisch hob sie den Blick und überprüfte unsicher die Reaktion ihrer Umwelt. Die wartende Menschentraube um sie herum stierte mechanisch auf die gegenüberliegende Straßenseite und wartete. Keine Regung. Sie blieb paralysiert stehen und da sich niemand etwas anmerken zu lassen schien, ignorierte auch sie die Kuriosität unter ihren Füßen. Jemand zog sich den samtenen Hemdärmel hoch und blickte auf seine überteuerte Armanduhr. Tick, tack, tick, tack. Im 4/4 Takt kroch der Sand langsam ihre Beine hinauf. Oder zog er sie hinunter? Ein leises, rhythmisches Piepen im Ohr. Dann Bewegung. Die Ampel war grün geworden und von der Menschentraube mitgezogen überquerte sie nun die Straße. Ihr Weg führte sie an einem Bankautomaten vorbei. Sie blieb stehen und reihte sich in die Schlange ein. Menschen führten die Plastikkarten ein, drücken auf einer Schaltfläche herum und erhielten ein Geldbündel. Neben dem Automaten saß ein Obdachloser wie ein räudiger Hund in der Ecke und bat um Almosen. Würdelos, dachte sie, aber vielleicht menschlich. Würde man selbst auch so weit gehen? Vielleicht war das der Selbsterhaltungstrieb?! Treibsand. Wieder wurde der Boden unter ihren Füßen weich und uneben wie ein Schwamm. Nichts anmerken lassen. Sie sind dran, hallte es von hinten über ihre Schulter. Sie war an der Reihe. Mühsam zog sie ihre Beine nach vorn und watete an den nährenden Automaten. Der Sand zog an ihrer Haut. Schweiß rann ihr vor Anstrengung von der Stirn. Haste ma ne Mark?, vernahm sie. Nichts anmerken lassen. Die Nummer, wie war die Nummer doch gleich? Piep, piep, piep, piep, ertönte die Kombination rhythmisch beim Betätigen der Tasten. Sie wartet auf das Geld. Treibsand. Langsam fühlte sie, wie sich das sandige Grab um sie hüllte und sie immer und immer tiefer darin versickerte. Ein schrilles Klingeln. Das Handy. Die Stimme ihrer Bekanntschaft am anderen Ende der Leitung klang unruhig. Sie war schon zu spät dran. Sie würde zu spät zu ihrem Termin kommen. Hastig nahm sie das Geld aus dem Automaten und setzte ihren Weg fort. Sie eilte die überfüllte Straße entlang und schlängelte sich mit geschmeidigen Bewegungen an den entgegenkommenden Menschen vorbei. Die Luft war stickig und in der Hitze verschwammen die Objekte vor dem geistigen Auge ineinander. Ein lauter Knall. Sie drehte sich um. Es hatte einen Unfall gegeben. Helfen, schallte ihr eine Stimme durch den Kopf. Schnellen Schrittes eilte sie in Richtung eines Radfahrers, der vor einem Auto am Straßenrand lag. Ein dunkler Mann mittleren Alters kam ihr zuvor. Er half dem Radfahrer auf seine wackeligen Beine. Jemand versuchte den Tatbestand aufzuklären. Jemand musste einen Fehler gemacht haben, erklärte er, jemand musste die Verkehrsregeln missachtet haben. Sie wartete und beobachtete das Treiben von etwas Abseits. Treibsand. Wieder kroch er langsam an ihren Beinen hoch..