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Tschüss, mein Schatz
„Tschüss, mein Schatz.“ Die Frau haucht ihrer Tochter, die ihr so ähnlich sieht, noch einen Kuss auf die Stirn. Sie versucht die Tränen zurückzuhalten, doch das kleine Mädchen bemerkt das verräterische Glänzen sehr wohl. „Ciao, Mom“, flüstert sie zurück. Die Stimme versagt ihr. Sie ist noch sehr klein, so jung und doch versteht sie, warum sich ihre Mom so anzieht wie jetzt und warum sie weint. Sie weiß sogar, woher die kleinen Einstiche am Arm ihrer Mom kommen. Daddy war das. Sie hat es einmal gesehen. Die Tür fällt ins Schloss und zurück bleibt das Mädchen mit dem langen dunklen Haar und den großen braunen Augen. Sie spürt, wie Tränen in ihr aufsteigen und der kleine Körper vermag nicht mehr die Kraft aufzubringen, die Tränen wegzudenken. So wie meistens, wenn sie mit Daddy allein ist. Ihr Herz ist viel zu schwer von den Tränen. Sie lässt sich an der Wand heruntergleiten, zieht die Beine an den Körper und schlingt die Arme darum. Das zarte Gesicht, das nass von Tränen glänzt, verbirgt sie, indem sie die blasse Stirn an die Knie lehnt. Leise, nur so laut, dass sie es in ihrem Kopf hört, betet sie zu Gott, dass ihr Daddy sie so nicht findet. Er wird immer sehr böse wenn sie weint. Nach und nach versickern die Tränen und mit ihrer Hand wischt sie die Wangen trocken. Die Wunden darauf sind noch nicht ganz verheilt. Doch das werden sie noch. Sie weiß, dass sie heilen werden. Nur die Wunden, die anders weh tun verheilen nicht. Man kann sie manchmal vergessen. Leon hat ihr gezeigt wie. Leon ist auch viel stärker als sie. Er weint niemals. Nicht mal, wenn Daddy ihn fest schlägt. So fest, dass er nicht mehr laufen kann. Aber Leon ist nicht mehr da. Er kommt immer nur Samstag und Sonntag. Die grünen Tage im Kalender. Aber als er das letzte Mal gegangen ist, hat er versprochen, dass er sie und Mom wegbringt von Daddy. In Sicherheit. „Es dauert noch eine Weile, Prinzessin“, hatte er gesagt. “Aber irgendwann wird der Tag kommen und Dad wird dir und Mom niemals mehr wieder weh tun können.“ Dabei hatte er ihr Haar gestreichelt. So lieb, dass sie wieder weinen musste. Aber nur, weil sie Leon so lieb hatte wie er sie. Für ganz kurz war sie glücklich gewesen. Und während sie vom kalten Boden aufstand, um dem Ruf ihres Daddys zu folgen, erinnerte sie sich an das schöne Gefühl, denn so konnte man andere Schmerzen vergessen.