- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Tu Es!
Hass… Verzweifelung… Angst… Trauer… das waren die einzigen Empfindungen, zu denen er noch wirklich fähig war. Seine ganze Welt sah er wie durch einen grauen Schleier und er wusste, dass es nicht so weitergehen konnte wenn er wirklich weiterleben wollte… wollte er? War seine Existenz bedeutend? Die Erde dreht sich auch ohne ihn weiter.
Er schüttelte den Kopf und schaltete den verdammten Fernseher aus, es kamen eh nur schlechte Nachrichten… wie immer.
„Tu Es!“ schallte die Stimme seiner Frau in seinem Kopf, während er an die Waffe im Schreibtisch dachte. Verwirrt sah er in das Gesicht seiner Lebensgefährtin und sie sagte noch einmal, dass sie nur kurz zu einer Freundin geht. Er nickte und sah, dass sie besorgt war, aber er wandte sich ab und ging in sein Arbeitszimmer.
Hatte er nicht alles, was man sich wünschen kann? Eine Frau und zwei Kinder, ein Job mit erträglichem Gehalt und ein Einfamilienhaus mitten in der Stadt. Ja das hatte er alles, aber es hinterließ in ihm nur eine Leere, die unerträglich geworden war in den letzten Monaten. Sie hatte gesagt, er solle es tun, aber was meinte sie damit…oder hat er sich das nur eingebildet? Gut möglich, denn in letzter Zeit hörte er so manche Stimmen, weshalb er sich auch krank gemeldet hatte. Er beschloss sich erstmal auszuruhen und machte es sich bequem in seinem Sessel. Warum machte er sich eigentlich so viele Gedanken darüber? Vielen Leuten ging es schlechter als ihm und er macht sich über sowas Gedanken. Es erschien ihm in dem Moment so banal, dass er lachen musste, bis auf einmal sein Blick wieder zum Schreibtisch fiel und das Klicken des Abzuges für ihn wie ein herrlicher Vogelgesang an frühen Morgen klang. Er schüttelte abermals den Gedanken ab und dachte an alte Zeiten zurück, zurück an seine Kindheit. Eigentlich hatte er alles erreicht, was seine Mutter je von ihm wollte. Er sollte sich eine Frau suchen und Kinder kriegen, so wie das halt alle machen…wirklich alle? Sie sah darin die Erfüllung ihres Lebens und so sollte es auch für ihren Sohn gelten. Für diese Einstellung hasste er sie so sehr, dass er nicht einmal mehr Tränen für sie hatte, als sie voriges Jahr an einem Schlaganfall verstarb.
Es war so verdammt warm in seinem Zimmer. Diese erdrückende Hitze. Als er ein Fenster öffnete, war es ihm kurzzeitig so, als ob alle Last auf seinen Schultern in die kalte Winterlandschaft entfliehen konnte. Warum sollte er es eigentlich nicht tun? Es wäre genauso einfach wie dieses Fenster zu öffnen, aber irgendetwas hielt ihn ab. War es Verantwortung? Verantwortung für seine Familie? Es war eigentlich kaum seine Familie, vielmehr die seiner Eltern… aber sie wollten ja das Beste für ihn. Alle wollten immer das Beste für ihn, obwohl sie sich immer auf ihren eigenen mickrigen Vorstellungen von einer perfekten Welt ausruhten. Hass stieg in ihm auf. Er stürmte zum Schreibtisch und öffnete die Schublade und dann sah er sie, seine Fahrkarte aus diesem Schlamassel. Das kühle Metall fühlte sich gut an in seiner Hand und zum ersten Mal seit langen, konnte er wieder lächeln. Er setzte sich wieder hin und starrte eine Weile auf sein Hochzeitsbild, welches an der Wand hing. Wie in einer schlechten Fernsehsendung fiel ihm Shakespeares Zitat über Leben oder Sterben ein und rang ihm abermals ein Lächeln ab. Er konnte schon die Medien plärren hören, wie abartig jemand sein könne, seine Familie einfach so im Stich zu lassen. Hatte ihn nicht schon die ganze Welt im Stich gelassen? Die Welt war einfach nur ein Käfig geworden und er hatte den Schlüssel in seiner Hand. Das faszinierende ist ja, dass wenn man in einem Käfig sitzt, man die Gitterstäbe genau um sich herum sieht, die einen gefangen halten… aber man kann nichts dagegen unternehmen. Bis auf eine Sache. Der Schuss traf direkt in den Kopf und sein Körper sackte einfach nach vorne auf den Tisch.
Stille.
Der Schuss erschien ihm so real, dass er davon aufwachte. Es war nur ein Albtraum, Gott sei Dank, trotzdem hatte er ihm so einiges vor Augen geführt. Er musste vieles für seinen Traum opfern und auch die Waffe zu Selbstverteidigung im Schrank würde nun das gleiche Schicksal ereilen. Als er zurück im Bett war, kuschelte er sich noch weiter an seinen neuen Freund. Er erinnerte sich an die Worte der Frau aus seinem Traum und freute sich…
… Er hatte es getan.