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- 04.02.2008
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Ulv
Ulv
Schwärze
Bleiern hängt eine rabenschwarze Dunkelheit im Raum und erst pervers langsam dringen erste schemenartige Konturen durch den Mantel vorherrschender nocturner Schleier. Undeutliches ist zu erkennen, wird verdichtet und baut sich bald an einer Wand als eine gelbliche und wüstenähnliche Landschaft auf, deren Ende, so vermutet man, bis an den Horizont heranreicht und doch entsteht der vage Eindruck, sie würde eigentlich erst in der Unendlichkeit an irgendeine Grenze stoßen und somit niemals enden. Korn um Korn kristallisiert und manifestiert sich, bis unerschütterlich und als absolutes Zeugnis der Existenz dieses Ausschnitts der fernen Wirklichkeit, ein ganzes Bild als Projektion an der Wand zu erkennen ist. Dünen werden aufgetürmt, ein Himmel ohne Wolken wird hinzugefügt und schließlich die Sonne als formendes und bestimmendes Element dieser Landschaft am Firmament platziert. Es ist gleichsam die Fleischwerdung einer vorzeitlichen Sehnsucht, jetzt eingerahmt in eine alles aufsaugende Dunkelheit, gepaart mit Klängen ohne auszumachenden Ursprung. Es weckt das Verlangen einerseits an den Ort des eigenen Ursprungs zurückzukehren und andererseits stellt es das Motiv der ewig Getriebenen dar, welche in der Unbarmherzigkeit der Natur keinen Halt finden können, weil die Beschaffenheit den Bodens durch sein Zerrinnen ihnen die Stablität nimmt, welche zum Leben sie benötigen.
Schlieren heißer Luft verhüllen alsbald die Sicht auf die unendliche Weite dieser Gluthölle und zahllose wabernde Phantasmagorien erzeugen eine vage Hoffnung auf Errettung, wo nur Tod zu finden ist. Dem Leben spricht der Betrachter jegliche Berechtigung zur Existenz in diesem Glutofen ab und doch ist es in einzelnen kleinen Unterbrechungen im stehenden Wüstenmeer, als Wellen in den Wellen, zu erkennen. Ganz so, als würde etwas oder jemand versuchen diese Wogen auf seine Art und Weise voranzutreiben oder aufzuhalten. Wer weiß? Dünen einst klar und glatt aufgeschichtet, erfahren so eine Art Stigmatisierung, die auf ihrem Rücken den Ursprung hat, an deren Spitze jedoch endet, aber im gleichen Muster im Tal zum nächsten Anstieg wieder zu finden ist; doch dazwischen: Nichts. Dieser kurze Moment der Veränderung und der Manipulation ist jedoch nicht von Dauer. Die Kanten der Gipfel der Dünenrücken brechen ab. Musterungen werden durch den von feinem Sand geschwängerten heulenden Wind nach und nach ausgelöscht. Es scheint als wenn das einzig hier beständige die Wüste selbst wäre. Wälder werden gerodet, Felder verbrennen, Landstriche verdorren und schließlich regiert irgendwann auch dort das gelbliche Nichts, in dem nur noch vereinzelt Lebewesen ihr Dasein fristen. Eben jene, die sich mit den Brocken zufrieden geben, die ihnen dieser Ort in heuchlerischer Gnade hinwirft. Lebewesen, welche die augenscheinliche Leere in eine trügerische verwandeln und dieser Welt darüber eine schwer fassbare Form von Mystizismus einhauchen.
Aus der statischen Absolutheit der gegenwärtigen Betrachtung der Szenerie heraus, bewegen sich die Bilder nun vorwärts und erlösen den Betrachter von der Spannung des Augenblicks, welche sich durch den Akt des Beharrens auf diese eine Einstellung der Ansicht aufgebaut hatte. Scheinbar mühelos und ohne jeglichen Widerstand bewegen sich die Bilder voran; man möchte fasst sagen: von Geisterhand. Stück um Stück, der von der Sonne ausgedörrten, augenscheinlich lebensleeren, irgendwie lebensfeindlichen, unentwegt von Winden gepeitschten und nicht zuletzt vom Regen vergessenen Welt, verschwindet so hinter dem Schirm und aus der Wahrnehmung des Betrachters. Gleichsam einem Schiff oder einem Flugzeug oder etwas, welches aus beidem besteht, bewegt man sich auf diesem stehenden oder vielmehr nur unmerklich verändernden Ozean vorwärts, bis schließlich fern am Horizont bald schwarze Formen sich abzuzeichnen beginnen, man sie als Fata Morgana zunächst abtut, jedoch mit jedem vorangetriebenen Meter sich diesbezüglich unsicherer wird und schließlich in ihnen die Auswüchse von Zivilisation zu erkennen glaubt, die hier so gar nicht erwartet worden waren und welche daher entsprechend deplatziert wirken. Mit dem nicht enden wollenden Vorangleiten nehmen die fernen und unscheinbaren Formen unentwegt an Dimensionen zu und geben zunächst nur eine schorfartige, dann eine grobschlächtige Kontur wieder, wachsen allmählich einem Krebsgeschwür ähnlich aus dem Boden, bis irgendwann der Horizont des Blickfeldes von diesem ausgefüllt ist. Ihm entspringen vielerorts feine dunkle Rauchschwaden, der mal hoch oder mal niedrigen, aber keinem bestimmten Muster folgenden Zickzacklinie, die sich schließlich in einzelne Häuser aufzulösen beginnt, welche als loser wild angeordneter Haufen eine steppenähnliche Ebene ausschmücken.
Die Vorfreude auf die Entdeckung von Leben in der leeren Einöde dieses Ortes legt sich beim Anblicke der verlassen wirkenden Szenerie. Doch ein vorschneller Entschluss über den Zustand dieser Geisterstadt straft ein urplötzlich aufwallendes Schlagen und Hämmern Lügen. Etwas abseits und bisher nur als vager Eindruck zu erkennen, klafft eine tief in den Boden gerissene Wunde, in der unzählige dunkle Formen zu einem nicht auszumachenden Rhythmus unentwegt idiotische Bewegungen vollführen. Zu deren absurden Schauspiel lärmt ein hämmerndes, schlagendes, knallendes und krachendes Pandämonium wild in den Stein getriebener Hämmer und Hacken, welches unentwegt in nachhallenden Echos den Riss erschallen lässt und letztlich als irrer Klang zur Peinigung der Arbeiter beiträgt, von denen es seinen Ausgang nahm. Doch verharren die Bilder in der vom Schwarz umrahmten Leinwand nicht in dieser sicheren Distanz, in der die Sicht zum Überblick auf das ganze System gereicht, um das Zusammenspiel der einzelnen Teilelemente zu begreifen und abschätzen zu können. Nein. Langsam. Furchtbar langsam. So furchtbar langsam, als würde eine zu schnelle Bewegung das existentielle Ende des stillen Voyeurs bedeuten. Ein Laut vielleicht zur Freisetzung von unaussprechlichen Schrecken aus den fast aschfarbenen lebensleeren Häusern - die vielmehr Trutzburgen ähneln - führen. Ganz so, als wäre die derzeitige Idylle eine trügerische und hinter jedem Stein wäre auf die eine oder andere Art und Weise eine Form von Verrat zu erwarten. Eben jener würde unweigerlich eine Bedrohung für den Empfänger in der fernen Realität nach sich ziehen, so dass allein diese schneckenhafte Form der Fortbewegung die latent vermutete Bilderlust des Betrachters wird befriedigen und der allgegenwärtigen Gefahr ein Schnippchen geschlagen werden können. Vielleicht wäre aber auch ein Ereignis nur durch diese Form der List zu erheischen, welches anderweitig, so könnte man vermuten, nicht dem Auges des Betrachtes zuteil werden würde, da der Moment der Überraschung und Heimlichkeit eben durch ein zu ungestümes Auftreten zunichte gemacht worden wäre.
Sei es eine unterschwellige Gefahr oder die Chance auf eine besonders geartete visuelle Befriedigung, die Auflösung des Motivs bleibt dem Zuschauer verborgen. Stattdessen setzt sich die Wiederholung der Bewegung der Bilder weiter fort und mit jedem gewonnenen Meter steigt nun spürbar die Zahl der Dezibel, welche aus der Umwelt auf den Zuschauer einwirken, ein wenig an. Schallwellen dringen immer stärker und stärker in den Boden ein und erzeugen über ihren Phasenwechsel eine feine Resonanzschwingung, durch welche oben auf dem Sand liegende und lose aufgestapelte Körnchen unentwegt mal in eine, bald in eine andere Richtung geworfen werden. Sie bilden den kochenden Ozean aus Sand über den der unbekannte Betrachter in diesem Augenblick vorwärts gleitet. Es werden Häuser passiert, die jetzt in diesem Moment, so will es der Zufall, leer und verlassen daliegen, deren Türen aber offen sind, wodurch ein Blick in diese Welt in der Welt geworfen werden kann. Und schon interessieren in diesem Augenblick nicht mehr die Ereignisse in der Grube sondern stattdessen der vermeintlich versteckte Aspekt des Lebens jener, die in der Tiefe am schuften sind; wobei der Zuschauer sofort die Annahme trifft oder es wird ihm von dem Medium suggeriert, bei den Bauten handele es sich um das Zuhause jener, die als Arbeiter in der Grube ihr Werk vollbringen. Über die sich nun vollziehende Offenlegung ihres Lebensstils soll ihr Charakter ergründet werden und als erster Mosaikstein einer geistig abgefassten Skizze ihres Wesens herhalten können, um im Nachhinein eine ganzheitliche Betrachtung der Personen vorzunehmen und jedwede Zweifel über ihre Existenz verstummen zu lassen.
Weiter ziehen die Bilder, immer beständig den Blick auf obskure Dinge richtend - Artefakte mannigfaltiger Natur dieser fernen Zivilisation:
Mal ist es ein vergilbtes zerrissenes Banner. Mal ein Rest an vergangener Technik, die wertlos geworden als metallenes Exkrement - in ihrem teils irisierend teils dumpfen Aussehen chitinartigen Panzern nicht unähnlich - zu unzähligen Haufen aufgestapelt und letztlich in die scheinbare Unendlichkeit der Wildnis entsorgt wurde. Weiterhin sind gebrochene Spiegel zu erkennen, die die umgebende Welt tausendfach und den Facettenaugen einer Fliege nicht unähnlich widerspiegeln. Vergleichbar denen, die just in diesem Augenblick für einen Moment als tausendfaches Spiegelbild in den gebrochenen Scheiben auszumachen sind: Zwei Facettenaugen, ihrerseits aus unzähligen Teilen zusammengesetzt, die nun ein weiteres Mal in den reflektierenden Fragmenten der Müllberge verzerrt dargestellt sind. Still verharrt das Bild für einen Moment an diesem Ort des sich spiegelnden Insekts. Würde sich die Fliege erkennen können, fragt man sich. Würde es ihr Gehirn zulassen, das eigene Selbst dort im Spiegel auszumachen? Und zu was würde sie diese Selbsterkenntnis nutzen? Vielleicht ein etwas lauteres Brummen oder Summen von sich geben? Wer weiß?
Doch schon bald wechselt die Perspektive und die Fokussierung auf einen neuen und noch zu entdeckenden Aspekt: auf das Interieur des Baus und somit tief hinein in die private und normalerweise nach außen hin abgeschottete Welt. Denn auch wenn es im Bereich des theoretisch möglichen läge eine Tür in den Eingang als Schutz nicht nur vor unliebsamen Augen sondern auch vor den Einwirkungen der Umwelt zu platzieren, so erinnern doch die nur schwerlich und rudimentär zu erkennenden Scharniere von der Hoffnungslosigkeit dieses Unterfangens. Diese zerbrochenen Halterungen geben einen vagen Eindruck von ihrer einstig(?; oder ehemals) ausgefüllten Funktion, die ob ihres gegenwärtigen Zustandes in keiner Weise mehr zu erfüllen wäre; was aber zu ihrer jetzigen Degenerierung geführt hatte, bleibt verbogen und es gibt keine Hinweise, welche einen logisch kausalen Schluss zuließen. Wahrscheinlich haben diese Menschen nichts zu verbergen, mag der Beobachter die jetzt auf ihn einprasselnden Eindrücke deuten, und vermutet, dass sich die Bewohner an diesem fernen Ort jeglicher Scham ob ihres Loses entledigt haben werden, weshalb es keine Notwendigkeit mehr gäbe sich eines Schutzwalles gegenüber der sozialen Umwelt zu bedienen. Vielleicht, denkt der Betrachter weiter, wäre es sogar gelungen an diesem einen Ort die Natur gänzlich zu befrieden und ihr den Zahn der schwer abzuschätzenden und chaotischen Kalkulierbarkeit zu ziehen. Entsprechend würde keine Gefahr oder Bedrohung mehr von ihr ausgehen, welche über die Existenz von wilden Tieren oder die Bedrängnis durch Stürmen sich in Verlust an Leben der hier heimischen Bevölkerung niederschlagen würde. Gleichsam drängt sich dem Betrachte der Verdacht auf, es handele sich hier um eine Oase der Ruhe und des Friedens, in einer unmenschlichen und apokalyptischen Szenerie, welche jenseits ihrer Grenzen jegliches höheres Leben auszumergeln und auszurotten drohe. Dass es ein Hort der Ruhe wäre, welcher als Gegenpol zu dem ewigen Wandern der Landschaft in der Weite der Wüste fungieren würde.
Aber für das einzelne Gebäude hat dieses keine unmittelbare Relevanz, denn nur in der großen Anzahl verfügt es über genügend Potenz um den Widrigkeiten der anstürmenden Wellen der Wüste zu trotzen. Jedes einzelne für sich steht verloren in der Ebene, wird in endlosen Zyklen aus einem nicht näher zu definierenden Grund tagein tagaus passiert und drängt sich über seine Existenz gleichsam der passierenden Person auf. Unfreiwillig eröffnet sich jedem somit die innere Welt des fernen Privaten, ohne jedoch eine voyeurische Lust nach sich zu ziehen, eben weil die Gesamtheit der potentiellen verfügbaren Eindrücke die Sinne über die Zeit hat abstumpfen lassen. Der Reiz etwas zu verbergen, hat in einer Welt ohne Geheimnisse seine Bedeutung verloren, weil die allgegenwärtige Offenbarung jedweder Intimität keine Stimulanz mehr auszuüben vermag. Daher schaut die umherstreifende Person immer an den Bauten vorbei, um über die Phantasie immerhin eine kleine Regung im Geiste zu erzeugen. Somit wird die Wahrnehmung der Realität um die Facetten der Wunschvorstellung ergänzt und die Eindrücke erstrahlen in einem anderen Lichte. Dieses Abstumpfen liegt aber beim Betrachter, beim neutralen Betrachter fern dieses Ortes, nicht vor, denn sein Rhythmus ist nicht mit jenem aus der Einöde entstammenden synchron, weswegen er die Eindrücke dankbar aufnimmt und aufsaugt, anstatt sie zu verdrängen. Jedes Detail wird als Folge dessen seziert, auseinander genommen und analysiert: So ist die zuvor wahrgenommene Kargheit der Gebäude gleichsam eine Vorahnung auf die hinsichtlich Zweckmäßigkeit und Minimalismus eingerichtete Wohnfläche. Von Annehmlichkeit in Hinblick auf ein angenehmes und behagliches Wohnen, wie man es auch in den großen Städten der westlichen Zivilisation immer noch kennt, lässt sich trotz aller innerlichen Wunschvorstellungen nicht vorfinden. Eine als spärlich zu bezeichnende Feuerstelle, ein zerbrechlich wirkendes und mehr zusammengestecktes als konsequent zusammengebautes Bett und das ein oder andere Utensil für das alltägliche Leben verteilen sich in unregelmäßigen Abständen voneinander über die Breite des Raumes. Letztere verteilen sich in ihrer Vielfalt zumeist über den Boden, sind vorsichtig an der Wand über dort eingelassene Haken befestigt oder auf wackeligen Konstruktionen aus Holz, welche entfernt mit Ablageflächen versehenden Schränken ähneln, aufgebahrt. Um sie herum, liegen trotz der allgegenwärtigen brutalen Helligkeit vereinzelt Schatten in dem Haus auf der Lauer, welche auch dem Tag hier in kleinen Nischen überdauern können, weil die beiden zusätzlichen Öffnungen des Hauses, also ein Fenster sowie der Abzug für die Feuerstelle nebst des Einganges, es nicht vermögen dem Raum in eine alles umfassende Helligkeit zu tauchen; um so die Schatten vollends zu vertreiben.
Doch die Bilder halten sich wiederum - wie auch schon zuvor nie - nicht mit der Betrachtung dieser einen Szenerie auf. Erneut bewegen sie sich, abermals von einer unbekannten Macht gelenkt, weiter. Vorbei nun an den Häusern, Trutzburgen flankiert von Müllbergen, und dem in die Wüste eingetriebenen Schlund nun umso beharrlicher entgegenstrebend; ist doch scheinbar alles Wissenswerte aus der zuvor beobachteten Umgebung aufgesogen worden, sodass nur in der erneuten Suche nach jedweden Input eine weitere Bedürfnisbefriedigung liegen kann. Es drängt sich die Vermutung auf, in der Beobachtung jener dort zuvor undeutlich zu erkennenden Arbeiter läge das vorerst nächste Ziel dieser Bilderjagd.
Schließlich ist die äußere Begrenzung der abyssischen Kluft erreicht.
Vom Rande des gähnenden Schlundes richtet sich der Blick auf unzählige braune Leiber, die unentwegt und von einem idiotischen Rhythmus angetrieben, ohne Unterlass, ohne tieferen Sinn, scheinbar ohne einen triftigen Grund, ihre verlängerten gehärteten Gliedmaßen - eben die Werkzeuge - in die Wände eintreiben, ganz so als läge hierhin ihre ureigene Bestimmung. Die Steine, die sie dabei lösen, fallen, mal an der Wand gleitend, mal in der Luft stürzend, herunter, um jene, die in der darunter liegenden Ebene ihrerseits ihre Kräfte in den Stein treiben, oftmals zu passieren, mal lediglich zu touchieren oder manchmal sogar gänzlich zu erschlagen. Gelingt es die heraus gelösten Stücke von ihrem zweifelhaften Antrieb abzuhalten, so werden sie in große Körbe verladen, um dann in der unendlich erscheinenden Tiefe der abyssischen Schlucht zu verschwinden und um dort einem nicht näher auszumachenden Zwecke zugeführt zu werden, weshalb sie wie erwartet beim Heraufziehen der Körbe nicht wieder das Tageslicht erblicken. Aber ob die aus dem Fels herausgeschlagenen Brocken sanft über Körbe in die Tiefe hinab gelassen werden oder als todbringender Steinschauer hinabstürzen, auf das Verhalten der Geknechteten hat dieses in keiner Weise einen Einfluss und stoisch treiben sie auch weiterhin ihre verlängerten Gliedmaßen in den rauen Fels.
Der Balanceakt zwischen Leben und Tod, der die Leinwand ausfüllt, nicht in seiner Gänze sondern immer nur einzelne Ausschnitte vergrößernd, vollzieht sich in endlosen Repetitionen; ohne Rückschluss auf ein Ende oder eine vage Erlösung gebend. Nichts stört dieses fein austarierte Zusammenspiel der einzelnen und voneinander losgelösten Elemente, die einander in ihrem Treiben unterstützen, sich jedoch nicht untereinander im Sinn einer sozialen Interaktion austauschen. Nur der Abbau des Erzes zählt. Doch welchem tieferen Zwecke dieses dient bleibt verborgen; ob es die Arbeiter wissen, denkt man? Es ist lediglich das unmittelbare Ergebnis - das heraus gebrochene Gestein - zu erkennen. Das Endergebnis der Mühen verschließt sich dem neutralen Betrachter und irgendwie drängt sich der Verdacht des Vorsatzes auf, dem die Gedanken des nicht-wissen-wollens und nicht-wissen-dürfens implizit sind. Doch am Ende des Prozesses liegt in einer heuchlerischen und bösartigen Natur ein reines Produkt, welcher Beschaffenheit es auch immer entsprechen mag. Dieses nun gereinigt von den physischen Qualen und dem irren Pandämonium seiner Erstellung, harrt seiner Nutzung durch eine unbestimmbare ferne Person; darin ähneln sich Erstellung und Verwendung. Der oder Die, welche sich später dem Artefakt hingibt, wird das Leiden der Produktion nicht ins Bewusstsein gebracht werden können. Er oder Sie wird letztlich das nur vollends sterilisierte in der Hand halten und selbst die unmenschlichsten Qualen würden ihnen alleine über das Produkt nicht zu vergegenwärtigen sein.
Doch das fein austarierte Gleichgewicht der Kräfte und Bewegungen gerät urplötzlich aus den Fugen. Wie aus dem Nichts zerbirst die als stabil angenommene Harmonie. Was eben zunächst aus der Ferne nur unscharf und undeutlich zu erkennen war und daher als zu vernachlässigend erachtet wurde, präsentiert sich durch die nun fokussierte Sicht auf den Ort des Geschehens jetzt als deutlich auszumachende Entrückung aus der Normalität. Ein einzelnes dieser braunleibigen Wesen ist gestürzt und unter der ihm aufgetragenen Last zusammengebrochen. Er liegt jetzt ausgemergelt und von den Kräften verlassen auf einem der vielen hölzernen Podeste, die an den Hängen herabgelassen und miteinander über Brücken verbunden sind, um die Felswand darüber ihrer Schätze zu berauben. Aber nur das seine Verhalten hat sich verändert, nicht das der anderen, die nahe seiner Person weiterhin stoisch und kontinuierlich ihre Kräfte in den Stein treiben. Nur er, der er sich einer Art Erlösung durch einen Moment der Ruhe ob der Qualen durch das Tagewerk hingegeben hat, sticht durch eine - so präsentieren es die Bilder - augenscheinliche Ignoranz im Hinblick auf seine Verantwortung für das System heraus. Der ferne neutrale Beobachter vermutet Vorsatz und dass der Gestürzte nicht willens sei auch weiterhin mit derselben Aufopferung ans Werk zu gehen, die bei den anderen Menschen dort zu erkennen ist. Sie, die trotz ihrer Erschöpfung und ihrer Schmerzen ihr Treiben nicht aufgeben und im Gegensatz dazu er, der er dem Willen des Fleisches und des Geistes sich hingegeben hat, um seinen eigenen Willen denen der Masse überzuordnen.
Veränderungen verbleiben nie alleine. Sie verbreiten sich durch das feine Gespinst der miteinander verwobenen Elemente und lösen Ereignisse an Orten aus, die fern vom Ursprung der Störung liegen. Etwas abseits am Grubenrand erscheint nun wie aus dem Nichts eine Vielzahl heller Gestalten, die zuvor vielleicht nicht zu erkennen oder gar verborgen waren, jetzt aber um so mehr aus der dunklen und braunen Umgebung herausstechen; durch ihre helle Kleidung und weiße Haut, weiterhin durch den Umstand, dass sie über die Brücken und Podeste entlang eilen: Hin zum Ort des Geschehens. Vorbei rasend an den unzähligen Arbeitern, die um so mehr Elan und Energie in die Arbeit investieren, je näher die Gestalten sich ihrer Position nähern. Der Umgebung scheinen sie, die Arbeiter, aus einer Art Selbstschutz heraus, keine Beachtung mehr zu schenken, ganz so, als fürchteten sie eine Bestrafung oder eine Verstärkung ihres jetzigen Martyriums, welches aus dem Umstand ihrer Ablenkung resultieren könnte. Ganz anders die engelhaften, aber flügellosen Gestalten: Sie huschen ohne Behinderung über die hölzernen Brücken und Podeste hinweg und gelangen so schnurstracks an dem Punkt der unaussprechlichen Störung, des frevelhaften Emporlehnens gegenüber der bestehenden und vielleicht mit Hinweis auf eine höhere Macht legitimierte und wahrscheinlich hierarchisch aufgebaute Machtstruktur, welche ihr eigentliches Erscheinen in der Szenerie erst nötig gemacht hatte. Dort bilden sie einen Kreis um den immer noch am Boden liegenden Menschen, der nicht dahingeschieden, sondern nur seiner Kräfte beraubt und somit auf den Boden niedergeschlagen ist. Lautlos und irgendwie zu Salzsäulen erstarrt stehen sie um ihn herum, schauen zunächst nur kurz auf den Delinquenten herab, dann in kalten und lebensleeren Blicken einander an, aber ohne je einen einzigen Ton miteinander zu wechseln. Stattdessen blinkt an ihrem Kopf in unregelmäßigen Abständen immer wieder ein grau-metallener Torus auf, der ihren Schädel vollends umschließt. Das Blinken springt von einer Person zu anderen und nimmt in der Frequenz mit der Dauer des stummen Gespräches, von dem der Betrachter annimmt es wachse über die Zeit an Intensivität, immer weiter zu.
[
Stille Kommunikation im Herzen pandämonischer Klänge.
Geistige Raserei und zum Schweigen gebrachte Gedanken.
]
Die Atmosphäre an diesem Ort ist zum Zerreißen gespannt und allein die Schwankungen in der Frequenz der Illumination der Lämpchen in den Kopfringen geben einen vagen Rückschluss auf die Art und Weise in der die Diskussion seinen Lauf nimmt, welche zum Ziel das Fällen eines Urteils über die Person zu ihren Füßen haben wird. Für den neutralen Betrachter der Bilder spielen folgende Aspekte eine Rolle: Wäre es vertretbar, dass man ihr Aussehen, diese engelsgleiche Pracht, als Maßstab für eine gerechte Strafe heranziehen könnte, ganz in dem Sinne, dass der äußerliche Schein gleichsam das innere Gemüt dieser Wesen widerspiegeln würde? Wäre dieser Vergleich mit den Gestalten eines alten Mythos gerechtfertigt oder wäre es vielleicht doch nicht mehr als die Vortäuschung eines Umstandes, der so nicht existent ist? Wie gerecht kann ein Mensch sein, wenn er gottgleiche Befugnisse in sich vereint?
Ein Knartschen durchstößt als Lärm den dunklen Raum. Erst ferner, dann näher und somit immer lauter werdend. Schließlich ein Brechen und ein Knacken … das Bild entschwindet und die Klänge verstummen.
Schwärze
So. Genauso wie die irisierenden Bilder sich auf der Mattscheibe manifestierten, die umrahmt von Dunkelheit ein Tor in eine andere Welt öffneten, verschwinden die einzelnen kleinen Farbkleckse in der wieder erstarkten Schwärze und hinterlassen nichts. Ganz so als hätten sie mittlerweile keine Berechtigung mehr an diesem Ort zu verweilen. Auf dass wiederum eine Finsternis regiert, welche lediglich durch eine kleine, verloren platzierte und auf den Ausgang hinweisende Lampe in ihrer absoluten Herrschaft gestört wird. Doch irgendwann wird auch sie verlöschen, sich in der Unendlichkeit nächtlicher Schleier auflösen. Die Erinnerung an sie wird abebben, bis letztlich ihre vordermalige Existenz negiert wird.
Er.
Verloren an diesem Ort und von dem Gefühl beseelt hier unerwünscht zu sein, sitzt er in einem kaum bequemen Stuhl mit den Augen immer noch auf die jetzt schwarze Leinwand fixiert, die nur von einem spärlich und kaum erwähnenswerten Lichtschimmer ausgeleuchtet ist. Stoisch starrend, ebben in ihm die letzten Fragmente der Bilder ab und so wartet er allein auf den Moment der eigenen Überwindung, um sich zu erheben, um dann die enge Zelle zu verlassen, den schweren und fast bleiernen Vorhang vor dem Ausgang beiseite zuschieben und schließlich auf einem mit blutroten Teppichen und Tapeten dekorierten Gang hinauszutreten. Dort steht er schließlich, hilflos umherschauend, ohne etwas Vertrautes zu erkennen: Keine Symbole geben einen Rückschluss auf den errettenden Ausgang.
Stattdessen säumen hinter Vorhängen versteckte, leicht zurückliegende und in regelmäßigen Abständen platzierte Türen beide Wände des Korridors, die ihrer äußeren Beschaffenheit nach untereinander vergleichbar mit jener des Raumes sind, welcher bereits als vage Erinnerung hinter ihm liegt; verborgen hinter einer Lage Stoff. Um ihn herum schmückt karminfarbendes Gespinst die Wände, den Teppich ebenso wie auch den Boden. Dieses allgegenwärtige Rot wird nur von vereinzelten Schatten unterbrochen, welche in den Ecken des schwer hängenden Stoffes vor den Eingängen zu den Räumen auszumachen sind, quasi als Vorahnung auf die dort lauernde und alles aufsaugende Dunkelheit. Licht gibt es hier nur durch vereinzelt an der Decke angebrachte Lampen, welche eine angemessene, aber nie übertriebene Menge an Photonen ausstrahlen. Sie sind fast dezent platziert und werden auch kaum wahrgenommen, dennoch vermögen sie den Gang in ein weiches schummriges Leuchten zu tauchen und dem Umherwandernden ein wenig den Pfad zu weisen.
Seine Augen wandern von rechts nach links, unschlüssig darüber welchen Weg ihn hierher ursprünglich geführt hatte, weil die überbordende sowie omnipräsente Gleichheit ihn davon abhält bekannte Objekte wieder zu erkennen und ihm einen Anhaltspunkt zu geben; dieser würde über sein Herausstechen und die daraus resultierende Störung des Gleichgewichtes gleichsam einem Halme entsprechen, an dem es für ihn möglich wäre sich zu klammern und zu entkommen. Derartiges bietet sich ihm hier jedoch nicht und beim Betreten des Etablissments hatte er auch nicht viel Aufregens bezüglich des Aufbau dieses Ortes und dessen grundlegenden konzeptionellen Struktur gemacht, sondern stattdessen sich bald nach kurzem Umherlaufen in eine willkürlich ausgewählte Kabine gesetzt; sie erschien ihm geeignet. Obwohl er nun trotz einer längeren Bedenkzeit sich weiterhin im Unklaren über die gegenwärtige Situation befindet, schlägt er zufällig, der Nase nach, eine Richtung ein, um über die Erkundung des Ortes, die fehlenden Fragmente in seinem Kopf zusammenzusetzen. Bald schon durchstreift er verloren in endlosen Zyklen die Flure, saugt jede noch so winzige von der Norm abweichende Impression in sich auf, verliert sich in ihnen und wird Opfer des physischen Labyrinths das als Pendant zu den medialen Irrungen herhalten kann, die es beherbergt. Vielleicht kommt es einem Schutzmechanismus gleich, das Denken an dem Ort gefangen zu halten, an dem es seine Manipulation erfahren hatte und es somit nicht auf die Welt jenseits dieses Mikrokosmos loszulassen. Vielleicht ist es aber auch ein Akt der Grausamkeit, die erworbene Erkenntnis nicht nutzen zu können, da die Möglichkeit mir ihr zu fliehen durch dieses Labyrinth verhindert wird und die Außenwelt nie über die Wahrheit dieses Ortes informiert wird.[Nur was geschieht mit jenen, denen die Flucht unmöglich ist?]
Es deuten keine Zeichen auf einen Ausgang hin und stattdessen existiert nur das allseits gleich aussehende: die Austauschbarkeit. Ecke folgt auf Ecke und Gang folgt auf Gang; ein ewiger, endloser Zyklus. Überall die gleichen Farben und Anordnungen. Irgendwie erscheint es ihm, als würde er immer und immer wieder den gleichen Gang entlang schreiten, ganz so, als würde er mit dem Passieren der Ecke an dessen Ende, wiederum auf magische Weise an den Anfang zurückversetzt; in endlosen Zyklen, idiotisch und ohne einen tieferen Sinn. Dennoch: Wie in den Filmen versteckt sich die Wahrheit im Verborgenen und hofft darauf, dass sie über einen Akt der Erkenntnis gefunden wird, nur um abermals verloren zu werden. Die Ratio ausklammern und den Geist treiben zu lassen, sich dieser Welt hinzugeben und die tief verborgenen Geheimnisse durch eine Handlung konträr zur Norm aufzulösen, genau das ist die Lösung, die es anzustreben gilt. Er bleibt stehen und schaut wie in Resignation auf die Wand...
Und so öffnet sich ihm eine Tür.
Ein kleiner Gang zur erlösenden Straße hin liegt jetzt vor ihm. Von magischer Hand geöffnet und keinen Rückschluss auf den Urheber dieser Aktion zulassend; es ist schlicht und einfach so passiert. In seinem Kopf mischen sich Verwunderung, aber auch Erleichterung und mit langsamen Schritten schreitet er jetzt voran durch diesen dunklen aber leicht glühenden Tunnel, dessen Wände selber kein Licht emittieren, aber über Reflexionen lumineszieren. Verfolgt vom roten Licht des Ganges und dem weißen errettenden Licht der Straße entgegenstrebend, werden über die vorherrschende gestreute Beleuchtung vage Fragmente an der Wand dieses Tunnels schemenhaft erkennbar und im vorbeigehen passiert. Wenn auch spärlich ausgeleuchtet, so dringen doch vereinzelte Eindrücke wirrer und chaotisch angeordneter Linien auf ihn ein, welche mal glänzend, mal matt, aber immer der Wirklichkeit entrückt als Fresken die Wand zieren. Keinen Blick verschwendet er an die umliegenden Seiten, weswegen sein Weg ihn schnurstracks auf die Straße hinaus führt. Das Etablissement jetzt vollends verlassend und auf dem Bürgersteig stehend geht ihm der Atem ein paar Mal schwer, ganz so als wäre eine schwere Bürde von ihm gefallen. Als er sich wie zum Abschiede einmal umdreht, findet er den Ausgang, seine Passage der Rettung, verschwunden vor und stattdessen liegen dort jetzt zwei seitlich versetzte, parallel vorhandene Einlasse, die von ihrem Aussehen her in keiner Weise etwas mit dem verborgenen und zuvor durchquerten Gang gemein haben. Jedoch sind es die Gänge, von denen er einen benutzt hatte, um diesen Ort zu betreten; er erinnerte sich. In ihm steigerte sich das Gefühl, dass er sich bald von hier wegbewegen wollte, zu seltsam war doch das was er hier in der kurzen Zeit erlebt und durchgestanden hatte; auch wollte er sich nicht ausmalen, was wohl passieren würde, beträte er diesen Ort noch ein weiteres Mal; gäbe es dann wiederum einen Ausweg, wäre es der Gleiche oder würde mich dann etwas anderes erwarten, fragt er sich.
Einen letzten Blick richtet er auf den modernen Hort der Unterhaltung, dreht sich parallel zur Straße und wird jäh von einem irisierenden, penetrant glänzenden und im Raum schwebenden Display in seinem Bestreben unterbrochen. Enervierend beginnen dessen Felder abwechseln zu blinken und vermitteln den Eindruck, dass der Betrachter es unter allen Umständen zu beachten habe. Irritiert betrachtet er die einzelnen kleinen Felder, in denen er Phrasen wie Qualität des Filmes, künstlerischer Wert, persönlicher Eindruck, Darstellung des Themas, alles mit jeweils einer eigenen Skala versehen, erkennen kann. Unentwegt ändern die Kriterien ihre Farbe und versprühen durch ihr Aussehen einerseits eine Art Allmacht, die es nicht anzuzweifeln gelte und andererseits wird subtil der Eindruck vermittelt, es handele sich bei diesem illustren Farbenspiel lediglich um eine der vielen neuartigen und weit verbreiteten Spielereien; dennoch will diese hier dem Anspruch, als Werkzeug zur Erzielung einer objektiven Entscheidung zu gereichen, gerecht werden. Er jedoch ist nur irritiert und empfindet das Gefühl einer Ohnmacht und verbleibt im Unklaren darüber was hier und jetzt von ihm verlangt wird. Sein Blick wandert von dem eben noch grünen Feld zu dem bald grünen Feld und zum nächsten grünen Feld. Ganz so als läge in dem Verfolgen einer Farbe mit den Augen die ursprüngliche Bestimmung dieses holographischen Feldes und nicht das Abgeben einer möglichst objektiven Entscheidung bezüglich der auf der Holo-Platte dargestellten Kriterien welcher in direkter Korrelation zu der genutzten Dienstleistung steht. Aufsummiert und statistisch aufgelöst tauchen alle Zahlen irgendwann als gereinigter Wert in einer Liste oder einem Dokument auf, um möglichst objektiv die bewerteten Elementen wiederzugeben; gleichsam wird suggeriert, dass die einzelne Entscheidung in der Masse der destillierten Informationen unterginge, gereinigt werde und auf gar keinem Falle das Profil eines Menschen sich aus diesem Wust an Werten würde ableiten lassen können. Immer noch blinkt das schwebende Feld in stoischer idiotischer Reihenfolge vor sich hin und zeigt keinerlei Regung oder Reaktion auf das unzweifelhaft fehlgeleitete Verhalten des Betrachters - er - sondern setzt sein gleichsam hypnotisches Spiel unentwegt weiter fort; so normal und selbstverständlich als läge in diesem Verhalten seine ureigene Bestimmung. Fort geht jetzt er, um nicht weiter konsterniert Blicke an dem lebensleeren und in der Luft schwebenden Bildschirm zu verschwenden. Doch das Feld bleibt bestehen. Vielleicht noch einen Augenblick weiter blinkend, dann zu verschwinden, um später wiederum einen weiteren Besucher beim Verlassen dieses Ortes mit seiner Präsenz zu erschlagen und abermals ein seltsames und hypnotisches Spiel der Farben zu zelebrieren.
Seine Schritte führen ihn die Straße entlang, die um diese Uhrzeit, es ist weit nach Mitternacht, recht verlassen daliegt, sodass nur noch in einzelnen vorbeihuschenden Tieren eine andere Form von Leben auszumachen ist. Anderen Menschen begegnet er nicht und so streift er als alleiniges Individuum durch die nächtliche und in einem kurzen Moment der Ruhe daliegende Stadt. So passiert er, langsam aber beständig voranschreitend, graue und spärlich beleuchtete, sehr unscheinbare und in ihrer Architektur genormte, mal hoch und mal niedrig gebaute Häuser und schlendert alle paar Meter an einer in der Luft schwebenden und ein sanftes Licht spendenden Straßenlampe vorbei. In dem Moment zwischen zwei Schritten zwischen zwei Laternen zieht er einen zerknitterten Zettel aus seiner Manteltasche heraus und entfaltet ihn mehr recht als schlecht auf seiner Handfläche. Zeichen mit Strichen und vereinzelten Buchstaben markieren auf Cellulose niedergeworfene Beschreibungen hin und fort aus dieser fremden Gegend. So hatte er, aus Angst einen Passanten fragen zu müssen im Falle eines Umherirrens in dieser Gegend, sich bereits frühzeitig auf den Besuch des Kinos vorbereitet. Nicht, dass es ihm unangenehm gewesen wäre, irgendeine unbekannte Person zu fragen, doch wollte er ein gewisses Maß an Vorsicht gewahrt sehen. Man wusste nie, mit wem man es letztlich zu tun bekommen würde, hatte er sich gesagt und unliebsamen Begebenheiten wollte er der Möglichkeit nach vermeiden. Sein Alter bewahrte ihn davor vorbehaltlos alles Neue zu akzeptieren und hinsichtlich der Nutzung zu praktizieren, weswegen er nicht jede Form an vorhandener Erleichterung vorbehaltlos akzeptierte, sondern eben in vielen Dingen immer noch eine wenig altmodisch war, auch wenn verschiedenste genutzte mechatronische Dienste ihm das Leben wesentlich erleichtert haben; etwas worüber er mittlerweile sehr glücklich war. Er sagte sich immer, dass er einen Rest an Kontrolle weiterhin bewahrt sehen möchte, um sich nicht völlig - vergleichbar einer vorbehaltlosen Apotheose - der modernen Artefakte hingeben zu müssen. Entsprechend sah er in der Verwendung von Papier eine gewisse Sinnhaftigkeit und glücklicherweise war es auch weiterhin leicht zu beschaffen, obwohl es über die Zeit weitgehend an Bedeutung verloren hatte; wofür es vielerlei Gründe gab. Mit einem leicht wehmütigen Blick schaut er auf die feinen Linien auf dem zerknitterten Fetzen in seiner Hand, die jetzt fast völlig von diesem bedeckt ist und während seiner langsamen Schritte leicht nach oben und unten wippt. Immer mal wieder von vereinzelt leuchtenden Straßenlaternen beschienen, aber ansonsten weitgehend von Schatten vollends bedeckt und von der Dunkelheit verzehrt.
Eine verlassene, ja, verlorene Gegend die während seines Fortschreitens an ihm vorbeizieht und hinter ihm entschwindet. Oft nur vage zu erkennende Gebäude, deren Eingänge und vorderer Bereich schal beleuchtet sind, aber deren oberen Geschosse in der Dunkelheit entschwinden. Er treibt durch Winkel und Gassen, hat aber irgendwie das beklemmende Gefühl fehl am Platze zu sein, gleichsam einem Fremdkörper der abgestoßen werden soll; ob er sich auf dem Hinweg auch schon so gefühlt hatte, kann er nicht mit Bestimmtheit sagen, oder liegt es an der Marterung seines Geistes in dieser engen dunklen Zelle, die jetzt klammheimlich Gewissensbisse in seinem Geiste erzeugt und seine Wahrnehmung der Wirklichkeit entrückt. Er bleibt stehen. Es war ihm nichts darüber bekannt, dass es eine Manipulation seiner Gedankenwelt gegeben habe könnte, während der Zeit in welcher er in dem fernen Lichtspielhaus weilte. Ebenso entzog es sich seiner Kenntnis, ob ein derart ausgeprägter korrumpierender Einfluss wirklich ein Bestandteil vom dem hier und jetzt sein konnte. Aber den Zustand innerer Sicherheit war er nicht in der Lage herzustellen. Sicher war er nicht. "Aber", so warf er in Gedanken ein, "wären bei einer derart gestalteten Manipulation nicht die Wirkungen viel gravierender als ich es jetzt in diesem Augenblick empfinde? Oder wäre der Eingriff subtiler und wäre gleichsam massiver je länger ich mich der Berieselung über vergleichbare Filme aussetzte?" Er konnte sich keinen Reim darauf machen und verwarf diese Gedanken daher wieder schnell.
Seine Gedanken schweifen wieder zu dem Punkt zurück, welcher sich mit der Vorbereitung dieses Kinobesuches beschäftigte. Stunden zuvor, um präzise zu sein lag das Ur-Ereignis bereits mehrere Tage zurück, veranlasste ein unbestimmbares Verlangen ihn dazu, alsbald eines der Lichtspielhäuser aufzusuchen. Fast willkürlich fiel der Entschluss und er zweifelte ihn die ganze Zeit über während der Vorbereitung nie an. Und auch jetzt nachdem das Erlebnis vergangen, die Sehnsucht erneut zu nagen begann, Zweifel über das Verbringen des Abends in seinem Geist sich bildeten, so verbucht er innerlich diesen einen Abend dennoch als eine interessante Abwechslung zu der Tristesse mit der sich oftmals konfrontiert sah. Aber diese kleine Zelle, in der Filme jetzt gezeigt werden, hatte mit den Kinos seiner Erinnerung nichts mehr gemein. Es fehlte an so vielem, an all den kleinen Dingen, die …
Plötzlich reißt er erschrocken die andere und papierlose Hand hoch und starrt auf die digitale Anzeige seiner Uhr. „Zu spät", seufzt er, „aber jede Hetze wird es auch nicht besser werden lassen. Dann lieber ganz wegbleiben.“ Eigentlich hätte er ein Treffen im Netz gehabt. In einem der vielen Locations an denen man in regelmäßigen Abständen teilnehmen musste, um überhaupt noch gesellschaftlich akzeptiert zu werden; sie sind über die Jahre zu einem festen Bestandteil der Gesellschaft geworden war und Partizipation wurde immer als ein positiver Umstand ind er Wahrnehmung einer Person gewertet. Oft fragt er sich jedoch nach vielen Stunden, die er in den Weiten des Internets verbracht hatte, was ihn dazu veranlasst hatte oder auch was sein Gewinn gewesen wäre aus der dort verbrachten Zeit und welchen Mehrwert er aus diesen Treffen mitgenommen hatte. Aber nie fand er eine Antwort darauf. Allein die Leere blieb. Nicht nur jetzt, da er durch die tiefen Schluchten verlassener Hochhäuser entlang schritt, vorbei an den Ruinen der Vergangenheit, den ausgedörrten Höfen der Industrie, sondern schon zuvor schon lenkte er dann und wann seine Gedanken zeitweise in diese Richtung. Vielleicht kam ihm dieser Ausbruch aus seinem geregelten Leben auch deswegen so erholsam vor. Einen Moment, der ihn darin bestärken sollte, den Weg den er bis dato beschritten hatte weiterzugehen und es nicht bei diesem einen Abend zu belassen. Alles startet mit einem ersten Schritt, hatte er sich gedacht. Er würde sich befreien von den Fesseln, welche die Gesellschaft ihm oktroyierte, die einher gingen mit dem Verständnis über ein gutes und erfülltes Leben. Aber er hatte jegliche Begeisterung dafür verloren und diese klinische und tote Form der Kommunikation ermüdete ihn.
Er gelangt an eine Kreuzung und sein Blick fällt auf eine einzelne Person, die an der gegenüberliegenden Seite den Gehweg entlang schreitet; den Mantel hoch geschlagen und die Mütze tief in das Gesicht gezogen; wäre die Kleidung der Person dunkler würde sie fast in der Umgebung aufgehen. Seine Augen verfolgen diesen Fremden, aber jener lässt sich in seiner ruhigen aber bestimmten Weise des Fortschreitens nicht irritieren und setzt sein Vorwärts kommen unentwegt fort. Noch eine ganze Zeit beobachtet er jenen, fasziniert von diesem Wesen, ganz so als wäre dessen bloße Existenz ein Unikum im Jetzt, weswegen man diese Abnormität deshalb kaum glauben möge und sie deshalb bis zu ihrem entschwinden zu beobachten habe. Erneut fällt der Blick auf den zerknüllten Fetzen Papier auf seiner einen Handfläche; weiter in die nächste Gasse, eine nächste Biegung, an endlosen Reihen von Häusern entlang, um irgendwann stehen zubleiben. Zu Hause. Wie in Trance legt er den Rest des Weges zurück. Passiert Meter um Meter ohne vom vielen, was ihn umgibt Notiz zu nehmen. Stattdessen legt er eine vorgetäuschte Ignoranz an den Tag, um alles auszublenden, dass seinem Kosmos nicht entspricht. Sieht er einen Menschen ihm entgegenkommen, so schaut er weg oder durch ihn hindurch, ebenso wie der andere oder die andere ihn mit leeren Blicken ihm seiner Existenz Lügen straft. Keine Berührung, kein Kontakt. Das Rochieren der Abermyriaden an Menschen, die tagaus tagein durch die Schluchten der Städte strömen, vollzieht sich ohne etwas Bleibendes zurückzulassen. Als Winde durchstreifen sie die Winkel und Gassen, die Straßen und Plätze, kommen mit allem in Kontakt, jedoch verlieren sie sich in der Weite des zivilisierten Raumes und kehren verwandelt an den Ort ihrer Entstehung zurück, nur um sich zu erneuern. Ein neuer Tag, ein neuer Zyklus. Das ewige Spiel.
Doch die trügerische Ruhe und Geborgenheit ihres Heimes täuscht; denn sind erst einmal die Türen zur Raserei der Umwelt verschlossen, so öffnen sich auf der anderen Seite deren virtuellen Pendants. Allein über dieses schwer fassbare Medium, vollzieht sich die Vernetzung der Individuen untereinander und es entsteht ein nicht näher zu beschreibendes Ganzes, welches als Träger und Vermittler der mannigfaltigen Emotionen menschlicher Gefühle mittlerweile herzuhalten hat. Entsprechend einer Droge ist die Verweildauer der berauschenden Wirkung jener Parallelwelt nur kurz und es folgt alsbald nach dem Rausch der Kater, welcher am Ende in Schuldgefühle mündet und nicht weniger als eine Leere zurück lässt. Fragmente werden in die Realität hinübergerettet, aber das virtuelle Alter Ego verblasst in der Sonne. Das Leben verbleibt zwiespältig und der Nexus eine offene Wunde: Utopia und Dystopia. Er hatte das alles schon einmal aufgeschrieben, geht es ihm durch den Kopf. Aber dennoch sah er sich als nicht stark genug an, aus jener anderen Welt vollends auszubrechen, denn der Habitus zwang ihn immer wieder seine Rolle anzunehmen und sich der gesellschaftlichen Ethik unterzuordnen. Was wäre man ohne Kommunikation, fragte er sich. Eine zum Schweigen gebrachte Gestalt, der nur noch die Möglichkeit zum Monolog geblieben ist, weil niemand mehr den Ideen und Visionen lauschen wird, geht es ihm durch den Kopf, und weil wir alle uns in einer Isolation in der Masse befinden in der jeder und alles austauschbar geworden ist.
Kurze Zeit später nähert er sich dem Wohnblock, in welchem er eine kleine Wohnung zur Miete besitzt. Es ist ein schmuckloser und nach außen lebensleer daliegender Klotz von einem Bau, der nachts noch ausladender auf den Betrachter wirkt als tagsüber. Grobschlächtig hingeworfen, schnell hochgezogen und schnell wieder vergessen wie viele andere Betonburgen, welche die Skyline der Stadt formen. Vor der Eingangstür stehend nimmt er seinen Schlüssel aus der Hosentasche und schließt mit diesem die Pforte auf. Sie fällt ins Schloss und langsam stapft er die Stufen des Hauses hoch. Schreitet durch das beleuchtete Treppenhaus, dessen Licht durch das schaurig graue Novemberwetter - einem Meer aus Wolken - aufgesogen wird. Tief hängen sie, wie auch schon die ganzen vorherigen Tage. Tristesse herrscht am Himmel und nur durch einzelne helle Flecken Mondlicht in ihrer Monotonie aufgebrochen; ein kleiner Hoffnungsschimmer. Er atmet schwer, aber leichter als noch vor ein paar Wochen oder Monaten. Die Erholung, die er sich jetzt immer mal wieder gönnt, wirkt positiv auf seine Kondition und Gesundheit. Am Ende des Aufstieges, im dritten Stock, ist er nur leicht außer Atem. Tür auf, Tür zu und nichts als Stille verbleibt im Treppenhaus. Aber in seiner Wohnung ist jetzt Lärm: Lampen fangen an zu summen, der Lüfter des Rechners an zu brummen und irgendwann gesellt sich das feine Fiepen der Mikrowelle hinzu. Ein Gerät nach dem anderen nimmt seinen Dienst auf, ganz so als wären sich die Maschinen sich ihrer Funktion bewusst und würden auf die Wünsche und Bedürfnisse des Bewohners instinktiv reagieren. Räume, die jetzt noch verlassen sind, verbleiben zunächst in einem dunklen wartenden Zustand. Jedes Mal jedoch wenn er mal ziellos mal bewusst umherstreift, erleuchtet sich jeder betretene Ort wie von Geisterhand, nur um erneut zu erlischen, wenn die Leere zurückkehrt.
Das monotone Rauschen des PCs, das leichte Surren der Lampe an der Decke, das wage Rütteln des Fußwärmers und das leise Blubbern der Heizung tauchen das Arbeitszimmer in eine von Maschinen getragene und ausgefüllte Welt, in der der Mensch als Individuum lediglich noch lebt. Es drängt sich die Frage auf, ob er aber auch weiterhin der unumschränkte Herrscher dort ist? Er hat sich in die Obhut elektronischer Wesenheiten begeben, die er selbst erschaffen hat. Er wird zum Erzeuger und Ernährer der mechanischen Extremitäten seines Selbst, ohne jedoch eine vollständige Kontrolle über sie auszuüben; dennoch ist er auf sie angewiesen, um am zwischenmenschlichen Austausch noch teilnehmen zu können. Der Bildschirm leuchtet. Ein gespaltenes Wesen? Erst dunkel, dann hell strahlend. Ein Werbespruch auf einem Stück Papier nahe dem Rechner: Sei auch du dabei! Und wenn nicht, bedeutete es dann den gesellschaftlichen Tod?, denkt er. Zahlen und Buchstaben übertreffen sich in einem chaotischen Salat, eine wilde Komposition der Elemente, deren Ursprung in der Verarbeitung endloser Kolonnen liegt; dort im Kernel oder im kalten Herz der Maschinen. Können das Virtuelle und Reale verschmelzen? Mit jedem geladenen Baustein des Betriebssystems manifestieren sich langsam der Desktop und mit ihm penetrante Symbole und startende Prozesse. Der Bearbeitung und der Nutzung harrend, sich Seinem Willen hinzugeben und weiterhin als williges Objekt zur Ausführung der menschlichen Entscheidung und Bedürnisse harrend.
Er sitzt nun wieder vor seinem Rechner und starrt mit Anfall gebannter Erwartung auf den Bildschirm, auf dass sich die Pforte in die Weiten der ach so fernen und doch so nahen elektronischen Welten öffnen möge. Pixel um Pixel manifestiert sich auf seinem Bildschirm und eingerahmt in eine äußere, unumwindbare und räumlich eingeschränkte Begrenzung erscheinen Formen und Farben auf einer sterilen und mit präzisen ausgerichteten Mustern ausgefüllten Oberfläche. Aber er zögert noch einen Augenblick und verweigert sich noch der Hingabe zu diesem Medium. Würde sein Ausflug von heute Abend irgendwelche Konsequenzen haben? Wären die Personen, die er mittlerweile kennen gelernt hat in irgendeiner Weise nachtragend sein und ihn auf irgendeine Art und Weise an ihm rächen würden? Besteht die Gefahr einer Bestrafung, die er zu ertragen hätte, weil er die ihm auferlegte Verpflichtung geflissentlich ignorierte? Vor seinem inneren Auge spielen sich bereits die ersten Zeilen der Kommunikation ab, obwohl die Verbindung in die alternative Realität noch nicht vollends vollzogen war, die unentwegt als visueller Informationsschauer auf ihn einprasseln würde, wäre er erst einmal eingeloggt und dort eingetaucht. Er wusste, fast schon manische Züge sind in den Verhaltensweisen einiger User zu erkennen. Würde es toleriert werden, dass er sich vorsätzlich aus dem Kosmos ausgeklinkt hatte? Gäbe es Konsequenzen mit denen er sich würde auseinandersetzen müssen? Hätten diese dann auch einen negativen Einfluss auf sein reales Leben? Er zögert noch weiter. Auch wenn er sich bereits im Netz befand, weil jede Wohnung mit einer permanenten Verbindung versorgt war, so loggte der Rechner sich dennoch nie sofort und automatisch, also ohne sein zutun oder seinen Einfluss, in das System ein. Es verblieb immer noch ein einzelner verbleibender und noch zu setzender Klick hin zu den illustren und vielzähligen Kontakten des elektronischen Kosmos; es oblag somit ihm ob er die Verbindung eingehe wollte oder nicht. Es war kein Fehler, der in dem System selber lag, sondern vielmehr etwas, dass er sich selber eingerichtet hatte, um der Penetranz und dem Moment der Ausgeliefertheit, der sich im dem Moment einstellt in dem man sich der elektronischen Welt hingibt, ein wenig zu entfliehen zu können; und auch immer dann, wenn er sich zwar am Rechner und auch im Netz sich bewegte, aber nicht automatisch auf den Radarschirmen der anderen Usern auftauchen wollte, um sich ihnen somit als potentieller Gesprächspartner zu präsentieren. Er sah sich immer in seiner Konzentration gestört, wenn er ständig durch das enervierende Drängen wildfremder Leute belästigt wurde, die oftmals mit Nichtigkeiten an irgendwelche Personen herantraten, nur um einen Augenblick der Aufmerksamkeit erheischen zu können. Noch immer sitzt er regungslos vor dem in irisierenden Farben strahlenden Bildschirm und starrt ihn an. Der letzte Akt der Überwindung fehlt ihm heute. Er steht auf, verlässt den Raum und überlässt das blaue Strahlen des Monitors der Dunkelheit des Raumes, die jetzt seit seinem Verlassen dort wieder Einzug gehalten hat. Er wird weiter strahlen bis zu dem Moment an dem er, der Mensch, sich wieder vor den Computer sitzt, um an ihm zu arbeiten oder zu kommunizieren. Aber bald wird er für eine zeitlang sich verdunkeln, die Dunkelheit an sich heranlassen und erst wieder erwachen, wenn die Sensoren seinen Herren und Meister, seinen Fütterer, wiederum ankündigen. Mit schnellen Schritten bewegt er sich durch die Wohnung. Kommunikation, geht es ihm durch den Kopf. Kommunikation ... entweder über den Austausch mit einer Maschine oder vor einer Maschine sitzenden Menschen. Er war es leid. Kommunikation.
In der Nacht vermag er kaum zu schlafen und immer wieder erwacht er, ohne einen triften und logischen Grund dafür ausmachen zu können, wodurch diese seltsame Form der Unruhe ausgelöst wird; sein Schlaf ist aber immer tief und traumlos. Die Gedanken driften in den wachen Momenten unentwegt ab, schweifen von einem Thema zum anderen und verbleiben somit an keinem fixen Punkt. Mal gehen ihm die Bilder aus dem Film in der Wüste durch den Kopf, mal sind es Fetzen von Gesprächen, die er über die Zeit im Internet mit anderen Personen gehabt hatte und die sich als endloser Strom an Zeilen sich über seinen nun ergießt. Irgendwann schläft er ein und verbringt den Rest der Nacht ebenso traumlos wie zuvor, jetzt jedoch mit der Chance auf etwas Ruhe und Entspannung.
Der Tag beginnt wie der vorherige endete. Tiefhängende Wolken schweben nur knapp über den Dächern der Hochhäuser und prophezeien gleichsam einen Regen, welcher nur als vage Hoffnung in den Gebilden am Himmel zu erkennen ist und diese somit nicht mehr als eine noch unerfüllte Vereinbarung darstellen. Fetzen des herbstlich geprägten spärlichen Sonnenlichtes dringen in einzelnen Strahlen durch die dicken Wolkenballen und manifestieren sich über Reflektionen an den Partikeln in der staubigen Luft des Tages. Sein einfaches und zweckorientes, wie er es immer bezeichnete, Zimmer wird dadurch in ein sanftes, aber für eine angemessene Beleuchtung kaum ausreichendes Licht getaucht; es verbleibt in einem dämmrigen Zwielicht. Es ist so mild in seiner Beschaffenheit, dass es trotz eines direkten Ausleuchten seines Gesichtes es nicht vermag, ihm aus den tiefen Schlummern, in welchen er sich noch befindet, zu entreißen. Stunden später erst, in der undefinierbaren Zeit zwischen Morgen und Mittag, erwacht er schließlich. Müde und unwillig aufzustehen, weil noch gefangen in der wohligen Behaglichkeit der Ruhestätte, fällt es ihm schwer sich aus der Umklammerung des Bettes zu befreien und es in einem Akt der Befreiung hinter sich zu lassen, um über eine Tasse Kaffee den Tag zu beginnen.
Die nunmehr hinter ihm liegenden Ereignisse lassen ihn auch weiterhin keine Ruhe und so brütet er über das schwarze Bohnengetränk, welches er als alleinige Nahrung zum Frühstück recht lustlos herunterspült. Seine Gedanken driften wieder zu den Leuten und Bekanntschaften ab, die er in der Scheinrealität des Netzes über die Jahre hinweg kennen und schätzen gelernt hatte. Es gab sogar Zeiten in denen er dieses ewige hin und her, dieses oftmals intensive austauschen von Worten und Phrasen, doch sehr genossen hatte und es einen guten Ausgleich zu dem Stress und der Leere des Alltages bot. Entsprechend erwuchs für ihn aus diesen Kontakten eine Art Verpflichtung denjenigen gegenüber mit denen er sich immer wieder austauschte; wobei diese Personen über seinen Lebenswandel und seine Termine bis auf kleine und spontane Unternehmungen - vergleichbar der am vorhergehenden Abend - informiert waren und sich somit auf ihn in gewisser Art und Weise einstellen konnten; jeder Nutzer legte mittlerweile seinen Tagesablauf offen und ein vorsätzliches Verschweigen führte über kurz oder lang zu Irritationen der Personen mit denen man im Netz kommunizierte. Diese Form der Entblößung führte dazu, dass die verfügbaren Zeiten der Nutzer allen anderen transparent dargestellt wurden und analysiert werden konnten, wobei die sich ansammelnden Verkehrsdaten schnell bei jedem User ein umfangreiches Bild über die Zeiten darstellte, in denen er diese oder jede Person im Netz zu erwarten hätte. Verbergen war somit schwierig und die Ausnahme von der Regel wurde erbarmungslos wahrgenommen und wollte erklärt werden, darüber war er sich im Klaren. All dieses mündet in eine sich ihm aufbürdende Verpflichtung, welcher er jetzt sogar in seiner Urlauszeit erlag und über die jede seiner Kontaktpersonen selbstredent informiert war. Selbst jetzt, so hatte er das Gefühl, war es ihm nicht gestattet sich einen Moment der Ruhe und Erholung zu gönnen. Er, der er sich in jener anderen Welt wohl fühlte und die Kontakte hatte, die er in diesem Leben nicht finden konnte. Wie sollte er erklären, dass sein Akt der Befreiung nicht als ein Angriff auf sein Alter Ego in den sozialen Netzen und den Foren des Netzes zu sehen sein sollte, sondern vielmehr als einen erlösenden Ausbruch aus der Umklammerung der Überwachung seinen Alltages und seiner Handlungen. Denn was er auch tat, es gab immer etwas, dass ihn überwachte oder jedenfalls die Möglichkeit dazu besaß. Es ist schlicht und einfach unmöglich jede theoretisch denkbare Form der Kontrolle seines Lebens auszuschließen, hatte er sich einmal gesagt, weswegen keine Alternativen zum quasi vorgegebenen Lebensstil denkbar sind. Die Masse gibt den Weg vor und das Individuum schreitet mit.
Seine Gedanken stocken. Sein Blick fällt auf den Rest an Kaffee in seiner Tasse und bald auch umher in der Küche.
Wieder manifestiert sich das Bild des irisierend leuchtenden Kontrollfeldes vor seinen Augen. Er steht auf und schreitet mit langsamen Schritten in sein Arbeitszimmer, jenem Ort in dem er seinen Computer aufgebaut hat. Noch ist der Bildschirm schwarz, aber das Surren des Lüfters zeugt von dessen heimlicher Aktivität. Verborgene Sensoren erkennen ihn und aktivieren den Bildschirm, sodass er die zuvor dort verborgenen Geheimnisse offenbart bekommt. Es sieht genauso aus wie er ihn verlassen hatte; eine ewige Unbeflecktheit.
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Ein Surren und ein Rattern… er ist drin und die Parallelwelt öffnet sich.
Felder sind es, unterschiedlich platziert, unterschiedlich groß, in unterschiedlichen Farben und unterschiedlichen Schriften. Seiner physischen Existenz gewiss geworden regt sich in den elektronischen Manifestationen das Leben, es beginnt eine einseitige Kommunikation von jenen, die er sträflich ignoriert hatte, denen er so überdrüssig geworden war. Zeichen füllen die Felder aus, rattern in endlosen Zyklen idiotisch den Bildschirm herab, ganz so als wäre ihre bloße Existenz der zentrale Aspekt ihres Daseins. Gleichzeitig aber ohne in etwas zu münden oder einen tieferen Zweck zu dienen, denn irgendwann verschwinden die Zeichenkolonnen, werden durch neue ersetzt und lassen nichts von ihrer Existenz zurück. Sein Blick aber fällt auf die gegenwärtig dargestellten Zeichen- und Zahlenkolonnen. Niedergeworfene Idiotie und sinnentleertes Gebrabbel, schießt es ihm durch den Kopf.
.Warum antwortest du nicht?
.Was ist los?
.Ist etwas passiert?
.Kann ich dir helfen?
.Wo warst du gestern Abend?
.Hallo?
Immer mehr Phrasen und Antworten scrollen die Felder herunter, manche noch freundlich, manche schon verärgert, manche aber schon zornig.
Er aber schaut nur auf den Bildschirm und starrt irritiert auf die Zeichen. Sie sind inhaltsleer für ihn, er begreift sie nicht. Sie bilden für ihn nicht den Bezug zu einer Person an einem anderen Rechner, einem anderen Ort, sondern es sind nur neutrale und lebensleere Phrasen, die denen eines Computers nicht unähnlich sind, also fremd und unnatürlich. Das Konstrukt eines Netzes, dessen Zugang der unscheinbare Kasten voll Elektronik darstellt, der sich unterhalb der Schreibtischplatte befindet, entzieht sich seiner Wahrnehmung. Stattdessen fühlt er innerlich eine Form der Frustration und der Leere, weil das Versprechen der sozialen Wärme durch das Netz nicht eingelöst wird. Das Kommen und Gehen der Beziehung, die Sprunghaftigkeit, die Austauschbarkeit der Teilnehmer an den elektronischen Plattformen irritierte ihn immer mehr über die Zeit und jetzt insbesondere. Wieder sieht er die Manifestation der Existenzen auf seinen Bildschirm, sich immer in der Ungewissheit verlierend, ob das Gegenüber ebenso wie er den Regeln Folge leistet, die es zu beachten gelte.
Das Gegenüber, wäre es wie er ehrlich und offen? Oder wäre er nur ein Spielball einer Person oder vielleicht sogar einer Gruppe, die sich an dem Leid einer einsamen Seele ergötzt? Über die Jahre hatte er die eine oder andere Person kennen gelernt und auch Beziehungen gehabt, die aber nie lange haben halten wollten. Schnell wurden die Partner gewechselt, man wurde austauschbar. Vielleicht sogar zu einer Art Objekt degradiert, wie man es schon in den Weiten des Netzes war.
. Warum tust du das?
Seine Augen verfolgen weiter die stumpfen und geistig betäuben Zeichen, welche beständig Leiter an Wortreihen empor klimmen, aber ohne etwas in seinem Gehirn zu verankern. Information an Information rauschte wie ein Sturzbach an ihm vorbei. Das Ich in der anderen Welt, verliert für ihn seine Bedeutung. Es entschwindet, ebenso wie die Kolonnen an Zeichen in den Fenstern sich irgendwann auflösen und nichts zurücklassen.
«Was ist die Essenz meiner Existenz in der anderen Welt? Besitzt es einen realen Gegenwert für mich oder gebe ich mir nur einer Illusion hin?», spricht er laut. Innerlich fühlt er sich immer elender.
«Ich kann euch nicht mehr antworten. Woher soll ich wissen, ob ihr mir die Wahrheit schreibt, ob ihr offen mir gegenüber seid? Die ewigen Scharaden und Ausflüchte, der ich mich über die Jahre hingegeben habe, die ewigen Ausflüchte und leeren Versprechungen, die sich in endlosen Zyklen über mich ergossen haben, ich bin sie leid. Gefangen im System und keine Hoffnung auf einen Ausweg. Ist es das was ihr wollt?» Er beginnt fast zu schreien.
«Unterdrückung? Totale Kontrolle? Oder was sind eure Bestrebungen?» Immer wilder trägt er seine Tiraden gegen den stummen Bildschirm vor, der monoton Zeichenkolonne um Zeichenkolonne präsentiert und nicht auf seine vokalen Laute reagiert.
«Kaum, dass man sich einmal nicht im Netz bewegt, wird einem Ketzer »
Kaum ein Geräusch ist in dem Raum zu vernehmen, weil ein trauriges und monotones Summen jegliche andere Form von Lärm bereits im Keim erstickt. Omnipräsent und scheinbar unauslöschbar schwebt er in der Luft, füllt sie aus, beherrscht sie, formt sie und duldet keine Konkurrenz … oder? Sollte sich doch das ein oder andere Geräusch in den Raum verirren, so wird dieses vielleicht kurz die Luft mit seinem ihm ureigenen Klang durchdringen, die einzelnen feinen Partikel zu Resonanzschwingungen anregen, um aber über jede Winzigkeit an abgegebener Energie das eigene und bald absehbare Ende einzuläuten. Auch wenn die Energie vom Prinzip her erhalten bleibt, so verliert sich ihre Wahrnehmung in der schieren Masse an Teilchen, die durch die Welt schwirren. Nur dieses eine säuselnde und hypnotisch anmutende Geräusch schwirrt beständig und unaufhörlich durch die Luft, füllt sie aus und gibt ihr eine Funktion, eine Aufgabe: sei mein Medium.
Aber worin besteht die Aufgabe dieses nicht enden wollenden Klanges? Was ist seine Bestimmung und was ist sein Ziel? Woher kommt er her? Wie wird er erschaffen? Warum ist er und sind andere nicht?
Er ist überall; mal mehr und mal weniger. Er ist ein Rhythmus, er ist ein Atmen und er ist ein Herzschlag. Er lässt sich nicht auslöschen und er lässt sich nicht negieren. Ganz so als wäre etwas Mystisches in ihm, kann er nicht mehr seiner Existenz beraubt werden und er verbleibt als nicht mehr auszudenkendes Element in der Gegenwart, welches gar schon so verbreitet ist, dass es fast schon nicht mehr wahrgenommen wird. Betritt man einen Raum, so ist dieser fast immer schon von ihm ausgefüllt und vielleicht auch von ihm beherrscht. Wird sein Fehlen bemerkt so wird man ihn meistens auch missen, da von ihm eine besondere Form der Ruhe und Ausstrahlung ausgeht. Über die Wahrnehmung dieses monotonen Säuseln, diesem hypnotisch und idiotisches Klanges wird die Gegenwart überhaupt erst in dem Maße wahrgenommen wie sie ist und unterscheidet sich von dem was vorher war.
Es gibt nichts Schlimmeres als Monotonie. Nicht schlimmeres, wirklich. Was Grausameres könnte existieren als die schablonenhafte Entwicklung des Lebens, in der jeder Tag dem anderen gleicht, jedes Merkmal von Identität