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Umzug nach Faartwied

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13.08.2005
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Umzug nach Faartwied

Umzug nach Faartwied

Mein Umzug nach Faartwied an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste war eine reine Panikentscheidung gewesen. Mein Drucker hatte an einem Samstagnachmittag beschlossen, alt genug für einen angemessenen Ruhestand zu sein und sich geweigert, noch irgendetwas auszudrucken, schon gar nicht die ihm so verhassten Rechnungen über 3,19 Euro, mit denen er die meiste Zeit verbrachte. Da gutes Zureden bei ihm von je her absolut sinnlos war, machte ich mich auf den Weg in die Hamburger Innenstadt, um einen neuen preiswerten Drucker zu erwerben. Und dort ist es dann passiert. Während ich mich durch die Menschenmassen zwängte, die mich an New York in der Rushhour erinnerten, beschloss ich aufs Land zu ziehen. Mitsamt Buchladen und Katze! Ich mag Menschen. Aber irgendwie sollte es doch überschaubar bleiben.

Drei Voraussetzungen musste mein neues Domizil erfüllen: Es musste genug Platz für meine Bücher geben. Es sollte nicht mehr als 20 Fußminuten vom Meer entfernt liegen. Und es sollte sich eine lebendige Gemeinde in der näheren Umgebung befinden. So fuhr ich einige Wochen lang mit meinem alten Renault durch Schleswig-Holstein, klapperte diverse Immobilienhändler und Maklerbüros ab und landete nach einigen Irrfahrten, von denen zu berichten den Rahmen dieser Erzählung sprengen würde, in Faartwiet, ungefähr auf halber Höhe zwischen Klixlund und Ostenkoog, wem das was sagt. Seitdem lebe ich in einem wunderschönen alten Bauernhaus, dessen geräumige Scheune sich bald zur bekanntesten Buchhandlung der ganzen Gegend entwicklelte (zugegebenermaßen der einzigen, die verrückt genug war, hier überleben zu wollen). Und am Meer war ich innerhalb einer Viertelstunde - wenn nicht gerade meine Katze Kami beschloss, mich auf meiner Tour zu begleiten.

Ach so, die Gemeinde. Jaaa. Doch, es gibt eine Gemeinde in Faartwied. Im Zuge des großen Gemeindesterbens der nordelbischen Kirchen musste die wunderschöne Natursteinkirche hier vor Ort verkauft werden. Angeblich soll damals die sakrale Weiternutzung zur Bedingung für eine Veräußerung gemacht worden sein. De facto - hier variieren die Beschreibungen der Einwohner leicht - haben es die Mitglieder einer lokalen Rockband geschafft, den Zuschlag zu erhalten. Es geht die Sage, der Bassist der legendären Formation Torfrock habe hier mit seinen neuen Mannen sein Lager aufgeschlagen und die dicken Mauern für sich als ideale Schallisolierung entdeckt. Die für Immobilien zuständigen Leute der Nordelbischen Kirche seien dann durch eine empathische Version von Deep Purples „Hallelujah“ und einigen Improvisationen über die f-moll-Messe der Electric Prunes von der Rechtgläubigkeit des Unternehmens überzeugt worden. Wie gesagt, so erzählt man im Dorf hinter vorgehaltener Hand.

Aber dann zog doch noch eine richtige Gemeinde in die Räume ein. Siegfried, der schon erwähnte Bassist, bekehrte sich nämlich, als ihm religiös angehauchte Therapeuten erzählten, seine Ehe sei auf anderem Wege nicht mehr zu retten. So fand er denn seinen Frieden mit Gott und etwas zeitversetzt auch den mit seiner Frau. Versuche, sich an eine der vielen schleswig-holsteinischen Gemeinden anzugliedern, scheiterten zumeist an seinem sehr eigenen Gabenverständnis. Siegfried war Bassist - und das war seine Profession. Überlegungen der Organistin, Bach habe nicht allzu viele Stücke für Orgel und E-Bass geschrieben, wischte Siggy mit einer Handbewegung vom Tisch - hätten doch Procol Harum deutlich gezeigt, wie einfach die Stücke neu zu arrangieren seien. Schlimmstenfalls wäre er sogar bereit, zu diesem Zweck Noten zu lernen.

Aber dann kam Winston. Jüngere Mitglieder der Winston SH verbreiten gern die Mär, Winston sei das altmittelplattdeutsche Wort für "Weinstock", tatsächlich jedoch liegt der Ursprung der Gemeinde Faartwied in jenem Winter begründet, als ganz Schleswig Holstein unter einer Schneedecke versank und der Intercity nach Kopenhagen am Bahnhof Faartwied einen Nothalt einlegen musste. Unter den mitfühlenden Faartwiedern, die mit Thermoskannen bewaffnet zum Bahnsteig kamen, um die Reisenden notzuversorgen, befand sich auch unser noch nicht lange bekehrter Siggy - und unter den Reisenden, die ein wenig irritiert und ungläubig in die Schneewüste hinaus blickten, saß Winston, ein junger Amerikaner, dem man in seiner Heimat erzählt hatte, wie zweckmäßig ein Interrail-Ticket sei, um alle wichtigen und sehenswerten Stätten Europas auf einem Schlag abzuhaken. Leider begriff er zu spät, dass man ihn verhohnepiepelt hatte.

Winston war, wie fast alle Amerikaner irgendwie, gläubiger Christ und versuchte gerade, in seiner Bibel eine Antwort auf jene Trübsal zu finden, die sich in Form der vorsibirischen Schneelandschaft vor seinem Fenster manifestierte, als Siggy mit einer Thermoskanne Kräutertee auf ihn zutrat. Siggy sah die Bibel in Winstons Hand und war begeistert. Die beiden kamen ins Gespräch, tauschten ihre Visionen aus und gerieten ins Schwärmen von einer geistlichen Gemeindeerneuerung, die von Faartwied ausgehend bald ganz Deutschland, was sage ich: Europa erfassen würde. Infolge zerriss Winston seine Interrail-Karte, auf die er ohnehin einen gewissen Groll hegte, und blieb.

Warum die neue Gemeinde in den heiligen Hallen der Faartwieder Dorfkirche nun Winston und nicht Siggy genannt wurde, darüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht konnte Siggy glaubhaft machen, er sei der demütigere von beiden. Vielleicht hatte es wirklich etwas mit dem coolen Anklingen an den biblischen Weinstock zu tun. Oder es lag daran, dass Winston für den ganzen geistlichen Kram zuständig war, während Siggy sich um die neue Kirchenmusik kümmerte. Leute, die heute mit leuchtenden Augen von den Anfängen der Gemeinde berichten, erzählen jedoch einhellig, damals hätte jeder schlicht gesagt: Komm, wir gehen zu Winston!

Heute sind weder Siggy noch Winston mehr in der Gemeinde. Die Winston Schleswig-Holstein (SH) ist jedoch nach wie vor Treffpunkt vor allem junger Christen aus der gesamten Region. Und in genau diese Gemeinde hatte es nun mich verschlagen. Gottesdienste, in denen Lieder wie Johann Crügers „Ich singe dir mit Herz und Mund“ von jaulenden E-Gitarren interpretiert wurden und somit ein wenig das Flair das 17. Jahrhunderts verloren, taten meiner Seele gut. Die Gemeindegesänge bekamen etwas von Woodstock, und auch, wenn ich mit der Zeit merkte, das die theologisch-ethische Ausrichtung der Gruppe immer noch stark an die Theologie zu Crügers Zeiten erinnerte, tat sie es doch mit überarbeiteter Terminologie, untermauert von den neusten Erkenntnissen des Fuller Institutes für Evangelisation und Gemeindewachstum in Pasadena.

Gut, ich begann in meiner Buchhandlung auch zunehmend christliche Literatur zu verkaufen, während meine Ecke mit Erotika nach und nach ausdünnte, um schließlich Erbauungsliteratur den Platz zu räumen. Mein Laden warf genug ab, um mich einigermaßen sorgenfrei leben zu lassen, wenn auch zumeist durch Internetbestellungen. Bald merkte ich, dass ich für die Ansässigen zum Ersatz für den vor Jahren schon eingegangenen Kramladen wurden, nicht etwa, weil plötzlich alle wie wild zu lesen begonnen hätten, vielmehr, weil es zum Brauch wurde, auf seinem Weg einen kurzen Abstecher über meine Bücherscheune zu machen und kurz „Moin“ zu sagen. Man traf sich bei mir, tauschte Klatsch aus, und abends, wenn der Regen gegen die Scheiben prasselte, kamen die Dörfler – und bald auch die weiter entfernt wohnenden Gemeindeglieder, zu einem Pharisäer zusammen, sei es, um improvisierten Lesungen zu lauschen, sich zum erbaulichen „Hauskreis“ zu treffen, oder einfach nur zum Schnacken. Hier, im platten Land, an der Küste Schleswig-Holsteins, kam ich wieder in meine Ruhe hinein. Einer Ruhe, die sogar jenen Stürmen trotzte, die gelegentlich von der Winston SH kommend an mir zerrten.

 

Hallo Ennka,

so wirklich begeistert hat mich die Geschichte nicht. Sie ist zwar abgesehen von einigen überlangen Sätzen gut geschrieben und mit vielen ironischen Nebensätzen gespickt, aber zu packen vermochte sie mich an keiner Stelle. Der Erzählstil wird mit zunehmender Länge einschläfernd, die Entscheidungen des Erzählers wirken unmotiviert und bald einmal hab ich mich gefragt, weshalb ich eigentlich weiterlesen sollte. Na ja, der Schreibstil hat mich dann irgendwie ins Ziel gerettet, aber so etwas wie Spannung und/oder interessante Figuren gehört nach meiner Meinung auch in eine Alltagsgeschichte und beides vermisse ich hier. Dann würde auch automatisch das Interesse für den Inhalt steigen.

Viele Grüsse,
Sorontur

 
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Hallo Sorontur,

nee, "ins Ziel gerettet" klingt nicht gut. Genauso wenig wie "überlange Sätze".
Ich hardere schon geraume Zeit mit der Geschichte, habe ihr gerade erst ein neues Ende verpasst, um sie halbwegs rund zu machen, habe aber den Punkt noch nicht.

Die Entscheidungen des Lesers wirken unmotiviert.
Well, wirklich motiviert ist sicherlich nur der Anfang. Was fehlt ist der Grund, warum sich der Prot gerade für diese Gemeinde entscheidet. Da hatte ich einfach schiß, die Story noch weiter mit Erklärungen in die Länge zu ziehen. Vielleicht am falschen Ende gespart.
etwas wie Spannung und/oder interessante Figuren gehört nach meiner Meinung auch in eine Alltagsgeschichte und beides vermisse ich hier.
Du hast recht: es geht um sehr wenig, und das ist immer blöd für eine Kurzgeschichte. Hast Du eine Idee, wie ich den Haken höher hängen könnte?
Was die Figuren angeht, hast Du mich allerdings überrascht: wenn ich die einzelnen Leutchen noch mehr überzeichnet hätte, wäre Slapstick dabei herausgekommen, befürchte ich.
Danke jedenfalls erst einmal für das Feedback. Werde erst mal ein paar Tage darüber nachgrübeln, wie ich da noch einen tragfähigeren Spannungsbogen hinein bekomme.

Herzliche Grüße,
Ennka

 

Hallo Ennka,

die Idee finde ich prima, die Umsetzung hinkt der Idee leider hinterher. Das liegt vor allem daran, dass du zu wenig personalisierst. Du schilderst zwar Siggy und Winston, baust den Text aber wie eine Glosse auf. Interessanter fände ich den Alltag wirklich geschildert zu bekommen. Wie lebt es sich in der Gemeinde, wie sieht ein Tagesablauf der Winston Church aus, gibt es Bibel Happenings am Meer, usw. Suche dir am besten einen Fixpunkt aus, von dem du erzählst, verknappe den Zeitraum. Lasse die Geschichte meinetwegen am Tag eines solchen Happenings spielen, erzähle das andere in Rückblenden und binde eine sich anbahnende Beziehung mit ein oder karikiere es so, dass sich zum Ende der Geschichte alle in Streit befinden und die Kirche sich auflöst.
Deine Prot könnte zur sektenähnlichen Führerin der Gemeinde werden, Winston und Siggy T-Shirts als Merchandising Produkte verkaufen. Kurz. Es gibt so viele mögliche Fantasien zu der Grundidee, die du alle nicht genutzt hast.
Vielleicht wird die Geschichte dann viel länger, aber das macht ja nichts. ;)

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,

*seufz* ... *seufz, seufz*
Irgendwie gingen meine Befürchtungen in eine ganz ähnliche Richtung. Nur bedeutet das eben, den Text nicht zu überarbeiten, sondern die Story völlig neu zu entwickeln, bestenfalls mit der Glosse als Ideenpool im Background.
Ursprünglich hatte ich mal angedacht, den "Umzug nach Faartwied" als Pilot für eine Serie von thematisch in sich geschlossenen Episoden um die Winston Church zu benutzen. Aber wie es etlichen ambitionierten Pilot-Episoden so geht... Nett geschrieben, aber sie zieht nicht. So wurde kurzgeschichten.de zum Versuch herauszukristallisieren, wo es eigentlich hakt und wie ich das Thema, das ich eigentlich auch recht vielversprechend finde, retten kann.
Ein völliges Rewrite also. Na super. Aber ich befürchte echt, du hast recht. Gehört wohl zum Autorenlos dazu. Also, bis zum "Umzug nach Faartwied - revised"

Herzlichen Gruß
Ennka

 
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hi groper,

schön, dass Du Dich nach Faartwied aufgemacht hast. Mag ja sein, dass bei euch im Dorf Procol Harum unbekannt ist, bei uns in Faartwied gift dat noch eine ganze Generation von Leuten, die mit dieser Mucke ihre Eltern zur Weißglut gebracht haben. Ist eben nicht alles nur Torfrock. Und was den Buchladen angeht: je nu, war klar. "Shakespeare" ist in erster Linie Internetbuchhandlung - sage ich glaube ich auch irgendwo. Von daher war der Sprung aufs platte Land keine Entscheidung, eine größere Käuferschicht zu erreichen, sondern lediglich und eindeutig Flucht aus Hamburg.

Dass dann der Kontakt zur Gemeinde entstand, ist eine andere Geschichte. Aber wie es mit "amerikanischen Gemeinden" so ist, locken die ohnehin selten die alteingesessenen Dörfler hinterm Ofen vor, sondern diejenigen, die zugezogen sind, weil hier draussen das Bauland billiger und die Resthöfe günstiger sind. Ist alles nicht mehr, wie es war, hier auf dem Land :)

Trotzdem hast Du Recht: das Ding ist in dieser Form nicht fahrtauglich. Bin nur nicht sicher, ob die Lösung in der von Dir skizzierten Richtung liegt. Mir geht es eigentlich weniger um Denunziation der "dorfdeppen", als um die Neuzugezogenen und die frischamerikanisierten Jugendlichen. Ob es da zum offenen Konflikt mit den Alteingessenen kommt? Ist denkbar. Aber von Konflikten leben ja die Geschichten. Y not?

Bis denne,
Ennka

 
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wenn du auch immer um tausend ecken denkst, selbst wenn du korrektur schreibst... sehe ich ja ein, kommt davon, wenn man seine mucke nicht alphabethisch sortiert... öm- ironie ist ja so ein thema für sich. so wirr wie wir (es heißt ganze eindeutig: wir) sind, bleibt immer ein rätselraten, ob da nu geistreiches hinter steht oder eher doch nur fielmanndiagnostizierte kurzsichtigkeit.
aber danke für den hinweis. wird umgehend geändert.

PS: (t) schon gut. werde dich nicht mehr atten. habe ich übrigens insgesamt noch so gut wie nie getan, außer wenn ich massenpost gesetzt habe. trotzdem seeeehr zaunpfahlig, der wink.

PPS: "populärmusik in vitula"? bin mir nicht sicher, meine aber, dass ich es in meinem buchladen neben sir launcelot cannings "mad trist" und alhazreds "nekronomikon" stehen habe. das war doch das hübsche buch mit dem plattencover vorn drauf?

 

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