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Unachtsamkeit (reale Geschichte)
Ich mampfe öfters mal eine Wurstsemmel oder ein Baguette beim Autofahren, wie auch heute. Dabei fixiere ich mit meinem Knie das Lenkrad, um vernünftig essen zu können. Bei Kurven wird es umständlich. Dann gehe ich etwas vom Gas, lenke mit einer Hand.
Und wie ich so am Wurstsemmelverschlingen bin, und im Radio James Blunt läuft, denke ich an meinen Neffen. Er ist neuerdings Erstklässler und meldet sich brav, wie die anderen Kinder, wenn die Lehrerin etwas fragt. Nur stellt er dann eine Gegenfrage, sobald er aufgerufen wird: Wie lange dauert noch die Schule? Einfach goldig.
Während ich in Gedanken bin, kommt die letzte Abbiegung zu meiner Wohnung. Der Hintermann – ein Audifahrer – regt sich darüber auf, dass ich nicht blinke. Ich kann es durch den Rückspiegel erkennen. Wie soll ich denn blinken, wenn ich am mampfen bin?, will ich rufen, als mich ein dumpfes Geräusch zusammenzucken lässt, vorne, an der Motorhaube, und ein zittern durch meinen Opel geht. Die Wurstsemmel fällt mir aus der Hand, ich greife das Lenkrad, steige auf die Bremse. Der Wagen hebt sich auf einer Seite, dann bleibe ich stehen.
James Blunt hämmert, dröhnt mir in den Ohren. Oder ist es mein Herzschlag? Langsam beuge ich mich vor und sehe auf den Gepäckträger eines Rennrads, auf dem eine Packung Milch geklammert ist. Sie sickert durch einen Riss auf die Blutlache am Asphalt. Das Hinterrad dreht sich aus und ich sinke in den Sitz zurück, drücke das Radio off. Das Hämmern und Dröhnen bleibt. Von hinten kommt ein Auto gebraust, im Seitenspiegel kann ich sehen, dass es ein silberner Mercedes ist. Er bremst auf der anderen Seite. Die Beifahrertür springt auf, eine Frau stürzt heraus und schreckt zurück. Ihr entsetzter Blick auf eine Stelle vor meiner Motorhaube gerichtet. Sie hält die Hand vor den Mund. Etwas stückchencremiges quillt zwischen den Fingern hervor. Mir wird übel, schwenke meinen Blick auf den Fahrer, der um seinen Wagen biegt, dann senke ich den Kopf. Eine angebissene Essiggurke klebt an meiner Kupplung, vor meinen Füßen liegen Brötchenhälfte, Wurstscheibe. Ich schließe die Augen und drücke einen Finger auf das rechte Lid, das nicht mit dem Zucken aufhören will.
Als ich die Augen wieder öffne, stehe ich auf meinem Parkplatz. Unfalllos.