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Unbekannt verzogen
Zurück an Absender
Büdel konnte es erst gar nicht glauben, als er aufs Wasser hinaus blickte und den alten Motorkahn sich seiner Insel nähern sah, dessen gelbe Fahne mit dem schwarzen Horn darauf immerzu im Wind wedelte. Die See war ruhig an diesem Tag, es konnte einzig der Fahrtwind gewesen sein, der das Fähnlein hatte wedeln lassen.
Der Briefträger stieg aus dem schmalen Kahn, zog seine Dienstmütze und wünschte Büdel einen guten Tag.
„Ich habe etwas für Sie, Herr Büdel“
„Für mich?“, er kratzte sich am Kopf, „Ich bekomme keine Post und überhaupt: Wer soll mir denn schon schreiben?“
„Sie selbst!“, der Briefträger blickte ihn ernst an, reichte ihm dann eine schäbige Wasserflasche und deutete mit seinen faltigen Fingern auf den gelben Aufkleber, der mit fetten schwarzen Buchstaben bestempelt war: „EMPFÄNGER VERSTORBEN – ZURÜCK AN ABSENDER“ stand darauf.
„Sie ist tot“, ergänzte der Briefträger, „- Herzinfarkt. Ihr Nachbar hat sie gefunden, da war schon alles zu spät.“
Büdel stand für einen langen Moment reglos da, der Briefträger stülpte derweil die blaue Mütze wieder über sein graues Haar und stapfte zu seinem Boot. Er hatte gerade den Motor angelassen, als Büdel plötzlich brüllte: „Wann war das?“, seine Stimme wäre beinahe im Motorenlärm untergegangen.
„Letzte Woche“, rief er zurück, drehte sich ein letztes Mal zu Büdel um und sah, dass dessen Augen voller Tränen waren. Dann fuhr er davon, schon nach wenigen Minuten war das gelbe Fähnlein nicht mehr zu sehen und Büdel wieder alleine auf seiner Insel. Alleine, die schäbige Wasserflasche in seiner Hand.
Er setzte sich in den feuchten Sand, leichte Wellen plätscherten auf die Insel. Lange betrachtete Büdel die Flasche, bevor er den Verschluss aufschraubte, das reine weiße Papier herauszog und den Brief in seinen zitternden Händen hielt, den er an seine Mutter adressiert und dann lieblos in die Flasche gestopft hatte. Das war vor etwa einem Monat, er musste ohnehin mit seinem hölzernen Ruderboot aufs Land paddeln, um verschiedene Besorgungen zu erledigen. Er hatte die Flasche damals irgendwo am Strand verbuddelt und in der Hoffnung, dass Kinder sie beim Spielen finden und zu seiner Mutter tragen würden, einen Geldschein als Belohnung dafür um den Flaschenhals gebunden.
Liebe Mutter,
ich hoffe es geht Dir gut. Zwei Jahre sind nun vergangen, seit wir uns das letzte Mal in den Armen liegen konnten, das ist eine lange Zeit und deshalb schreibe ich dir.
Gerne würde ich dich besuchen kommen, aber du weißt, dass ich nicht fort kann von hier, dass ich auf meiner Insel wohl für immer gefangen gehalten werde.
Er hatte sich nicht einmal getraut, den Brief zu unterschreiben.
*
Die Flasche lag zerbrochen im Sand, eine große Scherbe glänzte in der Sonne, um sie herum eine dunkelrote Lache geronnenen Blutes. Außerdem waren da noch die kleinen Krabben, die ihre süßen Scheren in Büdels stinkende Leiche hineinbohrten.