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Und alles nur wegen Tutumatakamapetel
Es war an einem Samstag, kurz nach Mitternacht, als Karl und Willi vor einem großen Hindernis standen. Nicht nur dass es verboten war in die Nationalgalerie einzubrechen, nein – sie wollten auch noch etwas rauben: den Tutumatakamapetel.
»Also du hast aber nix von Lasern erzählt.«
Willi blickte Karl ernüchtert an und stemmte demonstrativ die Arme in die Hüfte.
»Du weißt wie ich Laser hasse. Und die sind auch noch alle blau.«
Karl musste es vergessen haben.
Einige Stunden zuvor, um etwa achtzehn Uhr und kurz nachdem die Galerie ihre Pforten geschlossen hatte, hockten Manuel und Richard, zwei ausgezeichnete Sicherheitstechniker, an der leckgeschlagenen Türdichtung des Saferaumes in dem der Tutumatakampetel verstaut war.
»Kacke. Die Leitung is immer noch unterbrochen.«
»Versuch doch mal weniger schmutzige Wörter beim Fluchen zu verwenden. Oder fluch am besten gar nicht.«
»Scheiße!«
»Du bist so ordinär.«
»Dieset blöde Kupplungsjedöns jeht mir so watt von uff de Eier.«
»Und wie du sprichst… so primitiv.«
»Jib mir doch mal den fünfer Inbus und sach mir mal watt als Dämmwert in der Anzeije erscheint!«
»Und du meinst das geht mit dem fünfer In…?«
»Laber nich Junge, jib mir ditt Dingen jetze!«
»Wenn du nicht aufpasst, könnte die Sicherungsblockierung…«
»Klappe zu! Ick muss jetz hier fuhrwerkeln!«
»Trotzdem solltest du vorsichtig sein und bloß nicht mit dem Induktionsmesser an die…«
»Oh oh…«
»Oh oh? Was heißt hier ‚Oh oh’?«
Man kann sich sicher vorstellen, dass es neben den Bösewichten und den zufällig in eine solche Sache hineingezogenen, die Guten mitmischen müssen. Einer davon, Jochen – seines Zeichen Hauptkommissar in Sachen Raub – lag im, beziehungsweise benutzte das Bett mit seiner Frau.
»Oh oh…«
»Uh…«
»Ja, ja!«
»Mmhh!«
»Hui!«
»Oh mein - GOTT!«
Laserhalle, 00:06
Willi hatte die nette Angewohnheit, immer alles negativ sehen zu müssen. Nun gut, Karl gab es innerlich zu, dass die Laser in seiner Planung völlig untergegangen waren. Er gestand sich ein, sie übersehen zu haben. Auch hatte er das unangenehme Gefühl noch etwas anderes, elementareres vergessen zu haben. Aber warum sollte er, das Ziel zum Greifen nahe, in eine negative und gleichzeitig unproduktive Stimmung verfallen? Das wäre nicht nur hinderlich sondern auch höchst unprofessionell.
»Sieh die Laser als zusätzliche Herausforderung an«, schlug Karl vor und tätschelte väterlich Willis Schulter.
»Aber die sind doch alle blau Kalle.« Wenn er seinen Namen nannte, war Willi meistens den Tränen nahe. »Ich will keine Laser und schon recht keine blauen«, schluchzte er hervor, senkte den Kopf und schob, wie ein trotziges Kind die Unterlippe vor. Willi schmollte und war auf dem besten Weg zu bocken.
Karl kannte das und fragte sich, wie viel Zeit er bei solchen Coups gespart hätte, wäre Willi nicht so nah am Wasser gebaut. Leider hatte er keine Gelegenheit weiter darüber nachzudenken, denn die vor ihnen liegende Aufgabe musste rasch und haarfein über die Bühne gebracht werden.
»Schau mal«, motivierte Karl, »du bist der best trainierte Mitarbeiter den ich zurzeit habe. Niemand kann so gut tanzen wie du!« Das stimmte, Willi achtete unheimlich auf seine Ernährung und seine Fitness. Den lieben langen Tag nur Karotten und Puffreiskekse. »Und deine Verrenkungen sind allererste Sahne.«
»Das sagst du doch bloß so…« Das war der Vorteil bei Willi, es war ein leichtes ihm zu Schmeicheln.
»Nein, ich meine das wirklich ernst«, log Karl was die Balken zu biegen imstande waren, aber es war die einzige Möglichkeit ihn umzustimmen.
Karl trat einen Schritt zurück und vollführte mit seinem Kopf eine musternde Geste. Der perfekte Moment um in die Vollen zu gehen. »Wäre ich schwul…«, sagte Karl.
»Bist du’s?«
Saferaum, 18:24
»Richard?«
»Was ist Manuel?«
»Falls de dich jetz bewejen solltest…«
»Was ist dann? Ha… Ha…«
»…denn hammwan richtijet, riesengroßet Problem Keule!«
»…TSCHI!«
Laserhalle, 00:06
»Nein«, erwiderte Karl, »ich bin nicht schwul«, und unterstrich jedes einzelne Wort mit langen Pausen. Er wunderte sich, dass Willi ihn schon wieder danach fragte; er hatte es ihm doch schon tausendmal erzählt.
»Ach schade.«
»Das du das immer wieder fragen musst.«
»Kann ja sein, dass du deine Meinung noch mal änderst.«
»Das ist doch keine Frage der Meinung, das ist… ach, vergiss es.«
Dieses Schwulenthema hätte er nicht anschneiden dürfen, jetzt hatte er den Salat – Willis Zuneigung wurde nicht erwidert.
Er hätte sich selbst ohrfeigen können. Alles war bis ins Detail geplant; das Oberlicht, der Luftschacht, die ganze Elektronik und die Spezialausbildung an den Seilzügen, na gut, die Lichtschranken hatte er vergessen aber da war noch irgendetwas anderes wichtiges, was ihm partout nicht einfallen wollte. Das nächste Mal würde er einen Kurs zur Bewältigung hormonell bedingter Emotionsentgleisungen, für nervenschwache Mitarbeiter besuchen. Aber er zweifelte ob die Volkshochschule solche Kurse überhaupt anbot.
Karl konnte nicht richtig nachdenken. Er zuppelte sich die unheimlich juckende Wollmaske zurecht und versuchte die Fassung zu bewahren. Es war verdammt heiß in der Halle der Nationalgalerie. Die Klimaanlagen bewahrten eine konstante Temperatur von dreiundzwanzig Grad Celsius und jede kleinere Wärmeveränderung könnte den Alarm auslösen. Ferner mussten sie sich beeilen um noch rechtzeitig an das andere Ende des gelobten Bereichs zu gelangen. Und dann fing die eigentliche Arbeit erst an – die Safetür. Dahinter: irgend so eine blöde, goldene Fruchtbarkeitsstatue von den Inkas aus dem Urwald, dachte sich Karl. Ihm war nur das Geld wichtig, welches er durch den Raub verdienen würde. Aber erst einmal mussten sie die Laser überwinden und das schaffte er nicht ohne Willi. Er betrachtete den Sekundenzeiger seines Chronometers. Die Zeit saß ihnen im Nacken und außerdem musste Karl mal ganz dringend pinkeln.
»Willi«, begann er drohend, »du wirst dich jetzt da durchkämpfen!«
»Nein, bei blauen Lasern hört der Spaß auf! Ich meine… okay, sie sind kreuz und quer verteilt und einige bewegen sich, das ist nett aber - nö!« Es war zum Haare ausraufen, der Typ machte einen vollkommen fertig, dachte Karl wütend. Es blieb ihm nichts weiter übrig als zum äußersten zu greifen.
Jochens Bett, 00:07
»Puh.«
Es war ein erfreulicher Moment für Jochen. Seine Frau hatte ihn nach drei Wochen endlich wieder rangelassen. Sie meinte, dass die Temperatur wohl stimmte und sie wünschte sich nichts sehnlicher als ein Kind. Natürlich erst nachdem sie ihre Karriere in Sack und Tüten hatte. Eine Metzgereifachangestellte müsste erst alles verinnerlicht haben, bevor überhaupt an die Gründung einer Familie zu denken war, sagte ihm seine Frau. Alles sollte in Fleisch und Blut übergehen, erklärte sie. Jochen mochte Fleisch. Seiner Meinung nach war Fleisch ein wesentlicher Grundpfeiler einer gesunden Ernährung. Er war nicht dick, eher durchtrainiert. Jedenfalls dachte er das.
»Ahh…«, entspannte er sich, sowie sämtliche Muskeln und Schwellkörper.
»Was ist?« Sie sah ihn skeptisch an.
»…endlich wieder – Sex!«
»Ach so ist das?«
»Was ist wie?«
»Dir ging es also nur um das Eine?«
Alle Streitgespräche mit seiner Frau addiert, und Jochen hätte eine adäquate Reaktion parat und die richtige Antwort wissen müssen.
»Klar! Dir etwa nicht?« Rechnen war nie seine Stärke.
»Du pennst heute auf der Couch!«
»Ach, das ist mir zu klischeebehaftet. Außerdem, hast du denn keinen Bock auf ne zweite Runde?« Er zwinkerte ihr zu. Die Hand seiner Frau traf ihn äußerst hart und hinterließ einen bleibenden Eindruck, sowohl im Gesicht als auch im Langzeitgedächtnis.
»Du kannst doch die Gründung einer Familie nicht als Vergnügen betrachten!« Jochens Frau wusste nicht, wie sie sich in ihm getäuscht hatte. Denn er dachte, dass die Gründung das Beste sei und erst danach die Strapazen anfangen. Er wollte einfach mal wieder vögeln und wenn etwas dabei herauskam, bitte – dann haben alle was davon.
»Ich versteh schon, du warst ja auch irgendwie ein bisschen steif«, raunte Jochen zu ihr hinüber wobei er seine Wange massierte um das Blut wieder gleichmäßig zu verteilen.
»Was man von dir, bezüglich eines bestimmten Körperteils nicht gerade behaupten konnte!« Er drehte sich zu ihr herum und sah sie verblüfft an, als wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass sie das unmöglich ernst meinen konnte. »Und das meine ich ernst.«
»’tschuldigung, aber ich wollte einfach mal wieder pimpern und nicht darauf warten, dass dein Ei springt!«
Nachdem er ihr das an den Kopf geknallt hatte, streifte er sich seinen Morgenmantel über, schnappte sich ein Kissen und die Bettdecke und stapfte, mit demonstrativ erhobenem Haupt aus dem Schlafzimmer.
Eigentlich war er froh seiner Frau sexuell entkommen zu sein, denn er ließ sich nicht gern ausnutzen. Jetzt konnte er in Ruhe auf dem Sportsender den Fehler auf Cora Schumachers rechter Titte suchen. Und nachdem er ein Messerset der Marke „Titanium Mörderscharf II“ und die komplette „John Denver – Queen Of Country Gedächtnis-CD-Collection“ ergattert hatte, desorientierte das Klingeln des Telefons nicht nur seinen immer noch vorherrschenden Sexualtrieb, sondern auch die Kaufabsicht für das „Mr. Mix – TurboboosterMixer Set“. Rief ihn etwa der TV-Shop an um ihm noch das Bügeleisen mit gratis Kochtopfset unterzujubeln? Natürlich nicht. Es war Harry, die dumme Nuss.
Saferaum, 18:25
»Wieso ist die Tür zugefallen? Und warum verriegelt sie sich?«
»Nun, ick hab wohl die Bewejungsautomatik mit den Reaktionssensoren jekoppelt jekricht.«
»Dann entkopple sie wieder! Ich hab Platzangst.«
»Ditt würd ick ja jerne, leider hat die Tür den Diagnosecomputer rausjeschoben nachdem du jeniest hast.«
»Ach jetzt bin ich wieder Schuld. Das ist ja prima. Immer bin ich derjenigewelche was?«
»Ick schätze wir sitzen hier ne Weile fest. Haste jenuch Stullen bei?«
»Oh mein Gott, ich krieg keine Luft mehr. HILFE!«
»Keene Sorje, hier drin hammwa noch für mindestens fünf Stunden Sauerstoff. Also bis null Uhr dreißich. Wenn wa Glück ham, bis null Uhr fünfundvürzich.«
»Die oben werden uns doch vermissen? Nicht wahr, die werden uns doch vermissen, hm?«
Währenddessen in der Eingangsalle der Nationalgalerie……
»Sach ma Uwe, wo sindn Richard und Manu?«
»Die sind bestimmt hinten raus und sitzen schon bei Charly umme Ecke und trinken dett erste Helle.«
»Die sind echt vonna janz schnelln Truppe wa?«
»Jeou.«
…
»Die denken sicher, dett wir hinten raus sind und sitzen bestimmt schon bei Charly umme Ecke und trinken ihr erstet Hellet.«
»ICH WILL HIER RAUS!«
»Ditt is allet schalldicht, bemüh dir nich.«
Laserhalle, 00:09
Willi hatte sich bockig weggedreht und verschränkte demonstrativ die Arme. Jetzt machte er zu, keine Chance auf ein Durchkommen.
»Also Willi«, begann Karl mit säuselnder Stimme, »dann geh ich eben durch die Laser.« Erschrocken fuhr Willi herum und schrie: »Nein, du wirst noch in tausend Stücke zerlasert!«
Karl machte einen Schritt nach vorn.
Jochens Wohnzimmer, 00:15
Harry war kein schlafloser Idiotenfreund, der Jochen mitten in der Nacht anrief um nach der Uhrzeit zu fragen – aber fast. Jochen fand derweil den Fehler auf Coras Titte. Es war der Nippel – er fehlte, einfach wegretuschiert. Hätte mir eigentlich gleich auffallen müssen, dachte er.
»Hey Jake, die Nationalgalerie«, krächzte es durch den Hörer. Gut, Harry war kein Freund vieler Worte aber das überspannte den Bogen um ein vielfaches.
»Ah ja, da wollte ich nächste Woche mit meiner Frau hin«, entgegnete Jochen, nun den Fehler im rechten Bild bei Muhammad Ali suchend.
»Is die immer noch nich schwanger?«
Es war unfassbar, auch Ali fehlte ein Nippel.
»Jochen?«
»Was willst du Harry?«
»Na die Galerie!« Ein schnarrendes Schmatzen drang durch den Hörer in sein Ohr.
»Sag mal futterst du etwa was?«
»Is nurn BicMac…«
»Bist du etwa bei Burger King?«
»Nee, ich steh vor deinem Haus.«
Das war Jochen neu. Er hatte gar kein Haus.
Saferaum, 23:09
»Ichwerdsterbenichwerdsterbenichwerdsterbenichwerdsterben…«
»Isst du deine Stullen noch? Ick hab tierisch knast.«
»Gagagagmpf.«
»Watt isn ditte? Noch nich ma Lebawurst druff?«
»Brfstgn.«
»Die sehn ja aus saick dir. Schmierst du die oder tut ditt deine Olle?«
»Sau..«
»Hm, aber schmecken tun se. Den Käse hab ick noch nie jejessen. Is ditt der neue Jauda?«
»…er…«
»Ick war ma uff Malle, da jab ditt Kallamariss. Ditt schmeckt fast jenauso. Warste schon ma uff Malle?«
»…stoff!«
»Ick tu ja uff Vox immer den Mälza kiekn. Ick sach dir, der schmiert dir ne Stulle in zwee Minuten. Mit Kallamariss und Obaschienen druff.«
»Wa… warte mal. Was ist, wenn wir die Induktionskabel mit den elektronischen Pufferscharnieren verbinden und die Luftschleuse über die Walky-Talkys kurzschließen?«
»Hm… ditt schmeckt vielleicht…«
Laserhalle, 00:09
Willi packte Karl am Kragen und hinderte ihn daran, durch die gebündelten Lichtstrahlen zu wandern.
»Das sind doch bloß Bewegungssensoren du Hammel. Das ist nicht wie bei Resident Evil. Obwohl’s schon cool wäre«, erklärte Karl und konnte sich ein Kichern nicht verkneifen.
»Ach du meinst…«
»Ich meine.«
»Okay-Dokey, dann mach ich’s.«
Er hatte ihn.
»Also, wir haben das tausendmal geübt.« Nach einer kurzen Überlegung erinnerte er sich, dass sie das nie geübt hatten. War es vielleicht das, was er die ganze Zeit vergessen hatte? Er musste sich etwas anderes einfallen lassen um Willi zu motivieren. »Tausendmal haben wir das geübt, erinnere dich dran!«
»Äh klar, ich erinnere mich. Ich schaff das schon.« Klar schaffte er es, immerhin war er der beste in seinem Fach, hoffte Karl inständig.
Willi schnallte die Betonhaken, den Seilzug und das dazugehörige Seil an seiner Hüfte fest, streifte sich seine Skimaske glatt, juckte sich: »Du, das nächste Mal kaufst du besser Skimasken aus Funktionsfasern, ja?«, und dehnte sich ein wenig. Zum Schluss gab er Karl noch einen Kuss auf die Wange, den er sich einfach nicht verkneifen konnte.
Dann marschierte er los.
Den ersten Laser hatte er problemlos überstiegen, beim zweiten musste er sich nur leicht bücken und seitlich ausweichen. Haarscharf glitt der Strahl über seinen Kopf hinweg. Er machte das ganz prima, dachte Karl und schwitzte trotz des gelungenen Manövers noch mehr als zuvor. Danach sprang Willi über zwei Lichtbalken hinweg um kurz vor einem, nur dreißig Zentimeter parallel zum Boden herumsausenden Laser abzutauchen. Im letzten Teilbereich gab es drei Lichtschranken welche sich nicht bewegten. Sie waren zu dicht beieinander um zwischen ihnen hindurchsteigen zu können und zu hoch um darüber hinwegzuspringen. Jetzt war Willi der Limbomeister gefragt. Er lehnte sich zurück und nach einigen Knacksern in seinen Gelenken lag er beinahe waagerecht über dem Boden. Langsam robbte er sich, angetrieben von seinen Füßen und unter Zuhilfenahme der Pobacken, einen Weg nach vorne.
Und dann, kurz bevor er den Laser zur Hälfte unterschritten hatte passierte es.
Vor Jochens „Haus“, 00:35
Harry wischte sich Hamburgersauce von seinem Mund. Jochen wies ihn darauf hin, dass sein Hemd eine beachtliche Menge davon aufgenommen hatte. Die Krawatte war auch besudelt, aber die war so hässlich, da lohnte es nicht etwas zu sagen.
»Welchen Wagen hast du genommen, deinen oder das Dienstauto?« Ihr Dienstwagen war ein neuer Audi A6 aber Harry fuhr am liebsten seinen Privatwagen - einen Yugo. Der war so klein, da hatten sogar die Marder einen Buckel. Wenn man sich kratzen wollte, musste man aussteigen, so klein war der. Der war sogar so klein, dass ihn mal jemand zwischen die anderen Einkaufskörbe beim Tengelmann geschoben hatte.
»Ich bin mit meinem Wagen hier.« Mist, dachte sich Jochen.
»Was ist passiert?«
»Um exakt null Uhr elf wurde Alarm ausgelöst.«
»Und deswegen musstest du mich wecken?«
»Du warst doch schon wach. Apfeltasche?«
Entgegen seiner Gewohnheit nahm Jochen das gefüllte Teiggebäck an und biss ab. Die Füllung war schon kalt. Und Apfel war es auch nicht sondern Kirsche.
»Wieso konnte das der Sicherheitsdienst nicht übernehmen?«, wollte Jochen wissen und warf die Teigtasche in ein Gebüsch. Sollten sich die buckligen Marder dran satt fressen.
»Nun, es gibt keinen Sicherheitsdienst mehr. Die haben seit gestern ein neues Alarmsystem und wenn’s brennt wird automatisch die Polizei gerufen«, erklärte Harry.
»Ach das ist also der Grund, warum in unseren neuen Arbeitsverträgen so häufig was von Flexibilität der Arbeitszeit zu lesen war.« Harry nickte, kramte eine Banane aus der Jackentasche und fing an sie zu schälen. Er nahm einen Happen und begann genüsslich zu kauen. Sie gingen langsam zum Auto und es entstand ein kurzer, in deren beider Leben vollkommen bedeutungsloser Moment der Ruhe. Am Auto oder wie Jochen zu sagen pflegte „Elefantenfuß“ angekommen, griff Harry in seine Hosentasche und zerrte ein zerknittertes Stück Papier zum Vorschein. Harry hatte die Banane nun soweit verzehrt, dass sich die Schale wie ein Facehugger um seinen Mund schmiegte. Angewidert nahm Jochen das Schriftstück entgegen und strich es auf der Motorhaube glatt. Es war unfassbar. Nicht nur der Inhalt der Information auf diesem DIN A4 Blatt war unglaublich, auch die Tatsache, dass das Papier mehr als die Hälfte der Haube einnahm.
Saferaum, 23:55
»Ditt war ne jute Idee mit den Walky-Talkys.«
»I… ich weiß. Kriegst d… du… du’s hin?«
»Ja, ick brauch nur noch zwanzich Minuten, denn hammwat jeschafft Kumpel.«
»G…gut.«
»Jibbste mir ma meene Brote ausm Rucksack?«
»Mu… mu… muhusst du jetzt unbedingt was e… ehessen?«
»Und musst du die janze Zeit stottan. Mein Majen hängt uff halb achte Freundchen. Und du bist mir ooch keene große Hilfe.«
»Entschu… tschul..«
»AUTSCH! Oh Mist verfluchter!«
Laserhalle, 00:10
»Weißt du Karl…« Willi stoppte vor der Lichtschranke und atmete tief, als ob ihm die ganze Last der Welt aufgebürdet war. Karl stockte der Atem und er versuchte erfolglos seinen Puls zu ertasten, da er nicht mehr sicher war ob sein Herz noch Blut durch die Adern pumpte. Hatte Willi etwa einen Krampf? War vielleicht ein Schnürsenkel offen oder juckte ihn die verdammte, wollige Maske auch so sehr? Karl schwitzte so stark, dass er dachte, er müsse in wenigen Sekunden gänzlich dehydriert sein. Er rang nach Atem und nachdem er endlich das Wummern seiner Halsschlagader an seinem Zeigefinger spürte, sagte er zu Willi: »Was ist? Limbo weiter! Um Gottes Willen so limbo doch endlich weiter.«
»I… ich kann nicht. Ich werde bei diesem Brummen immer scharf wie ne Rasierklinge.«
Willi meinte natürlich nicht das Brummen sondern das tiefe Surren der Laserstrahlen, welche über seinem Unterleib ihren Dienst verrichteten. Karl verstand nicht die Bohne. »Das ist okay. Doch, das ist völlig okay. Du machst das prima. Hervorragend. Fabelhaft. Einfach supi Willi. Du musst nur noch ein paar Zentimeter, dann hast du es geschafft. Ich glaub an dich. Weiter so.«
»Es geht nicht, ich hab ne Erektion.«
Karl war nicht ganz klar, was daran so schlimm war. Er hatte davon gelesen, dass Männer in Extremsituationen - und dieser Raub gehörte zu den extremsten Situationen die es so gibt - eine Erektion bekommen können. »Was soll’s. Genieß es doch einfach«, versuchte Karl zu überzeugen.
»Ich würde die Lichtschranke unterbrechen wenn ich weiterlimboen würde.«
Jetzt fiel es Karl wie Schuppen von den Augen.
Was sollten sie nur tun?
Vor Harrys „Auto“, 00:36
»’Samstag, 00:15, Raub in der Nationalgalerie. Presse und Polizei unerwünscht. Mit freundlichen Grüßen – Karl.’ Wer ist Karl?«
Harry wischte sich den Mund mit einem sehr benutzt aussehenden Taschentuch und erklärte: »Das ist der Dieb, der vor ein paar Monaten im Louvre den Picasso geraubt hat.« Jochen faltete das Blatt zusammen und steckte es ein. Dieser Karl war ihm unbekannt und von Louvre und Picasso hatte er noch nie gehört. Er zuckte mit den Schultern. »Hat die Nationalgalerie irgendetwas von hohem Wert in der derzeitigen Ausstellung?«
Harry reichte Jochen eine Broschüre über die Inka-Ausstellung. Er betrachtete das Hauptstück der Sammlung, das goldene Fruchtbarkeitsidol. Er fing an zu lachen. »Mann, ein Pimmel mit Augen, Ärmchen und Beinchen. Diese Inkas.«
Harry lachte auch und pellte einen Snickers aus der Verpackung.
»Wieso kündigt ein Dieb seine Tat an und fordert die Polizei auf, dem Treiben fern zu bleiben«, fragte Jochen mehr sich selbst als Harry.
»Vielleicht ist er ja dumm oder so was?«
»Quatsch. Das glaube ich nicht. Da steckt doch Methode hinter. Wir sollten hin und uns die Sache mal anschauen. Möglicherweise ist das ein Trick. Lass uns fahren.«
Saferaum, 00:10
»Was ist passiert?«
»Ick hab mir mit dem Teil uffn Daumen jekloppt.«
»Wieso nimmst du denn nicht den Hammer?«
»Der liegt draußen inner Werkzeuchkiste. Aua…«
»Und dann nimmst du einfach… oh mein Gott, das ist ja der Tutumatakamapetel!«
»Watt?«
»Du hast das kostbarste Stück der Ausstellung als Hammer benutzt!«
»Na wattn, liegt jut inner Hand.«
»Das glaube ich dir.«
»Hey, du stottast jarnich mehr.«
»Oh, stimmt. Wie spät ist es?«
»Null Uhr zehn.«
»Oh mein Gott, das muss am Sauerstoffmangel liegen. Wir werden sterben. Ersticken. Jämmerlich zu Grunde gehen.«
»Nich wenn ick ditt verhindern kann…«
Laserhalle, 00:11
Karl war verzweifelt, dem Zusammenbruch nahe, die Zeit rann wie Sand durch seine Finger.
Und da fiel es ihm wieder ein. Der Alarm. Er musste ausgelöst werden, denn dadurch wurde die Polizei gewarnt und nachdem diese dann eingetroffen war, würden alle Sicherheitssperren ausgeschaltet. Somit wäre der Weg in den Safe ein Kinderspiel. Karl liebte Kinderspiele.
»Mach weiter Willi. Das passt schon.«
»Aber ich hab doch nen steifen.«
Er war etwas verwirrt, da ihn seine eigene Blödheit überraschte. Warum sollte er warten bis Willis Hosenerhebung den Laser berührte, er konnte doch selbst da durch laufen.
»Okay, ich limbo weiter, ich vertrau dir«, entschied Willi in einem Schwall heroischer Ekstase. Was dann geschah war zutiefst grauenvoll und bemitleidenswert.
Vor der Nationalgalerie, 00:12:34
»Mann Harry, die Kiste ist schneller als ich für möglich gehalten hatte.«
»Ich weiß. Serbokroatischer Bosnienturbo.«
»Wow!«
Leicht benommen stieg Jochen aus und erblickte Harry, nun mit einem Bounty bewaffnet. Mit herzerfüllter Ehrfurcht vor dem unter der Haube schlummernden Aggregat schloss er die Tür.
»Okay, was müssen wir jetzt tun?« Jochen war noch immer benebelt von der irren Fahrt und konnte der Frage Harrys nicht ganz gerecht werden.
»Ich liebe dieses… Auto…«
Harry schüttelte Jochen leicht an der Schulter und stellte die Frage erneut. Von einigen Kokoskrümeln bespuckt, kam er wieder zu sich und überprüfte die Lage. Die Nationalgalerie war nur von außen beleuchtet; aus dem inneren drangen nur einige spärliche Lichter durch die verglaste Doppeltür; wahrscheinlich die Notausgangsbeleuchtungen und diverse bestrahlte Vitrinen mit weniger wertvollen Kunstgegenständen. Harry hob den Kopf und schnupperte an der Türspalte. »Sag mal, riechst du das auch?«
»Hm, riecht wie versengte Haare oder so was«, vermutete Jochen.
»Ja, Schamhaare«, fügte Harry hinzu.
Nachdem sich alle Beteiligten am Ort der Entscheidung befanden, ging es nur noch um Minuten.
00:12:55
»Hast du’s?«
»Tritt uff die Bremse, ick kann nich hexen.«
»Hier ein Ansporn:…«
»Wattn?«
»…SAUERSTOFF!«
»Jaja! Nur noch zehn Umdrehungen.«
00:13:11
»Aaarghhh!«
Karl erschrak so sehr, dass er beinahe eingenässt hätte. Er rannte zum ersten Laser und sah Willi reglos am Boden liegen; mit rauchendem Schritt.
»Scheiße!«
00:13:50
»Schamhaare?«
»Riecht so.«
»Also gut, ich schließe jetzt auf.«
»Du musst aber vorher die Sicherheitssperren ausschalten.«
Jochen steckte den Sicherheitsschlüssel in das Sicherheitsschloss und deaktivierte das Alarmsystem. Vorerst.
00:13:55
»Nur noch fünf Umdrehungen.«
»Mann das dauert aber.«
»Hey, hier is Präzision jefraacht.«
00:14:05
Karl stand mit offenem Mund vor dem ersten Laser und sah Willi rauchend am Boden liegen. Sein Ding war hin. Von Nachwuchs konnte Willi nur noch... aber was wusste er schon, dachte Karl.
Bevor er sich jedoch weitere Gedanken darüber machen konnte, schalteten sich die Lichtschranken aus. Die Polizei war da. Er lief zu Willi und zerrte ihn aus dem Gefahrenbereich vor die Safetür. Als er sich das Ergebnis der Kastration ansah musste er unweigerlich lachen.
»Wa… was ist? Was gibt’s da zu lachen? Mir wurde soeben mein Glück genommen.«
Karl griff in Willis Hosentasche und zog einen verschmorten, halb ausgefahrenen Teleskopstab hervor, der nun eine Einheit mit seiner Hose bildete.
»Das war die hydraulische Verbindung für die Elektronikpuffer, du Depp.«
Beide fielen sich in die Arme und lachten herzlich. Ein fernes Klirren unterbrach das nette Beisammensein.
00:14:06
»Du hattest den Schlüssel für die Alarmanlage aber nicht für die Tür?«, fragte Harry und knirschte über die Glasscherben des Eingangs.
»Ist doch egal. Das kann man reparieren.«
Beide zogen ihre Waffen und stürmten in die Vorhalle der Nationalgalerie.
00:14:07
»Noch drei…«
»Mach schon!«
»Hetz mir nich!«
00:14:08
Karl musste schnellstmöglich die Sicherheitssysteme reaktivieren, denn nur so konnte er, geschützt durch die Laser, in Ruhe die Safetür knacken. Aus seinem Rucksack kramte er den Diagnosecomputer hervor und wollte gerade die Verbindungsstecker zur Hauptplatine der Tür arretieren als er es erblickte.
00:14:09
»Wo müssen wir überhaupt hin, Harry?«
»Äh… nach links.«
»Da geht’s zu den Klos.«
»Oh, na dann rechts.«
»Rechts geht’s aber nicht weiter.«
»Wieso?«
»Weil da nur ne Wand ist.«
»Vielleicht sollten wir noch mal zurück in die Eingangshalle und von vorn beginnen. Was meinst du?«
»Mann sind wir schlecht!«
00:14:10
»Noch eene…«
»Ja, endlich.«
»…und…«
00:14:11
Karl war wie vor den Kopf gestoßen. Wieso lag ein weiterer Diagnosecomputer vor der Tür? Bevor er sich versah, klickte und zischte es am Safe.
00:14:12
Jochen und Harry stürmten, getrieben durch polizeilichen Spürsinn, in die Halle in der sich der Saferaum befand und erblickten die beiden Räuber, wie sie sich an der Tür zu schaffen machten.
»Halt stehen bleiben, hier spricht die Polizei!«
»Aber die bewegen sich doch gar nicht Harry.«
»Ich mach nur das, wie es im Handbuch steht.«
»Aber du kannst das doch variieren. Du weißt doch, flexibel sein und so.«
Sie wandten sich wieder den Gangstern zu und zielten auf deren Köpfe.
»Du Harry…«
»Ja, Jochen…«
»Vielleicht sollten wir erst mal nur auf die Extremitäten zielen. Wir müssen ihnen ja nicht gleich das Hirn rauspusten.«
»Na gut, ich nehme den linken.«
»Gut, dann nehme ich den Typen mit der Erektion.«
Sie spannten die Hähne.
Die Öffnung der Safetür aus dem Inneren, verursachte die erneute Aktivierung des Alarms und somit aller Sicherheitssysteme, welche sich in und um das Gebäude verteilten. Plötzlich standen Jochen und Harry vor einem Meer aus surrenden, blauen Lasern und Karl und Willi wunderten sich, warum sie nun zwei Sicherheitstechnikern gegenüberstanden.
»Wer seid ihr denn?«
»Tach, ick bin Manuel und ditt is meen Kolleeje Richard. Mann, ihr seid ja richtich jut ausjerüstet, Diagnosecomputer, Seile, Betonhaken. Skimasken?«
Karl nahm Kampfhaltung ein und fuchtelte wild mit seinen Fäusten herum. »Wir wollen euch nichts tun. Wir holen uns nur die Statue.«
»Watt denn ditt Dingen hier?« Manuel hob das Idol auf, präsentierte es Karl und grinste.
»Oh Mann, das ist ja total verbeult! Was habt ihr damit gemacht?«
»Ick brauchte nen Hammer und ditt Teil liegt nu mal jut inner Hand.« Willi betrachtete das goldene Stück. »Oh, das liegt mit Sicherheit gut in der Hand.«
Richard deutete die Kleidung der beiden Diebe richtig und kam natürlich zu dem Schluss, dass es sich nicht um die ehrenwerten Retter handeln konnte. Er neigte sich zu Manuel herüber und flüsterte ihm ins Ohr: »Schon mal dran gedacht, dass das zwei Einbrecher sind? Nur mal so. Hm?« Ohne zu Zögern holte Manuel zum Schlag aus. Karl nässte ein.
Unterdessen konnten Jochen und Harry kaum etwas durch das blaue Leuchten der Lichtstrahlen erkennen. »Siehst du was?«
»Nee, das ist alles so blau hier.«
»Lass uns durchgehen.«
»Warte! Was ist, wenn die Laser scharf sind?«
»Scharf? Ach Quatsch, das sind doch nur ganz simple Lichtschranken. Komm schon.«
Harry zog ein Twix aus der Jackentasche.
»Okay.«