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Unerwarteter Halt

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25.10.2020
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Unerwarteter Halt

Vor einigen Jahren nahm ich an einem Humorseminar teil. Ein Satz der mir davon besonders in Erinnerung blieb ist: „ Blamiere dich täglich!“ Und die erste Assoziation dazu ist meine Mutter. Sie ist, glaube ich, die Weltmeisterin in der Disziplin „peinliche Geschichten“.

Letzte Woche saß ich am Esstisch in ihrer Küche, wie immer, wenn ich sie besuche. Sie war gerade damit beschäftigt Wasser in die Filterkaffeemaschine zu gießen, als sie ganz nebenbei erwähnte: „ Ich glaube, ich muss mir einen neuen Zahnarzt suchen“. Ich war ziemlich erstaunt. Schließlich ist meine Mutter nicht der Typ der Veränderungen schätzt. Besonders was Ärzte betrifft, habe ich noch nie erlebt, dass sie von sich aus einen Wechsel angestrebt hatte. Ein Arztwechsel wurde nur vorgenommen, wenn der jeweilige Arzt wegzog, in Pension ging oder gar verstorben war.
Gespannt fragte ich sie, was denn Schreckliches passiert sei, dass sie den Zahnarzt wechseln wollte.

„Das kann ich dir unmöglich erzählen“, zierte sich meine Mutter.
„Na komm schon, jetzt hast du mich neugierig gemacht“, versuchte ich sie zu überreden.

Nach einigem Hin und Her konnte ich ihr die Geschichte entlocken.

Seit einigen Tagen plagten sie leichte Zahnschmerzen. Sie hasste Zahnarztbesuche und zögerte eine Behandlung immer so lange wie möglich hinaus. Aber schließlich überwog das Pochen in ihrem Mund ihre Abneigung und widerwillig machte sie sich auf den Weg. Die Ordination lag nur 10 Minuten zu Fuß entfernt. Eigentlich wollte sie vorerst nur einen Termin ausmachen, aber Schmerzpatienten haben Vorrang und sie wurde sofort aufgefordert Platz zu nehmen. Die fünf Minuten Wartezeit erschienen ihr wie eine Ewigkeit. Schon allein der Geruch des Desinfektionsmittels, der alle anderen Gerüche dominierte, verursachte meiner Mutter Übelkeit. Aber dann drang auch noch dieser hohe singende Ton eines in Aktion befindlichen Bohrers in ihr Ohr. Sie sprang auf in der Absicht, diese Stätte zu verlassen, als die Assistentin erschien.
„Folgen Sie mir“, sagte sie in bestimmtem Ton.
Die Sorge, davor eventuell unhöflich wirken zu können, war stärker als ihr Fluchttrieb, also folgte sie der jungen Frau nach nebenan. Der Raum wurde dominiert von dem riesigen Behandlungsstuhl. Eine Geste bedeutete ihr, sich auf das Monstrum zu setzen. Meine Mutter ist nicht allzu groß und sie hatte einige Schwierigkeiten hinaufzukommen. Gerade als sie eine halbwegs angenehme Position eingenommen hatte, erschien der Arzt in der Tür. Zur Begrüßung nickte er nur kurz mit dem Kopf und setzte sich auf seinen Rollhocker. Wie immer umgab ihn eine Wolke Nikotin. Er zog sich seinen Mund-Nasenschutz hinauf. Ein weiteres Nicken wurde richtig erkannt und meine Mutter öffnete den Mund.
„Schmerzen?“
„Ja.“
„ Hier?“
„ Ja."
Beide waren keine Freunde großer Worte und so genügte dieser kurze Austausch für den Arzt, um mit seiner Arbeit zu beginnen. Routiniert griff er nach dem Bohrer, während die Assistentin von der anderen Seite den Speichelsauger in ihren Mundwinkel schob. Sofort erklang das unheilvolle Singen des gefürchteten Instruments und meiner Mutter standen die Haare zu Berge. Jeder Muskel in ihrem Körper war bis aufs äußerste gespannt und Schweiß drang aus allen Poren. Das plötzliche Vibrieren, als der Bohrer den Zahn berührte ließ meine Mutter verzweifelt nach Halt suchen. Aber trotz der riesigen Dimension des Stuhles suchte sie vergebens nach Armlehnen. Schließlich bekam sie mit ihrer linken Hand den Kittel der jungen Frau zu fassen. Währenddessen ruderte die rechte Hand weiter unkontrolliert durch die Luft. Endlich traf sie auf Widerstand und krallte augenblicklich ihre Finger darum. Dann passierten viele Dinge fast zeitgleich.
Der Zahnarzt gab ein schmerzerfülltes Schnauben von sich und riss im selben Moment den Bohrer aus dem Mund meiner Mutter. Der Assistentin entfuhr ein Glucksen und danach war sie krampfhaft bemüht, weitere Lautäußerungen zu unterdrücken. In den Augen meiner Mutter spiegelte sich Unverständnis ob der unerwarteten Unterbrechung. Bis der Zahnarzt nach einem tiefen Atemzug mit trockener Stimme sagte:
“ Sie können jetzt loslassen“.
Röte schoss meiner Mutter ins Gesicht. Hastig zog sie ihre Hand vom Schritt des Arztes.
Sie hätte sofort die Flucht ergriffen wäre nicht der Speichelsauger gewesen, der fröhlich weiter dieses ekelerregende schlürfende Geräusch verursachte. Nach einigen weiteren tiefen Atemzügen vollendete der Zahnarzt schweigend sein Werk. Und in dem Moment, als er zum Zeichen, dass er fertig war die Latexhandschuhe von den Händen zog sprang meine Mutter leichtfüßig wie eine Gazelle vom Stuhl und verließ fluchtartig, ohne nach rechts oder links zu blicken den Ort ihrer Pein.
Sie setzte nie wieder einen Fuß in diese Praxis.

 

Hallo Susifahni,

ich bin selbst noch nicht so lange hier, trotzdem begrüße ich dich schon mal herzlich bei den Wortkriegern.

Dein Text hat so eine unaufgeregte und entspannte Erzählstimme, die mir gut gefällt. Erinnert mich tatsächlich an Gespräche im Familienkreis, oft bei Kaffee und Kuchen, das liest sich sehr leicht runter. Deine Geschichte ist natürlich nur eine Anekdote, aber mehr muss sie ja auch nicht sein, es braucht nicht immer tiefsinnige und ausschweifende Texte; als entschleunigende Abendlektüre ist dein Text genau richtig.

Der Zahnarzt, mit dem stehe ich auch auf dem Kriegsfuß. Gruselig, sich da im Mund rumfummeln zu lassen. Und warum müssen Bohrer immer so laut sein? Ich kann die Mutter da gut verstehen. Ich hätte mich vermutlich auch irgendwo festgekrallt. Dass es nun ausgerechnet an einer solchen Stelle ist, nun, das kann im Eifer des Gefechts passieren. Für die nächste Praxis empfehle ich die Mitnahme eines Stressballes. :D

Ein paar Dinge sind mir während des Lesens aufgefallen:

Gespannt fragte ich sie, was denn Schreckliches passiert sei, dass sie den Zahnarzt wechseln wollte. Denn es musste schon etwas Bedeutsames sein.
Das Markierte kann weg, das geht schon aus den vorherigen Sätzen hervor.
„ Das kann ich dir unmöglich erzählen“, zierte sich meine Mutter.

„Na komm schon, jetzt hast du mich neugierig gemacht“, versuchte ich sie zu überreden.

Da ist dir ein Leerzeichen nach den Anführungszeichen durchgeflutscht, das kommt im Text nochmal vor, und hier würde ich auch die Leerzeile rausnehmen.
Die 5 Minuten Wartezeit erschienen ihr wie eine Ewigkeit.
Zahlen, sofern es nicht gerade ellenlange sind, immer ausschreiben.
„Folgen sie mir“, sagte sie in bestimmtem Ton.
Sie
Die Sorge davor, eventuell unhöflich wirken zu können Komma war stärker als ihr Fluchttrieb, also folgte sie der jungen Frau nach Nebenan.
nebenan
„Ja“
„ Hier?“
„ Ja“.
Bei der wörtlichen Rede tauchen immer wieder kleine Fehler auf. So müsste es eigentlich aussehen:
„Ja.“
„Hier?“
„Ja.“
Beide waren keine Freunde großer Worte und so genügte dieser kurze Austausch für den Arzt Komma um mit seiner Arbeit zu beginnen.

Gerne gelesen und bis zum nächsten Mal

 

Hallo Steppenläufer

Vielen Dank für deine konstruktive Kritik und deine Mühe, meine Fehler zu verbessern. Ich freue mich wirklich sehr darüber. Dies ist mein allererster Versuch, eine der unzähligen Geschichten aufzuschreiben, die mir im Kopf herumschwirren. Deine Kritik motiviert mich zum weitermachen.

Herzlichen Dank nochmal

 

Guten Morgen @Susifahni und Herzlich Willkommen hier bei uns.

Vorne Weg: Ich habe den anderen Kommentar nicht komplett gelesen, also wenn ich irgendwas sage was schon gesagt wurde, dann entschuldige dass und ignorier es einfach :-)
Und alles was ich Schreibe, ist natürlich subjektiv betrachtet, nimm dir was für dich Sinn macht und den Rest kannst du auch ignorieren. Dann ein letztens noch, ich bin selber keine Genie in RGZ, also werde ich eher weniger auf solche Fehler hinweisen, das überlasse ich den Profis :-)

Ich bin ehrlich, dein Text lässt mich etwas ratlos zurück. Es ist eine Nacherzählung von einer Geschichte der Mutter aber wieso hast du diese Art der Erzählung gewählt? Ich hätte es schöner gefunden, wenn du es wirklich als Dialog dargestellt hättest. Wie es auch wirklich gewesen wäre. Ein normales Gespräch zwischen Mutter und Tochter am Küchentisch. Das hätte mir gefallen. So plätschert die ganze Sache ruhig vor sich hin ohne das sonderlich Spannung aufkommt. Die Figuren bleiben recht schemenhaft und die Pointe ist recht schnell vorhersehbar. Ich bin ein Mensch der Dialoge sehr gerne list, man kann mich guten Dialogen so vieles Erreichen. Man kann den Figuren, durch die Art wie sie Reden ein Gesicht geben. Man kann zwischen den Zeilen lesen ohne das man alles vorgekaut bekommt und gerade bei eine so peinlichen Story hätte man aus dem sonst recht platten Plot mehr rausholen können.

Dann habe ich noch eine Frage. Wird wirklich ohne Betäubung gebohrt? Ich muss zu meinem Glück gestehen das in meinem 32 Jahre langen leben nicht ein Mal bei mir gebohrt werden musste, daher weiß ich das nicht.

Dann noch eine winzige kleinigkeit

in ihrem Mund ihre Abneigung
ihrer Abneigung.

Ich glaube deine kleine Nachmittagserzählung hat Potential. Der Vorteil, jeder kennt solche Situationen, also lustige Geschichten am elternlichem Tisch, von sich selbst und kann sich da gut hineinfühlen und auch die Story mit dem Zahnarzt hat Potential eine witzige, kleine Anekdote zu werden, aber ich für meinen Teil finde, dass dir die Umsetzung nicht gut gelungen ist. Da geht noch mehr.
Soviel von mir. Mal sehen was die anderen Krieger zu sagen haben.

Liebe Grüße
Shey :-)

 

Guten Morgen Shey
Mit großem Interesse habe ich deine Kritik gelesen. Auch ich war mit der kurzen Pointe nicht ganz zufrieden. Und da ich blutiger Anfänger bin, habe ich gedacht, zu viele Dialoge könnten den Text schwer lesbar machen. Das hat sich irgendwie aus meiner laaange zurückliegenden Schulzeit in meinem Kopf gehalten. Du hast mich darin bestärkt, dass ich meinem Gefühl ruhig mehr Vertrauen entgegenbringen kann.
Zur Betäubung beim Zahnarzt: Dieser Zahnarzt hat auf die Betäubung verzichtet, wenn er nach seiner Einschätzung die Zahnwurzel nicht berühren würde, was leider nicht immer zutraf.

Dankeschön, lieben Gruß
Susifahni

 

Hey @Susifahni,
Das der Zahnarzt auf die Betäubung verzichtet hättest du, nach meiner Meinung, ruhig mir rein bringen können. Und ja zuviel Dialog können eine Geschichte schwer machen, aber es kommt halt auch immer auf das Gesamtpaket hat. Dadurch, dass du eine reine Nacherzählung einer Geschichte daraus machst, wirkt sie recht eintönig. Viel erzählt, wenig gezeigt. Ein Dialog kann da Abhilfe schaffen. Die Mutter könnte dabei ja auch zwischendurch aufstehen, Kaffe nachschenken, planlos im Kühlschrank was suchen, um der Peinlichkeit des Gesprächs aus dem Weg zu gehen.
Die Erzählung könnte anders beginnen. Die Tochter könnte sagen, dass sie bald einen Termin beim Arzt hat, woraufhin die Mutter nervös wird und die Tochter neugierig macht. Sie könnten dabei viel lachen etc. Meiner Meinung gibt es da enug Möglichkeiten, in die kleine Szene ein bisschen mehr Pepp ein zu bauen ohne sie als kompletten Dialog zu schwer zu machen. Da heißt es die passende Mischung zu kreieren.
Mal schauen was andere dazu sagen.
Ich beobachte das Geschehen auf jedenfall Weiter.

 

Hallo Shey
Ein Ausspruch meines Mannes Gestern hat mich auch in diese Richtung gelenkt. "Jeder, der meine Mutter kennt, wird sie sofort wiedererkennen." Das heißt für mich, für alle Anderen fehlt etwas. Die Personen sind zu unpersönlich und allgemein. Ich werde darüber noch genauer nachdenken.

 

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