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Unheimlich unheimlich
Nebel waberte um die verwitterten Grabsteine des kleinen Friedhofs am Ende des kleinen Dorfes. Das Mondlicht schien fahl auf den alten Kirchturm, der sich trotzig der dunklen Nacht entgegenstreckte. Er schien etwas Wichtiges sagen zu wollen wie ″Hier stehe ich, ich kann nicht anders″. Heraus kam aber nur das stumpfe Schlagen der rostigen Kirchturmuhrglocke, die die völlig belanglose Uhrzeit ankündigte.
″Pssst ... leise″, flüsterte Joachim seinen Zeigefinger an die Lippen haltend.
″Ich bin doch leise.″
Vorsichtig wurde das schmiedeeiserne Friedhofstor geöffnet. Zwei dunkle Gestalten schlüpften durch den schmalen Spalt und schlichen durch den immer dichter werdenden Nebel.
″Musst du immer so schmatzen?″, flüsterte die eine Person.
″Dasch isch ein Döner ...″
″Ich rieche, dass das ein Döner ist und jetzt sei leise wir sind gleich da.″
Ein unterdrückter Rülpser durchdrang die pechschwarze Nacht. Der Nebel schien nicht nur dichter zu werden, er nahm auch an geschmacklicher Intensität zu. Eine, auf einem Grabstein sitzende Krähe breitete leise krächzend ihre Flügel aus, setzte tief Luft holend zum Sprung in die Weiten der Dunkelheit an, überlegte es sich dann anders und kippte in ein Blumenbeet.
***
An einem ganz anderen Ort zu einer ganz anderen Zeit. Oder fünf Minuten später.
″Jonas? Jonas, wo bist du?″ Eine piepsige Stimme hallte durch so riesige Hallen, dass die Stimme in jede dunkle Ecke und hinter jeden blutroten Vorhang gucken musste, bis sie den richtigen Mann gefunden hatte.
″Herr, hier bin ich doch, Herr.″
Eifrig kam eine kleine Gestalt, sich immer wieder verbeugend, angelaufen und warf sich vor einem rötlich schimmernden Thron auf die Knie.
″Jonas?!″
″Ja, mein Gebieter.″
″Jonas ... ich würde gern mal wieder raus.″
″Raus? Was meint Ihr?″
″Na, raus halt. An die frische Luft. An Blumen riechen. Bienen summen hören.″
Jonas wagte es den Kopf zu heben und seinen Herrn anzusehen.
″Herr, Ihr seid die Schrecklichkeit in Person, das unsagbar Böse, die Mücke, die jemand wirklich Müdes nicht schlafen lässt. Ihr könnt nicht einfach so an Blumen riechen.″
″Hmm ...″ Nachdenklich kratzte sich der Herrscher des Unterreichs am Kinn. ″Ich könnte mich verkleiden. Was hältst du davon, wenn ich mich verkleide?″
″Verkleiden?″
″Ja, du weißt schon ... Perücke, Bart, ein wenig Farbe ins Gesicht. Solche Sachen halt.″
″Aber, Euer Fürchterlichkeit, äh, Ihr habt keine Nase.″
″Gutes Argument ...″
Laut kratzend durchdrang ein Geräusch den großen Saal. Jonas fummelte an seinem mottenzerfressenden Umhang herum und förderte umständlich einen kleinen Schädel hervor.
″Was war das denn, Jonas?″
″Moment, meine Schauderhaftigkeit, ein Anruf.″
***
Wieder auf dem kleinen Friedhof am Ende des kleinen Dorfes.
Drei schwarze Kerzen standen etwas unentschlossen auf einer steinernen Platte und flackerten mühsam vor sich hin. Linien und Kreise waren in verwirrenden Mustern auf den stumpfglänzenden Stein gemalt.
″Die Linie ist zu lang. Und außerdem ...″, ein Finger deutete auf eine zu lange Linie.
″Was und außerdem?″
″Und außerdem ...″
″Jahaa?″
″Und außerdem. Muss so was nicht mit Blut geschrieben werden?″
″Wieso? Wie kommste denn darauf?″
″Hab ich mal gesehen. Im Fernseh'n″ Zwei im Dunkeln nicht auszumachende Schultern zuckten aber dennoch deutlich sichtbar nach oben. ″Und die Hände müssen in' Himmel greifen.″
″Und wozu soll das gut sein?″
″Das ist wegen der Dramatik.″
″So so, die Dramatik.″
″Ja.″
″Denn müsste jetzt auch ein Wolf heulen ...″
Ein Wolf heulte.
″... der Wind müsste die Kerzen ausblasen ...″
Der Wind blies die Kerzen aus.
″... und es sollte doch zumindest Mitternacht schlagen.″
Die Glocke der kleinen Kirche begann zu schlagen, verzählte sich vor Aufregung, schlug vorsichtshalber noch dreimal und verstummte dann.
***
Zurück zum schon bekannten, ganz anderen Ort.
″Und?! Was hat er gesagt?″ Nervös trommelten zwei dürre Hände auf einem noch elendiger aussehendem Thron herum. ″Erwähnte er was von Blumen?″
″Er sprach in einer komischen Sprache, oh Fürchterlicher.″
″Hast du ihn verstanden?”
”Nicht so richtig, Meister.”
”Oh, schade”, das Gesicht des Meisters verfinsterte sich.
”Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, oh Grausamer?!”
”Ja?”
”Wir könnten sie besuchen, oh Weitgereister. Und nachfragen.”
”Besuchen?”
”Ihr wisst schon. So mit Blitz und Donner auftauchen. Ein paar weise Sätze sagen. Das eine oder andere Autogramm geben.”
”Schön ...”
”Nur ...”
”Ja ...?”
”Ihr müsstet nur etwas ... na ja ... tiefer sprechen.”
”Tiefer?”
”Das wirkt besser.”
Der Schrecklichste aller Schrecken räusperte sich, klopfte sich zweimal auf die hohl klingende Brust und begann zu sprechen.
”Also, äh, was soll ich denn am besten sagen?”
”Vielleicht irgendwas mit ihr Unwürdigen. Ja, ihr Unwürdigen. Das kommt immer gut.”
”Ihr Unwürdigen, ihr ...”, donnerte verhalten die Stimme durch den Saal. ”... ihr ... Unwürdigen.”
Jonas verdrehte die Augen.
”Schon gar nicht schlecht, aber Ihr müsstet vielleicht mehr Eure Phantasie spielen lassen, oh Gräßlicher.”
”Was meinst du damit?”
”Vielleicht sowas wie ihr unwürdiges Gewürm.”
”Würmer ... wie süß.”
***
Und wieder zurück auf dem alten, nebeligen Friedhof. Ihr wisst schon.
”Mit was knisterst du da schon wieder rum?”
”Ich knistere mit gar nichts.”
”Irgendwas knistert hier aber.”
Bläuliche Blitze wanderten über die alte Marmorplatte, fuhren den aufgemalten Beschwörungsformeln, und der einen oder anderen Sauerei, entlang und verschwanden in der Dunkelheit des Friedhofs. Die Luft roch nach Schwefel. Mit einem lauten Knall erschien eine dunkle Gestalt auf der Steinplatte.
”Ihr Unwürdigen ... ihr ... ihr niederes Gewürm ... ihr ... Ihr ... seid unwürdig ... ja”, donnerte die magere Gestalt etwas unsicher.
”Gar nicht schlecht, oh Bösartiger”, sprach Jonas und kam hinter seinem Meister hervor. ”Hübsch habt ihr es hier, vielleicht ein wenig dunkel. Und jetzt auf die Knie mit euch, ihr sprecht mit dem bösesten Bösen, dem schrecklichsten Schrecken, dem fiesesten Fiesen, dem ...”
”Äh, wenn ich auch mal was sagen darf?”, meldete sich einer der Beschwörer zu Wort.
”Nein”, antwortete Jonas sofort.
”Doch.”
”Doch?”
”Ja.”
”Okay”, Jonas wedelte großzügig mit der Hand. ”Sprich.”
”Also, ich habe euch beschworen. Wen auch immer von euch. Also müsst ihr mir gehorchen und meine Wünsche erfüllen.”
”Ist das so?”, der Herrscher der Dunkelheit schaute fragend auf Jonas.
”Weiß ich auch nicht”, antwortete dieser achselzuckend.
”Ganz sicher ist das so. Stand in dem Buch. Ihr wisst schon, auf Menschenhaut statt Papier.”
”Ja ja, und mit Blut geschrieben”, gähnend winkte Jonas ab.
”Genau.”
Jonas stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte seinem Chef ins Ohr.
”Also, mein Gehil ... dieser Mann da ...”, der dunkle Herrscher nickte in Richtung Jonas. ”... hat gesagt auf Menschenhaut schreiben geht gar nicht. Passt nicht in die Schreibmaschine.”
”Schreibmaschine. Das Ding ist mindestens aus dem Mittelalter”, der eine Beschwörer hielt ein altes Pergament hoch. ”Hier steht ... Moment ... wo war es denn gleich ... aaah ... hier steht: Wer diese Zeichen malt, um Mitternacht sogleich, der wird als Dank dafür, unheimlich .... Das kann ja denn wohl nur noch reich bedeuten, oder?!”
”Oder bleich?”, ließ sich der Unheimliche vernehmen.
”Bleich? Sicher?”
”Ganz sicher. Ich bin auch auf den Text reingefallen.”
”Oh ... und jetzt?”
”Ich bin dein Vater, Lu ... nein, Moment”, wieder wisperte Jonas ihm was ins Ohr. ”Ich meinte ich bin dein väterlicher Freund und du musst jetzt mitkommen und ich zeig dir alles und dein Freund da soll ins Dorf zurücklaufen und ein berühmtes Buch schreiben. Irgendwas Gruseliges vielleicht. So mit Nebel und so.”
”Wenn du meinst”, der Angesprochene zuckte mit den Schultern.
”Kommst du jetzt endlich?”, Jonas wurde langsam ungeduldig.
”Ja ja, bin schon unterwegs ...”
”Schreib mal ne Karte.”
”Mach ich ...”
Und schon waren die Drei verschwunden und er war alleine auf dem Friedhof. Nachdenklich blickte er auf die Zeichnung und die elektrischen Entladungen, die langsam im Nichts verschwanden. Dann bohrte er sich in der Nase, kratzte sich am Kopf und verließ diesen Ort.