Was ist neu

Unheimlich unheimlich

Mitglied
Beitritt
04.11.2003
Beiträge
477
Zuletzt bearbeitet:

Unheimlich unheimlich

Nebel waberte um die verwitterten Grabsteine des kleinen Friedhofs am Ende des kleinen Dorfes. Das Mondlicht schien fahl auf den alten Kirchturm, der sich trotzig der dunklen Nacht entgegenstreckte. Er schien etwas Wichtiges sagen zu wollen wie ″Hier stehe ich, ich kann nicht anders″. Heraus kam aber nur das stumpfe Schlagen der rostigen Kirchturmuhrglocke, die die völlig belanglose Uhrzeit ankündigte.
″Pssst ... leise″, flüsterte Joachim seinen Zeigefinger an die Lippen haltend.
″Ich bin doch leise.″
Vorsichtig wurde das schmiedeeiserne Friedhofstor geöffnet. Zwei dunkle Gestalten schlüpften durch den schmalen Spalt und schlichen durch den immer dichter werdenden Nebel.
″Musst du immer so schmatzen?″, flüsterte die eine Person.
″Dasch isch ein Döner ...″
″Ich rieche, dass das ein Döner ist und jetzt sei leise wir sind gleich da.″
Ein unterdrückter Rülpser durchdrang die pechschwarze Nacht. Der Nebel schien nicht nur dichter zu werden, er nahm auch an geschmacklicher Intensität zu. Eine, auf einem Grabstein sitzende Krähe breitete leise krächzend ihre Flügel aus, setzte tief Luft holend zum Sprung in die Weiten der Dunkelheit an, überlegte es sich dann anders und kippte in ein Blumenbeet.

***

An einem ganz anderen Ort zu einer ganz anderen Zeit. Oder fünf Minuten später.
″Jonas? Jonas, wo bist du?″ Eine piepsige Stimme hallte durch so riesige Hallen, dass die Stimme in jede dunkle Ecke und hinter jeden blutroten Vorhang gucken musste, bis sie den richtigen Mann gefunden hatte.
″Herr, hier bin ich doch, Herr.″
Eifrig kam eine kleine Gestalt, sich immer wieder verbeugend, angelaufen und warf sich vor einem rötlich schimmernden Thron auf die Knie.
″Jonas?!″
″Ja, mein Gebieter.″
″Jonas ... ich würde gern mal wieder raus.″
″Raus? Was meint Ihr?″
″Na, raus halt. An die frische Luft. An Blumen riechen. Bienen summen hören.″
Jonas wagte es den Kopf zu heben und seinen Herrn anzusehen.
″Herr, Ihr seid die Schrecklichkeit in Person, das unsagbar Böse, die Mücke, die jemand wirklich Müdes nicht schlafen lässt. Ihr könnt nicht einfach so an Blumen riechen.″
″Hmm ...″ Nachdenklich kratzte sich der Herrscher des Unterreichs am Kinn. ″Ich könnte mich verkleiden. Was hältst du davon, wenn ich mich verkleide?″
″Verkleiden?″
″Ja, du weißt schon ... Perücke, Bart, ein wenig Farbe ins Gesicht. Solche Sachen halt.″
″Aber, Euer Fürchterlichkeit, äh, Ihr habt keine Nase.″
″Gutes Argument ...″
Laut kratzend durchdrang ein Geräusch den großen Saal. Jonas fummelte an seinem mottenzerfressenden Umhang herum und förderte umständlich einen kleinen Schädel hervor.
″Was war das denn, Jonas?″
″Moment, meine Schauderhaftigkeit, ein Anruf.″

***

Wieder auf dem kleinen Friedhof am Ende des kleinen Dorfes.
Drei schwarze Kerzen standen etwas unentschlossen auf einer steinernen Platte und flackerten mühsam vor sich hin. Linien und Kreise waren in verwirrenden Mustern auf den stumpfglänzenden Stein gemalt.
″Die Linie ist zu lang. Und außerdem ...″, ein Finger deutete auf eine zu lange Linie.
″Was und außerdem?″
″Und außerdem ...″
″Jahaa?″
″Und außerdem. Muss so was nicht mit Blut geschrieben werden?″
″Wieso? Wie kommste denn darauf?″
″Hab ich mal gesehen. Im Fernseh'n″ Zwei im Dunkeln nicht auszumachende Schultern zuckten aber dennoch deutlich sichtbar nach oben. ″Und die Hände müssen in' Himmel greifen.″
″Und wozu soll das gut sein?″
″Das ist wegen der Dramatik.″
″So so, die Dramatik.″
″Ja.″
″Denn müsste jetzt auch ein Wolf heulen ...″
Ein Wolf heulte.
″... der Wind müsste die Kerzen ausblasen ...″
Der Wind blies die Kerzen aus.
″... und es sollte doch zumindest Mitternacht schlagen.″
Die Glocke der kleinen Kirche begann zu schlagen, verzählte sich vor Aufregung, schlug vorsichtshalber noch dreimal und verstummte dann.

***

Zurück zum schon bekannten, ganz anderen Ort.
″Und?! Was hat er gesagt?″ Nervös trommelten zwei dürre Hände auf einem noch elendiger aussehendem Thron herum. ″Erwähnte er was von Blumen?″
″Er sprach in einer komischen Sprache, oh Fürchterlicher.″
″Hast du ihn verstanden?”
”Nicht so richtig, Meister.”
”Oh, schade”, das Gesicht des Meisters verfinsterte sich.
”Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, oh Grausamer?!”
”Ja?”
”Wir könnten sie besuchen, oh Weitgereister. Und nachfragen.”
”Besuchen?”
”Ihr wisst schon. So mit Blitz und Donner auftauchen. Ein paar weise Sätze sagen. Das eine oder andere Autogramm geben.”
”Schön ...”
”Nur ...”
”Ja ...?”
”Ihr müsstet nur etwas ... na ja ... tiefer sprechen.”
”Tiefer?”
”Das wirkt besser.”
Der Schrecklichste aller Schrecken räusperte sich, klopfte sich zweimal auf die hohl klingende Brust und begann zu sprechen.
”Also, äh, was soll ich denn am besten sagen?”
”Vielleicht irgendwas mit ihr Unwürdigen. Ja, ihr Unwürdigen. Das kommt immer gut.”
”Ihr Unwürdigen, ihr ...”, donnerte verhalten die Stimme durch den Saal. ”... ihr ... Unwürdigen.”
Jonas verdrehte die Augen.
”Schon gar nicht schlecht, aber Ihr müsstet vielleicht mehr Eure Phantasie spielen lassen, oh Gräßlicher.”
”Was meinst du damit?”
”Vielleicht sowas wie ihr unwürdiges Gewürm.”
”Würmer ... wie süß.”

***

Und wieder zurück auf dem alten, nebeligen Friedhof. Ihr wisst schon.
”Mit was knisterst du da schon wieder rum?”
”Ich knistere mit gar nichts.”
”Irgendwas knistert hier aber.”
Bläuliche Blitze wanderten über die alte Marmorplatte, fuhren den aufgemalten Beschwörungsformeln, und der einen oder anderen Sauerei, entlang und verschwanden in der Dunkelheit des Friedhofs. Die Luft roch nach Schwefel. Mit einem lauten Knall erschien eine dunkle Gestalt auf der Steinplatte.
”Ihr Unwürdigen ... ihr ... ihr niederes Gewürm ... ihr ... Ihr ... seid unwürdig ... ja”, donnerte die magere Gestalt etwas unsicher.
”Gar nicht schlecht, oh Bösartiger”, sprach Jonas und kam hinter seinem Meister hervor. ”Hübsch habt ihr es hier, vielleicht ein wenig dunkel. Und jetzt auf die Knie mit euch, ihr sprecht mit dem bösesten Bösen, dem schrecklichsten Schrecken, dem fiesesten Fiesen, dem ...”
”Äh, wenn ich auch mal was sagen darf?”, meldete sich einer der Beschwörer zu Wort.
”Nein”, antwortete Jonas sofort.
”Doch.”
”Doch?”
”Ja.”
”Okay”, Jonas wedelte großzügig mit der Hand. ”Sprich.”
”Also, ich habe euch beschworen. Wen auch immer von euch. Also müsst ihr mir gehorchen und meine Wünsche erfüllen.”
”Ist das so?”, der Herrscher der Dunkelheit schaute fragend auf Jonas.
”Weiß ich auch nicht”, antwortete dieser achselzuckend.
”Ganz sicher ist das so. Stand in dem Buch. Ihr wisst schon, auf Menschenhaut statt Papier.”
”Ja ja, und mit Blut geschrieben”, gähnend winkte Jonas ab.
”Genau.”
Jonas stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte seinem Chef ins Ohr.
”Also, mein Gehil ... dieser Mann da ...”, der dunkle Herrscher nickte in Richtung Jonas. ”... hat gesagt auf Menschenhaut schreiben geht gar nicht. Passt nicht in die Schreibmaschine.”
”Schreibmaschine. Das Ding ist mindestens aus dem Mittelalter”, der eine Beschwörer hielt ein altes Pergament hoch. ”Hier steht ... Moment ... wo war es denn gleich ... aaah ... hier steht: Wer diese Zeichen malt, um Mitternacht sogleich, der wird als Dank dafür, unheimlich .... Das kann ja denn wohl nur noch reich bedeuten, oder?!”
”Oder bleich?”, ließ sich der Unheimliche vernehmen.
”Bleich? Sicher?”
”Ganz sicher. Ich bin auch auf den Text reingefallen.”
”Oh ... und jetzt?”
”Ich bin dein Vater, Lu ... nein, Moment”, wieder wisperte Jonas ihm was ins Ohr. ”Ich meinte ich bin dein väterlicher Freund und du musst jetzt mitkommen und ich zeig dir alles und dein Freund da soll ins Dorf zurücklaufen und ein berühmtes Buch schreiben. Irgendwas Gruseliges vielleicht. So mit Nebel und so.”
”Wenn du meinst”, der Angesprochene zuckte mit den Schultern.
”Kommst du jetzt endlich?”, Jonas wurde langsam ungeduldig.
”Ja ja, bin schon unterwegs ...”
”Schreib mal ne Karte.”
”Mach ich ...”
Und schon waren die Drei verschwunden und er war alleine auf dem Friedhof. Nachdenklich blickte er auf die Zeichnung und die elektrischen Entladungen, die langsam im Nichts verschwanden. Dann bohrte er sich in der Nase, kratzte sich am Kopf und verließ diesen Ort.

 

Hi Lemmi,

es ist nicht leicht zu sagen, was mich an der Geschichte stört, denn sie ist sicher geschrieben und die Witze sind grundsätzlich nicht plump. Es liegt womöglich an der Vorhersehbarkeit. Du greifst Topoi aus Gruselszenarien auf und entmythifizierst sie, sozusagen. Allerdings sind die Möglichkeiten, die sich einem da bieten, relativ beschränkt. Ich meine damit: Die Personen auf dem Friedhof benehmen sich gänzlich unehrfurchtsvoll, der "Herr des Bösen" macht sich selber lächerlich mit seiner Verkleidungsidee, der unterwürfige Diener ist eine Karikatur, die man zu Genüge kennt. Manches gefiel mir, etwa so was hier:

Die Glocke der kleinen Kirche begann zu schlagen, verzählte sich vor Aufregung, schlug vorsichtshalber noch dreimal und verstummte dann.
Weils mir ... unverbrauchter erschien.
Das hingehen
”Ich bin dein Vater, Lu ... nein, Moment”, wieder wisperte Jonas ihm was ins Ohr.
ist albern, weil überstrapaziert. ;-)

Also, schlecht ist die Geschichte damit nicht, aber mehr zum ab und zu lächeln statt zu lachen.

Ginny

 

Hi Lemmi

eigentlich nicht schlecht, aber irgendwie will die Geschichte bei mir auch nicht zünden. Ein Paar Dinger riefen Schmunzler hervor, ansonsten ist deine Themenwahl natürlich arg vorbelastet. Solche Parodien gibt es ja zu Unhauf.
Viel Neues bietest du hier nicht. Das Mit der Schreibmaschine und der Turmuhr waren gute EInfälle, Luke würde ich auch streichen.
Genauso die Idee mit der fehlenden Nase. Wo ist da der Scherz?

Einige Fehler sind noch drinnen. Einer sei herausgesucht

Äh, wen ich auch mal was sagen darf?”, meldete sich einer der Beschwörer zu Wort
wenn
Hin und wieder stimmt mal ein Komma nicht.

Fazit: harmlose Parodie ohne Überraschungen, flüssig zu lesen

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Lemmi,

ich fand es herrlich! Die einzelnen Versatzstücke (z.B. die immer neue Anrede für den "Grausamen", die Dämlichkeit eines vermeintlich hochkompetenten schlimmen Dämons) sind sicherlich nicht neu, aber ich finde die Umsetzung seeehr gelungen und auch sehr witzig.

Das einzige, was mich aus dem Schmunzeln herausgerissen hat, waren die kursiv gesetzten Ortsmarken, zumal an einer Stelle mit der direkten Anrede "Ihr wisst schon". Diese Stellen empfinde ich als etwas aufgesetzt und witzlos. Aber: andere lachen sich vielleicht über so etwas krank. Abgesehen davon eine wunderbare Parodie.

Besten Gruß, nic

 

"Dasch isch ein Döner ..."
würde "n" statt "ein" setzen
An einem ganz anderen Ort zu einer ganz anderen Zeit. Oder fünf Minuten später.
:D (obwohl 5 Minuten eine ganz andere Zeit sind :hmm: )
"Jonas? Jonas, wo bist du?", eine piepsige Stimme hallte durch so riesige Hallen
du?" Eine; na ja
die Mücke, die jemand wirklich Müdes nicht schlafen läßt.
hehehe; lässt
"Hmm ...", nachdenklich kratzte sich der Herrscher des Unterreichs am Kinn.
..." Nachdenklich
?Und außerdem. Muss sowas nicht mit Blut geschrieben werden??
so was
Im Fernseh'n", zwei im Dunkeln nicht auszumachende Schultern
'n." Zwei
Zurück zum schon bekannten, ganz anderen Ort
"Und?! Was hat er gesagt?". Nervös trommelten
Punkt nach " weg und hinter Ort setzen
Der Schrecklichste aller Schrecken
Pah. Der Schrecklichste der Schrecken ist und bleibt Ygramul die Viele.
”Vielleicht sowas wie ihr unwürdiges Gewürm.”
”Würmer ... wie süß.”
hehe
”Ganz sicher. Ich bin auch auf den Text reingefallen.”
:lol:

Hallo Lemmi,

insgesamt gefällt mir die Geschichte; gut geschrieben. Aber das Ende lässt mich etwas enttäuscht zurück, da fehlt irgendwie irgendwas. So ein Abschluss halt. Also, dein jetziger Satz ist als letzter Satz schon sehr gut, keine Frage, aber inhaltlich fehlt mir da einfach was. :)

Tserk

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey, wow .. tolle positive Reaktionen, hätt ich nicht gedacht, dass die so gut ankommt. Danke euch allen für's Lesen und auch für's allgemeine Gutfinden. Obwohl das Thema schon ziemlich verbraucht ist. Wußte ich auch schon vorher, dass das so sein würde. Aber, mal ehrlich, welches Thema ist das nicht?! ;)

Ginny-Rose
Ja, auf den Gag mit der Kirchturmuhr bin ich selbst am meisten stolz. :shy:

weltenläufer
Bei der fehlenden Nase wollte ich eigentlich noch sowas wie eine Pappnase einbauen. So ein Karnevalsdings halt. Hab's mir aber denn besser doch verkniffen.
Danke für den Fehler, wird korrigiert ;)

nicita
Das kursiv Geschriebene soll eben der Verdeutlichung dienen, dass es jetzt wo anders spielt ;)
Und danke für das dicke Lob :)

Tserk
Danke für's viele Fehler finden und natürlich für's Gutfinden und überhaupt. Bei den Korrekturen mit der wörtlichen Rede bin ich allerdings nicht deiner Meinung, ich meine man kann da schon einfach danach mit einem Komma weitermachen. Das lass ich erst mal so, bis mich jemand eines Besseren belehrt.

So tolle Kritiken, da bin ich ja sozusagen gezwungen endlich mal wieder mehr zu schreiben :)

Gruß und Danke
Lemmi

 

Danke für's viele Fehler finden und natürlich für's Gutfinden und überhaupt.
fürs ;) Und: Kein Problem!
Das lass ich erst mal so, bis mich jemand eines Besseren belehrt.
Lass es mich an diesem Beispiel verdeutlichen:
"Hmm ...", nachdenklich kratzte sich der Herrscher des Unterreichs am Kinn.
sagt er das oder kratzt er das? ;) Wenn nach wörtlicher Rede mit einem Komma operiert wird, muss danach zwangsläufig etwas folgen, das sich auf die wörtliche Rede bezieht - Wörter wie sagte, antwortete, frage, rief, etc. :)

Den Witz mit der Uhr fand ich auch gut, aber er kam mir seltsam vertraut vor, ebenso wie die kursiven Ortsangaben :Pfeif:

Tserk

 

Danke für den Hinweis. Jetzt hab ich das auch kapiert mit dem Komma und gebe dir absolut recht. Wird geändert.

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom