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Unmögliche Geschichte

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06.02.2002
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Unmögliche Geschichte

Überarbeitung weiter unten!


I. Morgen: Die Brieftasche

II. Heute: Polarfuchs

Trist und kalt. Kalt und trist. Kalt, kalt. Trist, trist. Das sind die vier Möglichkeiten, Kangerlussuaq zu beschrieben. All diese tollen Dinge, die sie in den Tourismusbroschüren hochjubeln – die Moschusochsen, Rentiere, Polarfüchse, Falken, Adler, Raben – kommentieren sich von selbst, denke ich...
Zudem ist Winter, jedes schlaue Tier hat sich verzogen. Natürlich, ich könnte mich auch über das „kraftvolle Nordlicht“ freuen, nur leider scheint´s nicht durch das Dach der einzigen Kneipe, und wenn ich nach Hause gehe, achte ich angesichts der vierzig Minusgrade lieber darauf, den Weg zu überleben...
„Nach Hause“, pah. Mein sogenanntes Zuhause ist eine Jugendherberge aus Holz mit Blick auf den zugefrorenen See: ich bin der einzige Gast. Sie haben mich dort einquartiert, nachdem sie einsahen, dass ich nirgendswo sonst hin konnte, ohne Geld für ein Flugticket... ohne Namen. Ohne Vergangenheit. Immerhin, ich habe eine exklusive Wohnlage: Etwas außerhalb der tristen Reihenhäuser, schlappe zwanzig Kilometer vom „beeindruckenden Inlandeis“ entfernt. Dusche im Flur.
Manchmal träume ich. Ich nehme an, es ist von früher. In meinen Träumen ist es warm und schneefrei. Große Gebäude liegen da wie schlafend. Auf den Straßen drängt sich Verkehr. Eine Menge Menschen hasten vorbei, streifen dich mit ihren Blicken. Ich kenne diesen Ort. Er ist mir vertraut. Man spricht meine Sprache. Ich glaube, ich träume von daheim.
Manche Eingeborenenstämme sind der Überzeugung, die Realität, das eigentliche Dasein, spiele sich in ihren Träumen ab. All die lästigen Wachphasen mit Hunger, Durst und Elend, warum ausgerechnet sollten die das wahre Leben sein?
Doch Träume kann man nicht erzwingen, auch nicht mit dem zehnten geschnorrten Bier. Sie sprechen meine Sprache nicht, immerhin sind sie großzügig. Ich frage mich, wie lang es noch dauert, bis sie herausgefunden haben, wer ich bin. Jedesmal, wenn ein Flugzeug abhebt und über uns hinweg verschwindet, frage ich mich, ob ich hier wegkomme, bevor meine Zehen erfrieren.

III. Gestern: Die Gabe

Dies ist eine unmögliche Geschichte. Zumindest das ist sicher. Unmöglich. Unglaublich. Unglaubwürdig. Hier liegt das Problem: Hilfe ist nicht in Sicht. Niemand würde mir glauben. Und wenn schon, niemand könnte mir helfen.
Alles war normal, anfangs. Alles verlief in den geordneten, überschaubaren Bahnen, die ein Leben von der Stange zu nehmen pflegt. Nichts Außergewöhnliches. Nichts Aufregendes. Nichts, worüber zu reden wert wäre, auch wenn unser aller Gespräche voll davon sind. Geplauder. Small talk. Wortmüll und Höflichkeitsphrasen, wohlgeordnet und standardisiert.
Ein neues Auto? Für das Geld? Wahnsinn. Ach was, eine Panne? Wie ärgerlich. Dieser neue Cola-Werbespot? Wie lustig. Nun auch noch Fischer. Alle korrupt. Nein, die Kati hat wirklich...? Stell dir vor.
Es ging um das Geld, das du verdienst. Verdienen möchtest. Zu verdienen vorgabst. Freunde, die du hattest oder nicht. Was sie taten oder nicht. Was du tun solltest oder nicht. Was die Politik tat oder nicht. Was sich im Fernsehen tat.
Überschaubar, kalkulierbar. Worthülsen, Einheitsgebabbel. Verzeihen Sie mir den Kulturpessimismus, ich habe schlecht geschlafen.
Ich vermisse es. Sehne mich zurück. Ich will mein altes Leben wiederhaben. Menschen sind so. Das Neue, der Wandel schreckt. Das Risiko. Das Unabsehbare. Wobei, falsches Wort.
Wie sehr ich mich auch gelangweilt habe, mich raussehnte, nun will ich zurück. So muss es Adam ergangen sein: Er hatte alles, aber es langweilte. Doch sein Leben lang wollte er wieder ins Paradies. Immerhin, er hatte seine Cherubin. Die Flammenschwerter, die ihn von der glücklichen, überschaubaren Vergangenheit trennten. Sein Problem war selbst verschuldet, die Konsequenzen greifbar, der Feind real.
Zeit kann man nicht zurückdrehen. Sie ist der Strom, der uns unsere Lebensbahn flussabwärts treibt. Trotz aller Abzweigungen und Strudel, es geht immer in Richtung Ozean. Man kann sich nicht dagegen wehren. Es geht allen so. Das ist der Lauf der Dinge. Doch Zeit ist nicht greifbar. Man kann nicht mit dem Finger draufzeigen und sagen: Sie ist schuld, dass. Der Mensch braucht einen Gegner, einen Grund, etwas Greifbares.
Wenn man sich jetzt noch vorstellt, dass die Zeit ihre Bahn verlässt, wann immer es ihr passt, dann ist man nahe dran an meiner jetzigen Lage: Ich bin verflucht.
Übermorgen werde ich zehntausend Euro gewinnen. Einfach so. Unterhaching schlägt Leverkusen. Die Pokalsensation, ich habe sie im Fernsehen gesehen, eher unfreiwillig.
Von dem Geld kaufe ich mir ein Ticket nach Grönland. Ich muss hier weg. Irgendwohin.
Natürlich nützt das nicht viel. Hase und Igel, du kannst vor dir weglaufen, so schnell du kannst, rat mal, wer schon da ist.
Das Leben ist ein ruhiger Fluss. In unserem Kulturkreis ist er zumeist flurbegradigt. Was mich einst störte, jetzt sehne ich mich zurück. Ich weiß nicht, warum es gerade mich getroffen hat. Nicht einmal, wie man mein Problem eigentlich nennt. Die Gabe des Dritten Auges? Paranormalen Scheiß? Psychotisch-futuristische Autoprojektion? Abgefahrener Wahnglaube? Ich weiß nicht, was dagegen hilft. Ich habe schon überlegt, Uri Geller anzurufen. Kein Scherz. Vor drei Wochen träumte ich, dass meine Freundin mit einem anderen schlief. Das machte mich fertig, ich wurde unausstehlich. Sie machte Schluß und lernte den Mann meiner Träume kennen. Es macht dich kaputt. Deshalb tendiere ich, als direkt Betroffener, bisher für „paranormaler Scheiß“.
Ich könnte natürlich was draus machen. Mich und mein exklusives Problem vermarkten. Auf Neun Live weissagen. Die Bärbel, fiese verbrauchte Stimme in breitem Oberfränkisch – ich hasse Dialekt – möchte wissen, ob´s mit ihrem Nachbarn klappt. Der ist knackige Zwanzig, manchmal sieht sie ihn am Fenster. Ich lege Tarokarten aus: Ritter, Mondsichel, Turm. Ich sage: „Zuerst solltest du deine Tochter vorschicken.“
Frank, fünfzig, will wissen, ob seine Chemo anschlägt. Knochenmann, Wagen, Universum. „Hängt von Saturn ab“, sage ich. „Eine Frage bitte noch“, krächzt Frank, „wie lang hab ich noch zu leben?“ Ich nippe an meinem Glas Wasser. „Tut mir leid, heute ist schnelle Runde.“
Bestenfalls würden die Leute mich verbrennen. Schlimmstenfalls würde ich der Michel Friedmann des B-Fernsehens.
Tagträume sind kein Ausweg. Ich muss den Flieger nach Kangerlussuaq buchen. Er wird sich eine Stunde verspäten.

Vielleicht gibt es viele von uns, ich bin nur noch nicht eingeweiht. Freimauerer haben uns eine hochmoderne Geheimstation unter dem Vatikan errichtet. Von dort aus leiten wir die Geschicke der Welt, wenn auch ohne Bond-Girls. Immerhin aber haben wir die Kubakrise gemeistert, und – hey – ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wäre Stoiber gewählt worden.
Vielleicht. Welch schönes Wort. Vielleicht bin ich der erste Grönlandreisende ohne Gepäck. Die Frau am Schalter schaut mich zumindest so an. Ich verbummle eine Stunde an der Flughafenbar. Überall hängen Bilder von Palmenstränden. Niemand will nach Grönland, scheint es. Dabei hat es bis zu 3000 Meter Eis auf dem Buckel. Ein Tagebuch der Geschichte: Der Kälteeinbruch von 1350. Die Industrialisierung. Die Atombombe. Alles hat sich niedergeschlagen im Eis. Es hat die Titanic versenkt. Es wird für mich reichen.
Das einzige, was mich beunruhigt, ist das Bild eines alten Mannes. Ich habe mich gestern vollaufen lassen, aber trotzdem ist mir mein Traum in Erinnerung geblieben, und er sucht mich schon den ganzen Tag heim. Etwas hat die Monotonie seines Rentnerdaseins unterbrochen. Ein junger Spund war zu Besuch, anscheinend sein Enkel. Und nun fehlt dem alten Mann die Brieftasche. Der Diebstahl belastet ihn. Könnte mir egal sein, wäre ich nicht überzeugt davon, dass ich der alte Mann gewesen bin.
Das Blöde ist, wenn ich es gewesen bin, was wird dann aus meinem Grönlandplan? Warum zur Hölle liege ich nicht auf Eis?
Vielleicht sollte ich hier bleiben. Der Whisky schlägt schon an. Schönes, warmes Gefühl. Vielleicht ist der ganze Plan nicht so ausgewogen. Vielleicht kann ich noch was ändern, reich und berühmt werden. Ich habe noch nie einen reichen Mann weinen sehen. Vielleicht verliere ich meine Gabe wieder und führe ein normales, langweiliges und nur grob vorhersehbares Leben. Lerne die kleinen Variablen des Alltags zu schätzen und...
Ach, was soll´s. Egal was passiert, ich werde alt: Unsterblichkeit auf Rate. Ich sollte eine Lebensversicherung abschließen. Egal was passiert, in Grönland ist nicht Endstation, und warum das nicht so ist, das macht die Sache doch erst richtig spannend. Endlich mal eine Überraschung! Es ist Zeit, der Flieger verspätet sich nicht ewig. Auf nach Kangerlussuaq.

Zeit lässt sich nicht überlisten. Ich verbringe noch eine Stunde in der Wartehalle. Immerhin, die anderen Fluggäste mussten doppelt so lange warten.

Wer nach Grönland fliegt, redet nicht viel. Die meisten sehen aus wie Verkäufer, ein paar wie Aussteiger. Ich bestelle mehr Whisky, bekomme aber nach dem dritten Glas keinen mehr. Sobald ich einnicke, weckt mich ein seltsames Geräusch, wie ein Kreischen. Wir überfliegen Wolken, Wolken, Wolken. Ab und an der Atlantik, was für ein langweiliges graues Nichts. Island kann man nur kurz sehen, und es ist keine Erfahrung, auf die ich gewartet hätte.

Nach der Landung lasse ich meine Jacke samt zweitausend Euro im Gepäckfach liegen. Ich brauche sie nicht mehr. Das Terminal ist winzig und kalt. An der Wand aus nacktem Waschbeton hängen Poster von Polarfüchsen, Walrossen und Moschusochsen. Während die anderen auf ihr Gepäck warten, gehe ich hinaus in die Kälte. Nun, das ist also Kangerlussuaq. Kein Ort, an dem ich alt werden möchte. Bis zum Inlandeis sollen es zwanzig Kilometer sein. Ich gehe los, meinem Schicksal entgegen, doch kaum habe ich meinen Fuß auf die kleine Straße gesetzt, ist das Geräusch wieder da, plötzlich und laut: Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht mit den kreischenden Bremsen eines Lieferwagens.

 

Hallo Paranova,

ich habe deine Geschichte jetzt mehrmals gelesen und hoffe, sie nun halbwegs verstanden zu haben.

Deine Geschichte spielt in der Zukunft, der Gegenwart und der Vergangenheit. Das du die Zukunft "frei" gelassen hast, fand ich eine sehr gute Idee. Die Frage ist, ob die Zukunft nicht eintritt... immerhin gibt es da den Lieferwagen, mit dem dein Prot. nicht gerechnet hat - oder die leere Stelle bezieht sich auf das, was der Mann in seinen Träumen gesehen hat. (Der Enkel, der ihm die Brieftasche klaut.)
Hier liegt allerdings auch mein Hauptverständnisproblem in der Geschichte - wenn ich mich auf den letzten Absatz deines Textes beziehe, dann muss ich davon ausgehen, dass der Mann gestorben ist. Erst dachte ich, dass er seine Gabe dadurch erlangt, aber nachdem er schon vorher wusste, dass der Flug sich verspäten wird, sollte er sie zu dieser Zeit schon gehabt haben. Ich finde deine Geschichte jedenfalls spannend genug, dass ich sie noch ein paar Mal lesen werden und hoffe, dann hinter die Lösung zu kommen. (Meine Idee: Er kann durch die Zeit wandern).

Sprachlich hat´s mir auch sehr gefallen. Den Erzählstil des Mannes hast du gut rübergebracht. Die Genervtheit/Langeweile des Mannes war durch den ganzen Text hindurch zu spüren und das fand ich wirklich super.

LG
Bella

 

Kaum bin ich nicht mehr Mod hier, kommt uns Para mit so einer Story. Jou. Trifft, würde ich sagen, vor allem vom Gefühl her. Wenn ich nicht gerade total glücklich wäre, wäre vermutlich jetzt Frostfrust angesagt. Aber zum Glück ist Frühling, sogar in Grönland.

 

:bounce: Juhu, Antworten!
Bella,
richtig, die Geschichte wird rückwärts erzählt. Mit Zeitwandeln liegst du allerdings falsch. Und ein Autounfall muss nicht unbedingt tödlich sein. Seine Folgen zeigen sich im Abschnitt II. Hoffe mal, dir weitergeholfen zu haben, ohne zuviel verraten zu haben.

Hey, glücklicher Uwe,
wusste gar nicht, dass du kein Mod mehr hier bist (andererseits wusste ich auch nicht, dass Bella einer ist... tempus fugit!).

Nun ja, vielen Dank fürs Lesen beiderseits, bin mal gespannt auf weitere Kritiken, da ich mir bei einigen Stellen nicht sicher bin, ob sie nicht zu langatmig sind.

...para

 

Hi Paranova,

geschickt und spannend erzählt. Der Lieferwagen nimmt deinem Prot seine Erinnerung. Ob er ihm auch die Fähigkeiten nimmt, lässt du offen. Er glaubt ja nur, dass die Träume aus der Vergangenheit kommen. Das Geld hat er im Flugzeug gelassen, identifiziert ist er auch nicht, obwohl doch die Brieftasche erst morgen gestohlen werden wird. Ihre Bedeutung habe ich nicht ganz begriffen.
Gefallen hats mir auf alle Fälle.

Zwei Details:

Zu verdienen vorgabest.
mE ohne e
Die Kälteeinbruch von 1350.
Die?

Zu langatmig fand ich es nirgends.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo Sim,
vielen Dank für deine Anmerkungen! Zu den Fehlern ist ja nichts zu sagen, sind jetzt weg.
Die Bedeutung der Brieftasche? Er träumt doch davon, dass sein Enkel sie ihm stehlen wird. Identifizieren kann man ihn nicht, da er ja seine Jacke "samt 2000 Euro" im Flugzeug liegen lässt - ich dachte, das läßt darauf schließen, dass damit auch sein Paß futsch ist (beides doch normalerweise in der Brieftasche).
Wird das nicht klar genug? Och Menno, sag jetzt nichts falsches! ;)
Liebe Grüße,
...para

 

Hallo Paranova,

gute Idee, der Riesenblank - ich werde auf diese Weise einen Roman schreiben...

Schön lakonisch erzählt:

„Zudem ist Winter, jedes schlaue Tier hat sich verzogen. Natürlich, ich könnte mich auch über das „kraftvolle Nordlicht“ freuen, nur leider scheint´s nicht durch das Dach der einzigen Kneipe, und wenn ich nach Hause gehe, achte ich angesichts der vierzig Minusgrade lieber darauf, den Weg zu überleben...“

„Manche Eingeborenenstämme sind der Überzeugung, die Realität, das eigentliche Dasein, spiele sich in ihren Träumen ab. All die lästigen Wachphasen mit Hunger, Durst und Elend, warum ausgerechnet sollten die das wahre Leben sein?“

Das frage ich mich auch, vor allem, wenn ich den Fernseher anschalte.

„Alles hat sich niedergeschlagen im Eis. Es hat die Titanic versenkt. Es wird für mich reichen.“

Das sagt doch so ziemlich alles über die Gemütsverfassung des Protagonisten, gut gesprochen.

Ansonsten finde ich es halt immer gut, wenn so ein Text noch eine übergeordnete Aussage hat, vielleicht geht das ja in dieser Geschichte ein wenig in Richtung ‚Ohnmacht dem Schicksal gegenüber’. Jedenfalls ein ungewöhnliches Thema und die Überschrift widerlegst du selbst, auch ein schöner Aspekt.

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Paranova!

Ich hab deine Geschichte einfach mal so angelesen und blieb dann hängen - ist ja eigentlich schon ein Kompliment, nicht?

Der Stil hat mir gefallen - ruhig und melancholisch.
Einzig den Anfang von Abschnitt III (Gestern, die Gabe), finde ich etwas wirr (ohne dass ich das nun belegen könnte) da konnte ich manchmal nicht so recht folgen.
Mag aber auch an mir liegen, jedenfalls verliert sich dieser Eindruck relativ schnell wieder.

Was übrig bleibt: eine stimmungsvolle Geschichte.
Und ich hab gleich mal nach Kangerlussuaq gegoogelt - kann man das auch aussprechen??

In diesem Sinne
c

 

Oh, hallo Wolto!
Freut mich sehr, das du das Teil gelesen hast... in letzter Zeit lief bei mir ja gar nichts mehr. Umso mehr freut mich natürlich, das die Geschichte ankommt. Meine Lieblingsstelle ist übrigens, neben dem Eis, Frank, fünfzig, will wissen, ob seine Chemo anschlägt. Knochenmann, Wagen, Universum. „Hängt von Saturn ab“, sage ich. :wein:

Grüß dich, chazar!
find ich natürlich sehr schön, dass du die Geschichte gelesen hast, ich bleib leider inzwischen viel seltener hängen als früher.
Ja, der Anfang von III, das ist so die Sache. War auch meine Sorge, wegen der Ausführungen über die Zeit und Adam, der Gesellschaftskritik usw. Gottseidank bist du der Erste, der´s sagt, ansonsten werd ich nochmal dran feilen müssen.
Übrigens, googeln: die Zitate stammen von so ner Tourismusseite, hab vorher auch ein bisschen recherchieren müssen (wer kennt auch schon Grönlands Städchen?). Und googlen die Zweite: chazar scheint ´n Rollenspielname zu sein, oder?

Euch beiden vielen Dank fürs Lesen und schönes Wochenende!
...para

 

Hallo para, also als erstes warne ich dich, du hast etwas zeitpunktuelles pech, ich steh grad unter einfluss von „12 stühle“ und „der meister und margarita“ und vor allem m&m ist allerhöchste klasse und deswegen bin ich wohl etwas sehr kritisch aber warum auch nicht.

Kompositionstechnisch ist die geschichte im grossen rahmen einwandfrei, innerhalb der einzelnen abschnitte jedoch konnte ich keine strukturierung erkennen.

Ich habe dann in der analyse eher auf die negativen sachen geachtet, das bringt dir sicher mehr. Ja echt!

“Trist und kalt. Kalt und trist. Kalt, kalt. Trist, trist. Das sind die vier Möglichkeiten, Kangerlussuaq zu beschrieben. All diese tollen Dinge, die sie in den Tourismusbroschüren hochjubeln – die Moschusochsen, Rentiere, Polarfüchse, Falken, Adler, Raben – kommentieren sich von selbst, denke ich...
Zudem ist Winter, jedes schlaue Tier hat sich verzogen. Natürlich, ich könnte mich auch über das „kraftvolle Nordlicht“ freuen, nur leider scheint´s nicht durch das Dach der einzigen Kneipe, und wenn ich nach Hause gehe, achte ich angesichts der vierzig Minusgrade lieber darauf, den Weg zu überleben...“

____Insgesamt kommt mir dieser absatz recht bemüht vor, der fluss/dynamik fehlt deutlich. ich finde du solltest mutiger sein, so richtig auf den ironieputz hauen, stellenweise zumindest. Und na ja kneipe ich weiss nicht, ist das nicht etwas gewöhnlich? Alle verlorenen stranden in der kneipe, oder? Wieso nicht im heizraum der volkshochschule wo ihn der hausmeister mittrinken lässt? Oder so was ähnliches nur besser.


„Nach Hause“, pah.
____ich würd die anführungszeichen weglassen.

„Sie haben mich dort einquartiert, nachdem sie einsahen, dass ich nirgendswo sonst hin konnte, ohne Geld für ein Flugticket... ohne Namen. Ohne Vergangenheit. „

___muss es nicht heissen „eingesehen hatten“? und ohne Namen ohne vergangenheit, hm ich weiss nicht das klingt mir schon total abgedroschen. mMn musst du da was anderes schreiben, oder weglassen, aber so geht das nicht junger mann! So nicht!

„tristen Reihenhäuser“
____ sind diese 2 wörter im deutschen untrennbar? Was ist da los?

„Manchmal träume ich.“
_____jeder träumt manchmal, dieser satz hat keinen wert glaub ich.
„Ich nehme an, es ist von früher. In meinen Träumen ist es warm und schneefrei. Große Gebäude liegen da wie schlafend. Auf den Straßen drängt sich Verkehr. Eine Menge Menschen hasten vorbei, streifen dich mit ihren Blicken. Ich kenne diesen Ort. Er ist mir vertraut. Man spricht meine Sprache. Ich glaube, ich träume von daheim.“
_____ Ich kenne diesen Ort. Er ist mir vertraut. Man spricht meine Sprache. Das sind 3 sätze die alle das gleiche sagen irgendwie, da kannst mindestens einen weglassen. Lass den mit der sprache drinnen, denn sprache kommt ja noch mal als motiv.

“Doch Träume kann man nicht erzwingen, auch nicht mit dem zehnten geschnorrten Bier. Sie sprechen meine Sprache nicht, immerhin sind sie großzügig. Ich frage mich, wie lang es noch dauert, bis sie herausgefunden haben, wer ich bin. Jedesmal, wenn ein Flugzeug abhebt und über uns hinweg verschwindet, frage ich mich, ob ich hier wegkomme, bevor meine Zehen erfrieren.“
______hmm das 10te geschnorrte bier ist natürlich auch ein schon oft benütztes mittelchen, hängt aber eh klar mit kneipe und so zusammen, und „hinweg verschwindet“ klingt schon seeehr altbacken


III. Gestern: Die Gabe

“Dies ist eine unmögliche Geschichte. Zumindest das ist sicher. Unmöglich. Unglaublich. Unglaubwürdig. Hier liegt das Problem: Hilfe ist nicht in Sicht. Niemand würde mir glauben. Und wenn schon, niemand könnte mir helfen.
Alles war normal, anfangs. Alles verlief in den geordneten, überschaubaren Bahnen, die ein Leben von der Stange zu nehmen pflegt. Nichts Außergewöhnliches. Nichts Aufregendes. Nichts, worüber zu reden wert wäre, auch wenn unser aller Gespräche voll davon sind. „
_____also der absatz gefiel mir sprachlich wirklich gut, vielleicht kannst du ja von „geordnet und überschaubar ein adjektiv opfern. Du verwendest oft adj. In paaren, aber ich finde dieses stilmittel eigentlich ungünstig, es hat so was pathetisches. Und es wäre vl nett wenn du eine parallelkonstruktion bauen könntest (3 mal „nichts“ 3 mal „alles“ am satzanfang)

„Geplauder. Small talk. Wortmüll und Höflichkeitsphrasen, wohlgeordnet und standardisiert „
____ das ist mMn wieder zuviel form für den inhalt. Ein satz reicht. Und da höflichkeitsphrasen auch wortmüll sind reicht glaub ich zu schreiben: „Wortmüll, geordnet und standardisiert“

“Verzeihen Sie mir den Kulturpessimismus, ich habe schlecht geschlafen. „
____den finde ich so richtig gut.


„Sehne mich zurück.“
____also echt, den kannst schmeissen.

“ der glücklichen, überschaubaren Vergangenheit“
___wie oft willst du denn noch überschaubar schreiben?

„Zeit kann man nicht zurückdrehen. Sie ist der Strom, der uns unsere Lebensbahn flussabwärts treibt. Trotz aller Abzweigungen und Strudel, es geht immer in Richtung Ozean. Man kann sich nicht dagegen wehren. Es geht allen so. Das ist der Lauf der Dinge. Doch Zeit ist nicht greifbar. Man kann nicht mit dem Finger draufzeigen und sagen: Sie ist schuld, dass.“
____Hallo! Hmm ich weiss dass du etwas viel originelleres über die zeit schreiben kannst!


“Von dem Geld kaufe ich mir ein Ticket nach Grönland. Ich muss hier weg. Irgendwohin. „
____also ich finde es eleganter wenn du nur schreibst, „ich kaufe ein ticket nach Grönland“, denn es ist eh klar dass das mit dem gewinn zusammehängt. Und das mit ich muss hier weg, irgendwohin, kick das oder schreibs um, das sind so typische kunststudenten sätze, wenn die ihre mittelmässigkeit durch fernwehgeschwafel übertünchen wollen

“Natürlich nützt das nicht viel. Hase und Igel, du kannst vor dir weglaufen, so schnell du kannst, rat mal, wer schon da ist.
Das Leben ist ein ruhiger Fluss. In unserem Kulturkreis ist er zumeist flurbegradigt. Was mich einst störte, jetzt sehne ich mich zurück. Ich weiß nicht, warum es gerade mich getroffen hat. Nicht einmal, wie man mein Problem eigentlich nennt. Die Gabe des Dritten Auges? Paranormalen Scheiß? Psychotisch-futuristische Autoprojektion? Abgefahrener Wahnglaube? Ich weiß nicht, was dagegen hilft. Ich habe schon überlegt, Uri Geller anzurufen. Kein Scherz. Vor drei Wochen träumte ich, dass meine Freundin mit einem anderen schlief. Das machte mich fertig, ich wurde unausstehlich. Sie machte Schluß und lernte den Mann meiner Träume kennen. Es macht dich kaputt. Deshalb tendiere ich, als direkt Betroffener, bisher für „paranormaler Scheiß“.
Ich könnte natürlich was draus machen. Mich und mein exklusives Problem vermarkten. Auf Neun Live weissagen. Die Bärbel, fiese verbrauchte Stimme in breitem Oberfränkisch – ich hasse Dialekt – möchte wissen, ob´s mit ihrem Nachbarn klappt. Der ist knackige Zwanzig, manchmal sieht sie ihn am Fenster. Ich lege Tarokarten aus: Ritter, Mondsichel, Turm. Ich sage: „Zuerst solltest du deine Tochter vorschicken.“
Frank, fünfzig, will wissen, ob seine Chemo anschlägt. Knochenmann, Wagen, Universum. „Hängt von Saturn ab“, sage ich. „Eine Frage bitte noch“, krächzt Frank, „wie lang hab ich noch zu leben?“ Ich nippe an meinem Glas Wasser. „Tut mir leid, heute ist schnelle Runde.“
Bestenfalls würden die Leute mich verbrennen. Schlimmstenfalls würde ich der Michel Friedmann des B-Fernsehens.
Tagträume sind kein Ausweg. Ich muss den Flieger nach Kangerlussuaq buchen. Er wird sich eine Stunde verspäten. „
___also den abschnitt find ich wieder gut, flüssig, sauber. Nur: den bestenfalls-schlimstenfalls teil würd ich weglassen

“ Ich habe mich gestern vollaufen lassen“ „Warum zur Hölle“
____hm ich finde diese formulierungen so richtig halbstark. Also gewollt stark aber eigentlich wirkungslos.

„Schönes, warmes Gefühl“
_____kick it!

„Es ist Zeit, der Flieger verspätet sich nicht ewig.“
____lustig.


„Nach der Landung lasse ich meine Jacke samt zweitausend Euro im Gepäckfach liegen. Ich brauche sie nicht mehr.“
____wen?

Hmm und fällt dir kein alternativwort zu kreischen ein? Ich weiss du brauchst es als klammer in 2 funktionen aber kreischende bremsen hab ich schon so oft gelesen. Und auch einmal geschrieben weil mir nix besseres einfiel.

Aaaaalso das wars nun! Deine story war eh schon gut aber jetzt wird sie noch besser!!!!

Wenn dir mein ton etwas unwirsch vorkommt, sorry, ich meins nicht so. aber ich bin zu faul um freundlcuh blumige formulierungen zu tippen und smilies verwende ich nicht, ich bin existenzialist, weist du es? Ha ha, nein aber ich mag diese blauen schweine nicht.

 
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Unmögliche Geschichte - Überarbeitung

I. Morgen: Die Brieftasche


II. Heute: Polarfuchs

Trist und kalt. Kalt und trist. Kalt, kalt. Trist, trist: Das sind die vier Möglichkeiten, Kangerlussuaq zu beschrieben. All diese tollen Dinge, die sie in den Tourismusbroschüren hochjubeln – die Moschusochsen, Rentiere, Polarfüchse, Falken, Adler, Raben – kommentieren sich von selbst, denke ich...
Zudem ist Winter, jedes schlaue Tier hat sich verzogen. Natürlich, ich könnte mich auch über das „kraftvolle Nordlicht“ freuen, nur leider scheint´s nicht durch das Dach von Augos Bude, und wenn ich nach Hause gehe, achte ich angesichts der vierzig Minusgrade lieber darauf, den Weg zu überleben.
Nach Hause, pah. Mein sogenanntes Zuhause ist eine Jugendherberge aus Holz mit Blick auf den zugefrorenen See: ich bin der einzige Gast. Sie haben mich dort einquartiert, weil sie genauso wenig wissen wie ich, wohin mit mir, ohne Geld, Namen oder Erinnerung. Immerhin, ich habe eine exklusive Wohnlage: Etwas außerhalb der Siedlung, die aussieht wie der Wettbewerbssieger einer Architekturausschreibung zum Thema Kreativlosigkeit, schlappe zwanzig Kilometer vom „beeindruckenden Inlandeis“ entfernt und mit Dusche im Flur.
Manchmal träume ich. Ich nehme an, es ist von früher. In meinen Träumen ist es warm und schneefrei. Große Gebäude liegen da wie schlafend. Auf den Straßen drängt sich Verkehr. Eine Menge Menschen hasten vorbei, streifen mich mit ihren Blicken und lachen. Ich kenne diesen Ort. Man spricht meine Sprache. Ich glaube, ich träume von daheim.
Manche Eingeborenenstämme sind der Überzeugung, die Realität, das eigentliche Dasein, spiele sich in ihren Träumen ab. All die lästigen Wachphasen mit Hunger, Durst und Elend, warum ausgerechnet sollten die das wahre Leben sein?
Doch Träume kann man nicht erzwingen, auch nicht mit der fünften Literdose Faxe. Augo spricht meine Sprache nicht, immerhin ist er großzügig. Zudem ist es ganz gut, dass ich ihn nicht verstehe; ich fürchte, er ist schwul. Er grinst und fängt an, mein Knie zu streicheln. Ich tue so, als müsse ich kotzen, und verbarrikadiere mich im Badezimmer. Ich muss hier weg! Wann finden sie endlich heraus, wer ich bin? Ich hoffe, bevor Augo merkt, dass ich mich an seinem Duschvorhang abgeseilt habe.


III. Gestern: Die Gabe

Dies ist eine unmögliche Geschichte. Zumindest das ist sicher. Unmöglich. Unglaublich. Unglaubwürdig. Hier liegt das Problem: Hilfe ist nicht in Sicht. Niemand würde mir glauben. Und wenn schon, niemand könnte mir helfen.
Alles war normal, anfangs. Alles verlief in den geordneten Bahnen, die ein Leben von der Stange zu nehmen pflegt. Nichts Außergewöhnliches. Nichts Aufregendes. Nichts, worüber zu reden wert wäre, auch wenn unser aller Gespräche voll davon sind. Geplauder. Small talk. Wortmüll und Fließbandfloskeln, wohlgeordnet und standardisiert.
Ein neues Auto? Für das Geld? Wahnsinn. Ach was, eine Panne? Wie ärgerlich. Dieser neue Cola-Werbespot? Wie lustig. Nun auch noch Fischer. Alle korrupt. Nein, die Kati hat wirklich...? Stell dir vor.
Es ging um das Geld, das du verdienst. Verdienen möchtest. Zu verdienen vorgabst. Freunde, die du hattest oder nicht. Was sie taten oder nicht. Was du tun solltest oder nicht. Was die Politik tat oder nicht. Was sich im Fernsehen tat.
Überschaubar, kalkulierbar. Worthülsen, Einheitsgebabbel. Verzeihen Sie mir den Kulturpessimismus, ich habe schlecht geschlafen.
Ich sehne mich zurück. Ich will mein altes Leben wiederhaben. Menschen sind so. Das Neue, der Wandel schreckt. Das Risiko. Das Unabsehbare. Wobei, falsches Wort.
Wie sehr ich mich auch gelangweilt habe, mich raussehnte, nun will ich zurück. So muss es Adam ergangen sein: Er hatte alles, aber es langweilte, doch im Endeffekt kratzte er sich hinterher am Gartenzaun zum Paradies die Finger wund. Immerhin, er hatte seine Cherubin. Die Flammenschwerter, die ihn von der glücklichen, überschaubaren Vergangenheit trennten. Sein Problem war selbst verschuldet, die Konsequenzen greifbar, der Feind real.
Zeit kann man nicht zurückdrehen. Sie ist der Strom, der uns unsere Lebensbahn flussabwärts treibt. Trotz aller Abzweigungen und Strudel, es geht immer in Richtung Ozean. Man kann sich nicht dagegen wehren. Es geht allen so, das ist der Lauf der Dinge.
Wenn man sich jetzt noch vorstellt, dass die Zeit ihre Bahn verlässt, wann immer es ihr passt, dann ist man nahe dran an meiner jetzigen Lage: Ich bin verflucht.
Übermorgen werde ich zehntausend Euro gewinnen. Einfach so. Unterhaching schlägt Leverkusen. Die Pokalsensation, ich habe sie im Fernsehen gesehen, eher unfreiwillig.
Von dem Geld kaufe ich mir ein Ticket nach Grönland. Wo nichts ist, kann nichts passieren, so zumindest der Plan. Natürlich wird das nicht viel nützen. Hase und Igel, du kannst vor dir weglaufen, so schnell du kannst, rat mal, wer schon da ist.
Das Leben ist ein ruhiger Fluss. In unserem Kulturkreis ist er zumeist flurbegradigt. Was mich einst störte, jetzt vermisse ich es. Ich weiß nicht, warum es gerade mich getroffen hat. Nicht einmal, wie man mein Problem eigentlich nennt. Die Gabe des Dritten Auges? Paranormalen Scheiß? Psychotisch-futuristische Autoprojektion? Abgefahrener Wahnglaube? Ich weiß nicht, was dagegen hilft. Ich habe schon überlegt, Uri Geller anzurufen. Kein Scherz. Vor drei Wochen träumte ich, dass meine Freundin mit einem anderen schlief. Das machte mich fertig, ich wurde unausstehlich. Sie machte Schluss und lernte den Mann meiner Träume kennen. Es macht dich kaputt. Deshalb tendiere ich, als direkt Betroffener, bisher für „paranormaler Scheiß“.
Ich könnte natürlich was draus machen. Mich und mein exklusives Problem vermarkten. Auf Neun Live weissagen. Die Bärbel, fiese verbrauchte Stimme in breitem Oberfränkisch – ich hasse Dialekt – möchte wissen, op´s mit ihrem Nachbarn klabbt. Der ist knackige Zwanzig, manchmal sieht sie ihn am Fenster. Ich lege Tarokarten aus: Narr, Eremit, die große Mutter. Ich sage: „Zuerst solltest du deine Tochter vorschicken.“
Frank, fünfzig, will wissen, ob seine Chemo anschlägt. Knochenmann, Wagen, Universum. „Hängt von Saturn ab“, sage ich. „Eine Frage bitte noch“, krächzt Frank, „wie lang hab ich noch zu leben?“ Ich nippe an meinem Glas Wasser. „Tut mir leid, heute ist schnelle Runde.“
Bestenfalls würden die Leute mich verbrennen. Schlimmstenfalls würde ich der Michel Friedmann des B-Fernsehens.

Tagträume sind kein Ausweg. Ich muss den Flieger nach Kangerlussuaq buchen. Er wird sich eine Stunde verspäten.

Vielleicht gibt es viele von uns, ich bin nur noch nicht eingeweiht. Freimauerer haben uns eine hochmoderne Geheimstation unter dem Vatikan errichtet. Von dort aus leiten wir die Geschicke der Welt, wenn auch ohne Bond-Girls. Immerhin aber haben wir die Kubakrise gemeistert, und – hey – ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wäre Stoiber gewählt worden.
Vielleicht. Welch schönes Wort. Vielleicht bin ich der erste Grönlandreisende ohne Gepäck. Die Frau am Schalter schaut mich zumindest so an. Ich verbummle eine Stunde an der Flughafenbar. Überall hängen Bilder von Palmenstränden. Niemand will nach Grönland, scheint es. Dabei hat es bis zu 3000 Meter Eis auf dem Buckel. Ein Tagebuch der Geschichte: Der Kälteeinbruch von 1350. Die Industrialisierung. Die Atombombe. Alles hat sich niedergeschlagen im Eis. Es hat die Titanic versenkt. Es wird für mich reichen.
Das einzige, was mich beunruhigt, ist das Bild eines alten Mannes. Ich hatte gestern Jack Daniels zu Besuch, aber trotzdem ist mir mein Traum in Erinnerung geblieben, und er sucht mich schon den ganzen Tag heim. Etwas hat die Monotonie seines Rentnerdaseins unterbrochen. Ein junger Spund war zu Besuch, anscheinend sein Enkel. Und nun fehlt dem alten Mann die Brieftasche. Der Diebstahl belastet ihn. Könnte mir egal sein, wäre ich nicht überzeugt davon, dass ich der alte Mann gewesen bin.
Logig ist wirklich nicht meine Stärke, aber wenn ich es gewesen bin, was wird dann aus meinem Grönlandplan? Wieso liege ich nicht auf Eis?
Vielleicht sollte ich hier bleiben. Der Whisky schlägt schon an. Vielleicht ist der ganze Plan nicht so ausgewogen. Vielleicht kann ich noch was ändern, reich und berühmt werden. Ich habe noch nie einen reichen Mann weinen sehen. Vielleicht verliere ich meine Gabe wieder und führe ein normales, langweiliges und nur grob vorhersehbares Leben. Lerne die kleinen Variablen des Alltags zu schätzen und...
Ach, was soll´s. Egal was passiert, ich werde alt: Unsterblichkeit auf Rate. Ich könnte genauso gut in den Irak fliegen. Egal was passiert, in Grönland ist nicht Endstation, und warum das nicht so ist, das macht die Sache doch erst richtig spannend. Endlich mal eine Überraschung! Es ist Zeit, der Flieger verspätet sich nicht ewig. Auf nach Kangerlussuaq!

Zeit lässt sich nicht überlisten. Ich verbringe noch eine Stunde in der Wartehalle. Immerhin, die anderen Fluggäste mussten doppelt so lange warten.

Wer nach Grönland fliegt, redet nicht viel. Die meisten sehen aus wie Verkäufer, ein paar wie Aussteiger. Ich bestelle mehr Whisky, bekomme aber nach dem dritten Glas keinen mehr. Sobald ich einnicke, weckt mich ein seltsames Geräusch, wie ein Kreischen. Wir überfliegen Wolken, Wolken, Wolken. Ab und an der Atlantik, was für ein langweiliges graues Nichts. Island kann man nur kurz sehen, und es ist keine Erfahrung, auf die ich gewartet hätte.

Nach der Landung lasse ich meine Jacke samt zweitausend Euro im Gepäckfach liegen. Ich brauche sie nicht mehr. Das Terminal ist winzig und kalt. An der Wand aus nacktem Waschbeton hängen Poster von Polarfüchsen, Walrossen und Moschusochsen. Während die anderen auf ihr Gepäck warten, gehe ich hinaus in die Kälte. Nun, das ist also Kangerlussuaq. Kein Ort, an dem ich alt werden möchte. Bis zum Inlandeis sollen es zwanzig Kilometer sein. Ich gehe los, meinem Schicksal entgegen, doch kaum habe ich meinen Fuß auf die kleine Straße gesetzt, ist das Geräusch wieder da, plötzlich und laut: Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht mit den kreischenden Bremsen eines Lieferwagens.

 

Soooo,
das wär mein Alternativvorschlag. Einige Kleinigkeiten, die mir noch aufgefallen sind, hab ich geändert, und versucht, die meisten der von Harkhov angekreideten Schwächen auszubügeln. Bin echt gespannt, was ihr davon haltet, denn ich fürchte, dass nun an einigen Stellen statt kreativer Mittelmäßigkeit Karl lauert.

 

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