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Unrecht geschieht
Die Beerdigung ihrer besten Freundin war gekommen. An einem düsteren und tristen Vormittag. Der wechselnde Regenschauer fiel über die Trauergäste wie ein Schleier.
Dawn war gestorben. Arven konnte es nicht verstehen. Sie war ihre beste Freundin, ihre Seelenverwandte. Arven kam sich verraten vor, weil Dawn sie allein ließ. Sie brauchte sie doch.
Sie stand mit den anderen Trauergästen vor dem Sarg, zu Dawns Füßen. Sie regte sich nicht, starrte nur den Sarg an, der mit Blumen bedeckt und mit Trauergrüßen bestickt war. Sie hatte Tränen in den Augen, doch sie liefen ihr nicht über die Wangen. Arven zuckte nicht, sie blinzelte nicht, sie war wie erstarrt. Sie bemerkte nicht, dass der Pfarrer anfing, die Trauerrede zu halten. Sie war in diesem Augenblick auf einem anderen Planeten, weit weg. Doch sie war nicht die Einzige, die abwesend wirkte. Dawns Eltern standen neben ihr. Ihre Mutter schluchzen und ihr liefen dicke Tränen die Wangen hinunter. Dawns Vater hingegen hielt seine Frau an seiner Seite und versuchte, stark zu bleiben. Sie war die einzige Tochter, die sie hatten, ihr einziges Kind. Nun hatten sie das Wichtigste in ihrem Leben verloren.
Dann war da noch Dawns Verlobter Gavin. Er stand in der hintersten Reihe und starrte wie Arven auf den Sarg, in dem Dawns sterbliche Hülle lag. Arven hegte einen tiefen Groll in seiner Anwesenheit. Er war Schuld an Dawns Tod und niemand sonst. Darüber dachte sie jeden Tag nach. Doch heute registrierte sie ihn nicht.
Der Pfarrer beendete seine Rede mit „Asche zu Asche, Staub zu Staub“. Zuerst passierte nichts, niemand rührte sich. Dann gingen Dawns Eltern auf den Sarg zu. Sie blieben stehen. Phoebe Lee-Ann, Dawns Mutter, musste nun, da sie auf ihre Tochter hinab sah, all ihren Kummer und ihren Schmerz hinauslassen. Sie fing so laut an zu weinen und zu jammern, dass sogar Adrian, ihr Mann, zu weinen bekann. Und selbst die Trauergäste konnten nun ihre Tränen nicht mehr unterdrücken. Phoebe Lee-Ann hielt mit beiden Händen eine weiße Rose fest. Ihre Hände zitterten, als sie die Rose küsste und anschließend in den Sarg warf. Phoebes Knie ließen kurz nach, so dass Adrian sie unter die Arme fassen musste. Er half Phoebe dabei, eine kleine Schaufel voll Erde aufzunehmen, und auf den Sarg zu streuen. Arven bekam von all dem nichts mit. Denken konnte sie nicht mehr, sie war nur noch eine leere Hülle. Alles ging an ihr vorbei, keine Reaktion. Adrian tat es seiner Frau gleich und streute ebenfalls Erde auf den hinabgelassenen Sarg. Dann stellten sie sich neben Diesen, so dass die Trauergäste ihnen ihr Beileid aussprechen konnten. Nach einigen Augenblicken standen nur noch Arven, Dawns Eltern und Gavin auf dem Friedhof, während die Trauergäste langsam zu ihren Autos zurück gingen, um zu dem Lokal zu fahren.
Dawns Eltern gingen jetzt auf Arven zu und schauten sie an.
„Kommst du schon mit oder willst du noch etwas bleiben? Phoebe und ich müssen schon einmal vorfahren, denn wir können die Gäste nicht so lang warten lassen. Ich hoffe, das verstehst du.“, sagte Adrian leise. Arven war immer noch regungslos geblieben. Phoebe ging einen Schritt auf Arven zu und nahm sie in ihre Arme. Daraufhin erwachte Arven aus ihrer Trance und holte tief Luft, als wäre sie zu lang unter Wasser gewesen. Ihre Tränen, die gerade noch in den Augen ruhten, liefen ihr nun über ihre rötlichen Wangen. Sie schluchzte und weinte sich in den Armen von Dawns Mutter aus.
Nach einem kurzen Moment lösten sie sich aus ihrer innigen Umarmung. Arven bemühte sich zu beruhigen.
„Ich möchte... noch hier bleiben... wenn es in Ordnung für euch ist.“, schluchzte sie und schaute zu Adrian.
„In Ordnung, aber bleibe nicht zu lang, denn ich möchte mir keine Sorgen um dich machen!“. Somit gingen sie zu ihrem Auto und fuhren los.
Nun standen sie und Gavin an dem Sarg von Dawn. Es vergingen einige Minuten, bevor Gavin auf Arven zu ging und etwas sagte.
„Arven? Ich wollte mich entschuldigen, es tut mir wahnsinnig Leid. Glaube mir, ich wollte das alles nicht. Ich...“, doch er konnte seinen Satz nicht beenden. Arven kam ihm zuvor und schrie ihn an.
„Du elender Mistkerl! Du Bekloppter! Du... du...“ Dann sackte sie in den nassen Rasen und hielt die Hände vor ihr Gesicht. Gavin kniete sich neben sie und sagte dann mit Tränen in den Augen: „ Ich weiß, du hältst mich für den Schuldigen und...“
„Das bist du auch. Wenn du nicht gewesen wärst, wäre meine kleine Schwester, meine Seelenverwandte noch am Leben! Du bist Schuld, dass sie tot ist und ich will dein Mitleid und deine Entschuldigung nicht hören. Begreifst du es?“ Sie schaute ihn boshaft an und blinzelte nicht einmal. Ihre Tränen liefen ihr über die Wangen, dabei zitterte ihr Kinn, doch das störte sie nicht. Sie wollte, dass er spüre, wie weh es ihr tat.
Gavin schaute sie an und öffnete mehrmals den Mund, um zu sprechen, doch schloss in schnell wieder. Er wirkte sehr zurückhaltend und in voller Sorge.
„Ich... ähm... weiß.“, sagte er ruhig und als er Arvens erschrockenen Gesichtsausdruck sah, weil sie nicht seine Einsicht erwartete, fuhr er fort.
„Ich bin nicht schnell gefahren. Ich habe den Treckerfahrer nach der Kurve nicht gesehen. Er hatte kein Licht. Ich wollte noch bremsen. Verstehest du?“ Doch sie sagte nichts. Sie starrte ihn nur an.
„Es tut mir Leid, dass du sie verloren hast. Doch ich muss nun damit leben, dass ich sie auf dem Gewissen habe!“
„Willst du mir sagen, dass ich mich deshalb nicht schlecht fühlen darf? Ich habe euch doch zusammengebracht und hätte ich das nicht getan, wäre sie jetzt noch am Leben!“ Sie sprang auf und wollte gehen, doch dann drehte sie sich noch einmal um und sagte: „Warum hast du ihr nicht gesagt, dass sie sich anschnallen soll?“ Sie machte eine kleine Atempause und holte tief Luft.
„Du bist 28 Jahre alt und musst immer noch den Macho raushängen lassen, cool sein. Du hattest die Verantwortung für sie und das ungeborene Kind! Aber nein, der Herr sieht es nicht ein, langsam vernünftig zu werden. Du hast zwei Leben auf dem Gewissen.“ Sie machte eine halbe Drehung und ging zu dem Baum. Unter ihm stand eine kleine Bank, die aber durch den Regen nicht zum Sitzen einlud.
„Was sagtest du? Sie war schwanger...? Das wusste ich nicht.“, nuschelte er und schaute sehr betrübt aus!
„Wenn du mir nicht glauben willst, dann lass mich in Ruhe! Ich möchte warten, bis der Regen nachlässt und dann will ich mich von Dawn verabschieden! Geh, ich kann dich nicht mehr sehen!“ Er stellte sich in Arvens Nähe unter den Baum und keiner sagte mehr ein Wort, sie standen nur da und schauten dem Regen zu, wie er vom Himmel in das nasse Gras tropfte.
„War sie wirklich schwanger, lügst du mich auch nicht an?“ Sie drehte ihren Kopf und irgendwo tat er ihr Leid. Doch er hat ihr Dawn weggenommen. Sie schwieg.
„Arven, sie hätte es nicht gewollt, dass wir uns an ihrem Grab streiten!“
„Du hast sie nicht verdient, denn du bist derjenige der sie in den Tod getrieben hat. Sie war alles für mich, wirklich alles und du Mistkerl hast sie mir weggenommen!“ Sie brach abermals in Tränen aus und schlug mit ihren Fäusten auf Gavins Brustkorb ein. Kraftlos fiel sie erneut in das nasse Gras und hielt sich mit ihren Händen daran fest. Gavin wollte ihr auf helfen, doch sie riss sich mit letzter Kraft los.
„Lass mich! Ich... ich kann das schon ganz alleine!“ Sie stemmte sich hoch und schaute Gavin müde an.
Arven war es nun egal, ob es regnete, sie tapste jetzt auf Dawns Sarg zu, der bereits seit einer halben Stunde auf dem Grund des Bodens lag. Sie bückte sich, dann fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, Blumen zu kaufen. Dabei nahm sie eine Schaufel voll Erde und hielt sie hoch.
„Dawn... ich liebe dich wie eine kleine Schwester...“, sie schluchzte kurz auf und sprach weiter.
„Und es wird kein Tag vergehen... Ohne, dass ich nicht an dich denke... Vergiss mich nicht, Dawn!“ Und daraufhin warf sie die Erde auf den Sarg und schaute noch einmal in den Himmel, um Dawn lächeln zu sehen. Doch der Regen versperrte Arven den Horizont, um Abschied von ihrer besten Freundin zu nehmen. Daher ging sie zu ihrem Auto. Doch sie stieg nicht sofort ein, denn etwas neben ihr erweckte ihre Aufmerksamkeit. Sie blickte sich um, doch da war nichts. Hatte sie sich nur jemanden vorgestellt oder war da wirklich jemand gewesen? Nein, sagte sie sich, um sich zu beruhigen. Dort war niemand. Sie machte einen weiteren Schritt in Richtung ihres Autos, als sie erschrocken stehen blieb. In der Fenstertür ihres Wagens erblickte sie für den Bruchteil einer Sekunde Dawns Gesicht. Dann vernahm sie eine Stimme zu sich sagen: „Verzeih ihm, er leidet wie du! Er kann nichts für meinen Tod! Verzeih ihm, Arven!“ Dann war es still. Arven atmete einige Sekunden nicht. Sie konnte es nicht glauben. ‚War es wirklich Dawn gewesen?’ fragte sie sich. Sie dachte darüber nach und in dem Moment kam Gavin und schaute sie an. Langsam wurde ihr klar, dass sie im Unrecht war. Sie schenkte der Stimme, die sie glaubte zu hören, Vertrauen. ‚Er liebte sie auch und er hat sie auch verloren.’ sagte sie sich. Es tat ihr Leid, dass sie ihn so angegriffen hatte. Also nahm sie ihren Mut zusammen und rief nach ihm.
„Gavin? Es tut mir Leid!“ Sie machte eine Pause, um wieder Luft zu bekommen. „Ich... ähm weiß nur nicht, wie ich mit so viel Schmerz zurechtkommen soll.“ Sie fing an laut zu weinen und hielt sich an ihrem Auto fest, um nicht wieder ins Gras zu fallen. Gavin kam angelaufen und nahm sie in seine Arme und drückte sie vorsichtig. Dadurch verlor sie endgültig ihre Fassung und sie weinte sich in seinen Armen aus. Gavin konnte auch nicht länger seine Tränen zurück halten und so standen nun beide bei Regen am Friedhof und weinten um vergangene Worte und Taten.
Gavin schaute auf und sprach mit zittriger Stimme:
„Ich danke dir, Arven! Und auch dir, Dawn!“ Sie schauten sich an und dann sah man ein leichtes Lächeln auf beiden Gesichtern.
Und eines stand fest: Vergessen werden sie Dawn ganz sicher nicht, denn immer, wenn es draußen regnet, werden sie daran erinnert, dass Dawn über sie wacht und auf sie aufpasst.