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Unter der Sonne
Sie liebte seine dünnen Beine. So gelenkig, sehnig und geschmeidig. Andere in ihrem Alter bevorzugten eher kräftige, stämmige Typen, solche zum Anlehnen und Festhalten. Er war klein, blass und mager. Wie sie es sich immer erträumt hatte. Er erinnerte sie an ihre Jugend, an die süßen Hoffnungen, die der Anblick der gleichaltrigen Jungen in ihr geweckt hatten, Hoffnungen, die sich nie erfüllt hatten. Bis jetzt, vielleicht ja bis jetzt.
In der Sonne schimmerte ihre Haut wie Bronze. Sie konnte sich daran nicht satt sehen, fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben schön. Zum ersten Mal begehrt. Womit hatte sie das nur verdient? Vor Aufregung konnte sie nicht eine Sekunde lang still stehen. Sie alberte herum wie ein kleines Kind.
Als er endlich da war, tatsächlich vor ihr stand, rann ein Schauer über ihren Körper, ihre dunklen Augen strahlten vor Glück. Er hatte etwas zu Essen mitgebracht, von ihm selbst zubereitet. Das hatte noch nie jemand für sie getan, ihr kleines Herz strömte über vor Rührung. Und er sah zu, wie sie nach der ersten Kostprobe alles allein aufaß, bewunderte ihren Appetit, bewunderte ihn wirklich, und riss keine dummen Witze. Ihre Blicke trafen sich, und in ihnen lag ein Verständnis, das jenseits von Worten lag.
Seine Augen glänzten wie frisch geschliffener Onyx. Ein feiner goldner Flaum bedeckte seinen Körper. Unendlich zart streichelte er ihren fülligen Leib. Er zitterte genauso vor Angst wie sie, und ohne dass er es aussprechen musste spürte sie, dass es auch für ihn das erste Mal war. Nie hatte sie sich jemandem so verbunden gefühlt, nie war ihr jemand so nah gekommen. Sie genoss seine sanften Berührungen, streckte sich ihnen entgegen. Sein hilfloses Verlangen vibrierte in der Luft, mischte sich mit ihrem. Das war ein Tanz, dessen Schritte sie nicht lernen mussten, unbeholfen aber ohne zu Zögern fanden sie zueinander, verschmolzen ihre unterschiedlichen Körper zu einem.
Nach den ersten Sekunden verschwanden die Angst und der Schmerz, machten einer nie gekannten Ekstase Platz. Glühende Drähte wanden sich durch ihr pulsierendes Fleisch. Die warmen Strahlen der Sonne, der würzige Geruch der Luft, das alles erschien ihr neu und köstlich und einzigartig. Und eine herrliche Zeitlosigkeit lang genoss sie verzückt diese Köstlichkeit, das Glück und die Lust, die sie verspürte.
Dann drehte sie sich um und trennte ihrem Geliebten mit einem Hieb den ahnungslosen Kopf ab. Mitleidslos betrachtete sie seinen zuckenden Leib, bevor sie sich dranmachte, ihn zu verspeisen.
Zufrieden und erschöpft rollte sie sich zusammen, die Beine an ihren brodelnden Bauch gepresst. Es konnte keine glücklichere Spinne geben als sie.