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Untergang
Es war ein grauenvoller Traum gewesen, und als Gerd die Augen wieder öffnete, schien die Welt in seinem Blick zu vergehen.
Still schluchzte er in den beginnenden Tag hinein. Solange, bis der Wecker ging.
In der Straßenbahn krampfte sein Magen und Gerd meinte, sich übergeben zu müssen. Er stieg zwei Haltestellen früher aus und lehnte sich an dem Schild mit den Fahrzeiten an.
Die Attacken kamen jetzt schneller, wurden schwerer kontrollierbar.
Ohne jegliche Vorwarnung kam ihm ein Gedanke: Du kannst ab heute nie mehr zur Arbeit fahren. Gestern war für dich dein letzter Tag.
Er brach zusammen, und alles wurde schwarz.
"Du solltest es tun." - Magda stand in der Küche, die Schürze umgebunden, beide Arme ineinander verschränkt, mit diesem frechen Lächeln auf den blassen Lippen, und sagte: "Wirklich, du solltest es tun."
Seine Magda. Wunderschön und todkrank.
Gerd schüttelte den Kopf und ging ins Wohnzimmer. Er war kein Mann der großen Worte. Erst recht nicht, wenn er wusste, dass er eine falsche Sache tat.
"Du solltest es tun Gerd", rief Magda ihm hinterher und brach in Husten aus.
Als er seine Augen wieder öffnete, hatte die Welt aufgehört zu existieren.
Da standen Geräte. Ein Arzt in gehetzter Pose vor dem Bett. Es roch nach Lavendel und sterilen Flüssigkeiten.
Nichts davon war noch real.
"Herr Flurmann, beinahe wären Sie gestorben."
Gerd versuchte, sich zu bewegen, was unerträglichen Schmerz mit sich brachte.
"Weshalb haben Sie Ihre Medikamente abgesetzt?"
Er hatte keine Lust zu antworten. Wo war da ein Sinn?
Gerd schwieg.
Zu Hause angekommen, war Magda nicht da. Er vermutete, dass sie zu der Nachbarin hinüber gegangen war, machte sich in der Mikrowelle etwas zu Essen warm, schaltete den Fernseher ein, schnaufte genervt, als das Telefon klingelte, hob den Hörer ab, erfuhr, dass Magda vor zwei Stunden den Notruf gewählt hatte, weil es ihr nicht gut gegangen war, sie jetzt tot sei, legte dann den Hörer beiseite, warf das Essen gegen die Wand und hörte seine eigenen Wutschreie als die eines anderen.
Dann starb Gerd.
Nach drei Tagen hatten sie ihn entlassen. Seine Hände zitterten, als er aus der Straßenbahn stieg. In diesem Stadtteil kannte er sich kaum aus, und umso verwunderter war er, dass sich die auf dem Zettel notierte Adresse von ihm relativ mühelos ausfindig machen ließ.
Einen Moment lang verharrte er vor der schweren Holztür.
Du solltest es tun
Dann betätigte er die Klingel und schloss seine Augen, bis er hören konnte, dass man ihm öffnete.
Als Gerd seine Lider wieder aufschlug, begann die Welt sich zu drehen.
Die junge Frau blickte fragend, als er sagte: "Wir kennen uns nicht, aber ich habe eine sehr lange Geschichte zu erzählen."