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Unterschall

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20.11.2001
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Unterschall

„Sehr gut!“, sagte der Prüfer und drückte ihm eine Luftmatratze in die linke Hand, während er ihm die rechte schüttelte. Sein Vater freute sich und schenkte ihm ein grünes Schwimmdress. Wegen der psychischen Wirkung auf sein Gegenüber, Rot sei zu aggressiv, wie er meinte. „Grün gefällt mir aber nicht...“, erwiderte Hans, betrachtete sein neues Outfit eine Weile und verstummte.

Bald fand er einen kleinen Fluss, legte die Luftmatratze darauf und bestieg sie andächtig.
„Wo wird mich dieser Fluss hinführen?“, fragte er sich nicht wirklich, sondern begann einfach, wie alle anderen, mit den Händen zu paddeln.
„Es ist wichtig, zu einer Gruppe zu gehören, sonst geht man unter.“, sagte schon sein Vater und an diese Worte erinnerte sich Hans immer öfter. Lieber schneller paddeln als den Anschluss zu verlieren.
„Der Fluss treibt uns doch, wozu paddeln?“, fragte niemand, es musste einfach schneller vorangehen, weil alle immer schneller paddelten. Es war für alle eine schreckliche Vorstellung, hinten zu bleiben und womöglich von der Luftmatratze zu fallen – sie richteten den Blick wieder nach vorn.

Manchmal flog jemand direkt über Hans hinweg. „Das will ich auch!“, durchfuhr es ihn wie ein Blitz und er schwamm noch schneller, in der Hoffnung, irgendwann abzuheben. Die Frage „Wer sagt eigentlich, daß Fliegen schöner ist als Tauchen?“ löste sich auf, bevor sie bei Hans ankam und so konnte er sie auch nicht wahrnehmen.

Später beneidete er Piloten, dann auch Astronauten. Möglichst schnell mußte auch er ins Weltall fliegen – jedenfalls war das sein angestrebtes Ziel, das er aber nie erreichen würde. Beim Schauen in die Sterne bekam er ein steifes Genick und mußte sich ans Ufer legen, um sich für weiteres Paddeln zu regenerieren.

Der Streß und die Hektik fehlten ihm nur zu Beginn. Niemals sonst sah er die vielen Menschen, die einfach so im Fluss badeten. Er fasste es kaum, was sie für einen Spaß gemeinsam haben konnten. Sie erforschten die Tiefen des Flusses, der an dieser Stelle sehr ruhig war. Vielleicht war er aber auch immer so ruhig und kam ihm nur durch sein stetiges Paddeln so vor, als wäre es ein reißender Strom.

Er bemerkte, daß er noch nie richtig ins Nass eingetaucht war, immer nur ein bisschen, soweit sich die Luftmatratze ins Wasser senkte und seine Hände beim Paddeln hineinreichten. Hans sah, wie sich Kinder mit Wasser bespritzten, wie manche unter Wasser Purzelbäume schlugen, hörte Singen und Lachen, sah eine Frau, die gerade ihr Gemüsebeet pflegte, und verliebte sich.

„Wohin wollt Ihr denn?“, fragte er sie.
„Wir leben hier am Fluss.“, bekam er zur Antwort.
„Aber wo wollt Ihr hin?“
„Wir wollen nirgends hin, es ist doch schön hier...“
„Aber Ihr müßt doch ein Ziel haben!“
„Wer sagt das?“
„Ist es nicht der Menschen Sinn, weiter zu kommen? Wo wären wir, hätte sich der Mensch nicht entwickelt? Könnten wir dann auf dem Mond landen, andere Planeten erforschen, mit Überschallgeschwindigkeit durch die Luft fliegen?“
„Sieh nur, wie diese Kinder glücklich sind!“

Erst dachte er, sie wäre einer Antwort ausgewichen...
Am nächsten Tag nahm er seine Luftmatratze, verabschiedete sich von ihr mit den Worten „Ab heute schwimme ich zu Fuß weiter“ und warf sie in den Fluss.
Erst jetzt konnte er richtig sehen. Er konnte in alle Richtungen blicken und entdeckte Dinge, die er früher nicht für möglich gehalten hätte.

Gemeinsam bauten sie sich ein Haus unweit des Flusses. Hans, von der Arbeit mit dem Holz ganz angetan, fertigte auch ein Ausflugsboot und montierte ein Teleskop darauf. Damit konnte er sich und ihr die Sterne ganz nah heran holen und gleichzeitig mit der Seele baumeln. Als dann auch noch Kinderlachen sein eigenes Haus füllte, wußte er: Er war der glücklichste Mensch auf Erden. Und damit war er dann auch ganz zufrieden.

 

Liebe Susi,
nach einer ganzen Weile des ernsthaften, über deine Geschichte Nachdenkens sind mir einige Ideen gekommen. Habe den ganzen Samstag auf der Arbeit über das Ende deiner Geschichte nachgedacht.

Fange ich also erstmal mit den Symbolen und Metaphern an. Sehe ich das richtig, dass der Weltraum die Ziele, das Streben und vielleicht auch die Eitelkeit und das Egop der Menschen darstellt? Ich habe außerdem den Fluss als Metapher des Lebens gesehen. Hier stellt sich allerdings die Frage ob das Wasser an sich als "Leben" gesehen werden kann oder nur der ganze Fluss?

Also ein Gedanke zum Weltraum: Der Protagonist schaut den ganzen Tag in den Weltraum, letztlich wird er im Weltraum aber auch nur einen leeren Raum und viele andere Planeten finden, auf denen wahrscheinlich auch nur wieder Flüsse fließen, auf denen Menschen mit Luftmatrazen schwimmen. Diese Interpretation würde schön zeigen, dass das Streben des Menschen nach zwanghaftem Erfolg nur zu einem Einzigen führt und zwar neuen Zielen und noch mehr Streben nach Erfolg. Stell dir vor dein Protagonist würde tatsächlich in den Weltraum fliegen, auf einem anderen Planeten ankommen und wieder seine Luftmatraze auf dem neuen Fluss besteigen. Wahrscheinlich wäre sein nächster Traum, möglichst bald wieder in den Weltraum zu kommen, letztendlich aber nur zum nächsten Planete und Fluss.
Diese Interpretation wäre es vielleicht wert in den Schluss miteingebaut zu werden. Vielleicht den Dialog zwischen der Frau und dem Protagonisten umbauen und sie fragen lassen warum er denn in den Weltraum möchte, vielleicht könnte gerade die Frau ihn auch auf die oben angeführten Gedanken von mir hinweisen?!

Kommen wir zum Wasser als Leben. Also der Inbegriff von frischem klarem Wasser ist wohl das einer klaren, sprudelnden Quelle. Wäre es zu klischeehaft wenn die die Frau deinem Protagonisten eine Quelle zeigen würde, aus welcher dieser dann trinkt?
Er würde das Leben und das damit verbundene Glück quasi direkt in sich aufnehmen.

Ein völlig anderer Schluss wäre es wenn du den Dialog mit den "Weltraumgedanken" sattfinden lassen würdest, der Protagonist danach allerdings wieder in den Fluss steigen würde. Als Unterschied würde er allerdings ohne Luftmatraze in den Fluss gehen und mit dem gesamten Körper im Wasser weiterschwimmen. Irgendwann könnte er bemerken, dass die Luftmatratze ihn eigentlich nur aufgehalten hat. Er sieht, dass es nicht darum geht irgendwo anzukommen, sondern darum, einfach nur so gut es geht zu schwimmen und dabei glücklich zu sein.

Soweit meine Ideen für einen Schluss der Geschichte. Ich halte es auch nicht für unbedingt nötig, dass die zwei sich verlieben.

Zum Schluss noch ein paar Anmerkungen genereller Art:

und womöglich von der Luftmatratze zu fallen
Warum haben sie Angst von der Luftmatratze zu rutschen? Wenn das wasser wirklich das Leben und das Glück darstellt wäre es widersinnig zu sagen, dass sie Angst haben ins Leben oder Glück zu rutschen. Ich denke, dass sie nkeine Angst davor haben sondern es einfach nicht wahrnehmen oder ignorieren.
sie richteten den Blick wieder nach vorn
Warum "wieder"? Haben sie nicht die ganze Zeit nach vorne gesehen? Warum sollten sie mit ihrer Einstellung einmal nicht nach vorne blicken?
. Niemals sonst sah er die vielen Menschen
Müsste es nicht eher heißen: "Noch niemals sonst hatte er die vielen Menschen gesehen"?
Wohin wollt Ihr denn?
Als erste Frage die dein Protagonist der Frau stellt fände ich etwas wie, "Was machen sie denn?" schlüssiger.

Zum letzten Absatz, den würde ich entweder stark umbauen oder weglassen, passt irgendwie nicht wirklich zu der Genialität des Rests der Geschichte.

So, hoffe du hast verstanden was ich sagen wollte, falls nicht, ordne ich meine Gedanken gerne nochmal. Sind vielleicht etwas wir geworden. In dem Fall tut es mir leid.

Würde sehr gerne deine Meinung zu meinen Ideen hören.
Ganz liebe Grüße
Roman

P.S.: Bitte entschuldige die furchtbare Rechtschreibung, aber ich habe nicht mehr die Zeit die noch zu kontrollieren.

 

@Prodi

P.S.: Bitte entschuldige die furchtbare Rechtschreibung, aber ich habe nicht mehr die Zeit die noch zu kontrollieren.
hehe... Auch wenn Häferl unsere Ortho-Gräfin ist, glaube ich nicht, dass du dich für deine Tippfehler bei ihr entschuldigen musst! ;)

Oder, Häferl? :)


Zur Geschichte:

Als ich "Unterschall" las, unterlag ich erstmal zweierlei Missverständnissen: Erstens verstand ich den Titel nicht! Beim Lesen musste ich, angestoßen durch diesen Begriff, stattdessen dauernd an "Unterwasser" denken, was mir so viel naheliegender erschien als dein "Unterschall". Okay: Im Laufe des Textes beziehst du dich auch auf Geschwindigkeiten und verwendest an einer Stelle das Wort "Überschall". Die Brücke zwischen: Junge mit Luftmatraze auf einem Fluß immer schneller auf diesem vorantreibend (Überschall) und: Auf sich selbst besinnen, stehenbleiben, sich verlieben usw. (Unterschall) konnte ich allerdings auch nach dem dritten Lesen nicht so recht nachvollziehen. Ich finde ihn zu weit hergeholt.

Zweitens erwartete ich von dir keinen so ausgesprochen metaphorischen Text wie diesen! Abgesehen von deinem "Gänseblümchen" und meinetwegen "Kein Gedanke" ging ich bis jetzt immer von sehr realitätsnahen Erzählungen bei dir aus, und ich verstehe diese Absicht auch als dein allgemeines, schriftstellerisches Credo. Deshalb war ich beim Lesen dieser Geschichte erstmal schon sehr verwirrt, weil ich nicht daran dachte, alles alternativ durch die Brille der Metaphorik zu verstehen!

Spätestens Zazas Konnotation zu Kafkas Biografie (die mir ebenso sehr geläufig ist) beim Lesen des ersten Absatzes lies mich die Geschichte dann allerdings ganz anders lesen! Die Falle bei deiner Geschichte ist nämlich zunächst mal die: Wie auch bei Kafka (mit wenigen Ausnahmen) ist die ganze beschriebene Handlung ohne Weiteres auf die Realität übertragbar (Ganz anders als etwa bei "Gänseblümchen"!). Manch einer - und vielleicht gerade die, die diese Geschichte (bisher) nicht gelesen haben? - könnte sich da die Frage stellen: Ja und? Weil er die Übertragung des Textinhaltes aus der Fiktion in die Realität nicht nachvollzieht (-ziehen kann).

Ich für meine Seite habe schon häufig Leute kennengelernt, die diese Brücke nicht schlagen (können). Für sie muss ein Text wie dieser sehr banal erscheinen. Weil ihnen nicht gewahr ist, dass Erzählungen auch Aussagen haben können. Aber was Wunder: Das Gros der schöngeistigen Literatur gehört der trivialen Sparte an! Nachdenken ist eben anstrengend... :(


Noch zwei Anmerkungen: Mit den beiden Ausrufen

"Wo wird mich dieser Fluß hinführen?"
und
"Wer sagt eigentlich, daß Fliegen schöner ist als Tauchen?"
stellst du, typisch für deinen Stil, zwei fragende Appelle isoliert in den Raum. Damit trittst du zum einen aus deiner Rolle als reine Erzählerin heraus und greifst kurzzeitig auf diejenige einer verkappten Erzieherin zurück. Zum anderen misstraust du damit offenbar dem Leser, dass dieser auch ohne deine wohlwollende Unterstützung auf diese Fragen auch selbst kommen könnte!

summa summarum: Ich würde als Erzähler in den künftigen Geschichten noch etwas weiter in den Hintergrund treten! Das ist nicht nur modern, man kommt sich auch weniger bevormundet vor... (ich weiß, lag nicht in deiner Absicht. Aber darauf läuft es hinaus!)


Lieben Gruß
Philo-Ratte

 

Lieber Prodi!
Liebe Philo-Ratte!

Um die Fülle Eurer Gedanken beantworten bzw. umsetzen zu können, muß ich mir ordentlich Zeit nehmen, was ich diese Woche mal tun werde.

Bis dahin zwei ganz dicke Danke! :)

Alles liebe,
Susi

 

*Geschichte hervorkram*
Oha! Eine Geschichte wie geschrieben zu meiner momentanen Situation! Eine sehr schöne Parabel über das Leben ist dir da gelungen! :thumbsup:

Nur die letzten beiden Sätze:
"Er war der glücklichste Mensch auf Erden. Und damit war er dann auch ganz zufrieden." - "zufrieden" ist wohl nicht ganz das richtige Gefühl für "den glücklichsten Mensch auf Erden", hm?

Liebe Grüße, Niels ;)

 

Lieber Niels!

Find ich schön, daß die Geschichte für Dich grad so passend ist! Danke fürs Lesen! :)

Und da seh ich, daß ich noch zwei Kommentare gar nicht verarbeitet hab - jetzt wirds aber Zeit. Werde mich jetzt wirklich mal dahinterklemmen. ;)

Also das mit dem "auch ganz zufrieden", da hast Du irgendwie Recht, es ist zu schwach. Allerdings ist es auch nicht nur in Bezug auf das Glücklichsein an sich gedacht, sondern auch vergleichend zu dem ihm ursprünglich vorgegebenen Weg der Karriere. Vielleicht schaff ich es in einer Umformulierung, das besser rauszubringen.

Vor dem Treffen in Wien wird das zwar wahrscheinlich nix mehr, aber für danach schreib ich mir das jetzt in den Kalender. :D

Alles Liebe,
Susi :)

 

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