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Unwege

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09.08.2006
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Unwege

Die Straßen lagen leer und offen vor ihm, jederzeit frei zu betreten. Er konnte sie entlang gehen, durch diesen klebrig schimmernden Schleier aus Regen, aus Stadtregen, versetzt mit Abgasen, klebrig grau. Autos glitten durch diesen Schleier, hier dumpfes Hupen, dort grelle Lichter, blendendes gelb und auch die Farben der zahlreichen Ampeln, alles verwischt, entrückt, abseitig. Schilder ohne Sinn, farbloser Beton, der schmutzig weiße Mittelstreifen und der leichte Wind, ohne Richtung, nicht kalt, nicht warm bildeten eine stumm schreiende Komposition.
Auch die Luft war nicht warm und nicht kalt, war nichts, wenn dann aber eher kühl, zumindest unangenehm. Langsam ging es die weiten Straßen entlang, es war erschöpfend, ein wenig schmerzhaft, doch hatte es für ihn keinen Sinn stehen zu bleiben. Denn im seltsamen Chor der Großstadt, im leichten Wind, im schmutzigen Wasser, das seine Beine umspülte, hörte er Lenores Stimme. Die Stimme war nicht leise, nicht laut, sie war da, verheißungsvoll und allgegenwärtig. Er musste sie finden.
Große, dunkle, hell erleuchtete Fenster glotzten ihn mit voyeuristischem Verlangen an. Sie trieben ihn zur Verzweiflung, das alles trieb ihn zur Verzweiflung, sie trieb ihn zur Verzweiflung. Das alles höhnte, er könne sie nicht finden, doch er spürte Lenores Nähe deutlich. Ecken bogen sich endlos nach hinten, Wege nahmen unmögliche Biegungen, aber nur weiter, dort hinten schon konnte sie sein.
Hier ein Blatt, nasses Laub fegte durch die Straßen, klatschte an seinen gelben, grellen Regenmantel. Jetzt schubste ihn der Wind, es vertieften sich die Rillen im Bürgersteig, Gullys atmeten stinkende Luft aus, Schornsteine übergaben sich in die Luft, in den Himmel, der Himmel weinte auf die Erde. Schrilles Quietschen, Engelsstimmen gleich, die Bremsen eines Autos oder nur die Vögel unterm blendend grauen Himmel.
Er war verzweifelt, die Verzweiflung war alles, sie kam von den wenigen Passanten und den schmutzigen Hauswänden, er konnte sich nicht verstecken, aber er konnte weglaufen, weglaufen war sinnlos, er musste Lenore finden. Es war mühsam, er keuchte, er atmete den Schmutz der Straße, eine Plastiktüte blieb an seinen Stiefeln hängen.
Was, wenn es Lenore nicht mehr gab, wenn sie tot war? Nein, unmöglich, das schien sicher, solange er nur suchte, er müsste sie doch sehen können. Ein Bus kroch um eine Ecke, ein Lindwurm der Menschen ausspie, ein Bad in der ablehnenden Menge machte nicht unsterblich, nicht unverwundbar und Hagen von Tronje hieß Eigennutz, wenn sie einen herumschubsten. Die Vögel am Himmel, der Rabe?
Er fand sie nicht.
Er kannte sie bereits ewig, ewig wo Zeit keine Rolle spielt, ferner Ort taumelbunte Lichter. Wann hatte er sie zum ersten Mal gesehen? Schwer zu sagen und unerträglich unwichtig, es spritzte, als ein Auto durch eine Pfütze fuhr, kurz ein Regenbogen im Zwielicht, er war nass. Er sah sie vor sich, ihr Gesicht, kastanienbraune Augen, das herrliche Haar, unsinnig zu beschreiben, schwachsinnig sich in Äußerlichkeiten zu ergehen, kannte er sie doch ewig, gab es etwas auf der Welt, dass in den fantastischen Begriff der Liebe passte, so war sie dies, konnte man das fantastische Gebilde in Worte fassen, musste es Liebe heißen. Eine abgöttische Verehrung, er hatte sie nie lange gesehen und selten noch dazu in letzter Zeit, doch war er ihr vom ersten Augenblick an verfallen gewesen. Oft hatte er nur kurz ihr Lächeln gesehen, Faszination und Schrecken zugleich, der Schrecken es könne verblassen.
Oft hatte er sie in den leeren Straßen gesucht, manchmal gefunden, nie hatten sie lange gesprochen.
Er fand sie nicht.
Sturz zur Seite, in eine dunkle Gasse, er musste wieder sehen und finden lernen. Die Gasse spuckte Düsternis auf die Straße und auch ihn.
Sollte dort die Sonne sein, verdeckte sie der Vogel, doch nicht zu sagen, ob dort Sonne war, unwichtig, er musste Lenore finden. Der Klang ihres Namens, konnte jemand wie sie nicht Lenore heißen?
Schneller zogen die Fassaden vorbei, ein Regentropfen lief aus seinem Auge hinab auf den Beton, eine Träne wuchs in ihm und Verzweiflung tropfte vom Himmel.
Was war das, dort hinten? An jener geschwungen, geraden Ecke dort hinten? War sie das vielleicht gewesen? Er musste hinterher, er rannte jetzt, beinahe geradeaus, sie war es, er wusste es.
Sein Herz raste, er war voller Überschwang, es ging die Kreuzungen und farblosen Wege entlang, im Kreis, vor und zurück, hin und her. Die Lichter explodierten schwarz, er hatte gewusst, dass er noch sehen konnte.
Seine Seele wurde umhergeworfen, trommelte von innen, jetzt war er gleich da, er sah sie deutlich, ihr wunderschönes Lächeln, auf der anderen Straßenseite, jetzt schnell, doch die Zeit dehnte sich endlos, wie so oft, wenn er Lenore sah, wenn er sie sehen konnte.
Der Beton, das Auto, der Mittelstreifen, grell, das Auto, schreiendes Hupen, alles war langsam und zu hell, alles wurde grell. Etwas an seiner Seite hob ihn empor, schleuderte ihn durch den Schleier, er sah noch Lenore, er wirbelte, wie das klamme Laub, schneller, sie war unbeschreiblich schön. Es trug ihn wieder herunter, noch sah er sie. Dann begegnete er dem Grauen, Rufe, ein dumpfes Geräusch, das war er, in seinem Rücken ein Gefühl wie ein kriechendes Knirschen, in seinem Mund ein Geschmack wie der rote Tod. In seinem Blick ein Blitz, Lenore, alles wurde noch langsamer, der Rabe am Himmel. Eine Autotür, auf, zu, alles wurde immer langsamer. Rasche Schritte näherten sich ihm, war es Lenore? Sicher. Die Zeit endlos, sie beugte sich über ihn.
Endlosigkeit.
Der Rabe krächzte Nimmermehr.
Dann sah er Lenore, endloses Vorrübergehen.

 

huhu
und
salam u alai kum abdul:lol:

deine geschichte hat mir gefallen, allerdings gab es da einpaar stellen, wo ich dachte:confused:
aber deshalb ist sie ja auch unter seltsam. die geschichte liest sich wie ein wirrer traum, das von einem kleinen poeten erfasst wurde (achtung: kompliment)

Er konnte sie entlang gehen, durch diesen klebrig schimmernden Schleier aus Regen, aus Stadtregen, versetzt mit Abgasen, klebrig grau. Autos glitten durch diesen
ich wohne in der stadt der abgase und ich habe immer noch keine klebrigen straßen gesehen. ich weiß aber was du meinst. du kannst den klebrigen teil weg lassen oder lass dir ein neues adjektiv einfallen.
der leichte Wind, ohne Richtung, nicht kalt, nicht warm bildeten eine stumm schreiende Komposition.
Auch die Luft war nicht warm und nicht kalt, war nichts, wenn dann aber eher kühl, zumindest unangenehm.
ach komm, das kannst du besser.:sealed:
Denn im seltsamen Chor der Großstadt, im leichten Wind, im schmutzigen Wasser, das seine Beine umspülte,
was für ein wasser? gab es hochwasser, das von dir nicht erwähnt wurde?
oder meinst du einfach, dass seine füße in einer schmutzigen pfütze waren.
Große, dunkle, hell erleuchtete Fenster glotzten ihn mit voyeuristischem Verlangen an
ja diese perversen fenster glotzen mir auch ständig auf die brüste.
Hier ein Blatt, nasses Laub fegte durch die Straßen, klatschte an seinen gelben, grellen Regenmantel. J
nasses laub liegt meist schwer auf der straße herum.
Ein Bus kroch um eine Ecke,
seit wann kriechen busse?
Was war das, dort hinten? An jener geschwungen, geraden Ecke dort hinten?
wie sieht eine geschwungene und zugleich gerade ecke aus?
in seinem Mund ein Geschmack wie der rote Tod.
jetzt wird mir so einiges klar.;)

trotz der kritikpunkten hat mir deine kleine geschiche, wie geschrieben, gefallen. es ist eine schöne, seltsame geschichte.
allerdings, was ich nicht so dolle finde, ist, dass deine geschichte kein sinn hat, keine aussage, wo ich denke "aha, das wollte er also bewirken?"
also da fehlt mir.:shy:
ich danke für die aufmerksamkeit und...
cu joblack87:zensiert:

 

Freut mich, dass dir meine Geschichte zusagte, JoBlack87. Auch möchte ich mich für das aufmerksame Lesen bedanken.

ich wohne in der stadt der abgase und ich habe immer noch keine klebrigen straßen gesehen
Hierbei handelt es sich aber offenbar um ein Missverständis, da sich das "klebrig" auf den "Schleier", sprich den Regen beziehen sollte.
ja diese perversen fenster glotzen mir auch ständig auf die brüste.
Was du mir damit sagen wolltest ist mir zwar nicht ganz klar aber: :lol: sehr schön.:lol:
Was deine übrigen Kritikpunkte betrifft, so scheinen sie ebenfalls allesamt berechtigt, doch werde ich wohl aus zweierlei Gründen davon absehen, hier Verbesserungen vorzunehmen,
1. Sind die kleinen Logikfehler, wie herumfliegendes nasses Laub, das "Wasser, das seine Beine umspülte," und scheinbar Sinnfreies wie "in seinem Mund ein Geschmack wie der rote Tod." durchaus nicht gänzlich unbeabsichtigt, schließlich fiel ja auch dir auf, dass hier eine traumhafte Atmosphäre vorherrschen sollte.
2. Schrieb ich die Geschichte ziemlich spät in übermüdetem Zustand, recht schnell und in einem Zug, sie stellt somit gewissermaßen auch ein Experiment dar, was heißt, dass ich sie gern in ihrem ursprünglichen Zustand beließe.
Zu guter Letzt:
was ich nicht so dolle finde, ist, dass deine geschichte kein sinn hat, keine aussage
Das ist vollkommmen richtig. Es gibt hier einfach keine klassische Pointe. Aber vielleicht vermögen ja zumindest die Anspielungen auf Poes The Raven (und wenn man so will auch auf Die Maske des Roten Todes) etwas tiefgang in meine pseudo-poetischen Ergüsse zu bringen.


Gruß,
Abdul (der noch verrücktere Araber)

 

Hallo Abdul,
Der Protagonist ist unterwegs und sucht eine Leonore. Es scheint mir, als wäre er orientierungslos. Vielleicht ist er sehbehindert? Am Ende wird er von einem Fahrzeug überfahren. Er verliert die Besinnung oder stirbt sogar.
Leonore hat auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen, wenn der Prot wegen ihr so kopflos durch die Straßen läuft. Oder ist Leonore vielleicht ein personifiziertes Rauschmittel?

Ich mag im übrigen solche stilistischen Bewusstseinsströme, die in der dritten Person geschrieben sind.
Stoff für Rätselfreunde. Und man kann es sich so schön einfach machen:D

Was deine übrigen Kritikpunkte betrifft, so scheinen sie ebenfalls allesamt berechtigt, doch werde ich wohl aus zweierlei Gründen davon absehen, hier Verbesserungen vorzunehmen,
1. Sind die kleinen Logikfehler, wie herumfliegendes nasses Laub, das "Wasser, das seine Beine umspülte," und scheinbar Sinnfreies wie "in seinem Mund ein Geschmack wie der rote Tod." durchaus nicht gänzlich unbeabsichtigt, schließlich fiel ja auch dir auf, dass hier eine traumhafte Atmosphäre vorherrschen sollte.
2. Schrieb ich die Geschichte ziemlich spät in übermüdetem Zustand, recht schnell und in einem Zug, sie stellt somit gewissermaßen auch ein Experiment dar, was heißt, dass ich sie gern in ihrem ursprünglichen Zustand beließe.
:Pfeif:

LG
Goldene Dame

 

Hi Abdul

Mittelstreifen und der leichte Wind, ohne Richtung, nicht kalt, nicht warm, bildeten eine stumm schreiende Komposition.

Er kannte sie bereits ewig, ewig wo Zeit keine Rolle spielt, ferner Ort taumelbunte Lichter.
der Satz ist schön aber passt nicht so ganz rein, da der Rest nicht so geschrieben ist.

Der Klang ihres Namens, konnte jemand wie sie nicht Lenore heißem?
heißen

Schade, dass die Geschichte keinen richtigen Sinn hat, wie du ja selber sagst.
Geschrieben ist sie gut. Aber ohne Sinn dann doch irgendwie nutzlos, findest du nicht auch.
Die Anspielungen auf die besagten Romane verstehe ich nicht. Und es ist kein Experiment, eine Geschichte in eins durch zu schreiben.
Es ist schade um die Sprache, die hier sinnlos ins Nichts gepfeffert wird. Und das du dafür nur eine halbe Stunde gebraucht hast, kaufe ich dir nicht ab.

besten Gruß

 

Hallo Goldene Dame,

Oder ist Leonore vielleicht ein personifiziertes Rauschmittel?
Das da wirklich jemand drauf gekommen ist! :eek: Das war tatsächlich meine Idee beim Schreiben, obwohl ich dachte, das der Leser das hinterher gar nicht mehr erkennen könnte. Glückwunsch.

Hallo Aris Rosentrehter,
Schön, dass dir die verwendete Sprache zusagt.

Die Anspielungen auf die besagten Romane verstehe ich nicht.
Es sind keine Romane, sondern ein Gedicht und eine Kurzgeschichte.
Es ist schade um die Sprache, die hier sinnlos ins Nichts gepfeffert wird.
Ob die Sprache hier wirklich derartig verschwendet wird? Nur weil eine Geschichte keine klassische Pointe hat, muss sie nicht sinnlos sein. Und was genau macht denn überhaupt einen Sinn? :Pfeif:
Und das du dafür nur eine halbe Stunde gebraucht hast, kaufe ich dir nicht ab.
Brauchst du auch nicht, die Tatsache indes bleibt bestehen.


Gruß,
Abdul

 

Hallo Abdul,

kennst Du eigentlich die Handlung der Beethovenschen Leonoren/Fidelio Oper? Bzw Verdis Trobadour, bzw. die Macht des Schicksals in welchem auch eine Leonore mitspielt? Ist nur so eine Frage, die mir beim Lesen kam. Ansonsten ist der Stil der Geschichte eine Fundgrube einiger sprachlicher Schönheiten, aber auch keine ganz leichte Kost. Entweder man hasst oder liebt so einen Stil, werde mich heute Abend beim Einschlafen zu diesem Thema weiter Gedanken machen.

LG,

N

 

Hallo Nicole Berg,
Leider muss ich gestehen, dass mir die von dir genannten Opern nicht bekannt sind. Das mit den gleichen Namen ist also ein Zufall, ich ließ mich dabei, wie schon angedeutet durch Poes "The Raven" inspirieren.

Ansonsten ist der Stil der Geschichte eine Fundgrube einiger sprachlicher Schönheiten
Freut mich, das zu lesen.
Entweder man hasst oder liebt so einen Stil
Wohl wahr.


Gruß,
Abdul

 

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