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Völlig logisch

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06.06.2005
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Völlig logisch

20.Mai 2005, 15:30 Uhr, Conroe

Kein Handgemenge, kein Kampf, Sally war zu überrascht, um Widerstand zu leisten. Als sie ihre Handtasche in der Hand des Fremden sah, schoss ihr das Blut in den Kopf. Sie blickte sich hektisch um, öffnete den Mund, suchte nach Worten, fand aber keine. Statt dessen schrie sie hysterisch und zeigte auf den flüchtenden Dieb.
Sergeant Chambers, der nette Streifenpolizist von nebenan, war hocherfreut. Er lächelte mit weit aufgerissenen Augen und verfolgte den Dieb zu Fuß. Indianische Vorfahren hatte er nicht, dennoch vermochte er es dem Täter unentdeckt auf den Fersen zu bleiben.
Der Flüchtige schlug einige Haken um verschiedene Hausecken und glaubte sich schließlich im Hinterhof einer Autowerkstatt sicher. Dort wühlte er in der erbeuteten Handtasche, nahm das Bargeld sowie die Kreditkarten an sich und warf die ausgeweidete Beute auf einen Haufen Schrott.
Sergeant Chambers hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Er rieb sich die Hände, kicherte leise und nahm die Verfolgung wieder auf.

Im Gedränge an der Kasse eines Lebensmittelgeschäfts in der Downtown sah Chambers seine Gelegenheit. Der Dieb wollte gerade eine Flasche Whisky bezahlen, die von der fetten Verkäuferin liebevoll in eine braunen Papiertüte verpackt wurde, als der Sergeant eingriff. Im Vorübergehen rempelte er den Dieb an und riß dem verdutzten Kerl Geld und Flasche aus den Händen. Dann streckte ihm Chambers die Zunge heraus. „Ich darf, aber du nicht!“, sagte er breit grinsend und machte sich eilends davon.

20.Mai 2005, 16:15 Uhr, Crockett

Das Schwein zahlte nicht. Seit Wochen hatte er Miller eine Mahnung nach der anderen geschickt, doch der reagierte nicht. Das Geld konnte er vergessen, dessen war sich Charlie sicher. Daß er von diesem Schwein über den Löffel barbiert wurde, wog dabei am schwersten.
Er warf einen langen Blick auf die Flasche Gin. Sie war fast leer und es begann sich alles zu drehen um Charlie. Das war immer so. Seufzend nahm er den letzten Schluck. In diesem Moment traf er die Entscheidung. In der Garage füllte er die Flasche schwankend mit Benzin aus dem Kanister und stopfte einen Schmierlappen in die Öffnung. Kurz darauf setzte er sich ans Steuer seines Dodge und fuhr in sanften Schlangenlinien zu Miller. „So nicht, du Mistkerl...“, murmelte er auf der Fahrt vor sich hin.

Miller saß gerade mit seiner Frau Angie im Schatten der Veranda. Sie aßen Chop Suey mit Stäbchen aus weißen Schachteln, als Charlie vor dem Haus anhielt. Miller und Angie sahen ihn erstaunt an. Charlie war ausgestiegen, zündete schwankend den Lappen an, wozu er mehrere Versuche benötigte, und warf die brennende Flasche unter den Augen der beiden in den Hausflur. Sofort stand alles lichterloh in Flammen.

Die Feuerwehr kam schnell, aber zu spät. Millers Haus war nur noch ein weiß qualmender Haufen aus verkohlten Holzbalken und Brettern. Nach einem kurzen Disput über die Zusammenhänge war alles klar. Im Auftrag des Staates und der Eheleute Miller, die nur ihren Arsch retten konnten, machte sich eine Abordnung der Feuerwehr, begleitet von der Polizei, auf den Weg zu Charlie.

Schnurstracks hatten sie ihm Handschellen angelegt. Man sagte, es sei nur für ein paar Minuten, denn er solle nicht bei der Arbeit stören. Einige Feuerwehrleute sicherten die Nachbarhäuser, andere verspritzten Benzin aus Kanistern um Charlies Haus. Dann ging es in Flammen auf und brannte lustig nieder. Manche meinten, man hätte sich etwas für ein Barbecue mitbringen sollen.

Bishop, der Chef der Feuerwehr, wäre zu gerne am 11.September dabei gewesen. Hier in Crockett war zu wenig los, um in die Geschichte einzugehen. Daher kam ihm die Sache wie gerufen. Während er Charlie über das von ihm angezettelte Unrecht belehrte, machte er ein ernstes Gesicht. „Wir dürfen, aber du nicht!“, sagte er grimmig.

20.Mai 2005, 17:40 Uhr, Livingston

Lucy hielt still. Sie sah nur das Messer, das der Kerl, der zwischen ihren Beinen lag, neben sich in den Boden gerammt hatte. Es hätte ebenso ihr Bauch sein können und das fürchtete sie noch mehr, als den widerlichen Mann, der sich an ihr verging. Er stank nach Bier und Schweiß, verdrehte die Augen, sabberte und versuchte ihren Hals zu küssen. Dann, eine Ewigkeit später, verkrampfte er sich kurz, um einen Moment später auf ihr zusammen zu sinken. Lucy glaubte unter der Last seines Körpers ersticken zu müssen.

Wenn sie dem Polizisten nicht begegnet wäre, als sie sich in zerrissener Kleidung davon schleppte, sie hätte keinem Menschen davon erzählt. Doch so konnte sie nicht anders. Lucy berichtete stockend, zum weinen noch nicht fähig. Besonders das Messer war ihr in Erinnerung.

Henderson wußte, der Drecksack konnte noch nicht weit sein. Und tatsächlich, hinter der Schule, in der 'Drug & Gun Free Zone' fand er ihn. Lucys Beschreibung paßte. Das Messer stellte er sicher, nachdem er ihn mit den Händen an einem Geländer festgemacht hatte.
Henderson öffnete seine Hose, stellte sich hinter den Gefangenen und zog ihm die Jeans herunter. Bedächtig drang er in den quickenden Kerl vor sich ein und der war eng. In einem Ton, als bete er, sagte Henderson schnaufend immer wieder dieselben Worte: „Ich darf, aber du nicht.“

20.Mai 2005, 18:08 Uhr, Huntsville, The Walls Unit

Das 'Tie Down Team' hatte Cartwright bereits an den Schragen gefesselt. Die Infusionsnadeln waren gelegt, der Baptisten Pfarrer stand mit gesenktem Kopf am Fußende der Liege und der Direktor fragte Cartwright, ob er noch etwas zu sagen habe.
Richard sprach leise in das Mikrophon über seinem Mund: „Ich möchte mich bei der Familie meines Opfers für das Leid, das ich ihnen zugefügt habe, entschuldigen. Und an alle im Todestrakt der Polunsky Unit, haltet euch aufrecht und bleibt stark!“
Dann eilte, anstelle der Kochsalzlösung, das erste Gift durch die Schläuche. Richard hüstelte. Ein zweites und ein drittes Gift folgte. Sein Brustkorb blähte sich ein letztes Mal auf und fiel dann in sich zusammen. Es war der Moment, in dem die Zeit still zu stehen scheint. Um 18:16 Uhr erklärte man ihn für tot.

Der Staat Texas blickte den toten Richard Cartwright von allen Seiten an und sagte: „Ich darf, aber du nicht.“

 

Hallo, vito,

auch wenn das hier dein erster Beitrag auf kurzgeschichten.de ist, schreibst du, denke ich mal, schon länger, oder? Die Geschichte ist sprachlich sehr gut und liest sich flüssig. Der Inhalt ist ziemlich abstoßend, aber das war wohl von dir geplant. Vier fast gleichzeitig stattfindende Beispiele staatlicher Willkür, die immer brutaler und immer unglaubwürdiger werden, bis zum letzten - der der unglaubwürdigste sein sollte, aber von dem wir ja wissen, das er wahr ist. Gut! :thumbsup:

Nun frage ich mich mal, ob diese Geschichte auch in Europa hätte platziert werden können - klar, formal findet hier keine Todesstrafe statt (ich will auch keine Politdiskussion vom Zaun brechen), aber diese Distanz, dieses "Die Bösen Amis" - das ist das Einzige, was mich beim Lesen irgendwo gestört hat.

Gruß, Alli

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Aleysha!

Ja, ich schreibe schon länger – Zeug, das keiner lesen will... : ) Du hast meine Geschichte treffend analysiert und darüber habe ich mich einerseits gefreut, andererseits gewundert.
Der Zusammenhang ist simpel: Bestehlen wir Diebe? Zünden wir Brandstiftern das Dach über dem Kopf an? Vergewaltigen wir Triebtäter? Ist die Imitation des Verbrechens logisch? Wenn Nein, warum töten wir Mörder? Diese einfache, reduzierte Darstellung ist vielen Menschen offenbar zu abstrakt. Meine Verwunderung kommt daher, weil die Verpackung als Geschichte, in der grotesker Unsinn als alltägliche Norm illustriert wird, tatsächlich besser wirkt. Oder du bist klüger als der Durchschnitt... ; ) )

Deinen Hinweis auf Anitamerikanismus verstehe ich. Du kannst nicht wissen, daß ich seit Jahren gegen die Todesstrafe aktiv bin und deshalb meinen Blick ganz besonders auf die USA gerichtet habe. Ich schreibe zu diesem Thema einen Roman – den wahrscheinlich niemand lesen will.

Generell ist die Todesstrafe überall gleich schlimm. Es lag mir so fern wie Sedna, die USA als solche anzugreifen. Indes darf man die Rolle der USA nicht verdrängen, denn sie liefern eine Rechtfertigungsgrundlage für den Rest der Welt. Daß Europa die Todesstrafe nicht aus einem überraschenden Humanismus abgeschafft hat, ist ebenso klar. Man denke nur an den Integrationsdruck, den die Osterweiterung der EU auslöst. Aber das führt zu weit.

Ciao
Vito

Edit: Richard Cartwright starb übrigens wirklich am 20.5.2005 um 18:16 Uhr in Walls Unit.

 

Hallo, Vito,

also ich denke, diese Geschichte werden schon viele lesen wollen.

Du hast meine Geschichte treffend analysiert und darüber habe ich mich einerseits gefreut, andererseits gewundert.
Interessiert es dich nicht zu hören, was von deiner Geschichte beim Leser ankommt?

Gruß, Aleysha

 

@ Aleysha

Natürlich interessiert mich das!

St.by... : )

 

hallo vito,

ist es denn nicht deine intention, etwas zu schreiben, was der leser lesen möchte? ansonsten ist es doch ein widerspruch.
übrigens, ich bin einer der bornierten leser, die deine geschichte nicht gern gelesen haben. der stil sagt mir nicht zu - zusammengeschusterte sätze, die an harmonie keinen penny geben. nüchterner und aussageloser erzählstil mit einem schwer vorstellbaren inhalt. ich sehe aber, dass es meine persönliche vorliebe ist, die nach harmonie sucht. du hast ja gerade damit provoziert. verbrechen sind die selben - zu bestrafen sind nur die personen, die dieses verbrechen nicht ausüben durften. grotesk, aber genau das zeigst du auf. eigentum stehlen ist verboten, aber es gibt möglichkeiten für personen, es legal zu stehlen. bei der feuerteufelsache, hatte ich den leisen verdacht, dass du auf die theorie anspielst, dass bush das world trade center selbst explodieren liess. aber das habe ich mir besser wieder aus den kopf geholt.
die vergewaltigung - wer darf vergewaltigen ohne bestraft zu werden? das gericht vielleicht? und zum schluss das klassische beispiel, die todesstrafe.
ja, störend ist es, dass der amerikaner wieder herhalten muss, obwohl es nicht den falschen trifft. bei der todesstrafe hätte ich aber eher china als ort gewählt. vielleicht den raub - schweiz, den brand - usa, die vergewaltigung - deutschland und die todesstrafe - china. dafür entsprechende namen nehmen, und schon wird das all umfassend.
wie du siehst, fasziniert der inhalt! ich hätte mir aber gerne einen wesentlich schöneren erzählstil gewünscht. ich weiss auch nicht, was gegen einen ordentlichen erzählstil spricht?!

2 sachen noch im einzelnen

Im Auftrag des Staates und der Eheleute Miller, die nur ihren Arsch retten konnten,

"Arsch" ist unpassend zu den erzählstil, den du bislang verwendet hast.

Lucy berichtete stockend, zum weinen noch nicht fähig.
"weinen" gross


fazit: eine geschichte mit interessanter überlegung, aber leider nicht so toll zu lesen. eine geschichte für liebhaber.

bis dann

barde

 

Hallo Barde!

ist es denn nicht deine intention, etwas zu schreiben, was der leser lesen möchte?
Das kommt auf die Perspektive an. Will der Schriftsteller einen Markt bedienen wie Dieter Bohlen in der Musik? Dann müßten wir wohl alle Arztromane schreiben.

Die Kunst liegt darin, dem Leser eine Geschichte vorzulegen, deren Aussage ihn mit seinem eigenen Handeln oder Denken konfrontiert. In diesem Fall ist sie an den Befürworter der Todesstrafe gerichtet.

Ich erzählte diese Geschichte einer Bekannten aus Kalifornien, die eine glühende Verfechterin staatlicher Barbarei ist. Häppchenweise verabreichte ich ihr den vergewaltigenden Polizisten, den brandstiftenden Feuerwehrmann usw. . Erst als ich ihr eine Hinrichtung als ebenso absurde Imitation des Verbrechens vorhielt, begann sie zu verstehen.

Raucher wollen keine Bilder von Lungenkrebs sehen und der Befürworter der Todesstrafe will (im allgemeinen) keine Gegenargumente hören. Also liest er – ohne es zu wissen – eine Geschichte , die er eigentlich nicht lesen will. Deshalb will ich etwas schreiben, was der Leser nicht lesen möchte. Ist doch logisch – oder? : )

der stil sagt mir nicht zu - zusammengeschusterte sätze, die an harmonie keinen penny geben.
„Der für sich alleine ausreichende Rat für einen guten Stil? Ei – das man etwas zu sagen habe! Schreibe wie du sprichst.“
Arthur Schopenhauer

Ich hasse Harmonie. Harmonisch, ausgeglichen und eins mit der Welt ist der Tod. Ich lege keinen Wert auf die 'verbale Komposition'. Dabei kommen – meinem Geschmack und meiner Erfahrung nach – diese wunderbaren Geschichten heraus, die mir nichts sagen, im Ausdruck, in der Verpackung aber hervorragend wirken.

nüchterner und aussageloser erzählstil mit einem schwer vorstellbaren inhalt.
Der Stil sollte nüchtern sein, das war Absicht. Ferner soll der Stil keine Aussage machen, sondern der Inhalt. Inwiefern der Inhalt wiederum vorstellbar ist, geht aus der Geschichte hervor. Daß sich der Leser einen Polizisten nicht vorstellen kann, der einen festgenommenen Triebtäter vergewaltigt, ist Teil der Parabel und der Schluß ist deren Gegenpol.
ja, störend ist es, dass der amerikaner wieder herhalten muss, [...]
Nebenbei: Meine Frau ist US-Amerikanerin... : )
[...] und schon wird das all umfassend.
Es geht mir nicht um die gerechte Verteilung möglicher und unmöglicher Interpretationen, die du – mit Verlaub – etwas übertreibst. ; ) Meine Arbeit (etwa für ai oder TCADP) bezieht sich nun einmal zuvorderst auf die USA und dort insbesondere auf Texas. Das ist mein Themenschwerpunkt.
An dieser Stelle deiner Kritik übrigens wird die von dir selbst angesprochene Suche nach Harmonie immanent, denn ich sehe nicht, daß durch die von dir vorgeschlagenen Änderungen irgend etwas an der Sache (!) verändert wird. Außer einer Weltreise für den Leser kommt dabei nicht viel heraus.
ich weiss auch nicht, was gegen einen ordentlichen erzählstil spricht?!
Die Ordnung.
"Arsch" ist unpassend zu den erzählstil, den du bislang verwendet hast.
[Ironie an]Wie oft hätte ich das Wort verwenden müssen, damit sich der Leser daran gewöhnt und es als stiltypisch einordnet?[Ironie aus] ; )
eine geschichte für liebhaber.
Meine Frau und ich pflegen keine außerehelichen Beziehungen. ; ) )

Ciao
Vito

 

Hallo,

um auch noch meinen Senf zu der Stildiskussion dazuzugeben (ich habe schließlich lange auf eine gewartet):

der stil sagt mir nicht zu - zusammengeschusterte sätze, die an harmonie keinen penny geben.

„Der für sich alleine ausreichende Rat für einen guten Stil? Ei – das man etwas zu sagen habe! Schreibe wie du sprichst.“
Arthur Schopenhauer
Da habe ich auch noch welche:
"Mehr Inhalt, wen'ger Kunst!" (More matter, less art) - Shakespeare
"Demgemäß ist Simplicität stets ein Merkmal nicht allein der Wahrheit, sondern auch des Genies gewesen." Schopenhauer, er bezieht sich hier auf die Verfasser von - wir würden heute sagen - geisteswissenschaftlicher Fachliteratur.

Mein Reich-Ranitzky-Lieblingszitat verkneif' ich mir für heute... :sealed:

Ich bin jemand, der etwa vierzig Mal fast zwanghaft seine Texte korrigiert, aber ich finde, ein Text darf niemals "gestylt" wirken. Vitos Text "eckt", er bewegt sich vorwärts, als versuche man Quader zu rollen, und ich finde das passt zum Thema. Man merkt es, wenn man ihn laut vorliest.

Für meine eigenen Texte wünsche ich mir immer, dass sie rollen wie Räder oder Kugeln, aber tatsächlich kullern sie oft planlos herum wie rohe Eier.

Gruß, Alli

 

@ Aleysha

Ich bin jemand, der etwa vierzig Mal fast zwanghaft seine Texte korrigiert, aber ich finde, ein Text darf niemals "gestylt" wirken.
Das unterschreibe ich.

Man merkt es, wenn man ihn laut vorliest.
Sehr wichtig! Man muß Texte immer laut lesen, um ihre Natürlichkeit zu überprüfen. Was unwichtig, verbogen, schwülstig oder überladen klingt – raus! Weniger ist mehr. Es sei denn, man will eine dementsprechende Person in wörtlicher Rede darstellen. Dann macht es auch Freude einen Sozialpädagogen von 1985 schwafeln zu lassen. : )

Für meine eigenen Texte wünsche ich mir immer, dass sie rollen wie Räder oder Kugeln, aber tatsächlich kullern sie oft planlos herum wie rohe Eier.
Gut beschrieben. Stell dir vielleicht Snooker vor. Ein leises Klack und die Kugeln laufen ruhig. Du mußt sie nur einlochen, sprich: den Punkt treffen.

Mal eine ganz andere Sache. Wenn ihr schreibt, hört ihr dabei Musik? Wenn Ja, wirkt sich das auf eure Texte aus?

Ciao
Vito

 

Hi Vito,

erstmal finde ich die Geschichte sehr gelungen. In den ersten drei Absätzen dachte ich mir noch, wie furchtbar unrealistisch das alles ist, speziell beim dritten Absatz musste ich (unwillkürlich) an Pulp Fiction und Zed denken (who is zed? zed's dead baby, zed's dead.) Mit dem letzten Teil jedoch löst sich alles auf, und die von dir beabsichtigte Wirkung kommt klar rüber - und das macht deine Geschichte so lesenswert.

Da ja schon alle ihren "Senf" zum Thema Stil abgeben, will ich auch noch kurz was dazu sagen:

Ferner soll der Stil keine Aussage machen, sondern der Inhalt.
Das sehe ich ein wenig anders. Natürlich ist der Inhalt eines Textes das Wichtigste, aber durch den Stil wird der Inhalt durch überhaupt erst transportiert. Speziell bei deiner Geschichte fand ich den Stil passend, ich habe ihn nicht als nervig oder dergleichen empfunden.

Aber ich habe manche Geschichten hier gelesen, die in einem derart miserablen Stil geschrieben worden sind, dass der Inhalt - so wichtig er auch sein mochte - überhaupt nicht mehr mitgetragen wurde.

Ich halte es beim Stil nicht mit irgendwelchen Zitaten von Schopenhauer, Shakespeare oder Reich-Ranicki, ich mache mir da lieber meine eigenen Gedanken - die verstehe ich wenigstens :) Stil ist für mich einfach die Möglichkeit, auszuwählen, welche Worte ich an welcher Stelle einsetzen will. Und genau mit diesem Mittel kann ich dann meinen Inhalt transportieren - und im Grunde genommen hat Vito genau das getan.

Noch zu Deiner letzten Frage: Ja, ich höre immer Musik beim Schreiben, allerdings vorher genau ausgewählt, je nachdem in welche Richtung der Text gehen soll (melancholisch, humoristisch, gewalttätig, ...). Zudem muss es bei mir stets instrumentale Musik sein, Gesang lenkt zu sehr ab.

 

"Aber ich habe manche Geschichten hier gelesen, die in einem derart miserablen Stil geschrieben worden sind, dass der Inhalt - so wichtig er auch sein mochte - überhaupt nicht mehr mitgetragen wurde."

aber auch umgekehrt, du kannst inhaltsarmen text mit einem guten stil zu einer gut lesbaren geschichte machen.

für deine ironie in deiner gegenkritik, vito, habe ich nur wenig verständnis. welchen stil und welchen inhalt ein schreiber verwendet, hängt von seiner ureigenen intention ab. und ich denke, so wie ich es in der kritik auch formuliert habe, dass du deine ureigene intention auch erreicht hast. die 4 episoden sind interessant und stimmen nachdenklich. trotzdem bin ich der meinung, dass diese intention auch mit einem harmonischen stil erreicht werden hätte können, um die grundsätzliche intention für geschichten auch zu erreichen, nämlich die unterhaltung des lesers.

übrigens glaube ich keinem menschen, der gegen ordnung ist. niemand kann nur im chaos oder nur in ordnung leben, beides lebt zusammen in harmonie. deshalb bin ich davon überzeugt, dass du genauso wenig gerne eine geschichte (von anderen autoren) liest, wenn sie ohne harmonie auskommen muss.

"Nebenbei: Meine Frau ist US-Amerikanerin... : )"

aber keine henkerin, oder?

das andere, was ich gerne einmal kurz ansprechen möchte, gefühlsmässig bin ich kein freund von zitaten. was andere mal gesprochen haben, ist kein geeignetes alibi für das, was man selbst gemacht hat. es sei denn, man möchte gerne von sich zeigen, dass man sehr belesen ist *smile*.

zur musik, interessant - ich habe mir gar keine gedanken darüber gemacht. als ich die frage gelesen hatte, hatte ich spontat gesagt "nein". aber das stimmt gar nicht, ich höre tatsächlich musik beim schreiben, nur dass ich es eher unbewusst anmache. ich mag gerne dire straits - und ich glaube, das hilft mir tatsächlich, mich in die entsprechende (harmonische *smile*) stimmung einzufühlen.

bis dann

barde

 

Hallo Malachy!

Es freut mich, daß dir die Geschichte gefallen hat. Darf ich davon ausgehen, daß das Ende überraschend gewesen ist? Das ist mir wichtig, denn man selbst weiß nicht, wie eine Geschichte beim Leser wirkt; ob die Anordnung der Schachfiguren den Zweck erfüllte. Wer sich z.B. in Texas auskennt, der wird bemerkt haben, daß ich wie die Katze um den heißen Brei um Huntsville herum geschlichen bin.

Natürlich ist der Inhalt eines Textes das Wichtigste, aber durch den Stil wird der Inhalt durch überhaupt erst transportiert.
Ich glaube, wir reden von verschiedenen Dingen. Ich schrieb, der Stil soll keine Aussage machen. Ich gehe sogar weiter und sage, er kann es gar nicht, denn die Aussage, die Quintessenz, muß doch unabhängig vom Stil dieselbe bleiben.

Beispiel aus meiner Geschichte:

Dann, eine Ewigkeit später, verkrampfte er sich kurz, um einen Moment später auf ihr zusammen zu sinken.

Ich hätte auch schreiben können:

Dann hatte er einen Orgasmus und sank erschöpft zusammen.

Das ist eine Stilfrage. Die erste Variante ist animalischer, nicht pragmatisch und paßt eher zum Kontext der Vergewaltigung. Die Aussage jedoch bleibt dieselbe. Stil soll – meiner Meinung nach – eine Aussage über die des Satzes hinaus machen. Dementsprechend ist der Stil ganz richtig ein Transportmittel der Aussage, mit ihr aber nicht identisch.

Ich halte es beim Stil nicht mit irgendwelchen Zitaten von Schopenhauer [...]
Ich stimme dir zu. Schopenhauers Zitat paßte nur in den Zusammenhang.

Was die Musik angeht, so ist es bei mir exakt genauso: zumeist instrumental und zur Stimmung des Textes passend. Die eigene

@ Barde

aber auch umgekehrt, du kannst inhaltsarmen text mit einem guten stil zu einer gut lesbaren geschichte machen.
Das schön ausgedrückte Nichts kennen wir von Westerwelle. : ) Und das sind auch die Texte, die 'Reden', die man weder gelesen noch gehört haben muß. Mogelpackungen eben, in denen leeres Stroh gedroschen wird.

[...] um die grundsätzliche intention für geschichten auch zu erreichen, nämlich die unterhaltung des lesers.
Es mag sein, daß die Unterhaltung ein Lockmittel ist. Wenn die Absicht der Literatur aber in der Hauptsache, ja sogar grundsätzlich Unterhaltung sein soll, dann hätte Steinbeck nie 'Früchte des Zorns' schreiben sollen. Dieser Roman z.B. geht weit über diese 'Intention' hinaus.

übrigens glaube ich keinem menschen, der gegen ordnung ist.
Sorry, das verstehe ich nicht ganz. Du glaubst keinem (was auch immer), weil er gegen Ordnung ist oder glaubst du keinem Menschen, daß er gegen Ordnung ist?

Schreiben wie man spricht. Ich hätte an jener Stelle gesagt (!), daß sie nur ihren 'Arsch' retten konnten. Jeder weiß, was gemeint ist und darauf kommt es an. Wollte man einen tragikomischen Effekt erzielen, dann hätte man Millers Frau Angie noch die Stehlampe aus dem Wohnzimmer in die Hand drücken können.
Ich zitiere nicht, sondern bringe die Meinung eines bekannten Drehbuchautors ins Spiel. Christopher Keane meint: „Man drücke sich verständlich und einfach aus“. Ordnung und Harmonie sind irrelevant, wenn man nicht schreibt um zu schreiben. Stephen King etwa läßt in 'Shinning' Jack Torrance Samen am Oberschenkel seiner Frau hinablaufen und beschreibt die Farbe von Autos als 'scheißebraun'. Ich nehme mir heraus mein Saatgut – die Worte – so zu wählen, daß sie einfach sind, aber treffen. In meinem Roman zur Todesstrafe lasse ich bestimmte Gefängniswärter sprechen, wie sie es in Wirklichkeit tun und das bedeutet ordinär, abstoßend und brutal. Eine gewissermaßen 'durchlaufende' Harmonie und Ordnung wäre hier nicht nur falsch, sondern würde einen völlig irreführenden Eindruck vermitteln.

Der Hinweis auf meine Frau war übrigens ein Wink mit dem Zaunpfahl gegen den latenten Vorwurf des Antiamerikanismus. ; ) )

Ciao
Vito

 

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