Völlig logisch
20.Mai 2005, 15:30 Uhr, Conroe
Kein Handgemenge, kein Kampf, Sally war zu überrascht, um Widerstand zu leisten. Als sie ihre Handtasche in der Hand des Fremden sah, schoss ihr das Blut in den Kopf. Sie blickte sich hektisch um, öffnete den Mund, suchte nach Worten, fand aber keine. Statt dessen schrie sie hysterisch und zeigte auf den flüchtenden Dieb.
Sergeant Chambers, der nette Streifenpolizist von nebenan, war hocherfreut. Er lächelte mit weit aufgerissenen Augen und verfolgte den Dieb zu Fuß. Indianische Vorfahren hatte er nicht, dennoch vermochte er es dem Täter unentdeckt auf den Fersen zu bleiben.
Der Flüchtige schlug einige Haken um verschiedene Hausecken und glaubte sich schließlich im Hinterhof einer Autowerkstatt sicher. Dort wühlte er in der erbeuteten Handtasche, nahm das Bargeld sowie die Kreditkarten an sich und warf die ausgeweidete Beute auf einen Haufen Schrott.
Sergeant Chambers hatte ihn nicht aus den Augen gelassen. Er rieb sich die Hände, kicherte leise und nahm die Verfolgung wieder auf.
Im Gedränge an der Kasse eines Lebensmittelgeschäfts in der Downtown sah Chambers seine Gelegenheit. Der Dieb wollte gerade eine Flasche Whisky bezahlen, die von der fetten Verkäuferin liebevoll in eine braunen Papiertüte verpackt wurde, als der Sergeant eingriff. Im Vorübergehen rempelte er den Dieb an und riß dem verdutzten Kerl Geld und Flasche aus den Händen. Dann streckte ihm Chambers die Zunge heraus. „Ich darf, aber du nicht!“, sagte er breit grinsend und machte sich eilends davon.
20.Mai 2005, 16:15 Uhr, Crockett
Das Schwein zahlte nicht. Seit Wochen hatte er Miller eine Mahnung nach der anderen geschickt, doch der reagierte nicht. Das Geld konnte er vergessen, dessen war sich Charlie sicher. Daß er von diesem Schwein über den Löffel barbiert wurde, wog dabei am schwersten.
Er warf einen langen Blick auf die Flasche Gin. Sie war fast leer und es begann sich alles zu drehen um Charlie. Das war immer so. Seufzend nahm er den letzten Schluck. In diesem Moment traf er die Entscheidung. In der Garage füllte er die Flasche schwankend mit Benzin aus dem Kanister und stopfte einen Schmierlappen in die Öffnung. Kurz darauf setzte er sich ans Steuer seines Dodge und fuhr in sanften Schlangenlinien zu Miller. „So nicht, du Mistkerl...“, murmelte er auf der Fahrt vor sich hin.
Miller saß gerade mit seiner Frau Angie im Schatten der Veranda. Sie aßen Chop Suey mit Stäbchen aus weißen Schachteln, als Charlie vor dem Haus anhielt. Miller und Angie sahen ihn erstaunt an. Charlie war ausgestiegen, zündete schwankend den Lappen an, wozu er mehrere Versuche benötigte, und warf die brennende Flasche unter den Augen der beiden in den Hausflur. Sofort stand alles lichterloh in Flammen.
Die Feuerwehr kam schnell, aber zu spät. Millers Haus war nur noch ein weiß qualmender Haufen aus verkohlten Holzbalken und Brettern. Nach einem kurzen Disput über die Zusammenhänge war alles klar. Im Auftrag des Staates und der Eheleute Miller, die nur ihren Arsch retten konnten, machte sich eine Abordnung der Feuerwehr, begleitet von der Polizei, auf den Weg zu Charlie.
Schnurstracks hatten sie ihm Handschellen angelegt. Man sagte, es sei nur für ein paar Minuten, denn er solle nicht bei der Arbeit stören. Einige Feuerwehrleute sicherten die Nachbarhäuser, andere verspritzten Benzin aus Kanistern um Charlies Haus. Dann ging es in Flammen auf und brannte lustig nieder. Manche meinten, man hätte sich etwas für ein Barbecue mitbringen sollen.
Bishop, der Chef der Feuerwehr, wäre zu gerne am 11.September dabei gewesen. Hier in Crockett war zu wenig los, um in die Geschichte einzugehen. Daher kam ihm die Sache wie gerufen. Während er Charlie über das von ihm angezettelte Unrecht belehrte, machte er ein ernstes Gesicht. „Wir dürfen, aber du nicht!“, sagte er grimmig.
20.Mai 2005, 17:40 Uhr, Livingston
Lucy hielt still. Sie sah nur das Messer, das der Kerl, der zwischen ihren Beinen lag, neben sich in den Boden gerammt hatte. Es hätte ebenso ihr Bauch sein können und das fürchtete sie noch mehr, als den widerlichen Mann, der sich an ihr verging. Er stank nach Bier und Schweiß, verdrehte die Augen, sabberte und versuchte ihren Hals zu küssen. Dann, eine Ewigkeit später, verkrampfte er sich kurz, um einen Moment später auf ihr zusammen zu sinken. Lucy glaubte unter der Last seines Körpers ersticken zu müssen.
Wenn sie dem Polizisten nicht begegnet wäre, als sie sich in zerrissener Kleidung davon schleppte, sie hätte keinem Menschen davon erzählt. Doch so konnte sie nicht anders. Lucy berichtete stockend, zum weinen noch nicht fähig. Besonders das Messer war ihr in Erinnerung.
Henderson wußte, der Drecksack konnte noch nicht weit sein. Und tatsächlich, hinter der Schule, in der 'Drug & Gun Free Zone' fand er ihn. Lucys Beschreibung paßte. Das Messer stellte er sicher, nachdem er ihn mit den Händen an einem Geländer festgemacht hatte.
Henderson öffnete seine Hose, stellte sich hinter den Gefangenen und zog ihm die Jeans herunter. Bedächtig drang er in den quickenden Kerl vor sich ein und der war eng. In einem Ton, als bete er, sagte Henderson schnaufend immer wieder dieselben Worte: „Ich darf, aber du nicht.“
20.Mai 2005, 18:08 Uhr, Huntsville, The Walls Unit
Das 'Tie Down Team' hatte Cartwright bereits an den Schragen gefesselt. Die Infusionsnadeln waren gelegt, der Baptisten Pfarrer stand mit gesenktem Kopf am Fußende der Liege und der Direktor fragte Cartwright, ob er noch etwas zu sagen habe.
Richard sprach leise in das Mikrophon über seinem Mund: „Ich möchte mich bei der Familie meines Opfers für das Leid, das ich ihnen zugefügt habe, entschuldigen. Und an alle im Todestrakt der Polunsky Unit, haltet euch aufrecht und bleibt stark!“
Dann eilte, anstelle der Kochsalzlösung, das erste Gift durch die Schläuche. Richard hüstelte. Ein zweites und ein drittes Gift folgte. Sein Brustkorb blähte sich ein letztes Mal auf und fiel dann in sich zusammen. Es war der Moment, in dem die Zeit still zu stehen scheint. Um 18:16 Uhr erklärte man ihn für tot.
Der Staat Texas blickte den toten Richard Cartwright von allen Seiten an und sagte: „Ich darf, aber du nicht.“