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Vampirgeflüster...
Vampirgeflüster - Das süße Flüstern des Todes
Tiara saß wie gewohnt in dem kleinen Baumhaus mitten in einem düsteren Wald, welches sie einst mit ihrem besten Freund Jin gebaut hatte. Sie hatten sich die dunkelste Ecke des Waldes ausgesucht, um ungestört zu sein. Nein, sie waren kein Paar. Wahrlich waren sie nur Freunde. Mag sein, dass es auch daran gelegen hat, dass Tiara etwas wild und ungezähmt war. Sie hatte kaum typische Verhaltensweisen eines Mädchens.
Viele bezeichneten Tiara als etwas seltsam. Sie kam sehr extrovertiert herüber, konnte aber genauso gut still und zurückhaltend sein. Das hing je von der Situation ab. Sie hatte nicht gerade viele Freunde. Jin zählte zu den wenigen, die sie wirklich gern hatte. Er war im Grunde auch der Einzige, den sie durchaus an sich heranließ, dem sie all ihre Gedanken offen und ehrlich gestand. Ab und zu aber verstand er nicht, was sie ihm versuchte zu erzählen. Teilweise sprach Tiara in Rätseln...
Sie schaute auf die Uhr. Jin war ein paar Minuten überfällig, was aber nichts Besonderes war, da er grundsätzlich zu spät kam. Endlich hörte sie, wie es unter ihr im Wald raschelte und später knatterte, als er den Baum hinaufkletterte. Erleichtert war sie jedoch nicht...
„Du kommst spät.“, stellte sie fest, als Jin oben angekommen war. Er sagte nichts weiter dazu, da er wusste, dass ihm ohnehin nicht böse sein konnte. Das war sie ihm eigentlich so gut wie nie, wenngleich er noch so großen Mist gebaut hatte.
„Was ist los, Tiara?“, fragte Jin, als er sich seine Freundin etwas näher betrachtete.
„Was soll los sein?“, Tiara verstand nicht, was er meinte. Vielmehr tat sie so, als wüsste sie es nicht, denn sie spürte ganz genau, dass es bereits begonnen hatte...
„Wenn ich nicht wüsste, dass du leibhaftig vor mir stehst, würde ich sagen du wärst eine Leiche.“, er zog die Augenbrauen nach oben. Tiara war an jenem Tag untrüglich sehr blass um die Nase. Ihre Augen waren glasig und bargen einen seltsamen Schimmer. Er strich ihr die Haare aus der Stirn und legte seine Hand auf darauf.
„Du hast Fieber....“, diagnostizierte Jin und schaute Tiara in ihre müden Augen. Er riet ihr, nach Hause zu gehen. Doch Tiara hatte ihren eigenen Kopf und ließ sich nicht gerne etwas sagen. Zuhause hätte außerdem nur Streit auf sie gewartet. Ihr Vater war tot, ihr Bruder bei der Bundeswehr und ihre Mutter...oh...ihre Mutter stammte wohl von der Gattung der Drachen ab...
Trotzig wie sie war, verharrte sie in der oberen Baumkrone noch längere Zeit. Kleine Schweißperlen rannen ihre Stirn hinunter. Außerdem war ihr kalt. Es schüttelte sie am ganzen Körper...
Man hörte, wie draußen der Wind unaufhörlich pfiff. Das Baumhaus schwankte etwas und ein paar bunte Herbstblätter wurden unter dem starken Wind und Regen in das Baumhaus hineingeblasen. Sie hörten, wie eine Eule schreckliche Rufe in den Wald hinausschickte, als es allmählich dämmerte und schließlich die Nacht hereinschlich...
Jin bekam langsam aber sicher ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Mit Tiara stimmte etwas nicht. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass sie so arg vom Fieber gequält wurde.
In der letzten Zeit häuften sich diese Art von Vorfällen bei dem Mädchen. Außerdem hatte sie sich auch sonst in den letzten Wochen verändert. Sie war um einiges ruhiger geworden....Des öfteren übernachtete sie nun auch in ihrem gemeinsamen Baumhaus. Obwohl das Wetter zu jener Jahreszeit alles andere als geeignet dazu war. Sie sprach immer davon, dass sie Angst hatte. Jin aber wusste nicht wovor. Aber das unheimlichste an Tiara waren wohl ihre Augen. Sie waren braun. Fürwahr. Normalerweise war es ein schönes, warmes Braun und von unbändigem Glanz geschmückt und man verlor sich gerne in ihnen. Nun aber waren sie fast rabenschwarz. Auch hatten sie jedes Funkeln verloren....sie waren ganz matt, man konnte sich nicht einmal mehr darin spiegeln.
„Jin?“, fragte Tiara nach einer kleinen Unendlichkeit.
„Mmh?“
„Ich....ich hatte einen Traum....“, sagte sie kaum vernehmbar, als sie in einer Wolldecke eingemummelt in einer Ecke des Baumhauses zusammengekauert saß, „Ich träumte vom schwarzgeflügelten Messias...“
„Was redest du denn da?“, Jin hockte sich zu ihr hinunter und runzelte die Stirn.
„Ein trauriges Geheimnis...“, ihre Stimme klang so melancholisch, „Ich habe Angst...so furchtbare Angst.“, flüsterte sie.
„Aber wovor denn?“, fragte Jin behutsam und griff nach Tiaras Hand, die auf einmal ganz kalt war. Hatte sie nicht Fieber gehabt? War es denn möglich, dass sich das so schnell änderte?
„Komm mir nicht zu nahe...“, hauchte Tiara und wendete ihre Augen von Jin ab, „Eine andere Welt...weit fort...irgendwo im Niemandsland....Das ist meine wirkliche Heimat, Jin...“, ihre schwarzen Augen füllten sich mit Tränen, „....Nicht menschliches Blut fließt in meinen Adern...Das Blut meines Clans....aus der tiefsten Feuersbrunst des Ortes allen Ursprungs.....“
„Hey, es war nur ein Traum.“, sagte Jin sanft und versuchte Tiara zu beruhigen. Er fand keinen Zusammenhang in ihren wirren Worten.
„Du täuschst dich...es war kein Traum...vielmehr eine längst weggeworfene Erinnerung....“, wisperte Tiara. Ihre Stimme offenbarte auf einmal so etwas wie einen Zwiespalt, sie war unerwartet rau und sanft zugleich.
Jin stellte mit Entsetzten fest, dass er das Klagelied der geflügelten Wesen hoch am Himmel vernahm...die Engelchöre...man hätte fast meinen können, dass sie weinten. Es schien wie ein Requiem zu sein, welches sich leise in Jins Herz schlich...
„Was redest du denn da nur?“, fragte Tiaras bester Freund, dessen Herz auf einmal unendlich laut und schnell schlug. Irgendetwas schnürte ihm die Kehle zu, er hatte Mühe zu atmen. Vielleicht war es die Ungewissheit, die ihn lähmte.
„Jin...in meinen Adern fühle ich heißes Blut...Ich bin kein Mensch...!Der dunkle Messias...er ruft nach mir...“, Tiara stand langsam auf. Sie entfernte sich von Jin und kehrte ihm den Rücken zu.
„Hör auf in Rätseln zu sprechen, Tiara!“, rief Jin nervös. Erst glaubte er, seine Augen würden ihm einen schrecklichen Streich spielen. Er rieb sie sich und schaute Tiara erneut an, erkannte aber, dass sich ihre Kleidung tatsächlich verändert hatte...Sie hatte nicht mehr ihre normalen Sachen an...Eine weißer Mantel umgab ihren schmächtigen Körper. Er sah beinahe wie ein japanischer Kimono aus Seide aus, der aber recht weit ausgeschnitten war und nicht viel der Phantasie überlies. An den weiten Ärmeln vernahm der bestützte Jin Blutspuren...Tiara drehte sich wieder zu ihm herum. Beinahe wäre ihm das Herz stehen geblieben....Tiaras Augen...Ihre schwarzen Augen...
War das ein Trugbild, oder waren ihre Augen nun tatsächlich golden? Augen...die aus mattem Gold ihn so kalt anblickten, so ungezähmt und wild. Beinahe wie die Augen eines Tieres....Ihr Antlitz war von Traurigkeit getränkt. Sie sah so seltsam aus...Ihr langes, schwarzes Haar wehte ihr wirr ins Gesicht; ihre goldenen Augen schienen sich tief in Jins Herz hineinzubohren; ihre perlengleiche, blasse Haut schimmerte im silbernen Mondlicht, welches nur leicht und zaghaft in das Baumhaus hineinschien. Von ihrer rechten Wange, über den Hals, bis hin zu ihrem Schlüsselbein, zog sich eine Linie von seltsamen Zeichen. Es sah aus, als bestände jene Linie aus Narben. Auf ihrer Brust lag noch immer ihr silberner Kreuzanhänger. Der Kreuzanhänger einer Kette, die sie vor ein paar Jahren von Jin zu Geburtstag bekommen hatte.
„Verdammt, was geschieht hier nur?!“, entfuhr es Jin.
„Du sprichst die Wahrheit, mein Freund...“, wisperte Tiara mit trister Stimme, „Die Verdammnis hat begonnen...Wie gern habe dich und die Menschen in meiner Gegenwart bloß lieb gewonnen...“, sie hatte ein trauriges Lächeln auf den Lippen, „Ich habe nicht verspürt, dass ich mich sehnte, ein ganz normaler Mensch zu sein...Doch nun...ertrank düsteres Blut mein nur allzu menschliches Herz....der Messias ruft nach mir...Er verlangt nach mir...“, Tiara griff wie in Trance zu dem silbernen Kreuzanhänger an ihrer Kette, „Ich vernehme das süße Flüstern des Todes....“
„Tiara...was hast du bloß....?“, fragte Jin mit zitternder Stimme. Und als sei es ein Zeichen gewesen, blies der Wind in jenem Moment die paar Kerzen aus, die ihnen als Licht in dem Baumhaus dienten. Nur noch Tiaras unheilvolle Augen leuchteten.
Tiaras Blick war so leer. Sie schien fast zu schweben, als sie langsam auf Jin zuging.
„Meine Seele ist verdammt immer und immer wieder geboren zu werden....mein Tod ist stets grausam...In meiner Seele herrscht Aufruhr, mein treuer Freund Jin...“, aus Tiaras Augenwinkel rollte eine Träne. Eine blutige Träne...
„Ist das alles vielleicht nur ein Traum?“, fragte Jin ängstlich in der Hoffnung, dass es tatsächlich so wäre.
„....Schlummernd erwache ich aus meinem langem Traum...Ein so süßer Traum neigt sich nun dem Ende...Der schwarze Messias fordert Opfer, mein Freund. Die Finsternis...sie ruft. Die ewig währende Finsternis...sie ruft nach dir, Jin!“
Jin schaute Tiara mit entsetzten Augen an. Tiara hörte nicht auf zu lächeln. Das Lächeln, welches Jin so liebte...versetzte ihn nun in Angst und Schrecken. Leise flüsterte er ständig den Namen seiner Freundin....Tiara wisperte für ihn unverständliche Dinge. Sie erzählte abermals, dass sie fortwährend wieder geboren werden würde und dass sie schon viele Leben gelebt hatte, ehe sie in ‚Tiara’ wiedergeboren wurde. Doch ihre jetzige Reinkarnation machte ihr das Herz so unendlich schwer. Auch sie wünschte sich, dass das alles nur ein Traum wäre. Ein so lieblicher Traum, aus dem sie niemals mehr aufwachen wollte. Eine Welt ohne Schmerz und Leid für die Ewigkeit....
„Tiara....das ist doch alles nur ein Scherz, oder....?“, fragte Jin voller Hoffnung und Flehen.
„Ich beliebe nicht zu scherzen....Ich bin an das Schicksal gebunden. Der schwarzgeflügelte Messias fordert Seelen, Jin.“, raunte Tiara und kam ihm näher, „Dies ist der letzte Tag, meines jetzigen Lebens....Ich kehre wieder zurück. Zurück zu allem Ursprung....und ich werde dich mit mir nehmen....mein Freund. Zu egoistisch bin ich, als dass ich dich hier verweilen lassen könnte.“
Jin wich so weit es nur ging vor Tiara zurück. Er hatte Mühe zu atmen. Sein Herz bebte und Tiaras Gestalt sah er nur noch verschwommen vor sich, als es zu allem Überfluss auch noch anfing zu gewittern und das Baumhaus schon ein wenig schwankte und das alte Holz knackte. Langsam taumelte er rückwärts zu der kalten Wand des bebenden Hauses.
„Ich hab schon vielen den ewigen Traum geschenkt...“, Tiara faste sich auf die Wange, auf der sie noch die Spuren einer blutigen Träne fühlte, „Diese Tränen....“, flüsterte sie, „Diese Wärme auf meinen Wangen....Solch Traurigkeit und solch großen Schmerz habe ich nie zuvor in einem meiner Leben gekannt....Ich vermag es nicht mehr den Ruf meines Herrn zu ignorieren...Oh welch quälende Freude...“, plötzlich ließ sie den weißen Mantel über ihre Haut hinunter auf den Boden gleiten. Aus ihrem Rücken schossen auf einmal mit unbändiger Kraft zwei schwarze fledermausartige Flügel hervor, an denen noch etwas Blut klebte.
„Was um alles in der Welt bist du nur?!“, schrie Jin sie an.
„Ich bin Gottes ungeliebtes Kind....ein Dämon aus der alten Welt....“, das Grollen des Donners und das Prasseln des Regens schienen wie grausame Stimmen zu sein, die das Klagelied der geflügelten Wesen hoch am Himmel begleiteten. Tiara kam Jin ganz nah. Sie schmiegte ihren hüllenlosen Körper ganz eng an den seinen, „Aber ich bin nicht mehr von reinem dämonischen Blut. Ich bin nicht mehr die, die ich einmal war. Ich habe erfahren...was es heißt zu weinen...Schmerz zu empfinden. Was es heißt, zu lachen....Liebe zu empfangen...Aber der dämonische Teil in mir ist erwacht....Ich habe mich immer vor diesem Tag gefürchtet...Ich vermag mein heißblütiges Dasein nicht länger alleine fristen, mein Freund...Ich begehre es auch nicht...“, hauchte Tiara Jin ins Ohr, der schon beinahe von der Angst aufgefressen wurde. Er versuchte verzweifelt Tiara von sich wegzuschieben, doch irgendetwas in ihm lähmte seine Bewegungen. Er sah, wie eine Blutträne nach der anderen aus Tiaras Augen floss.
„Ich habe Durst...Kaffee oder Tee sind mir schon immer zu bitter gewesen...“, sagte Tiara plötzlich in einem seltsamen Tonfall, „Aber menschliches Blut...ist süß und angenehm warm....“, Jin sah, wie ihre Eckzähne etwas wuchsen. Er wurde plötzlich so müde...Es war, als wollte ihn der Schlaf daran hindern, Tiara von sich zu stoßen....Es war beinahe so, als wollte er es im innersten seiner Seele so...
Tiara küsste ihn auf die Wange. Eine Reihe von Zärtlichkeiten auf seiner Haut führte ihre weichen Lippen dann schließlich bis zu den seinen.
„Dieses Mal...werde ich nicht die Schwere der Einsamkeit spüren....“, murmelte das glühende Mädchen. Sie streichelte Jin durchs Haar und schmunzelte, „Schließe deine Augen, Jin....ganz langsam...“
Ohne dass er sich wirklich sicher war, ob er es wollte, schloss er sie. Er ahnte, was geschehen würde. Wehren wollte er sich jedoch nicht dagegen. Vielleicht fehlte ihm auch die Kraft dazu....Vielleicht wollte er aber auch Tiara folgen....Vielleicht....
„Gute Nacht...“, sagte Tiara, „Die Finsternis ruft nach uns, Jin. Mögen wir träumen in Ewigkeit...
Zuerst vergrub Tiara ihren Kopf in Jins Schulter und dann wanderte ihr Mund immer höher in Richtung seines Nackens. Das letzte, was Jin spürte, war ein kleiner stechender Schmerz im Hals, ehe sein Körper dann nur wenige Augenblicke später haltlos zu Boden viel. Ein friedlicher Ausdruck lag auf seinem blassen Gesicht.
Die Engelchöre hoch am Firmament sangen immer lauter und ihr Klagelied wurde brennender und trauriger.
Aus Jins leblosem Körper erhob sich ein blasses Spiegelbild seiner Gestalt. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen, schwebte er zusammen mit Tiara vom Baumhaus aus hinaus in das Gewitter. Sie orientierten sich nach den Sternen und flogen in den Himmel empor. Immer weiter in die Unendlichkeit...zu allem Ursprung....bis sie irgendwann verblassten und schließlich ganz verschwanden....
Die geflügelten Wesen verstummten. Eine leise Erinnerung war das Einzige, was am Himmel verblieb...Eine Erinnerung aus jener Zeit, in der Jin und Tiara noch Kinder waren...
„Du, Tiara?“, fragte Jin.
„Mmh?“, sie setzte sich zu ihm auf den dicken Ast eines großen Kletterbaums, auf dem sie ein paar Jahre später gemeinsam ihr eigenes Baumhaus bauen würden, was sie aber zu jenem Zeitpunkt noch nicht wussten.
„Glaubst du, dass es noch Vampire, Dämonen oder so etwas in der Art gibt?“, damals waren er und Tiara wohl so um die 7 bis 8 Jahre alt.
„Warum fragst du mich denn so was?“, hatte Tiara damals verwundert gefragt.
„Ich höre immer so unheimliche Rufe...“, sagte Jin und schaute Tiara fragend in ihre so schönen, große Augen. Sie fing an zu lächeln. Jenes Lächeln, was er so liebte...
„Für Vampire nimmt die Zeit niemals ein Ende.“, versuchte sie ihm zu erklären und er lauschte gespannt. Damals hatte er nicht verstanden, was Tiara ihm zu sagen versuchte....erst viele Jahre später sollte er es verstehen, „Ich höre auch manchmal Stimmen, weißt du?“, fuhr sie fort, „Eine traurige Stimme, die nach mir ruft...Das war schon immer so gewesen....Manchmal habe ich deswegen Angst....Aber solange du bei mir bist....kann mir nichts geschehen. Solange du bei mir bist, wird es ein so süßer Traum sein, aus dem ich niemals mehr aufwachen möchte. Eine Welt ohne Schmerz und Leid für die Ewigkeit...“
Sushi der Hobbit
04.03.2002
[Beitrag editiert von: Hobbit am 07.03.2002 um 15:14]