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Vanilleeis oder der süße Sieg über die Menschheit
Erst gestern saß ich morgens in der winzigen Küche meiner Zweizimmerwohnung, in der linken Hand eine Tasse mit schwarzem, dampfendem Kaffee und las in der Zeitung mal wieder über Globalisierung. Dass die Welt immer mehr zusammenwächst...
Zwei Seiten weiter begegnete ich einem Artikel über erneute blutige Straßenkämpfe zwischen Moslems und Juden, auf Seite fünf stachen Skinheads in der Pariser U-Bahn auf einen schwarzen Mann ein und nachdem ich auf Seite 16 das Kreuzworträtsel gelöst hatte und weiterlas, wusste ich auch, dass in Deutschland der Unterschied zwischen Arm und Reich weiter zunimmt. Soviel zum Thema die Welt wächst zusammen. (Unten auf Seite 16 steht jetzt übrigens in schwarzen Kästchen mit Kugelschreiber und Druckbuchstaben „MENSCHEN VEREINIGT EUCH, WERDET MENSCHEN“. )
Aber gehen wir doch mal davon aus, dass Religionen für das Zusammenleben der Menschen keine Rolle mehr spielen, dass Ausländerhass und Fremdenfeindlichkeit uns sprichwörtlich auch „fremd“ und „feindlich“ wären- habe ich schon erwähnt, dass ich Optimist bin- und wir „Armut“ im Duden zwischen „Armstrong“ und „Arndt“ suchen müssten. „Das wäre ja das vollkommene Paradies“, werden Sie jetzt vielleicht denken. Der Traum von einer vereinten Menschheit wird endlich Realität... Träumen sie weiter!
Auf ewig wird unser blauer Planet in zwei Lager geteilt sein. In schwarz und weiß. In Vanille oder Schokolade. Ausgeträumt der Traum von vollkommener Einheit. Schon von Kindesbeinen an lernen wir was „Rassentrennung“ wirklich heißt. Vor der Eisdiele, wenn das Mädchen mit den blonden Haaren mit verzücktem Gesichtsausdruck, großen Augen und auf Zehenspitzen stehend, die Eiswaffel entgegennimmt und beginnt an ihrem Vanilleeis zu schlecken, erfahren wir, was Intoleranz bedeutet.
Ich gebe offen und ehrlich zu: ich hasse Fremdenfeindlichkeit, Ausländerhass und „Schubladendenken“. Und ich hasste dieses Mädchen mit den blonden Schnittlauchhaaren, den hässlichen Glubschaugen und dem Vanilleeis. Dieser gelben, mit schwarzen Pusteln übersäten Masse und dem widerlich süßlichen Geschmack.
Mein Therapeut behauptet meinen Hass auf Vanilleeis hätte ich meiner Tante Sarah zu verdanken, bei der ich Montag bis Freitag verbrachte, während meine Rabenmutter als Lebensmitteltesterin voll beschäftigt war ihren Geschmackssinn zu sensibilisieren und daher nichts davon mitbekam, dass die Geschmacksnerven ihres einzigen Sohnes kontinuierlich vernichtet wurden. Ich glaube nicht, dass Tante Sarah an meiner Anti-Vanille-Einstellung Schuld ist. Schließlich habe ich Vanilleeis schon gehasst, bevor Sarah begann mir jeden Abend freudestrahlend und mit glänzenden Augen eine Kugel Eis zu überreichen. Sarah hat meinen Hass nur geschürt und an ihre Worte „Nimm, mein Süßer! Dein Lieblingseis! Dass du dich nicht längst an Vanilleeis sattgegessen hast, wundert mich ja wirklich!“, erinnere ich mich jetzt noch. Dass ich ihr jedes Mal gewünscht habe, es gäbe ihr jemand die Kugel und sie würde an ihr ersticken, weiß ich übrigens auch noch. Was sie wohl dazu sagen würde, wenn sie wüsste, dass ihr „Süßer“ sich fast verschuldet hat, um ihr einen Grabstein aus gelb-weißem Marmor und der Aufschrift „Hier liegt in süßer Ruhe Sarah Bourbon“ zu kaufen, nachdem sie vor zwei Jahren an einer Lebensmittelvergiftung starb?
Meinem Therapeuten hat das gar nicht gut gefallen. „Nicht therapierbar“ lautete das harte Urteil nach etlichen Versuchen mich von meiner Phobie zu befreien.
Moment mal, Therapie wegen vanilla ice-cream, glace à la vanille, wegen Vanilleeis? Etwas übertrieben, werden Sie jetzt sicherlich denken. Ich bin jetzt 46.
Meine erste große Liebe hieß Catherine und ich liebte sie bis zum ersten gemeinsamen Besuch der Eisdiele. Im zarten Alter von 19 Jahren genoss ich die Süße der Liebe bis ich in Emmas Auto den betörend süßen Duft eines Vanillebaumes einatmete. Die Liebe zu Clarissa hielt, bis sie ihre Liebe zu Vanilleparfum entdeckte. Ginas Lieblingsfilm war Vanilla Sky und Funnys Lieblingsgetränk Bourbon Whisky. Außerdem nannte sie mich ständig „Sweetheart“.
Mit Linda war ich immerhin ein halbes Jahr zusammen. Bis sie mich ihren Eltern vorstellen wollte und nach einem gemeinsamen Essen den geliebten, wunderbar süßen, selbstgemachten Vanillepudding ihrer Mutter verspeiste.
Danach beschloss ich alles, was auf irgendeine Weise mit Vanille zu tun hat, einfach zu ignorieren.
Vor einem Jahr lernte ich dann meine absolute Traumfrau kennen: Melanie.
Vor drei Wochen hielt ich um ihre Hand an. Sie willigte mit Freudentränen in den Augen ein.
Vor einer Woche beschloss ich mich endgültig selbst zu therapieren.
Vor sechs Tagen waren Melanie und ich Eis essen. Ich habe drei Kugeln Vanilleeis bestellt!
Vor fünf Tagen hat sich Melanie von mir getrennt.
Vorgestern habe ich von ihrer besten Freundin den Trennungsgrund erfahren.
Und gestern las ich in der Zeitung von Globalisierung und Vereinigung der Menschen. Vereinigung der Menschen, dass ich nicht lache.
Wie soll sich die Menschheit bitteschön vereinigen, solange es Vanilleeis gibt?
Habe ich Ihnen schon erzählt, dass Melanie Vanilleeis hasst?