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Vater

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07.01.2005
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Vater

Ich erinnere mich an einen Spaziergang mit dir, Vater. Es war fast Mittag, die Vögel lärmten und die Schatten waren wie abgezirkelt.
„Schau“, sagtest du, deine Hand schwer auf meiner Schulter, deine sanfte Stärke die mich führte. „Schau“, sagtest du und zeigtest mir den Dom. Erklärtest, gabst meinen Kinderfragen erwachsene Antworten.
Wo ist deine Stimme, die mir die Welt erklärt?
Jetzt, wo ich erwachsen bin oder zumindest in einem Alter, in dem du schon deinen Weg gefunden, den Plan deines Lebens abgezeichnet hattest, sehne ich mich nach ihr.
Ich kann mein Spiegelbild nicht mehr finden, Vater.
Alles zerfällt vor meinen Augen. Wenn ich ihn den Spiegel blicke, sehe ich nur Myriaden von Lichtstrahlen, gebrochen auf Glas und Silber, die zwar ein Bild entwerfen, doch ein verzerrtes, bruchstückhaft, nicht greifbar.
Die Tränen, die ich weine oder nicht weine, sind nur Wasser. Gespeist mit Salz und anderen Mineralien. Wissen verneint jedes Pathos – es ist nur Wasser.
Eine Reaktion, hervorgerufen durch Schmerz oder manchmal auch Erinnerung.
Worte, die ich höre, spreche, sie verlaufen mir zu einem einzigen Ton, einem Geräusch. Es heißt Leben, aber es gibt mir nicht mehr das Gefühl lebendig zu sein.
Was ich blicke, fasse, denke zerfällt noch vor meinen Augen in die Bruchstücke seiner Existenz.
Wie soll ich sie fassen?

Ich erinnere mich an einen Spaziergang mit dir, Vater. Es war fast Abend, die Grillen schwiegen und die Schatten waren wie zerlaufen.
„Schau“, sagte ich, meinen Arm unter deinen gehakt, meine zurückhaltende Kraft, die dich stütze. „Schau“, sagte ich und zeigte dir mein Haus. Wartete ab, gab deinen Gedanken Zeit sich zu formulieren.
Wo ist deine Ruhe, die mir Sicherheit gibt?
Nichts ist mehr sicher, es scheint, als entziehe sich die Welt absichtlich meinem Verständnis. Ließe mich allein und was bleibt ist die kalte Vernunft.
Die mir sagt, dieses Gesicht, das du im Spiegel nicht erkennen willst, es ist deins.
Diese Welt, vor der du dich verschließt und die du nicht begreifen willst, sie deine Welt.

Wenn ich spazieren gehe, Vater, dann führt mich kein wärmender Druck auf meiner Schulter. Ich schaue nicht den Dom an, ich verlasse mein Haus, ohne mich umzusehen.
Ich achte nicht, wohin, wie lange - nicht erklären, nicht verstehen. Ich suche nicht.
Doch jeder Schritt trägt mich ein Stück zurück in die Vergangenheit, zu deiner Stärke, deiner Ruhe und dem Gesicht, dass ich eines Tages im Spiegel sehen will.

 

hello dornenkind,

ein paar traurige, erinnernde Gedanken voller Wehmut, aber keine Geschichte im eigentlichen Sinne - oder ist mir da etwas entgangen? Mir ist das Ganze einerseits eine Spur zu pathetisch geraten, andererseits mit Sätzen wie 'Wissen verneint jedes Pathos' oder 'In die kleinsten Atome seiner Existenz' zu konstruiert und berichthaft.

Tränen, die Du nicht weinst, sind 'Gespeist mit Salz und anderen Mineralien'?

'Wissen verneint jedes Pathos'

'in die Vergangenheit, zu deiner Stärke, deiner Ruhe'

Vielleicht passen die Gedanken zum 'Vater' eher in die Rubrik 'Philosophisches'...

Viele Grüße vom gox

 

Hallo gox!

Ich hab vorher nachgefragt, ob ich das posten kann - es kamen keine Einwände :)

Tippfehler sind korrigiert - pathetisch? Ja, die Gefahr besteht bei einem solchen Thema ins Kitschige zu rutschen. Ich hoffe doch, es ist noch im erträglichen Bereich, da ich daran im Grunde nichts mehr ändern mag.
Konstruiert habe ich das ganze nicht wirklich, es lief mir alles sehr flüssig von der Hand, auch wenn einige Ausdrücke vielleicht nicht im aktiven Sprachgebrauch eines jeden vorkommen ;)

 

dornenkind schrieb:
Konstruiert habe ich das ganze nicht wirklich, es lief mir alles sehr flüssig von der Hand, auch wenn einige Ausdrücke vielleicht nicht im aktiven Sprachgebrauch eines jeden vorkommen ;)

Stimmt!
'Wissen verneint jedes Pathos' oder auch 'die kleinsten Atome seiner Existenz' verwende ich im normalen Sprachgebrauch tatsächlich nur punktuell. Wobei mir auch nicht klar ist, ob es bei 'Atomen einer Existenz' wirklich auf die Größe der Atome ankommt. ;-)

Viele Grüße vom gox

 

Hallo Dornenkind,
mir ging es so wie Gox: zum einen fand ich es auch sehr pathetisch, andererseits dachte ich auch, dass es besser bei Philosophisches aufgehoben wäre oder in einem Gedicht (was du aber hier nicht posten kannst).
Mich haben die Bilder schon angerührt: der Vater, der den Dom erklärt; der Vater, der gestützt wird und sich das Haus zeigen lässt. Und die Sehnsucht eines mittlerweile erwachsenen Menschen, der sich nach einer Stimme sehnt, die ihm die Welt erklärt. Das ist, finde ich, viel besser gelungen als die Betrachtungen dazwischen.
Gruß, Elisha

 

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