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Ver-liebt

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30.04.2003
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Ver-liebt

überarbeitete Version:

Wie ein vertrockneter Baum in der Wüste stand Jana in der Mitte des Raumes, schwankte betrunken in einem unsichtbaren Sturm hin und her und drohte jederzeit umzukippen. Leise lachend breitete sie die Arme aus, kniff die Augen zusammen und visierte das Bett vor sich an. Als sie mutig einen Schritt nach vorn machte, knickten ihre Beine wie Streichhölzer unter ihrem Körper weg. Im Taumeln geriet ihr Lachen zu einem Glucksen.
„Ups ... Ich fliege.“
Bevor sie vollständig zu Boden ging, glitt jemand wie ein Schatten auf sie zu und griff ihr unter die Arme. Erleichtert aufatmend lehnte sie sich gegen ihren Retter und lächelte ihn an.
„Hallo ... Wohnst du auch hier?“
Kopfschüttelnd erwiderte der Mann ihr Lächeln schwach, und sein Gesicht lag ein wenig im Schatten.
„Nein.“
Dieses eine harsche Wort verwirrte. Nachdenklich zog Jana ihre Stirn kraus, doch die Gedanken überschlugen sich, und ihre Verwirrung wuchs.
„Aber was machst du dann hier?“
„Ich bin für dich da.“
„Oh ... Schön.“
In ihrem Kopf drehte sich alles. Darüber stieg eine erste Vorahnung starker Übelkeit in ihr auf, und verzweifelt bemühte sie sich, nicht zu würgen. Vor ihr ging der Schatten nun langsam auf ihr Bett zu, ohne dabei seine Hände von ihr zu nehmen. Obwohl sie etwas anderes vorhatte, musste sie ihm folgen, und seine Finger kitzelten unter ihren Armen. Kichernd wand sie sich in seinem Griff, bis sie darüber, dass er nicht losließ, wütend wurde. Mit letzter Kraft schlug sie gegen seine Hände.
„Lass mich! Ich kann allein gehen!“
„Das glaub ich kaum, du bist betrunken.“
„Egal! Ich schaff das schon.“
„Na gut.“
Unvermittelt zog der Schatten seine Hände weg, und sofort raste der Fußboden auf Jana zu. Hart schlug sie auf und blieb regungslos liegen. Obwohl sich ihr Körper wie Pudding anfühlte, schien in ihm jeder Knochen einzeln zu schmerzen. Um das Karussell in ihrem Kopf endlich anzuhalten, schloss sie ihre Augen. Doch die Erde schien sich immer schneller zu drehen, und als sie wieder aufsah, war ihr richtig schlecht. Verschwommen drehte das lächelnde Gesicht des Schattens über ihr Kreise. Fürsorglich reichte er ihr eine Hand und zog sie mühelos auf die Beine.
„Komm, ich helfe dir.“
Diesmal wehrte sich Jana nicht. Als sie stand, sank sie schluchzend gegen die Brust ihres Begleiters und schniefte ihren ganzen Kummer in sein T-Shirt.
„Warum liebt er mich nicht?“
„Ich weiß nicht ...“
Tröstend fuhr ihr der Schatten mit einer Hand durch das Haar, eine zärtliche Berührung, die sie nicht von ihm erwartete und die sie bis in ihr tiefstes Inneres elektrisierte.
„Aber ich liebe dich.“
„Echt?“
„Ja.“
Sicher in den Armen des Schattens wischte sie sich mit beiden Händen die Tränen aus ihrem Gesicht, dann schaute sie erstaunt ihn zu ihm auf.
„Leider bist du nicht Tom.“
„Nein, bin ich nicht, leider ... Komm.“
Wieder willenlos ließ sie sich vorwärts schieben, bis sie auf das Bett sank und teilnahmslos vor sich hin starrte. Als sie erneut zu weinen begann, nahm er sie fest in den Arm. Einen Moment lang schien alles stillzustehen, sogar das Karussell in ihrem Kopf.
„Jetzt schläfst du erst mal, Jana, und du wirst sehen: Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“
Die Stimme des Schattens drang wie durch einen dichten Nebel zu ihr vor, und seine Finger schienen sie kaum zu berühren, als er ihr aus ihren Sachen half. Jana schüttelte mit dem Kopf.
„Das glaub ich nicht!“
„Klar. Wart’s nur ab.“
Stöhnend ließ sie sich rückwärts fallen und rollte sich auf der Seite zusammen.
„Gut!“
Wieder voller Hoffnung schloss Jana die Augen und genoss es, als der Schatten vorsichtig die Decke über sie legte. Dabei seufzte er schwermütig, und einen kurzen Augenblick lang fragte sie sich verwirrt, ob Schatten überhaupt traurig sein konnten. Eine Antwort auf ihre Frage fand sie in dieser Nacht nicht mehr.

Möglich schien jedoch alles, denn Schatten waren seltsame Wesen mit vielen Qualitäten. Gegen zehn Uhr morgens stand Jana nur im Morgenmantel in der Küche und verstand die Welt nicht mehr. Das Aroma frisch gebrühten Kaffees füllte die Luft, und ihr kleiner, alter Ecktisch brach unter der Last des Frühstücks beinahe zusammen.
Ein Traum.
Ungläubig kniff sie sich in einen Arm, verzog das Gesicht und ließ sich rasch in einen Stuhl sinken, bevor ihre zitternden Knie ihren Dienst aufgaben.
Kein Traum.
Mechanisch füllte sich Jana eine Tasse mit Kaffee, nippte daran und starrte gedankenverloren vor sich hin. Dabei zogen die ersten Erinnerungsfetzen durch ihren schmerzenden, in weißen Dunst gehüllten Kopf.
... die Party ...
... ein Desaster ...
... Kaypirinha ...
... schwarzer Mann ...
Angestrengt versenkte sie ihren Blick im Kaffeesatz, als könnte der ihr den Namen ihres nächtlichen Begleiters verraten, wenn sie nur lange genug wartete. Tom war es auf jeden Fall nicht. Doch bereits wenig Sekunden später gab sie entnervt auf. An diesem Morgen fehlte ihr einfach die Geduld, und sie knallte die Tasse regelrecht auf den Tisch. Erst in diesem Augenblick fiel ihr der Blumenstrauß direkt vor ihrer Nase auf, denn er wäre fast umgekippt. Jana zwinkerte verblüfft und zupfte vorsichtig eine kleine Karte aus den Blüten.
„Heute sieht die Welt ganz anders aus, denn wir werden uns endlich bewusst begegnen.“
Wie aufs Stichwort klapperte ein Schlüssel in ihrem Schloss. In Panik sprang Jana auf und suchte nach einem Gegenstand, mit dem sie sich verteidigen konnte. Als die Schritte auf dem Flur immer näher kamen, zog sie die nächstbeste Schublade auf und bewaffnete sich mit einem Nudelholz, das sie drohend in die Richtung der Tür hielt.
„Morgen.“
Die Stimme klang unerwartet freundlich. Überrascht ließ Jana das Nudelholz sinken und starrte Jörg an, der mit schnellen Schritten an ihr vorbei ging und sich vor den Ofen hockte.
„Das verbrennt uns noch alles.“
Während er die Brötchen aus dem Ofen holte, konnte sie ihren Blick einfach nicht von ihm nehmen.
Die Bewegungen, das Lächeln, die Stimme ...
Rasch legte Jana das Nudelholz weg, griff nach ihrer Tasse und versenkte ihren Blick im Kaffee, als sähe sie die dunkle Flüssigkeit zum ersten Mal und müsse sie jetzt für sich entdecken.
„Ja, Morgen.“
Besonders gut gelaunt präsentierte sie sich Jörg damit nicht gerade, aber er störte sich nicht daran. Ein paar Zentimeter von ihr entfernt füllte er die Brötchen in einen kleinen Korb, und immer, wenn er sie wie zufällig ansah, lächelte er strahlend. Schließlich trat er mit dem Korb in der Hand an den Tisch.
„Komm, setz dich doch.“
Ein wenig zögernd folgte Jana seiner Einladung. Jörg zog einen Stuhl zurück, und über ihre Schulter hinweg ließ er ihren Schlüssel auf ihren Teller gleiten. Dann ging er um den Tisch herum und setzte sich ihr gegenüber. Ein wenig seltsam fühlte sich Jana schon, als sie nur im Morgenmantel mit ihm an einem Tisch saß. Bisher traf sie Jörg immer nur ab und zu im Hausflur und tauschte Belanglosigkeiten mit ihm aus. Einmal lud er sie ins Kino ein, aber damals hatte sie abgelehnt. Jörg war einfach nie mehr als ein freundlicher Schatten für Jana gewesen, bis er aus seinem eigenen Schatten trat.

 

Hi Anja

Nachdem ich den ersten Abschnitt gelesen hatte und ihn sehr schön fand, wollte ich wissen, wie es weitergeht.
Was mir im ersten Teil bis etwa zur Mitte gut gefällt, ist, dass du den Leser im Unklaren darüber lässt, wo die Protagonistin und wer der Schatten ist.
Auch die Formulierungen darin finde ich sehr gelungen.

Als sie dann am nächsten Morgen aufwacht, habe ich das Gefühl, in einer anderen Geschichte zu sein. Der Erzählstil verändert sich irgendwie, er wird schneller und die Bilder fallen fast ganz weg.
Dadurch gehen meiner Meinung nach die Spannung und das Träumerische zum Teil verloren. Ausnahme ist der Schluss und die Stelle mit dem Blick in den Kaffee.

Mit vielen Fragen versuchst du, die Spannung aufrechtzuerhalten:

erste Zweifel stiegen in ihr auf. Hatte sie wirklich alles nur geträumt? Oder nicht? Aber wenn nicht Tom, wer war der Mann dann gewesen?

Wenn es nun ein Einbrecher war? Aber würde der Kaffe für sein Opfer kochen?

Ich denke, der Leser stellt sich die meisten Fragen auch von selbst, die Idee mit dem Einbrecher ist zwar gut, aber, dass der keinen Kaffee kochen würde, das muss vermutlich nicht extra gesagt werden. Oft wirken die Pointen erst durch das Weglassen von solchen Fragen.

Wie gesagt finde ich, dass die Geschichte im zweiten Teil etwas nachlässt, gerade weil der erste Teil so stark geschrieben ist. Der Wechsel von Tom auf Jörg geht doch sehr schnell, wie ein Reifenwechsel bei Ferrari :)

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hi Anja,
mir ging's wie Wolkenkind, mir gefiel auch der erste Teil viel besser. Dieser Rausch, das ist wirklich gut getroffen. Und es ist auch spannend, weil nicht gleich klar ist, was da jetzt los ist. Noch ne kleine grammatikalische Anmerkung: Ein taumelndes Lachen? War das beabsichtigt? Ich meine, klingt eigentlich sogar ganz gut, irgendwie poetisch, bloß, streng genommen taumelt ein Lachen eher nicht, wenn du aber schreibst "Taumelnd geriet ihre Lachen zu einem Glucksen" bezieht sich das Taumeln halt eindeutig aufs Lachen.
Zum zweiten Teil: Der fällt leider ziemlich ab, klingt für mich mehr nach abgeschlossener Love-Story in einer Frauenzeitschrift. Ab ihrem Erwachen wird alles vorhersehbar.
Ich würd den einfach weglassen, der erste Teil ist stark genug, Happy-End braucht's nicht unbedingt.

fg
Nurso

 

Hallo, wolkenkind und nurso.

Vielen Dank für eure Kommentare. Es hilft mir wirklich weiter, und ich denke, ihr habt recht - ich werde den ersten Teil wohl für sich stehen lassen.

Liebe Grüße

 

Hallo Anja M!

Das Wesentliche wurde ja bereits gesagt. Zuviele Fragen, die zum Teil sehr aus der gut geschriebenen Geschichte rausreißen. Ich bin zum Beispiel über die Kaffemaschine und die Zeitautomatik gestolpert. Du nimmst dem Leser damit zuviel ab.

Der erste Teil hat eigentlich alles: Spannung, Witz und ein bißchen Romantik. Wirklich gelungen!

Aus dem zweiten Teil könnte aber durchaus auch noch etwas werden, mit Happy-End. Wenn Du ihn vielleicht noch mal gründlich überarbeitest, dass Du formulieren kannst, sieht man ja am ersten Teil. Vielleicht versuchst Du ihn auf das Wesentliche zu kürzen. Mein Vorschlag: Nimm die Fragen raus, die sie sich selber stellt. Nimm das Gespräch etwas zurück. Meiner Meinung nach sagen Gesten oder Blicke oft viel mehr. Natürlich müssen ein paar Dinge geklärt werden, aber Andeutungen reichen oft auch, sonst nimmst Du dem Leser viel von dem, was Du ihm im ersten Teil gegeben hast wieder weg. Er könnte ihr zum Beispiel wortlos den Schlüssel über den Küchentisch zu schieben. Meiner Meinung nach braucht Tom auch nicht noch mal auftauchen. Sie könnte auch so zu der Erkenntnis gelangen, dass sie sich ver-liebt hat. Wie gesagt, nur Vorschläge, aber ich fände es Schade um den zweiten Teil.

Bevor ich es vergesse: Der Blick in die Kaffeetasse muß selbstverständlich erhalten bleiben. :D Und den Titel finde ich auch sehr passend.

Gruß
Silke

 

Hallo, Silke.

Danke auch dir für deine Kritik. Wie alle anderen zuvor bringt sie mich sehr viel weiter.

Liebe Grüße

 

Hallo Anja!
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Ich weiß nicht ob Du daran schon was geändert hast, aber mir kam sie nicht "in zwei Teile" geteilt vor. Dein Schreibstil ist flüssig und klar. Besonders hat mir gefallen wie Du die Gefühle der Protagonistin erzählst. Und vor allem hat mir der "Schatten" am besten gefallen...
LG Joker

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anja,
eine schöne Geschichte in einem angemehm zu lesenden Schreibstil. Besonders die Dialoge kommen sehr natürlich rüber. Die Meinung einiger meiner Vorgänger, nur den ersten Teil stehen zu lassen, mh, ich weiss nicht. Ich würde schon die Länge der Geschichte so lassen, finde aber Wurfaffes Vorschlag gut, dass Tom gar nicht auftauchen muss, sondern dass Deine Prot. im Gespräch mit Jörg darauf kommt, dass sie sich ver-liebt(cooler Titel) hat.

Eine kleine Sache noch:

Ja, wir sind Freunde, Tom. Jetzt. Bisher bist immer mehr für mich gewesen.
Da hast Du ein du vergessen.

LG
Blanca

 

Hallo Manja,

Deine Geschichte hat mir gut gefallen! Jana´s Rausch und die Verwirrung am nächsten Morgen beschreibst Du prima, ich konnte mich da gut reindenken. ;)

Nachdem ich die anderen Postings gelesen habe, habe ich einen Hinweis auf eine ominöse Kaffeetasse entdeckt. Das hast Du aber scheinbar geändert. Schade, denn der Schluß, so wie er jetzt ist, gefällt mir nicht so gut. Ich finde, da fehlt irgendwas. Irgendwie so ein markanter Schlußsatz. Habe die Geschichte zwar "nach der Kaffeetasse" gelesen, aber ich könnte mir etwas in der Richtung gut vorstellen.

Ansonsten ist mir nur eines aufgefallen:

Ich hatte vergessen, ihn dir hier zulassen

... ihn Dir hier zu lassen..

Wer sagt das eigentlich? Jörg oder Jana? Kommt nicht so ganz rüber.

VG

Petra

 

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