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Wie ein vertrockneter Baum in der Wüste stand Jana in der Mitte des Raumes, schwankte betrunken in einem unsichtbaren Sturm hin und her und drohte jederzeit umzukippen. Leise lachend breitete sie die Arme aus, kniff die Augen zusammen und visierte das Bett vor sich an. Als sie mutig einen Schritt nach vorn machte, knickten ihre Beine wie Streichhölzer unter ihrem Körper weg. Im Taumeln geriet ihr Lachen zu einem Glucksen.
„Ups ... Ich fliege.“
Bevor sie vollständig zu Boden ging, glitt jemand wie ein Schatten auf sie zu und griff ihr unter die Arme. Erleichtert aufatmend lehnte sie sich gegen ihren Retter und lächelte ihn an.
„Hallo ... Wohnst du auch hier?“
Kopfschüttelnd erwiderte der Mann ihr Lächeln schwach, und sein Gesicht lag ein wenig im Schatten.
„Nein.“
Dieses eine harsche Wort verwirrte. Nachdenklich zog Jana ihre Stirn kraus, doch die Gedanken überschlugen sich, und ihre Verwirrung wuchs.
„Aber was machst du dann hier?“
„Ich bin für dich da.“
„Oh ... Schön.“
In ihrem Kopf drehte sich alles. Darüber stieg eine erste Vorahnung starker Übelkeit in ihr auf, und verzweifelt bemühte sie sich, nicht zu würgen. Vor ihr ging der Schatten nun langsam auf ihr Bett zu, ohne dabei seine Hände von ihr zu nehmen. Obwohl sie etwas anderes vorhatte, musste sie ihm folgen, und seine Finger kitzelten unter ihren Armen. Kichernd wand sie sich in seinem Griff, bis sie darüber, dass er nicht losließ, wütend wurde. Mit letzter Kraft schlug sie gegen seine Hände.
„Lass mich! Ich kann allein gehen!“
„Das glaub ich kaum, du bist betrunken.“
„Egal! Ich schaff das schon.“
„Na gut.“
Unvermittelt zog der Schatten seine Hände weg, und sofort raste der Fußboden auf Jana zu. Hart schlug sie auf und blieb regungslos liegen. Obwohl sich ihr Körper wie Pudding anfühlte, schien in ihm jeder Knochen einzeln zu schmerzen. Um das Karussell in ihrem Kopf endlich anzuhalten, schloss sie ihre Augen. Doch die Erde schien sich immer schneller zu drehen, und als sie wieder aufsah, war ihr richtig schlecht. Verschwommen drehte das lächelnde Gesicht des Schattens über ihr Kreise. Fürsorglich reichte er ihr eine Hand und zog sie mühelos auf die Beine.
„Komm, ich helfe dir.“
Diesmal wehrte sich Jana nicht. Als sie stand, sank sie schluchzend gegen die Brust ihres Begleiters und schniefte ihren ganzen Kummer in sein T-Shirt.
„Warum liebt er mich nicht?“
„Ich weiß nicht ...“
Tröstend fuhr ihr der Schatten mit einer Hand durch das Haar, eine zärtliche Berührung, die sie nicht von ihm erwartete und die sie bis in ihr tiefstes Inneres elektrisierte.
„Aber ich liebe dich.“
„Echt?“
„Ja.“
Sicher in den Armen des Schattens wischte sie sich mit beiden Händen die Tränen aus ihrem Gesicht, dann schaute sie erstaunt ihn zu ihm auf.
„Leider bist du nicht Tom.“
„Nein, bin ich nicht, leider ... Komm.“
Wieder willenlos ließ sie sich vorwärts schieben, bis sie auf das Bett sank und teilnahmslos vor sich hin starrte. Als sie erneut zu weinen begann, nahm er sie fest in den Arm. Einen Moment lang schien alles stillzustehen, sogar das Karussell in ihrem Kopf.
„Jetzt schläfst du erst mal, Jana, und du wirst sehen: Morgen sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“
Die Stimme des Schattens drang wie durch einen dichten Nebel zu ihr vor, und seine Finger schienen sie kaum zu berühren, als er ihr aus ihren Sachen half. Jana schüttelte mit dem Kopf.
„Das glaub ich nicht!“
„Klar. Wart’s nur ab.“
Stöhnend ließ sie sich rückwärts fallen und rollte sich auf der Seite zusammen.
„Gut!“
Wieder voller Hoffnung schloss Jana die Augen und genoss es, als der Schatten vorsichtig die Decke über sie legte. Dabei seufzte er schwermütig, und einen kurzen Augenblick lang fragte sie sich verwirrt, ob Schatten überhaupt traurig sein konnten. Eine Antwort auf ihre Frage fand sie in dieser Nacht nicht mehr.
Möglich schien jedoch alles, denn Schatten waren seltsame Wesen mit vielen Qualitäten. Gegen zehn Uhr morgens stand Jana nur im Morgenmantel in der Küche und verstand die Welt nicht mehr. Das Aroma frisch gebrühten Kaffees füllte die Luft, und ihr kleiner, alter Ecktisch brach unter der Last des Frühstücks beinahe zusammen.
Ein Traum.
Ungläubig kniff sie sich in einen Arm, verzog das Gesicht und ließ sich rasch in einen Stuhl sinken, bevor ihre zitternden Knie ihren Dienst aufgaben.
Kein Traum.
Mechanisch füllte sich Jana eine Tasse mit Kaffee, nippte daran und starrte gedankenverloren vor sich hin. Dabei zogen die ersten Erinnerungsfetzen durch ihren schmerzenden, in weißen Dunst gehüllten Kopf.
... die Party ...
... ein Desaster ...
... Kaypirinha ...
... schwarzer Mann ...
Angestrengt versenkte sie ihren Blick im Kaffeesatz, als könnte der ihr den Namen ihres nächtlichen Begleiters verraten, wenn sie nur lange genug wartete. Tom war es auf jeden Fall nicht. Doch bereits wenig Sekunden später gab sie entnervt auf. An diesem Morgen fehlte ihr einfach die Geduld, und sie knallte die Tasse regelrecht auf den Tisch. Erst in diesem Augenblick fiel ihr der Blumenstrauß direkt vor ihrer Nase auf, denn er wäre fast umgekippt. Jana zwinkerte verblüfft und zupfte vorsichtig eine kleine Karte aus den Blüten.
„Heute sieht die Welt ganz anders aus, denn wir werden uns endlich bewusst begegnen.“
Wie aufs Stichwort klapperte ein Schlüssel in ihrem Schloss. In Panik sprang Jana auf und suchte nach einem Gegenstand, mit dem sie sich verteidigen konnte. Als die Schritte auf dem Flur immer näher kamen, zog sie die nächstbeste Schublade auf und bewaffnete sich mit einem Nudelholz, das sie drohend in die Richtung der Tür hielt.
„Morgen.“
Die Stimme klang unerwartet freundlich. Überrascht ließ Jana das Nudelholz sinken und starrte Jörg an, der mit schnellen Schritten an ihr vorbei ging und sich vor den Ofen hockte.
„Das verbrennt uns noch alles.“
Während er die Brötchen aus dem Ofen holte, konnte sie ihren Blick einfach nicht von ihm nehmen.
Die Bewegungen, das Lächeln, die Stimme ...
Rasch legte Jana das Nudelholz weg, griff nach ihrer Tasse und versenkte ihren Blick im Kaffee, als sähe sie die dunkle Flüssigkeit zum ersten Mal und müsse sie jetzt für sich entdecken.
„Ja, Morgen.“
Besonders gut gelaunt präsentierte sie sich Jörg damit nicht gerade, aber er störte sich nicht daran. Ein paar Zentimeter von ihr entfernt füllte er die Brötchen in einen kleinen Korb, und immer, wenn er sie wie zufällig ansah, lächelte er strahlend. Schließlich trat er mit dem Korb in der Hand an den Tisch.
„Komm, setz dich doch.“
Ein wenig zögernd folgte Jana seiner Einladung. Jörg zog einen Stuhl zurück, und über ihre Schulter hinweg ließ er ihren Schlüssel auf ihren Teller gleiten. Dann ging er um den Tisch herum und setzte sich ihr gegenüber. Ein wenig seltsam fühlte sich Jana schon, als sie nur im Morgenmantel mit ihm an einem Tisch saß. Bisher traf sie Jörg immer nur ab und zu im Hausflur und tauschte Belanglosigkeiten mit ihm aus. Einmal lud er sie ins Kino ein, aber damals hatte sie abgelehnt. Jörg war einfach nie mehr als ein freundlicher Schatten für Jana gewesen, bis er aus seinem eigenen Schatten trat.