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Verantwortung

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02.06.2001
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Verantwortung

Eines unserer liebsten SF-Themen: Zeitmaschine!
Ich hoffe, mit dieser Geschichte einen neuen Aspekt hinzugefügt zu haben. Ob es mir gelungen ist, müsst ihr entscheiden...

Inmitten eines apokalyptischen Meeres an Totenkreuzen verschiedenster Prägungen und Inschriften stand der Fremde, seine Hände zu einem Gebet gefaltet, seinen Kopf schuldbewusst zu Boden gesenkt, als würde er stehend schlafen.
Seine stillen Botschaften an ein unbekanntes Wesen galten nicht nur dem Toten.
Herr, vergib mir meine Schuld.
Die Stille verstärkte seine konzentrierte Meditation, denn in der Welt des Fremden war Stille für die meisten der seinen ein unbezahlbares, weil nicht vorhandenes Geschenk des Augenblicks.
Es tat gut, hier zu sein, war auch der Anlass ein betrüblicher. Seine Präsenz an diesem Hort der Toten kam ihm anachronistisch vor: Er war kein Un-Toter, denn vielmehr ein Un-Lebender.
Allmählich bekam er leichte Kopfschmerzen - Tribut an seine verminderte Konzentrationsfähigkeit.
Er löste den Kontakt mit dem Unbekannten und rieb mit der rechten Hand konzentrische Kreise auf seiner Schläfe. Dabei schloss er automatisch die Augen.
Ein Wunschbild, das bald in Erfüllung gehen könnte, schwebte ihm vor.
Er nahm eine heiße Dusche, anschließend ein paar Aspirin und bettete sich dann zur Ruhe - allerdings einer zeitlich begrenzten.

Er vernahm Schritte, die seltsam entrückt klangen. Kies, der die Wege bedeckte, knirschte unter den Füßen eines Menschen. Der Fremde wusste, die Schritte galten seinem Platze, doch er drehte sich nicht um.
Sein Überlebenswille war längst einer gleichgültigen Passivität gewichen, die untypisch für seinen einstmals temperamentvollen Charakter war. Sollte er einem Irrtum erlegen sein, als er annahm, sie aus dieser Welt verbannt zu haben, so könnte ein Racheengel grausame Ränke schmieden und sein Blut hier und jetzt vergießen.
Qualvolle Sekunden verstrichen.
Näher kam sie, die Gestalt, und ließ den Fremden in schrecklicher Ungewissheit über sein Schicksal: Würde eine kalte Klinge Jackett und Fleisch durchbohren? Ein Projektil seinen Schädel zertrümmern?
Der Fremde musste dem heftigen Drang seines animalischen Erbes widerstehen, die Flucht zu ergreifen, laufen, einfach laufen, weiter und immer weiter, bis seine Lunge mit Vakuum gefüllt wäre.
Wenn es eine instinktiv richtige Entscheidung gewesen wäre, so war es nunmehr zu spät, denn aus den Augenwinkeln heraus konnte er die Gestalt ausmachen.

Sein Körper versteifte sich. Der Killer sollte einen Anfang und ein Ende setzen.

"Hallo", sagte die Gestalt schüchtern und unwillkürlich wandte der Fremde ihr den Kopf zu.

Nichts bedrohliches ging von ihr aus.

"Hallo", antwortete der Fremde und sah die junge Frau durchdringend an.

Es war ihm, als hätte er sie schon einmal gesehen, sie, dieses fragil wirkende Wesen neben ihm, das seinem starren Blick verwirrt begegnete.
Sie war nicht gerade besonders hübsch, also nahm er an, dass sie dieser Welt verhaftet war und somit keine potenzielle Gefahr für sein Un-Leben darstellte.

"Haben Sie ihn gekannt?", fragte sie und strich sich eine Strähne aus der Stirn.

Ja, ich habe ihn getötet.

"Ja, ich kannte ihn."

Sie nickte. Dann streckte sie ihre Hand aus und sagte: "Alice Hershney"

Die Geste irritierte den Fremden ein wenig, er wusste aber nicht, wie er dieses Gefühl zu deuten hatte.

"Leonard Regan"

Er drückte ihre Hand ganz sanft, denn die absurde Vorstellung, er könnte diese elfenhaft zarten Finger brechen war ihm zuwider.
Nach allem, was er getan und gesehen hatte, wollte er den Schmerzen ein Ende bereiten.

"Wir arbeiteten an einem gemeinsamen Projekt an der Universität in Pasadena."

Nun wusste er, wer sie war.
Er hatte sie um ihre Zukunft betrogen, ohne dass sie es auch nur ahnte.
Eine Windböe zerzauste ihr halblanges Haar. Sie brachte es mit ihren geschickten Händen wieder in akzeptable Form.

"Werden Sie das Projekt fortführen?", wollte der Fremde wissen.

Sie wandte den Blick ab, hin zum Grab.

"Ich denke, es ist in seinem Sinne, Begonnenes abzuschließen. Davon abgesehen ... Verstehen Sie mich bitte nicht falsch! Ich muss auch aus egoistischen Gründen handeln. Mein Studium ist mir wichtig. Er würde mir zustimmen, da bin ich mir sicher."

Der Fremde bedauerte die Antwort; er hatte gehofft, sie würde das Projekt fallen lassen und sich anderem zuwenden. Er steckte in einer erneuten Zwangslage.

"Wann werden sie nach Kalifornien zurückkehren?"

"Morgen" Er hatte demnach kaum Zeit, die Lage gründlich zu überdenken.

"Haben Sie eine Ahnung, warum er das tat?", fragte sie.

Unvermittelt kehrten die kreischenden Kopfschmerzen zurück.
Eine blitzende Erinnerung.
Er zuckte unter ihrer Last zusammen.
Und wusste plötzlich, was zu tun war: Die Passivität abschütteln und aktiv werden.
Rasch fasste er einen Plan, in welchen er Alice mit einbezog.
Allein der Gedanke, diesen durchzuführen, schmerzte ihn, aber es gab keine Alternative.

"Ich bin mir ziemlich sicher, sein Motiv zu kennen. Hören Sie, Alice - ich darf doch Alice sagen?"

Sie nickte zustimmend. Nichts anderes hatte er erwartet.

"Alice, ich habe Migräne und werde in meine Wohnung fahren, um mich davon zu erholen. Wie wäre es, wenn wir uns einmal an einem etwas gediegeneren Ort treffen und darüber plaudern würden? Natürlich nur, wenn es Sie interessiert."

Sie schien nicht abgeneigt.

"Gerne, aber ich fürchte, dazu müssten wir uns in Kalifornien treffen."

Perfekt.

"Natürlich. Das wäre kein Problem. Geben Sie mir Ihre Telefonnummer und ich rufe Sie beizeiten an, ja?"


Wenig später hüllte Wasserdampf seinen Körper ein. Er hatte endlich wieder ein Ziel, das zu erreichen es galt. Er würde schon bald Alice einen Besuch abstatten und seinen Plan verwirklichen, der ihren und den Tod einiger ihrer Kollegen einschloss.
Schmerzhafte Wahrheiten fanden stets einen Weg in den Verstand besonnener Menschen.

Das unverschämte, energiegeladene Pochen an der Tür verärgerte ihn.
Der Fremde warf einen raschen Blick auf den Radiowecker - es war kurz nach halb-drei. Er fühlte sich benommen von den Tabletten, die er eingenommen hatte. Vermutlich lag sein Zustand darin begründet, dass sein Körper nicht an diese Arznei gewöhnt war.
Schwerfällig, fast so, als hätte er sich am Tag zuvor orgiastischen Alkoholfreuden nicht entziehen können, verließ er das Bett und torkelte Richtung Tür.

„Ja, ist ja schon gut.", murmelte er ungeachtet der Tatsache, dass die Person auf der anderen Seite der Tür dies nicht zu hören vermochte.

Der Fremde entriegelte die Tür und öffnete sie einen Spalt.

"Ich wünsche dir einen schönen guten Morgen, Kollege.", schlug ihm eine bekannte Stimme entgegen.

Auf seinem Rücken gefror Schweiß zu Eis: Es war die Stimme des Killers!
Der Weg des Fremden war offensichtlich zu Ende. Er hätte die Tür erneut verriegeln und aus seinem Reisekoffer die Waffe entnehmen können. Er hätte durch das Badezimmer auf den Hof fliehen und von dort seinen unbestimmten Fluchtweg fortsetzen können.
Aber der Fremde war müde geworden; müde des Laufens, müde des Hoffens, müde der Angst.
Resignierend starrte er den Killer an, der den Ausdruck in seinen Augen zu deuten wusste.

"Darf ich reinkommen?", fragte er und schob sich, eine mögliche abschlagende Antwort ignorierend, an dem Fremden vorbei, nachdem er die Tür weit genug aufgestoßen hatte.

"War's das?", meinte der Fremde seufzend und schloss die Tür.

Der Killer gab einen Grunzlaut von sich und entledigte sich der Jacke, die er trug. Er streifte sie behutsam über die Lehne eines Sessels. Der Fremde hätte das Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt, doch er verwarf jegliche Absicht, sich zu wehren.

"Ich wäre einem Schluck Wasser nicht abgeneigt.", sagte der Killer grinsend, "Verdammt schwül ist es heute."

"Ich weiß.", erwiderte der Fremde und suchte das Badezimmer auf, um Leitungswasser in einen unbenutzten Zahnputzbecher laufen zu lassen. Es war das demütige Verhalten eines Besiegten.
Irrational, aber nicht ungewöhnlich. Psychologen hatten vor kurzem wissenschaftlich nachweisen können, dass „Sündenböcke“, also Menschen, die aufgrund eines von der Norm abweichenden Merkmals oder Charakterzuges gedemütigt werden, sich in der Mehrzahl der Fälle in ihr
Schicksal ergaben und keinen ernsthaften Versuch unternahmen, dieses Schicksal abzuändern. Verlierer waren Verlierer, weil man ihnen suggerierte, sie seien es.
Und sie blieben Verlierer, weil der zum gewinnen notwendige Wille ihnen abhanden gekommen war.
Der Fremde wollte noch nicht sterben, nicht durch die Hand des Killers, aber er war entmutigt durch seine eigene Schwäche.
Also gut, soll es eben geschehen.
Er reichte dem Killer den Becher und dieser trank gierig.

"Vielleicht habe ich Gift in das Wasser gemischt.", merkte der Fremde fast beiläufig an.

Der Killer schüttelte den Kopf, nachdem er den Becher geleert hatte.

"Nein, das hast du nicht. Das wäre unehrenhaft, feige und sinnlos. Du weiß genau so gut wie ich, dass wir Schachfiguren sind, die hin- und hergeschoben werden, ohne zu wissen, in welcher Gefahr sie sich befinden, ob sie ein bedrohtes oder ein sicheres Feld belegen."

Der Fremde überdachte die Worte seines Feindes und fand sie gut und treffend gewählt.

"Die Farbe unserer Steine ist konträr.", fügte er hinzu. Der Killer, geschmeidig und hinterlistig tödlich wie eine Katze, lachte aus dem Fremden noch nicht bekannten Gründen.

"Mir wurde klar, dass wir denselben König mit unseren Leibern schützen.", sinnierte der Killer, wobei er einen ernsten Blick wählte.

"Das verstehe ich nicht: Ich will den König fallen sehen. Weshalb sollte ich ihn also beschützen?", gestand der Fremde sein Unverständnis ein.

Der Killer erhob wie ein Lehrer, der einem dummen Schüler eine Lektion erteilen wollte, den Zeigefinger.

"Du gibst und gabst ihnen einen Vorwand, die Macht vollständig in ihren eigenen Reihen zu halten. Und ich sollte dazu dienen, respektive benutzt werden, ihre Machposition zu stärken."

"Indem du mich tötest und mich somit an meinem Vorhaben hinderst.", erwiderte der
Fremde verächtlich.

"Vollkommen richtig, aber ich habe es nicht getan. Ich hatte dich im Fadenkreuz meines Gewehres, wusstest du das? Nein, das kennst du nicht wissen."

Der Killer genoss den Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht des Fremden.

"Ich hätte dir das Hirn aus der Schädelhöhle blasen können, wie Dotter aus einem Ei mit Loch. Warum führte ich meinen Auftrag nicht aus? Tja, das ist eine Frage, die weniger mit Ethik, denn mit kühler Logik zu tun hat.
Meine Logik besagt: Ich will leben. Ich will gut leben. Und wenn es sich damit vereinbaren lässt, anderen das Leben zu erleichtern, lebt es sich um einiges besser. Ich töte nicht aus Spaß, wenn's so wäre könnte ich in einer Fleischfabrik Schweine abschlachten. Ich töte aus Überlegung.
Ich werde dich nicht töten, da dein Tod nicht länger wichtig für mich ist. Ich habe einen kleinen Plan ausgearbeitet, in welchem ich einen Platz für dich vorgesehen habe.
Der Plan ist einfach und von immenser Bedeutung für unser beider Überleben. Bist du an meinen Ausführungen interessiert?"

Der Fremde zuckte mit den Schultern.

"Schön", freute sich der Killer, der die Geste als affirmatives Zeichen verstand. "Also höre: Ich denke, wir machen folgendes:-"


Jake hatte Angst.
Er spürte ganz deutlich, dass er verfolgt wurde. Es handelte sich gewisslich um keine paranoide Wahnvorstellung. Es war eine kühle, rationale Feststellung.
Er wurde verfolgt.
Einmal brach er seinen Weg bei einem Kiosk ab und kaufte sich eine Zeitung, obgleich er kaum jemals Tageszeitungen las, geschweige denn kaufte. Er nahm die Zeitung an sich und setzte sich auf eine unweit entfernte Parkbank.
Dann wartete er ab, ob jemand ihm erneut folgen würde. Nichts schien diese Annahme zu rechtfertigen. Schließlich, leicht entnervt, warf er verstohlene Blicke um sich.
Auf der gemähten Wiese spielten ein paar Kinder Fußball.
Erwachsene schoben Kinderwägen vor sich her.
Verliebte Pärchen schwebten in seltsamer Leichfüßigkeit über den Kiesweg.
Betagte Menschen schlurften miesmutig an ihm vorbei.
Alles wirkte normal und unverdächtig. Andererseits war er Physikstudent und kein FBI-Agent. der mit einem kurzen, geschärften Blick die Spreu vom Weizen, die Guten von den Bösen trennen konnte. Jake versuchte, die Fassung zu bewahren und nicht in panischer Verstandesumnachtung zur nächsten Polizeiwache zu laufen und dort wirres Zeug zu reden.
Bestenfalls würde man ihn einer Alkoholprobe unterziehen und nach Hause schicken. Also las er die Zeitung zu Ende, wobei er im Grunde lediglich eine Minute pro Seite verstreichen ließ und dann umblätterte.

Es war gegen halb-vier, als er seinen Heimweg fortsetzte, nachdem er die Zeitung - ein reines Alibiobjekt - in den Abfallkorb neben der Parkbank gestopft hatte. Das Gefühl, beobachtet zu werden, war nicht abgeklungen.
Im Gegenteil: Es nahm an Intensität zu. Dennoch bemühte er sich um ein möglichst ungezwungenes Verhalten. Hinter jedem Gebüsch, jeder Ecke, in jedem Auto mit getönten Scheiben vermutete er Verschwörer, die es auf ihn abgesehen hatten, so absurd dies auch klingen
mochte.
Das Haus seiner Eltern, in welchem er fast sein ganzes Leben verbracht hatte, erschien ihm als Ort der Ruhe und des Friedens. Niemand würde es wagen, ihm dort aufzulauern.

Und alsbald er die Pforte durchschnitten hatte, fiel der unsichtbare Schatten von ihm ab.

"Mum, ich bin wieder da.", sprach er in die Stille des Vorraums.

Schon vernahm er ihre Schritte.

"Jake", sagte sie und packte ihn plötzlich am linken Arm. "Komm, du hast Besuch und du weißt, man sollte Gäste niemals zu lange warten lassen."

Jake folgte ihr, war aber sichtlich verwirrt. Besuch? Wer könnte das sein? Sie führte ihn in das Wohnzimmer.

"Mister Regan? Jake ist endlich zu Hause."

Im breiten Sofa, auf dem er früher oft gesessen war und gemeinsam mit seinen Eltern einen Film ansah, saß ein junger Mann, den er noch nie zuvor gesehen hatte.
Jedenfalls war dies sein erster Eindruck.

"Hallo", sagte der Fremde.

"Hallo", antwortete Jake monoton.

Seine Mutter ließ seinen Arm los.

"Soll ich dir auch eine Tasse Kaffee zubereiten? Wir haben gerade getrunken und-"

"Nein, danke.", schnitt sie Jake mitten im Satz ab. "Kennen wir uns?", fragte er unsicher.

"Aber Jake, du wirst doch noch deine Freunde kennen.", tadelte ihn Mutter.

Jake achtete nicht auf diese Bemerkung.

"Nun ja, Misses Berlitz, um ehrlich zu sein, ich habe nicht ganz die Wahrheit gesagt. Jake und ich sind keine Freunde, aber was ich ihm zu sagen habe ist dennoch ungeheuer wichtig."

Regan lächelte entwaffnend.

"Jake ... Ich darf Sie doch Jake nennen, ja? Jake, ich muss mit Ihnen reden. Es mag unglaublich klingen und ich erwarte auch nicht, dass Sie mir auf Anhieb glauben, aber das Wohl der Menschheit lastet möglicherweise auf Ihren Schultern."

Unwillkürlich musste Jake lachen.

"Das ist doch-"

"Geben Sie mir fünf Minuten, Jake.", sagte Regan mit stoischer Gelassenheit, obgleich seine Gefühle, seine inneren Wallungen eine andere Sprache sprachen als seine Mimik.

"Schön.", meinte Jake und warf seiner Mutter einen Blick zu.

"Würdest du uns fünf Minuten alleine lassen, Mum?''

Seine Mutter verließ den Raum und schloss hinter sich die Tür. Jake schritt langsam auf den ihm fremden Mann zu und setzte sich neben ihn, wobei er Abstand hielt.

"Meine Mutter kredenzt selbst dem windigsten Staubsaugervertreter Kaffee und Kuchen.", sagte Jake und seufzte tief und hörbar.

"Ich bin kein Staubsaugervertreter. Ich bin Wissenschaftler."

Wütend musterte Jake den Fremden.

"Was erforschen Sie? Die Psyche labiler Menschen? Es tut mir leid, aber ich habe absolut kein Verständnis für diese Show, die Sie hier abziehen. Was glauben Sie, was meine Mutter in den nächsten Stunden machen wird? Sie wird eine ihrer Freundinnen anrufen und ihr haargenau erzählen, was Sie gesagt haben."

"Ist das denn so schlimm?"

Jake lachte hell auf.

"Schlimm? Herrgott! Seit mein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, ist sie auf einem verdammt miesen Trip! Sie liest Bücher, mit denen ich mir nicht einmal den Arsch auswischen würde und hält mich für den nächsten Gewinner des Nobelpreises. Sozusagen als Ausgleich für den Tod ihres Mannes. Himmlische Gerechtigkeit, Sie verstehen?"

"Nobelpreis? Was ist das?", fragte Regan mit verständnisloser Miene.

"Was der...? Von wo kommen Sie? Vom Mars?"

"Verzeihung, ich-"

"Schon gut.", erwiderte Jake, lustlos, "Also, was wollten Sie mir so wichtiges mitteilen?"

Regan zögerte, verzog aber nicht einmal die Augenbrauen, als er etwas so unglaubliches sagte, dass es Jake die Sprache verschlug.

"Ich fürchte, Sie müssen Selbstmord begehen, Jake."


Der Killer genoss den Moment der Stille.

"Zurück können wir nicht mehr. So oder so, wir sind hier gefangen. Also sollten wir das beste daraus machen. An Geld mangelt es mir nicht. Ist das bei dir auch der Fall?"

Der Fremde nickte zustimmend.

"Gut. Wir fahren nach Kalifornien, Pasadena, um exakt zu sein. Mit meinen gefälschten Papieren wird es kein Problem sein, mich ungestört am Caltech-Institut ein wenig umzusehen. Hingegen würde es ein Problem darstellen, die richtigen Leute herauszufinden, jene, die am Projekt auch nur im entferntesten beteiligt waren.
Doch es wird kein Problem sein, weil du mir die Namen dieser Menschen sagen wirst."

"Das verstehe ich nicht.", gab der Fremde unumwunden zu. "Du solltest eigentlich mich daran hindern, diese Menschen zu töten."

"Meine Auftraggeber sind un-lebend. Ab jetzt handle ich auf eigene Faust und du wirst mich darin unterstützen, weil dir dein eigenes Leben nur recht und billig ist."


"Wie bitte?", fragte Jake nach, den ein Gefühl der Betäubung umfing.

Er musste sich verhört haben, das war so absurd, als hätte ihm Regan vorgeschlagen, den Kreml mit einer Atombombe in die Luft zu sprengen. Regan blieb ungerührt und betont sachlich.

"Das ist natürlich keine angenehme Mitteilung, die ich Ihnen machen muss. Tatsache ist, es handelt sich um eine Notwendigkeit und ich werde Ihnen erklären, warum dem so ist."

"Nein, das werden Sie nicht.", brüllte ihn Jake an und sprang auf.

"Raus hier oder ich rufe die Polizei!"

"Dadurch werden Sie Ihren Schatten auch nicht verlustig."

"Woher ... ?" Jake war zum Weinen zumute. Er verstand nicht was hier vor sich ging, außer, dass er unvermittelt in die Fänge Wahnsinniger geraten war.

"Haben Sie jemanden engagiert, mich zu observieren?"

"Nein, im Gegenteil: Dieser Mann will mich töten - und jetzt setzen Sie sich bitte wieder und lassen Sie mich erklären."

"Was wollen Sie erklären?", sagte Jake verächtlich. "Dass Sie verrückt sind?"

"Ich weiß von dem Projekt am Caltech-Institut."

Jake kam der Aufforderung des Fremden nach, sich zu setzen, allerdings unfreiwillig - seine Knie sackten kraftlos zusammen.

"Sind Sie etwa vom CIA?"

"Ich habe keine Ahnung, was das sein soll, aber – nein! Ich bin gewiss nicht vom CIA."

"Sind Sie vielleicht ein Außerirdischer?", fragte Jake und es hätte keine Verwunderung in ihm hervorgerufen, hätte der Fremde dies bejaht.

"Extraterrestrisch? Nein, das schon gar nicht. Nennen wir es - extradimensional."

Jake hoffte, dass seine Mutter nicht an der Tür lauschte.

"Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen."

Der Fremde blickte durch das Fenster. In seinen Augen glaubte Jake Leere zu sehen - vielleicht auch Wahnsinn, gepaart mit Angst.

"Sie verwenden Ihren ganzen Ehrgeiz darauf, die Existenz von Tachyonen erstmals wissenschaftlich nachweisen zu können. So Ihr Leben weitergeht, werden Sie dies bewerkstelligen. Und es wird Ihnen schon bald gelingen."

Die Worte des Fremden klangen bestürzt und verbittert, als hätten sie eine Katastrophe verkündet. Jake konnte nicht anders, er musste lachen.

"Sie haben recht, was ersteres belangt. Leider ist es mir, das heißt uns, schließlich sind wir ein Team, noch nicht gelungen, einen endgültigen Beweis für die Existenz dieser Tachyonen zu liefern. Eine Unzahl von Indizien spricht dafür, aber der ultimative Nachweis ist uns bislang versagt geblieben. Aber davon mal abgesehen: Angenommen, wir werden den unumstößlichen Nachweis erbringen - was wäre so falsch daran?"

"Eigentlich nichts", sagte der Fremde geduldig.

Jake konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, Regan sei des Sprechens müde, aus welchen Gründen auch immer. "Es wird - würde - Ihnen eine Menge Ruhm bescheren."

"Haben Sie das im Kaffeesatz einer Tasse gesehen?", fragte Jake, dem das ganze nur noch wie eine Farce vorkam. Regan ballte seine rechte Hand zur Faust und betrachtete diese eingehend, ohne den Faden in seiner Rede zu verlieren. Der Fremde schien auf merkwürdige Weise verwirrt zu sein.

"Nein, ich habe es in einer Zeitung gelesen. Ich glaube, es war die New York Times."

Nun verstand Jake, was der Fremde angedeutet hatte.

"Sie behaupten, Sie kämen aus einer anderen Zeitepoche?", fragte er erstaunt und amüsiert zugleich.

Der Fremde öffnete die Faust, wandte sich wieder dem Fenster zu, welches ein ewiglich gefrorenes Panorama bot.

"Nachdem Sie und Ihr Team den Nachweis von Tachyonen erbrachten, machte die Physik, im speziellen die Quantenphysik, enorme Fortschritte. Dennoch nahm es viele Jahre in Anspruch, bis europäische Physiker eine verhängnisvolle Entdeckung machten: Anti-Tachyonen."

Der Fremde ging auf Jakes Frage nicht ein, war zu sehr seinen eigenen Gedanken verhangen.

"Erneut verstrichen Jahre und Jahrzehnte, bis das, wofür Sie die Grundlage geliefert hatten, Wirklichkeit wurde: Schlimmer, als tausend Atombomben."

Einen bangen Moment lang befürchtete Jake, Regan würde in einen katatonischen Zustand verfallen. Der Fremde schrak plötzlich auf und starrte Jake an.

"Es ist Ihre Schuld."

Jake schüttelte den Kopf.

"Was ist meine Schuld?"

"Ist das nicht offensichtlich? Sie haben bereits die Vermutung geäußert, ich entstamme einer künftigen Epoche. Sie hatten damit recht: Ich bin ein Zeitreisender, ein Temponaut."

"Großer Gott", stieß Jake hervor, "Das ist doch nicht möglich!"

"Dank Ihrer Mithilfe wurde es - wird es - Wirklichkeit."

"Tut mir leid, aber ich bin nicht gewillt, Ihnen diese Story abzunehmen."

"Ich kann es beweisen.", gab der Fremde zu bedenken.

"Das kann ich mir nicht vorstellen.", antwortete Jake.

Regan beugte sich über den Rand des Sitzmöbels hinaus und hob eine Aktentasche auf, die Jake bisher gar nicht aufgefallen war. Er begab sich wieder in eine bequemere Position, öffnete die Tasche und zog einen Schnellhefter heraus. Diesen reichte er Jake.

"Was ist das?"

"Ihr schriftlicher Report, den Sie in einigen Monaten anfertigen werden würden."

Jake überflog die Seiten. Für manch Passagen nahm er sich jedoch mehr Zeit zum Lesen. Ab und zu flüsterte er "Allmächtiger" und "Das gibt's doch nicht".
Am Ende angelangt, fühlte er sich vor den Kopf gestoßen.

"Einiges von dem, was darin angeführt ist, habe ich niedergeschrieben, aber-"

"-der Rest schwebt Ihnen erst in Gedanken vor, das ist mir klar. Akzeptieren Sie es als Beweis?"

Jake dachte darüber nach.

"Ich weiß nicht. Spielt das eine große Rolle?"

"Ja, denn erst, wenn Sie mir Ihre Zusammenarbeit zusichern, werde ich meine Aufgabe erfüllen können. Und vielleicht die Menschheit erretten."

"Zusammenarbeit in welcher Form?"

"Wir müssen ihr Lebenswerk völlig vernichten. Alles, das in einem Zusammenhang mit Ihren Forschungen in Pasadena steht, muss gelöscht werden. Alle Notizen, alle Daten in einem Datenspeicher, alle Handschriften, alle Abhandlungen. Einfach alles. Auch Ihre eigene Person."

Jake griff sich an den Hals und schluckte.

"Das ist ziemlich radikal und endgültig, was Sie da vorschlagen."

Der Fremde nickte verständnisvoll.

"Ich arbeite in einer Forschungsabteilung, die dem größten Technologiekonzern meiner Gegenwart untersteht. Das Geheimnis der Zeitmaschine ist das Geheimnis ihrer Existenz. Nicht einmal die Regierung weiß davon. Nun, es gelang uns, diese Maschine dahingehend zu perfektionieren, dass „Unfälle“ praktisch ausgeschlossen werden können. In der Vergangenheit -die ihrer fernen Zukunft entspricht - gab es Reisende, die spurlos verschwanden. Vermutlich sind sie in alle Ewigkeit in einer Zeit-Raum-Schleife gefangen. Diese unschöne Aussicht schreckte eingeweihte Testpersonen zusehends ab. De facto war die Maschine ineffektiv, denn niemand wollte sich ihrem Risiko hingeben.
Mittlerweile sind sämtliche Fehler ausgeräumt und die Maschine funktioniert einwandfrei. Ich und meine Kollegen waren uns darin einig, dass jeglicher Missbrauch verhindert werden müsste. Wir trugen uns mit dem Gedanken, eine Regierungsstelle um Hilfe zu bitten.
Leider kam unser Arbeitgeber zuvor: Entgegen all unserer Proteste fing die „Firma“ damit an, die Vergangenheit zu manipulieren.
Wir fanden heraus, dass eine Veränderung der Vergangenheit kumulativ wirkt: Veränderungen werden vorangegangenen Ereignissen also fortlaufend hinzuaddiert.
Es können somit keine Anachronismen entstehen, auch nicht, wenn ich Sie jetzt töten und damit die Entwicklung der Zeitmaschine ad absurdum führen würde. Es ist ausschließlich uns vorenthalten geblieben, über diese Veränderungen Bescheid zu wissen, während für die „gewöhnlichen“ Menschen niemals das „vorher“ existierte.
Um exakt zu sein: Sie wurden sich dessen nicht bewusst gewahr, jedoch aber unterbewusst. Es ist schwierig, dies zu verstehen und selbst ich bin noch nicht so weit, es zu durchblicken. Ich will Sie nicht mit Beispielen verwirren. Es muss Ihnen genügen zu wissen, dass die Vergangenheit veränderlich ist. Mit diesem Wissen ausgestattet, hat die „Firma“ ihre Macht vergrößert - bislang in bescheidenem Ausmaße.
Und dennoch ausreichend groß, um Teile der Menschheit zu verwirren. Ich greife auf dieses Wort zurück, mangels eines anschaulicheren Begriffes. Ich blieb davon leider nicht verschont, obgleich ich von den Veränderungen wusste.
Stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn sich die „Firma“ entschließen würde, die Ermordung von John F. Kennedy zu verhindern oder die Erfindung und Entwicklung des Mikroprozessors für sich zu beanspruchen? Unabsehbar wären die Konsequenzen. Langsam, aber sicher würde die Menschheit völlig wahnsinnig werden, je schizophrener sie würde.
Einerseits haben die meisten Menschen keine Ahnung von den Veränderungen, die bereits stattfanden, andererseits jedoch ist das Wissen darum tief in ihrem Unterbewusstsein verankert. Das ist es, was ich mit schizophren sagen wollte.
Bewusstsein und Unterbewusstsein laufen auf unterschiedlichen Zeitschienen einher. Eine Katastrophe scheint unausweichlich, es sei denn, wir beide verhindern die Entstehung der Zeitmaschine."

Der Fremde gab Jake Zeit, das Unglaubliche mental zu verarbeiten.

"Wer ist dieser Schatten, der mir folgte?"

"Ein gedungener Killer der „Firma“. Er soll Sie beschützen und mich töten."

"Hm", machte Jake. "Wenn ich das richtig verstehe, würde es Ihnen nicht allzu viel nützen, mich jetzt und hier auszulöschen?"

"Das ist richtig, ja. Egal, wie man es wendet und betrachtet: Im Endeffekt liegt es an Ihnen selbst, Unheil zu verhindern."

"Eine Frage noch", warf Jake ein, "Woher wissen Sie, dass sich der Nachweis der Existenz von Tachyonen nicht lediglich ein paar Jahre verzögert, nachdem ich tot bin?"

"Ich weiß es nicht, ich vermute es nur.", gestand der Fremde, der plötzlich wieder lethargisch wirkte. "Aber ein wenig Hoffnung ist besser als gar keine, finden Sie nicht auch?"


"Mein Leben bedeutet mir nicht viel. Immerhin tra. ich diese Reise in der Gewissheit an, dass es keine Rückkehr für mich geben würde.", führte der Fremde aus.

Dann fügte er hinzu: "Bist du sicher, dass uns niemand gefolgt ist?"

"Ziemlich sicher. Aber je mehr Zeit wir mit Schwafeln vergeuden, desto weniger fühle ich mich in Sicherheit. Wo ist die Liste, die dir unser toter Freund gab?"

"In meinem Koffer.", sagte der Fremde, während er ein schwarzes, tiefes Loch in die Wand starrte.

Des Killers Hand fuhr auf seine Schulter nieder.

"Komm jetzt, wir sollten das Schicksal nicht herausfordern. Ich habe zwei Flugtickets geordert. Um zehn nach fünf geht unser Flug ... Hörst du mir überhaupt zu?"

"Ja.", antwortete der Fremde und riss sich aus der Starre los. "Mit dir gemeinsame Sache zu machen bereitet mir kein großes Vergnügen."

Der Killer zuckte mit den Achseln. "Ich bin auf deiner Seite, hast du das vergessen?"

"Du bist immer auf deiner Seite. Du bist ein klassischer Opportunist."

"Ja.", sagte der Killer, der sich ein Grinsen nicht verkneifen konnte, "Aber wenigstens habe ich nichts an der Entwicklung der Maschine zugetan."


Das Dilemma, in dem sich Jake befand, war: Es klang überzeugend, was Regan von sich gegeben hatte.
In seinem Verstand fügte sich die Theorie, die hinter der Zeitmaschine stand: Tachyonen waren Teilchen, die sich rückwärts in der Zeit bewegten. Trafen diese auf Anti-Tachyonen, löschten sie sich gemeinsam mit diesen aus und der alte Zustand würde wieder einkehren. Wenn man dieses Auslöschen verzögern könnte ... Trotz allem überstieg das theoretische Modell seine Verstandeskraft.
Gesetzt den Fall, Regan hatte die Wahrheit gesagt, so konnte kein Zweifel daran bestehen, dass es Jakes Pflicht war, seiner Aufforderung nachzukommen.
War Regan ein Verrückter, so betrog Jake die Wissenschaft um eine große Möglichkeit des Fortschritts.
Stunde um Stunde blätterte Jake in dem Bericht, den ihm der Fremde überantwortet hatte. Ihm fiel ein, dass er vergessen hatte Regan zu fragen, woher er diesen eigentlich hatte. Vielleicht war es eine Kopie, die er aus einem Archiv angefertigt hatte. Das Dokument schien echt zu sein - und von Jake verfasst, nachdem er sich schuldig gemacht hatte.
Es war ungerecht, so verdammt ungerecht!
Aber was bedeutete Gerechtigkeit in dieser Welt?
Gegenstand von Diskussionen und Philosophien, mehr nicht.
Jake musste Eigenverantwortung üben.

Sein erster Schritt war die Vernichtung der Unterlagen, die er von Regan erhalten hatte.
Sein letzter war sein eigener Tod.
Dazwischen lagen quälende Gespräche in der Tiefe seiner Seele. Und Angst, das falsche zu tun. Was, wenn du irrst? Doch instinktiv erahnte er die Wahrheit der Entscheidung: Das richtige zu tun war manchmal entsetzlich schwer - .und er hoffte, dass er das richtige tat, als er seinem Leben ein Ende setzte.

 

Ich bin an sich für alle Kritiken dankbar, obwohl ich meist sehr negative kriege.
Aber für solche wie deine, die einfach nur unverschämt war, kann ich mich nicht erwärmen.
Ich schlage dir mal folgendes vor: Stell dir vor, DU würdest auf eine Geschichte eine solche "Kritik" bekommen - würdest du dich nicht verarscht fühlen?!?

Ich bin 29 Jahre alt, habe zwar kein abgeschlossenes Studium vorzuweisen, aber doch ein Mindestmaß an Bildung, und schreibe seit neun Jahren.
Du kannst also davon ausgehen, nicht mit einem 12jährigen zu kommunizieren, der gerade seine ersten pubertierenden Phantasien in einem Schulaufsatz niedergeschrieben hat. Bitte behandle mich entsprechend, dann können wir sehr gerne diskutieren!

Du kannst meine Geschichten verreissen, aber bitte mit Begründung, nicht mit haltlosen "Hast du deine Hausaufgaben wieder mal nicht gemacht? Was soll nur aus dir werden!"-Pseudo-Kritiken.

Denk mal darüber nach!

 

Alles klar, vielen Dank für deine sehr hilfreichen Kommentare! :(

 

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