- Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
- Kommentare: 8
Verfluchter Morgen
Gegen drei Uhr waren alle von der Party verschwunden und es blieben nur noch wir beide. Wir saßen inmitten von Getränkeüberresten am Boden auf ausgebreiteten Decken und Kissen. Gedämpftes Licht und leise Jazzmusik machten die Szenerie perfekt. Im Nachhinein dachte ich, was hätte ich schon anderes tun sollen?
Aber das ist nur eine dumme Ausrede. Ich habe schon immer versucht meine Fehler mit den Umständen zu rechtfertigen. Krampfhaft suche ich nach Entschuldigungen und Erklärungen, doch letztlich bleibt nichts als dieses schale Gefühl der Erkenntnis, dass es gar nichts zu erklären gibt. Es hilft auch diesmal nicht, Alkohol oder Jazzmusik verantwortlich zu machen. Ich wusste ja, dass er in mich verliebt ist.
Er fragte mich, ob er noch aufräumen helfen solle. Ich schüttelte nur müde den Kopf. Es ist doch schon so spät. Er ist wie immer etwas unsicher, weiß nicht, ob er gehen oder bleiben soll. Wahrscheinlich geht er im Kopf gerade den nächsten Satz durch, den er sagen möchte.
Wir liegen einfach nur da. Aneinander gekuschelt wie so oft. Für mich ist das bedeutungslos, aber ich weiß, dass ihn diese Nähe immer sehr aufregt. Ich spüre sein Herz wie verrückt schlagen. Seine Hände fangen an mich zu streicheln und ziehen sich dann wieder zurück, aus Angst vor meiner Reaktion
Er zieht seine Hände immer zurück. Niemals würde er mehr wagen als zurückzunehmen ist. Aber ich muss vorsichtig sein, denn ich weiß, dass er jeden Finger, den ich bei ihm berühre, als Geschenk betrachtet, so dass ich Stück für Stück in seinen Besitz übergehe. Und jedes bisschen Haut, dass er mehr bekommt, macht ihn glücklich.
Ich schaue ihn aus trunkenen Augen an und lächle, weil er so hübsche schwarze Löckchen hat, die wirr ins Gesicht fallen. Fragend blickt er zurück und ich sage nur „Hübsch“. Ich grinse noch weiter, diesmal einladend, etwas kokett.
Dieses Lächeln ist schon zuviel. Jetzt glaubt er es zu besitzen, obwohl ich es ihm doch gar nicht geben kann. Für eine Nacht, stolpert es durch meinen Kopf, für eine Nacht könnte er es haben. Und ich drücke es in seine Halskuhle und schmiege mich noch etwas enger an ihn.
Als ich den Kopf hebe, um wieder zu Atem zu kommen, ist mein Gesicht seinem so nah, dass ich die Haut riechen kann, die leichte Alkoholfahne. Ich spüre unruhiges Atmen, Lippen, die darauf warten geküsst oder vergessen zu werden, sind nur wenige Zentimeter von meinen entfernt.
Wenn ich ihn jetzt küsse, dann werde ich auch mit ihm schlafen. Und nichts wird sein wie es einmal war. Ich entscheide mich und zeichne in Gedanken noch einmal die beiden Wege, die vor mir liegen. Der rechte führt in das Universum, indem ich ihm eine freundschaftliche Umarmung gebe und etwas sage wie ‚Vielleicht sollten wir doch noch aufräumen.‘ Der linke Pfad steigt steil hinauf, der Kuss brennt ja nicht nur auf seinen Lippen. Doch mir ist klar, dass kein Berg höher als seine Gipfelspitze ist. Der Höhepunkt wird schnell erreicht sein, danach geht es abwärts.
„Bitte...“ , durchbricht seine flüsternde Stimme meine Gedanken „Ich will jetzt nicht reden.“, sage ich, und stolpere auf den linken Pfad. Er hätte mich zwingen müssen zu reden. Er hätte meinen Mund aufhalten sollen, und mir sagen müssen, dass er keinen Egoismus küsst. Wenn er doch nur nicht zu verliebt gewesen wäre das zu sehen.
Ich drücke meine Lippen auf seine. Er öffnet sie zärtlich und fährt mit der Zunge in meinen Mund. Es ist ein schöner Kuss. Auch alles weitere wird sehr schön.
Unsere Hände berühren nackte Haut, Körper werden nass geküsst, und vier Augen erblinden in nächtlicher Aphrodisie.
Ich küsse noch lange weiter, nur um nicht aufzuhören, bis wir beide schließlich doch noch ganz erschöpft einschlafen. „Ich will nicht schlafen“, sage ich noch. Er versichert mir, dass er ja bei mir ist. Und wir noch so viel Zeit haben. Das ist es ja, denke ich, und meine Augen werden ganz nass in der Dunkelheit, denn morgen Früh bist du immer noch da, und ich muss dich fortschicken.