Was ist neu

Verfolgt

Beitritt
22.11.2005
Beiträge
993
Zuletzt bearbeitet:

Verfolgt

Stilistischer Beirat: Senior Mitglied "Woltochinon"

Ich werde verfolgt. Noch kann ich es nicht mit Sicherheit sagen, aber die Schuhe, die schon seit geraumer Zeit, ganzen drei Blocks, hinter mir herquietschen, haben mit mir die Straßenseite gewechselt, haben das Tempo erhöht, als ich mein Schritttempo erhöht habe. Es besteht kaum ein Zweifel. Ich weiß, dass jemand hinter mir her ist, vermag mich nicht umzudrehen, denn genau in diesem Moment wird er wissen, was ich weiß und seine Tat vollstrecken. Angst presst meine Eingeweide zusammen, ich spüre Schweißtropfen in meinen Augen. Nein – ich will nicht sterben, schon gar nicht vor meiner eigenen Haustür. Denn spätestens da bin ich dran. Dann kann der Kerl auch gleich meine Wohnung ausräumen. Aber nicht mit mir. Ich werde mir nichts anmerken lassen und weitergehen. Ich schaue nicht zur Tür, als ich an ihr vorbeigehe. Langsam aber sicher werde ich in einen belebteren Teil der Stadt gehen. Noch scheint der Täter nicht entschlossen genug. Vielleicht lässt er von mir ab. Ich müsste eine Kneipe finden, eine Imbissbude, irgendwas. Aber zu dieser Zeit hat nichts mehr geöffnet. Keine Bahn fährt, kein Taxi saust vorbei, kein Mensch weit und breit.
Ich werde verfolgt! Ich bin das Opfer. In ein paar Tagen werde ich nur noch ein Opfer sein. Der Täter entscheidet, ob man meinen Namen in den Zeitungen lesen wird oder nicht. Umso grausamer, brutaler und bestialischer er mich abstechen wird, umso schlagkräftiger wird seine mediale Präsenz. Warum nur, warum nur hat er das getan? Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: Jugendlicher ersticht Student auf offener Straße. Seitenlange Ausführungen der Grausamkeiten und weitere ellenlange Berichte mit den Beschreibungen der desolaten Familienzustände und des sozialen Umfelds des Täters folgen. Ich werde nicht viele Worte bekommen.
Ich bin ein Opfer. Ein weiteres Opfer, ein weiteres Beispiel der sozialen Verhältnisse, die in diesem Land herrschen. Ich werde vom Opfer zum Beispiel, vom Beispiel zur Bestätigung einer Tabelle. „Ein Student“ wird dort stehen. Vielleicht mein Name in Kürzeln. Ein Student, mehr nicht. Keine Familie. Er kam aus dem Kino. Man fand die Eintrittskarte. Keine Begleitung. Er war alleine im Kino. Welchen Film? Nicht einmal das wird man schreiben. Von meinem Täter hingegen werden sie jedes Videospiel auflisten, was er für Musik gehört hat, wie sein Zimmer aussah, wie er so in der Schule war. Bei mir dagegen: nichts. Was ich so gehört habe, interessiert keinen. Dabei höre ich sehr wohl auch sexistische Musik und spiele bluttriefende Ego Shooter. Und schlecht in der Uni bin ich auch. Keinerlei Zukunftsperspektive. Freunde habe ich auch keine, sonst wäre ich wohl kaum alleine im Kino gewesen. Schlechtes soziales Umfeld, pah! Von so was kann ich nur träumen. Ich habe nicht mal ein Umfeld. Schon gar kein soziales. Und das Butterfly, um das sich gerade meine Faust in der Jackentasche schließt, ist nicht die einzige Waffe, die ich besitze. Also vergiss es! Von wegen Opfer. Ich werde die Schlagzeilen bestimmen, ich werde das Subjekt sein, der Wichser hinter mir das Objekt. Meine Eltern sollen zur Rechenschaft gezogen werden, nicht seine. Meine Lebensgeschichte soll erzählt werden. Ich kann es nicht dulden, nur Opfer zu sein.
Ich zücke mein Messer, drehe mich um, bereit, meine Geschichte in seinen Leib zu schnitzen und seine zu löschen. Ich starre in ein verblüfftes Gesicht. Er erschreckt, stolpert beinahe, dreht sich um und rennt. Er war gar nicht so nah hinter mir, wie ich gedacht hatte. Auch ich renne los, das Messer wie einen Tomahawk in der Hand. Ich schreie etwas, ich weiß nicht was, irgendwas, und ramme nach nur wenigen Schritten mein Messer in Nackenfleisch, er fällt, ich bekomme das Messer nicht mehr heraus, halte mich daran fest, ich falle auch, wir fallen, ich schlage mit dem Kopf auf die Bordsteinkante, keine Schlagzeile wert.

 

Hallo!

Vielleicht wird es noch besser verständlich, wenn Du eben genau das noch ein bisschen besser betonen würdest. Als ich früher noch gekifft habe (lange her), da habe ich auch immer irgendwas mitgehabt, wenn ich mich in bestimmten Gegenden rumgetrieben habe, was aber ansonsten gar nicht meine Art war/ist. Das habe ich immer nur im Zusammenhang mit bestimmten Orten gemacht, wenn es in besonders zwielichtige Ecken ging. Passiert ist zum Glück nie was, aber ich habe mich dadurch schon irgendwie sicherer gefühlt. Daher finde ich es nicht unlogisch, dass man ein Messer einfach so mit sich rumschleppt. Der Typ muss nicht zwangsläufig paranoid, oder gaga sein:D. Ich weiß nun nicht, ob ich mit diesem Kommentar das sagen konnte, was ich wollte, aber ich hoffe, Du verstehst, worauf ich hinaus will;).

Gruß,
Satyricon

 

Aus der

Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme / 10. Revision / Version 2006

"F22 Anhaltende wahnhafte Störungen

Diese Gruppe enthält eine Reihe von Störungen, bei denen ein langandauernder Wahn das einzige oder das am meisten ins Auge fallende klinische Charakteristikum darstellt, und die nicht als organisch, schizophren oder affektiv klassifiziert werden können. Wahnhafte Störungen, die nur wenige Monate angedauert haben, sollten wenigstens vorläufig unter F23.- kodiert werden.

F22.0 Wahnhafte Störung

Eine Störung charakterisiert durch die Entwicklung eines einzelnen Wahns oder mehrerer aufeinander bezogener Wahninhalte, die im allgemeinen lange, manchmal lebenslang, andauern. Der Inhalt des Wahns oder des Wahnsystems ist sehr unterschiedlich. Eindeutige und anhaltende akustische Halluzinationen (Stimmen*), schizophrene Symptome wie Kontrollwahn oder Affektverflachung und eine eindeutige Gehirnerkrankung sind nicht mit der Diagnose vereinbar. Gelegentliche oder vorübergehende akustische Halluzinationen schließen besonders bei älteren Patienten die Diagnose jedoch nicht aus, solange diese Symptome nicht typisch schizophren erscheinen und nur einen kleinen Teil des klinischen Bildes ausmachen.

Paranoia
Paranoid:
· Psychose
· Zustand
Sensitiver Beziehungswahn
Späte Paraphrenie
Exkl.: Paranoid:
· Persönlichkeitsstörung ( F60.0 )
· psychogene Psychose ( F23.3 )
· Reaktion ( F23.3 )
· Schizophrenie ( F20.0 )

F22.8 Sonstige anhaltende wahnhafte Störungen

Hierbei handelt es sich um Störungen, bei denen ein Wahn oder Wahnsysteme von anhaltenden Stimmen oder von schizophrenen Symptomen begleitet werden, die aber nicht die Diagnose Schizophrenie (F20.-) erfüllen.

Paranoides Zustandsbild im Involutionsalter
Querulantenwahn (Paranoia querulans)
Wahnhafte Dysmorphophobie"
usw. usf.

* Anmerkung: Es müssen ja nicht Stimmen sein, es genügen beliebige Geräusche wie die, welche durchs Laufen entstehen. aber auch Schatten etc.

Was wäre zur Begründung des Messers, um üblicherweise Obst zu schälen, Brot zu schneiden/schmieren u. a. triviales Zeugs. Selbst ein Kugelschreiber kann zur Waffe werden, konsequent angewndet.

Gruß & 'tschuldigung für die Belästigung!

Friedel

 

Hallo Aris,

die Geschichte „hastend“ zu schreiben, finde ich gut, so habe ich es nur nicht empfunden. Ich schicke dir dazu noch eine Mail.
Wie gesagt, Kurzgeschichten müssen auch nicht unbedingt zu den Ursprüngen zurück gehen, um etwas zu klären.

Zum Schluss: Das sich das Schicksal (oder seine Unfähigkeit) gegen ihn wendet, erhöht die Tragik der Figur, die Erwähnung der Schlagzeile schafft einen Bezug zu den Gedanken im Mittelteil der Geschichte, hat eine resignierende Komponente (eigentlich ist sein Tun von Vergeblichkeit geprägt: Er bildet sich eine Bedrohung ein, er löst dieses ‚Problem‘, aber kommt nicht weiter).
(Bin am Überlegen, ob man die Szene noch etwas dramatisieren sollte …)

Woltochinon

 

Hallo Satyricon,

ich verstehe, dass du mir mitteilen möchtest, du bist auch ein kiffender Zitterangsthase mit Messer in der Tasche und dem Vermögen, dieses auch zu verwenden. :)

Nein, so ganz weiß ich nicht, was du mir sagen willst. Vielleicht, dass du weiterhin auf der Suche nach Gründen bist. Der Typ ist nicht paranoid, weil er ein Messer dabei hat. Das zeugt nur von seiner Unsicherheit und seiner Angst. Paranoid ist er, weil ... hier kommt dann Friedels unerwartete Antwort zu tragen, die vielleicht ein genaues psychisches Täterbild abgibt, oder sich dem zumindest annähert. Der Prot bildet sich viel ein, viel Irrationales, es kommt dem Stimmenhören gleich, ja. Er projiziert seine Innenwelt, in der er das Opfer sein wird (dies ist seine Befürchtung) nach Außen, in eine Welt, in der dies nicht der Fall ist. Vielleicht hat er auch zu viele schlechte Filme gesehen :)

Dank einer PM von Wolto ist die KG jetzt hastender geworden, einige unmerklich stilistischen Wichtigkeiten wurden ergänzt. Da kann ich mich für so viel Einsatz nur bedanken. Auch bei Friedel, der uns ein Täterbild angefertigt hat. Ich hätte nun gerne noch einen juristischen Beirat, inwiefern das selbsternannte Opfer nun tatsächlich Täter ist und mit wie viel Strafe er zu rechnen hat. Dafür müssten wir die Frage klären, ob das wirkliche Opfer tot ist oder nicht.
Wie ich soeben erfahren konnte, geht es dem Opfer, einem 46 jährigen Gymnasiallehrer aus Oberammergau, "den Umständen entsprechend". Er wird voraussichtlich nächste Woche aus der Intensivstation entlassen, trägt schwere Stichverletzungen davon, wird vorraussichtlich vom linken Schulterblatt abwärts einseitig gelähmt sein und erwartet die Entschuldigung des Täters bei dem im nächsten Monat beginnenden Prozess. Dieser verweilt in der Haftanstallt. Eine psychische Untersuchung liegt von Oberarzt Dr. Friedel bereits vor, es wird jedoch noch auf Gegenuntersuchungen unabhängiger Psychologen gewartet. (DPA/ Aris news 19 Feb. 2010)

Eine event. Dramatisierung des Tathergangs ist in Arbeit. Das Opfer kann sich (laut eines Angehörigen) nur an schemenhaft an die Attacke des jungen Mannes erinnern. Sie kam für ihn unerwartet und plötzlich. Der Täter kann zurzeit noch nicht befragt werden. Laut seinem Anwalt fühlte er sich gefährdet und handelte in Notwehr.

 

Hi!

Na ja, benutzen würde ich es auf keinen Fall! Ich wollte nur sagen, dass man kein Psycho sein muss, um bewaffnet zu sein:D!

Gruß,
Satyricon

 

Aus einem Leserbrief eines Anno Nümuß an die DPA / Aris news

"Betr. Ihren Bericht vom 19. d. M.

Ich bezweifel, dass dieser Friedel ein Täterbild angefertigt habe, da ihm dazu m. W. jegliche Kompetenz fehlt. Selbst wenn er schon einmal die Freud'sche Studienausgabe als auch Adornos Studien zum autoritären Charakter incl. einiger kleinerer Produktionen dieser Gattung Besserwisser vor Augen hatte, sie aber - nach meiner bescheidenen & unmaßgeblichen Meinung - nicht in seinem Hirn so richtig angekommen sind. Weder ist er Oberarzt noch kann er sich mit einer Approbation schmücken. (...)

Nun auch noch einen juristischen Beirat von dieser armen & verblödeten Seele zu erbitten verdrängt, dass er von der Ausbildung her ein halber Jurist ist, tatsächlich aber als BWLer einer Berufsgruppe zuzurechnen ist, die ihr Wissen aber zu durchaus verwerflichen Taten (Finanzdienstleister, Steuer-, Unternehmen- und hernach Schuldnerberater) benutzt. Da wäre jeder Rat anrüchig."

Hallo Aris,

hab mir erlaubt, die aktuelle (19.02.) mit der Fassung vom 21.01.10 zu vergleichen und dabei hat dann die Kleinkrämerseele aufmerksam mitgelesen:

> Aber nicht mit mir.<
Hier könnte man ein Ausrufezeichen setzen, um die Nachdrücklichkeit zu steigern.

Vielleicht gehört ein Komma in den Satz
>Langsam aber sicher werde ich in einen belebteren Teil der Stadt gehen< gesetzt, da m. E. die Grundregel der Kommasetzung zwischen gleichrangigen Wörtern (eben: langsam + sicher) und Wortgruppen gilt.

In jedem Fall Komma zu setzen in
: >Was ich so gehört habeKOMMA interessiert keinen. <

Aber auch zu den Änderungen mit Hinweis, was geändert wurde.

In
>… schon seit geraumer Zeit, ganzen drei Blocks, hinter mir herquietschen, …< ersetzen nun Kommas die vorherigen Gedankenstriche, ein Verb wird ausgewechselt (>abstechen<, statt >abmurksen<), zwei Absätze, die vorher nicht da waren, sind gesetzt, überflüssige Wörter sind gestrichen (>Ich müsste eine Kneipe finden, eine Imbissbude, irgendwas.< begann vordem >Oder ich kann eine Kneipe ….<, >Brille, Vollbart, kurze Haare, schwarze Jacke< als Beschreibung des Widerparts sind rausgeschnitten), dafür werden somatische Indizien der eigenen Angst angerissen (Eingeweide, Augen), und dass man in großer Angst gar nicht weiß, was man sagt – wie man auch i. d. R. gar nicht mitkriegt, was man tut – ist nun auch dargestellt.

Kurz: der Prot gehört auf jeden Fall in die Psychosomatik …

Das wirklich bekloppte besteht ja darin, dass der Icherzähler eigentlich schon die eigene Haustür (und somit "Sicherheit") gewonnen hat, die aber aus vorgeschobnem Grund nicht nutzt, sondern stattdessen Warhols Prophezeiung, dass jeder einmal fünf Minuten bekannt sein werde, erfüllen will und dafür versuchten Totschlag (siehe Deine letzten Äußerungen zum Untäter) incl. Strafmaß (k. A., welchen Ausmaßes) in kauf nimmt.

Gruß

Friedel

 

Hey Friedel,

Ja, gut aufgepasst. Auch keine Kommata werde ich ergänzen. Danke. Ich weiß nicht, ob aber nicht als Bindewort gilt und da also kein Komma zwischen muss. Ich glaube aber, dass du recht hast.

Ich glaube, der Prot verpasst die Tür aus Paranoia. Auch schütz er sein Hab und Gut, was ich sehr interessant finde. Auch sieht er das Ankommen an seiner Heimatpforte nicht als Rettung sondern weitere Bedrohung. Ihm könnte mehr als nur sein Leben genommen werden.

Den juristischen Beirat erwarte ich nicht von dir. Vielleicht macht das jemand anderes. Würde mich interessieren, welche Strafe mein Prot zu erwarten hat. Versuchter Mord? Unzurechnungsfähigkeit?

beste Grüße

 

Hallo Aris,

den Anfang der Geschichte fand ich gut, er hat mich mitgezogen. Die Atmosphäre war beklemmend wie in einer wirklichen Verfolgungssituation. Dann schweiften die Gedanken des Protagonisten auf die möglichen Pressestimmen. Das war für mich nicht ganz nachvollziehbar. Er hat Angst, fühlt sich bedroht, flieht. Und dann fängt er an, ausführlich über die folgende Publicity nachzudenken? Mir schiene es logischer, wenn er sich in eine Panik hineinsteigerte, die ihn dann selbst zum Täter werden ließe.

Es besteht kaum ein Zweifel. Ich weiß, dass jemand hinter mir her ist, vermag mich nicht umzudrehen, denn genau in diesem Moment wird er wissen, was ich weiß und seine Tat vollstrecken.
Bei dem Satz blieb ich hängen. Zum einen das "was" hinter dem Komma. Wäre "..., dass ich es weiß ..." nicht logischer? Dann "die Tat vollstrecken", da kenne ich nur Urteile, die vollstreckt werden und Taten, die vollbracht werden. Ausführen wäre vielleicht noch eine Alternative.

Auch mit meinen Logikproblemen gern gelesen.

Lieben Gruß
Sabine

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom