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- 11.06.2005
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Vergangenheit
Sie war glücklich, immer wieder sagte sie sich, das sie glücklich war. Auch jeder Aussenstehende hätte ihr das beglaubigt.
Sie war 28 Jahre alt, und sehr attraktiv. Sie war verheiratet mit einem liebevollem Mann, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas und lebte mit ihm und ihren beiden Kindern in einem schönem Haus am Stadtrand.
Sie war glücklich. Doch warum träumte sie dann Nacht für Nacht von Ihm?
Warum begleiteten sie diese Träume bis weit in den Tag hinein und ließen sie schon lange vor dem zu Bett gehen nervös werden? Warum nur konnte Er nicht aus ihren Gedanken verschwinden? Warum nur konnte sie Ihn nicht vergessen?
Die Fassade aufrecht zu erhalten wurde immer schwerer. Von Tag zu Tag, von Traum zu Traum.
Sie war glücklich, immer und immer wieder sagte sie sich selbst, das sie glücklich war.
Es waren nur dumme Zufälle, das sie unter den Berührungen ihres Mannes zusammen zuckte. Es durfte gar nichts anderes sein.
Völlig in Gedanken versunken stand sie im Bad vor dem Spiegel und sah sich lange an.
Er war Teil ihrer Vergangenheit, was hatte Er jetzt in der Gegenwart zu suchen? Und wie war es möglich, das sie nach so langer Zeit noch immer für Ihn empfand?
Er war ihre erste grosse Liebe. Sie hatten sich in einer Disco kennengelernt, ohne viel Worte. Ein langer Blick, eine zaghafte, sanfte Berührung waren der Beginn einer kurzen, leidenschaftlichen Beziehung. Die Gefühle, die Er in ihr geweckt hatte, waren überwältigend gewesen. Doch eines Tages war es vorbei. Er war spurlos verschwunden, niemand wusste von ihm, als hätte es ihn nie gegeben, als hätte er nur in ihrer Fantasie existiert.
Trauer, Verzweiflung und Sehnsucht waren lange ihre ständigen Begleiter. Irgendwann gelang es ihr, alle Erinnerungen an Ihn fest in sich zu verschliessen, wieder nach vorne zu sehen.
Warum also war Er jetzt wieder in ihren Gedanken, in ihren Träumen?
Wie von fern hörte sie die Türglocke. Es fiel ihr schwer, gedanklich ins Hier und Jetzt zurück zukehren. Doch das Schrillen der Türglocke klang mit jedem mal fordernder, lauter. Ärgerlich riss sie sich von ihrem Spiegelbild los und eilte die Treppe hinab, um dem mittlerweile sehr energischem Klingeln ein Ende zu machen. Sie griff nach der Klinke und öffnete die Tür mit einem heftigen Ruck, einen wütenden Satz auf der Zunge, der jedoch auf den Lippen erstarb.
Da stand Er. Mit einem Blick stellte sie fest, das sich nichts an ihm verändert hatte. Oder doch, bei genauerem hinsehen sah man dunkle Ringe unter seinen Augen. Keiner von Beiden sagte etwas, jeder sog den Anblick des anderen in sich auf. Die Gefühle, die in ihr aufwallten waren gemischt, aber heftig.
" Ich träume von Dir! " sagte Er plötzlich, und zerriss damit die Stille, die sich um sie gelegt hatte. Sie wollte antworten, soviel Fragen brannten ihr auf der Zunge. Doch bevor ihr auch nur ein Wort über die Lippen kam, spürte sie die warme Hand ihres Mannes auf ihrer Schulter.
Leise und unbemerkt war er neben sie getreten, und sie war nicht unter seiner Berührung zusammen gezuckt. Sie lehnte sich leicht an ihn und spürte, wie Vertrauen, Geborgenheit und Liebe sie durchfluteten.
Sie schloss für eine Sekunde die Augen, atmete tief durch und schloss die Tür.
Für immer.