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Vergeltung

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11.09.2003
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Vergeltung

Ist spät geworden.
Seit Mittag sitze ich jetzt hier und warte darauf, dass mein Mörder erscheint, doch er lässt sich Zeit. Hat wohl die Ruhe weg. Kein Wunder, ist schließlich ein Profi, durch und durch. Glaub ich zumindest, oder ich will es glauben. Schließlich will ich mein Erspartes nicht an einen Laien verschwenden.
Aber eins nach dem anderen.
Bevor die Steine ins Rollen kommen, muss meine Kleine in Sicherheit sein, so war das abgesprochen. Sie weiß ja nichts von alledem und das muss sie auch nicht. Ich weiß es und wenn ich es jetzt Ihnen erzähle, dann bin ich nicht ganz alleine mit der Wahrheit.
Wo soll ich anfangen?
Am Besten nicht zu weit ausholen, sonst bleibt die Pointe ein Kopfschuss und ein unvollendeter Satz. Wäre ziemlich doof für den Leser.
Mein Name ist Robert Braun. Ich arbeite in der Kanzlei Brüggemann & Söhne und meine Aufgabe ist es, Schwerverbrecher zu verteidigen. Diese Arbeit hat mir zwar schon immer Kopfschmerzen bereitet, aber das Honorar reichte bisher immer für ganze Wagenladungen Aspirin.
Bis ich Mario DelVeggio kennen lernte.
Seine Erscheinung reichte schon aus, um mich davon zu überzeugen, dass ich es hier mit einem langjährigen und hochrangigen Mitglied der Mafia zu tun hatte. Seine Haare glänzten so stark, dass man annehmen konnte, er hätte sie zusammen mit seinem Sportwagen wachsen lassen. Seine dunkle Hautfarbe verriet seine regelmäßigen Solariumsbesuche und sein wachsamer und unnachgiebiger Blick machte deutlich, dass er durch und durch eiskalt war und keinerlei Skrupel oder Gewissensbisse besaß. Dieser Mann hatte noch nie etwas von Vergebung gehört und wenn doch, dann hatte sich sein Vokabular dadurch nicht erweitert. Sein feiner, maßgeschneiderter Anzug wies auf eine finanzielle Unabhängigkeit hin, die nichts zu tun hatte mit Reichtum, sondern mit uneingeschränkter Macht. Ebenso seine Schuhe, die mit dem Glanz seiner gescheitelten Frisur harmonierten, als wäre er ein Designerstück und wenn man es recht bedenkt, dann war er genau das. Mario DelVeggio.
Er war in jeder Hinsicht ein großer Fisch, das war mir sofort klar, denn er benahm sich nicht nur dementsprechend, sondern befand sich auch in einer Klemme, in der sich nur Leute befanden, die glaubten, über dem Gesetz zu stehen und dabei so unschuldig wirkten, als hätten sie das Verbrechen mit der Muttermilch aufgesogen.
Wie dem auch sei.
Auf DelVeggios ausdrücklichen Wunsch hin wurde ich mit seinem Fall betraut. Als mir einer seiner Handlanger mitteilte, dass er einen Termin außerhalb der Sprechzeiten wünschte, dachte ich zu erst, er hätte Angst sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Ich dachte da in erster Linie an ein Attentat einer rivalisierenden Kaste.
Damit lag ich jedoch falsch.
DelVeggio hatte vor nichts Angst, er verbreitete sie lediglich und das ziemlich effektiv. Wir wechselten zwar nur wenige Sätze, doch von Anfang an bestand nicht der leiseste Zweifel, dass er derjenige war, der sagte wo es langging. Meine Arbeit dagegen beschränkte sich darauf, seine Befehle auszuführen. Was mir drohte, wenn ich seinen Anordnungen zuwiderhandelte, konnte ich seiner Prozesschronik entnehmen.
Er ließ einem die Finger, die Arme, die Beine und die Nase brechen, um eine erste Verwarnung auszusprechen und es war sehr viel leichter Scheiße zu bauen, als DelVeggios Wünsche einhundertprozentig zu erfüllen. Was bei der zweiten Verwarnung geschah wollte ich lieber gar nicht wissen.
Man warf ihm vierfachen Mord vor, vorsätzlich, von langer Hand vorbereitet.
Das würde das höchste Strafmaß bedeuten, in diesem Bundesland hieß das fünfundzwanzig Jahre Sicherheitsverwahrung, mit der Option die Strafe auf unbestimmte Zeit zu verlängern, natürlich vorausgesetzt, es kam überhaupt zur Verhandlung.
Und genau da war mein Typ gefragt. Meine Beziehungen zum obersten Bundesgericht und zum Oberstaatsanwalt sollten verschiedene Ausnahmeregelungen in Gang setzen, um die Beweise der Gegenseite zu kompromittieren. Das Ganze sollte natürlich subtil geschehen, wenn man die Androhung eines schmerzhaften und langsamen Todes als subtil bezeichnen kann. Das Drohen übernahm die Mafia, die Korrespondenz mit den beteiligten juristischen Stellen überließ man mir.
Warum er gerade mich auserwählt hatte, erfuhr ich nie. Ich nehme an, er war von meinen bisherigen Erfolgen beeindruckt. Trotzdem leuchtete mir seine Vorgehensweise nicht ein, jedoch ist es wahrscheinlich ohnehin nahezu unmöglich, die Motive eines Wahnsinnigen nachzuvollziehen, denn genau das war er in meinen Augen. Unter seinem feinen Anzug und seiner sauber gescheitelten Frisur war er eine mörderische Bestie.
Mehr als einmal stellte ich mir insgeheim die Frage, warum DelVeggio nicht einfach alle umlegte, die ihm gefährlich werden konnten, doch je öfter ich mit ihm zu tun hatte, desto mehr wuchs in mir die Gewissheit, dass es für diese Frage zwei mögliche Antworten geben konnte.
Zum einen waren seine Methoden bekannt und er hätte nicht ohne weiteres sein Killerkommando einsetzen können, ohne internationales Aufsehen zu erregen. Diesmal nicht. Zu viele Menschen waren darin verwickelt, zu viele Augen verfolgten das Geschehen. Deshalb zog er es vor, die Sache ohne großes Aufsehen, und vor allem ohne das Wissen der Öffentlichkeit, zu erledigen.
Die zweite Antwort, die mir noch weniger schmeckte als die erste, war die Tatsache, dass DelVeggio sich seinen Vernichtungsplan für den Fall aufheben konnte, falls seine „subtilen“ Mittel versagen sollten.
Und so kam es, wie es kommen musste.
Meine „Verhandlungen“ scheiterten, der Prozess wurde eröffnet und DelVeggio fand sich auf der Anklagebank wieder. Ich muss wohl nicht erwähnen, dass ihm das nicht besonders gefiel. Er sagte zwar kein Wort, doch seine Blicke töteten mich auf jede nur erdenkliche Art und Weise. Und nicht nur ich war jetzt in Gefahr, sondern auch meine Frau Susanne. Ich legte mein Mandat nieder, was DelVeggio ohne sichtbare Reaktion zur Kenntnis nahm. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass er bereits einen anderen Anwalt beauftragt hatte, seine Verteidigung zu übernehmen. Steffen Kramer von Behring & Kraus. Ich war aus dem Spiel, aber ich machte mir nichts vor. DelVeggio würde mit mir abrechnen, sobald er von den Titelseiten der Zeitungen verschwunden war.
Vergeltung wird in bestimmten Kreisen seit je her mit Blut geschrieben und Rache ist ein Tier, das mit jeder Beute hungriger wird. Das weiß ich jetzt, denn als eine Woche nach Prozessbeginn meine Eltern in ihrer Eigentumswohnung in Berlin verbrannten, spürte ich diesen Hunger und das unbändige Verlangen ihn zu stillen.
Wie er es letztendlich doch noch bewerkstelligt hatte, sich aus den Klauen des Gesetzes zu winden, die ihn schon so fest umschlungen hatten, weiß ich nicht. Ich kann nur mutmaßen, dass sein Anwalt seine Hausaufgaben gemacht hatte und jeden nur erdenklichen Trumpf ins Spiel warf, den er sich zusammenschustern konnte. Es war in den Medien die Rede von der schwindenden Glaubwürdigkeit der Zeugen. Auch belastende Beweise sollen sich in Luft aufgelöst haben und ein Verfahrensfehler, den Kramer „entdeckte“ und anprangerte, ließ die Anklage zusammenstürzen wie ein Kartenhaus. Das Gesetz hatte versagt.
Also beschloss ich DelVeggio auf meine Art zu Fall zu bringen.
An ihn heranzukommen war schier unmöglich. Nie hat die Welt des Verbrechens einen paranoideren Dreckskerl gesehen. Er vertraute niemandem, nicht einmal seinen Leibwächtern. Deshalb „erneuerte“ er seine Crew alle paar Jahre, nur für den Fall, dass einer von ihnen auf dumme Gedanken kam. Abgesehen davon verlangte das Tier in mir mehr als nur seinen Tod. Es wollte ein Exempel statuieren, welches die Welt des organisierten Verbrechens in ihren Grundfesten erschütterte und es sollte ohne Vorwarnung geschehen. Ich musste also sehr behutsam vorgehen. Subtil.
DelVeggio durfte nicht das Geringste ahnen.
Mein erster Gedanke war, Susanne in Sicherheit zu bringen, doch jede meiner Bemühungen, und sei sie noch so vorsichtig gewesen, hätte DelVeggios Leute auf ihre Spur gebracht. Eine Spur sollten sie bekommen, doch nicht ihre.
Als erstes plünderte ich die Akten in meiner Kanzlei und holte jeden ungeklärten Mordfall der letzten zehn Jahre wieder hervor. Meine Verbindungen reichen weit genug um das zu tun, was Kramer getan hatte: ich fälschte Beweise.
Haarproben, Speichelabstriche, Fingerabdrücke, Quittungen und ich weiß nicht was noch alles. Ich trug alles zusammen und im Endeffekt dürfte es reichen, um dieses Mafiososchwein bis ans Ende aller Tage hinter schwedische Gardinen zu bringen.
Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, diese „Beweise“ mit DelVeggio in Verbindung zu bringen, ohne dass ein Kerl wie Kramer sie entkräften kann. Das hohe Gericht wird sie sicherlich nicht anzweifeln, denn wenn es sich außer einer sicheren Rente eines erhofft, dann ist es der Untergang von Mario DelVeggio. Trotzdem muss das Ganze echt wirken, doch ich bin zuversichtlich, denn auch ich habe meine Hausaufgaben gemacht.
Ich wand mich über verschiedene Mittelsmänner, die aktenkundig waren und deren Mitarbeit ich erzwingen konnte, an den Namenlosen. Er wird das belastende Material heute Abend um sieben Uhr in DelVeggios Villa platzieren. Danach verständigt er Kommissar Keller, der DelVeggio schon seit Jahren auf den Fersen ist und sofort eine Razzia durchführen und die „Beweise“ sicherstellen wird. Wenn das erledigt ist wird der Namenlose Susanne in Sicherheit bringen. Doch bevor er all dies tun kann, muss er mich töten. Ich bin der einzige wasserdichte Faktor an der ganzen Geschichte, denn die Waffe, mit der ich gerichtet werde, wird man ebenfalls in DelVeggios Villa finden. Ich hoffe nur, dass nichts schief geht.
Gerade höre ich, wie ein Wagen vorfährt.
Es geht los.

 

Hallo Alexander!

"Seine Haare glänzten so stark, dass man annehmen konnte, er hätte sie zusammen mit seinem Sportwagen wachsen lassen." - Fand ich verwirrend. Bei "Haare wachsen lassen" dachte ich echt nicht an "das Wachs" und ich fragte mich, wie ein Sportwagen wächst.

"dachte ich zu erst" - zuerst

"einer rivalisierenden Kaste." - Bei der Mafia wären das Familien.

"Man warf ihm vierfachen Mord vor, vorsätzlich, von langer Hand vorbereitet." - Bißchen viel "vor".

"in diesem Bundesland hieß das fünfundzwanzig Jahre Sicherheitsverwahrung," - Wo soll diese Geschichte spielen? Warum gibt es in diesem ominösen Bundesland andere Gesetze als in anderen? Und wieso Sicherheitsverwahrung? Die wird normalerweise im Anschluss an die eigentliche Strafe angehängt. So - "mit der Option die Strafe auf unbestimmte Zeit zu verlängern" - in etwa.

"Trotzdem leuchtete mir seine Vorgehensweise nicht ein" - Mir auch nicht.

"er hätte nicht ohne weiteres sein Killerkommando einsetzen können" - Deshalb heuern Mafiosi gerne Profikiller von außerhalb an.

Sorry, ich finde die Geschichte nicht sonderlich logisch. Erst engagiert der Mafiosi diesen Anwalt, wer weiß warum, dann haut ihn ein anderer, offensichtlich besserer Anwalt doch noch raus.
Dann will der erste Anwalt sich umbringen lassen - aus Rache - und es dem Mafiosi anhängen. Diesem Teil der Geschichte, sicherlich dem interessantesten, widmest du nicht sonderlich viel Platz. Ich denke, das liegt daran, daß du selbst nicht genau weißt, wie das eigentlich funktionieren soll. Schade. Daran solltest du noch arbeiten.

Grüße
Chris

 

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