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Vergeltungsschlag

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01.01.2004
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Vergeltungsschlag

Vergeltungsschlag


Wolken scharen sich um die Kirchturmspitze, dämpfen das Feierabendgeläut, nicht aber den Streit im Hause Kolbe.
Arnold wirft die Haustür ins Schloss, kramt den Autoschlüssel aus der Hosentasche und stapft die Stufen hinunter zu seinem Mercedes.
„Du verdammte, intrigante Kuh“, zischt er, als er den Wagen startet. Er dreht das Radio an, entdeckt am Handrücken einen Riss. Wischt sich das Blut an der Jeans ab, legt den Gang ein und tritt aufs Gas. Die Nachbarin hinterm Gartenzaun sieht auf, als die Reifen quietschen. Er sieht sie aus den Augenwinkeln, er hält den Blick auf der Straße, beachtet sie nicht. Soll sie doch denken, was sie will, ist ohnehin alles egal. Wenige Regentropfen platschen auf die Windschutzscheibe.

Katrin zieht sich am Küchenstuhl hoch, lässt das Rostbeef neben dem Tischbein liegen, und stützt sich auf die Ablage. Sie streicht über die schmerzende Nase, betrachtet die Hand und das Blut an dem Finger.
„Das wirst du mir büßen …“
Sie leckt sich die Lippen, hat einen leicht metallischen Geschmack im Mund. Ein Messer liegt vor ihr neben dem Schneidbrett. Sie greift nach einem Papiertuch, drückt es gegen die Nase. Mit der anderen Hand nimmt sie das Messer, spiegelt ihr Gesicht in der Klinge.
Sie wirft das Papiertuch in die Spüle, geht ins Schlafzimmer und löscht das Licht, lässt die Tür hinter sich aber nur angelehnt. Am Fenster schiebt sie den Vorhang beiseite, beobachtet die Nachbarin, die sich den Regen von der Stirn wischt und ins Haus verschwindet. Katrin sieht der Straße nach, sucht nach ihrem Mann. Ihr schmerzt der Kopf von seinem Schlag, ihre Wange brennt, von seiner Ohrfeige. „Du engstirniger, kleiner Dorftrottel …“

Er dreht das Radio an. „Ich hasse sie! Warum lässt sie mich nicht mal in Frieden? Muss sie sich immer um mich kümmern? Mir Vorschriften machen, wie einem kleinen Kind? Mich niedermachen?“
Arnold jagt mit durchgedrücktem Gaspedal der Straße entlang, durch dichten Nebel. Die dunkle Landschaft saust verschwommen an ihm vorüber. Er sieht nur seine Frau. Ihr selbstherrliches Lächeln, ihr genervter Blick, ihre Vorwürfe, die Blamagen auf Familienfeiern. Der Tachometer übersteigt die 150. Die Rolling Stones hämmern in seinem Ohr, ihre Stimme in seinem Kopf: „Du bist doch wirklich zu nichts zu gebrauchen.“

Entschlossen lenkt er geradewegs auf ein schwarzes Schattengebilde zu. Gegen diesen Baum will er krachen, will er doch darin schemenhaft die Umrisse seiner schimpfenden Frau erkennen, in den wogenden dicken Ästen ihre abwinkenden Arme.
„Dazu fehlt dir doch der Mut“, höhnt sie in seinen Gedanken.
„Sei still“, schreit er, wie vorhin in der Küche, als er sich nicht mehr zu helfen wusste. „Sei still, sei endlich still!“ Er drückt noch fester auf das Pedal.
Da reißt plötzlich der Nebel auf. Das Bild von seiner Frau, wie er sie ohrfeigt, wie sie zwischen die Stühle stürzt, schlägt ihm kräftig ins Bewusstsein. Erschrocken steigt er auf die Bremse.
Zu spät?
Es quietscht und raucht, der Wagen gerät ins Schlingern, rutsch auf den Baum zu, kommt knapp davor zum Stehen. Arnold holt kräftig Luft, seine Hände zittern. Er sieht auf die Kruste, die sich auf seinen Handrücken gebildet hat, dann auf den Baum, dann lässt er den Kopf auf das Lenkrad sinken.
„Was habe ich da nur getan?! Wahrscheinlich ist es wirklich so, wie sie sagt: Ein Feigling bin ich. Nur Feiglinge schlagen ihre Frauen. Ich hasse mich! Und Sie? Sie liebe ich, noch immer. Was soll ich nur tun? Verdammt, was soll ich nur tun?“
Tief atmet er durch und entschließt sich, umzukehren, zu retten, was noch zu retten ist.

Sie harrt regungslos aus, wie ein lauerndes, hungriges Tier, das sich auf der Jagd befindet. Ihm etwas anzutun ist ihr eine leichte Beute. Als er in die Hofeinfahrt biegt, lässt sie das Rollo herunter und macht sich bereit. Längst ist das Blut im Gesicht und an der Kleidung getrocknet, aber noch hält sie das Küchenmesser fest in der Hand.

„Ich werde es wieder gut machen“, spricht er zu sich, als er das Haus betrifft. „Irgendwie! Es gibt sicherlich eine Lösung. Vielleicht ein Eheberater, oder ein gemeinsamer Urlaub. Irgendwas!“
Er sieht in der Küche nach. Das Rostbeef unterm Tisch, ein blutiges Papiertuch in der Spüle, aber keine Katrin. Arnold stellt sich im Flur auf und horcht. Der Regen prasselt auf das Dach, ansonsten ist nichts zu hören.
„Katrin?“, ruft er.
Er sieht im Badezimmer nach, im Wohnzimmer und bleibt vor der Schlafzimmertüre stehen, die einen Spalt weit offen steht.
„Katrin?“
Bange Stille.
Er tritt in den finsteren Raum, lauscht einen Moment und macht Licht.
„Katrin, bist du…“
Ein heißer Stich fährt ihm ins Herz, als er sie mit bleichem Gesicht auf dem Bett liegen sieht, - den Blick anklagend auf ihn gerichtet.
Die Ärmel weit hochgekrempelt, eine Pulsader quer aufgeschnitten, das Laken blutgetränkt.
„Es ist nicht zu spät, es ist nicht zu spät“, schreit es in ihm.
Hastig reißt er sich das Hemd vom Leib und bindet ihr die Wunde ab.
„Halt durch, halt durch, es wird alles wieder gut!“
Als er endlich die Blutungen stillen kann, gräbt Arnold den Kopf in ihren Schoß und weint bitterlich, fleht um Verzeihung. Ein kraftloses Grinsen huscht ihr übers Gesicht.
Rache geglückt.

 

Hallo Quidam!

Eine klasse Geschichte! Spannend bis zum Schluss!
Ich habe sie in einem Atemzug durchgelesen und dachte bis zum Ende, dass sie ihn erstechen würde. Und ich freue mich, dass die Geschichte doch mehr oder weniger ein Happy-End hat.

Tschüß
Roland

 

Hallo Roland,

freut mich, dass es dir gefällt! Über das Happy-End ließe sich aber streiten, vielleicht wäre es für ihn besser gewesen, hätte sein Leiden hier ein Ende. ;)

*winke*
Quid

 

Hallo Quidam

auch ich fand die Geschichte sehr spannend bis zuletzt. Besonders wie du den plötzlichen Stimmungswechsel von Arnold beschrieben hast.

Wolken scharen sich um die Kirchturmspitze, dämpfen das Feierabendgeläut...
...Arnold jagt mit durchgedrücktem Gaspedal der Straße entlang, durch dichten Nebel. Die dunkle Landschaft saust verschwommen an ihm vorüber. Er sieht nur seine Frau.

sehr schöne Beschreibung der Landschaft. Die Atmosphäre kommt gut rüber.

Nur ich war mir am Ende nicht ganz sicher, ob sie sich wirklich die Pulsader aufgeschnitten, oder das nur vorgetäuscht hat. Was wenn die Rache nicht gelungen wäre? Dann wäre Katrin gestorben. Demnach muss Arnold auch eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt haben. Sonst hätte sie nicht versucht, sich selbst zu töten... Das kam mir in der Geschichte nicht klar genug rüber; dass sie ihn dennoch liebt, mein ich.

Oder du meintest etwas ganz anderes und ich habe gerade eine völlig neue Geschichte erfunden :D

Aber nach dem zweiten Mal lesen kommt mir das schon als die einzige Lösung vor... Wie dem auch sei: Gut ist sie allemal!

gruß

gara

 

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