Vergewaltigt
Das Radio dröhnte so laut, dass ich geschrien hätte, hätte ich es wahrgenommen. Doch ich hörte es kaum, als wäre ich taub geworden. Die Tränen liefen meine Wangen runter und sammelten sich an den Enden meiner Lippen, weshalb ich einen salzigen Geschmack im Mund hatte. Das Auto rüttelte und mir wurde schlecht. Ich riss das Fenster runter, die Bremsen quietschten. Schnell öffnete ich die Tür, übergab mich. Was war nur geschehen? Hätte ich doch auf meine Mutter gehört. Innerlich verprügelte ich mich schon seit Stunden. Ich ging zurück zum Wagen. Ich zog die Tür zu, das Auto fuhr an und ein Ruck ging durch meinen Körper, der schließlich in einem Zittern endete, von dem ich mich nicht zu erholen schien.
Die Ampel vor uns war rot. Der Wagen hielt. Kurz darauf spürte ich eine Hand an meiner nassen Wange. Sie strich vorsichtig eine Träne nach der anderen weg und der Mann, der sie gehörte, flüsterte etwas, ich hörte es jedoch nicht. Nicht nur wegen dem Radio, nein, es war dieses Taubheitsgefühl, was mich kaum noch etwas wahrnehmen ließ. Außer die Hand. Wie gerne hätte ich sie ignoriert, doch gerade sie spürte ich mehr denn je, sie brannte sich förmlich dort auf meiner Wange ein. Jeder würde es sehen können, dass sie hier gewesen war, an meiner Wange. Panisch schüttelte ich meinen Kopf und die Hand griff zum Lenkrad. Ich sah aus dem Fenster, nur Dunkelheit und leeres Land. Fast genauso leer wie mein Kopf. Meine Haare waren zerzaust, sie unterbrachen meinen Blick. Doch ich wagte nicht, sie anzufassen.
Stunden vergingen. Das Radio schwieg endlich und meine Sinne schienen erwacht zu sein. Von der Rückbank hörte ich schon lange außer einem regelmäßigem Atmen nichts mehr. Wie gerne würde ich schlafen. Doch die vergangene Nacht ließ das nicht zu. Immer wieder musste ich daran denken, was mit mir geschehen war... Endlich traute ich mich, meinen Körper wieder zu berühren. Vorsichtig tastete ich meine geschwollenen Augen ab, nahm meinen Pullover, wischte langsam meine verschmierte Schminke und meine nutzlosen Tränen weg. Berührte meine Knie, meinen Bauchnabel, mein Kinn. Ich zog meine Beine auf den Sitz, zog die Schuhe aus. Massierte meine Füße. Sie hatten mir schon seit Stunden wehgetan, doch das fiel mir erst jetzt auf.
„Nimm endlich die dreckigen Dinger da runter! Mach mein Auto nicht schmutzig! Hörst du mir überhaupt zu? Was bildest du dir ein!“ Wieder hatten meine Sinne aufgehört zu existieren. Dieser Mund brüllte mich bestimmt schon länger an, aber ich hatte es nicht gehört. Jetzt brannten sich seine Hände in meine Knie und schoben sie vom Sitz runter zu meiner dreckigen Tasche, neben den viel zu hohen Schuhen und dem Pullover, der meine Schminke weggewischt hatte. Mein Haut brannte, als hätte man ein glühendes Stück Eisen darauf gehalten und ich hatte gedacht, meine Gefühle gäbe es nicht mehr. Die Hand nahm meine und streichelte sie vorsichtig. Doch wieder brannten die Stellen, an denen er sie berührt hatte, wie Feuer. Schnell zog ich sie weg und blickte stumm in die Dunkelheit hinaus und innerlich wurde ich weiter von mir selbst verprügelt und eine Stimme brüllte mein Herz, mein Gewissen an, weshalb ich nicht da geblieben wäre, warum ich nicht einfach zu Hause geblieben wäre. Er schaltete das Radio wieder an und ich schloss unglücklich die Augen.
Endlich zu Hause. Doch war ich wirklich wieder die alte? Nein, wohl kaum, das würde ich nie wieder sein. Ich rannte die Treppe hoch und drehte die Dusche an. Erst als das Wasser über meine Kopf, die Schultern, mein Gesicht rann, begann ich mich auszuziehen. Ich wusch mich so gründlich wie noch nie, doch trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, sauber zu werden.
Das Auto brummte, das Radio schrie mich an, weshalb war ich wieder hier? Ein Traum, ein dummer kleiner Traum. Hatte ich wirklich geschlafen? Nein, das konnte nicht sein. Ich hoffte und wünschte mir nichts sehnlicher, als endlich zu Hause zu sein. Und sauber zu werden. Und nie wieder eine Hand an meinen Beinen zu spüren. Und auch nie wieder eine an meinen Haaren.
Und das Radio kreischte mir frech ins Gesicht und sang schrecklich laut, als wäre nichts geschehen. Und seine Finger schlugen den Rhythmus auf dem Lenkrad mit. Und ich? Ich fühlte nichts mehr.