Verkäufer sind Fluchttiere
Zwei Mal im Jahr gehen meine Tochter und ich in ein großes Einkaufszentrum, um dem Spruch "shop until you drop" alle Ehre zu machen. Vor ein paar Tagen war es mal wieder soweit, unser "2x im Jahr gehe ich ins Einkaufszentrum" -Tag war gekommen. Natürlich bestellen wir auch im Internet aber durch Geschäfte zu bummeln, Kleider und Schuhe in die Hand zu nehmen, anzuprobieren und das in beliebiger Menge, das hat schon auch seinen Reiz. Dann gehen wir Kaffeetrinken, Kuchen essen und zum Abschluss gönnen wir uns dann noch eine Runde beim Italiener, das ganze Programm also, wir fühlen uns dann beschenkt und erleichtert, was hauptsächlich meinen Geldbeutel betrifft.... Dieses Mal hatte ich allerdings schon eingangs ein Erlebnis, daß das Gefühl bestärkte, daß Verkäufer heute anders sind als damals....
Nach den ersten 2 Schuhgeschäften und Boutiquen kommen wir an einer Apotheke vorbei und wir entschließen uns, das Rezept mit den Antibiotika, das ich noch in der Tasche habe, einzulösen. In der Apotheke gibt es zehn Schalter, an denen jeweils eine Traube von Menschen wartet. Wir stellen uns nach dem Zufallsprinzip irgendwo an und warten. Als wir endlich an der Reihe sind, geben wir das Rezept ab. Die Dame hinter dem Schalter tippt etwas in ihren Computer und starrt minutenlang auf den Bildschirm, wir warten und fragen uns, was sie wohl auf dem Bildschirm sieht und warum es so lange dauert, bis sie sich endlich umdreht und hinter einer Tür verschwindet. Wahrscheinlich wird sie jetzt das Medikament holen, denken wir und erwarten sie schnell zurück. Wir werden eines besseren belehrt, denn es dauert ganze 15 Minuten, bis sie zurückkommt. Jetzt verstehe ich, warum es in der Apotheke Wartebänke und Wasser gibt..... Sie erklärt uns, daß es sich bei unserem Rezept um Antibiotika in Form von Brausetabletten handelt und ich sage, daß wir lieber normale Tabletten hätten anstatt Brausetabletten. Sie schaut auf das Rezept :"der Arzt hat ihnen aber Brausetabletten aufgeschrieben". "Ich weiß, aber ich hätte gerne die normalen, geben Sie mir die bitte" sage ich, denn ich habe ein Privatrezept und muss es sowieso selber zahlen. Als ich ihren verzweifelten Blick sehe, da mein Fall von der Norm abweicht und sie jetzt scheinbar in Bedrängnis ist schlage ich vor, dass sie mir das Rezept zurück gibt und ich es woanders einlöse. Daraufhin schaltet sich die Dame von Nebenschalter ein und gibt grünes Licht. Bevor sie wieder hinter der Tür in die unendlichen Weiten des Apothekenlagers verschwindet frage ich noch, ob es wieder 15 Minuten dauert bis sie zurück kommt, aber sie versichert mir, dass es dieses Mal schneller geht. Ich bin erschöpft und lasse mich auf die Wartebank fallen um nachzudenken, wo wir unsere Einkaufstour fortsetzen werden.
Als nächstes gehen wir in ein Kaufhaus um Strümpfe zu besorgen, denn das Kaufhaus hat eine große Strumpfabteilung mit reichlich Auswahl. Wir machen die Erfahrung, dass Verkäufer sich entweder raubtierartig auf den Kunden stürzen, oder wie vom Erdboden verschluckt sind, wenn man die Verkaufsräume betritt. In diesem Fall trifft letzteres zu.... Wir streifen durch die Gänge und ziehen die Schubladen mit den sortierten Strümpfen auf, um nach Farbe und Marke das Gewünschte auszusuchen, als aus dem Nichts plötzlich eine frustriert aussehende Dame mittleren Alters hinter uns auftaucht "was suchen Sie denn?" Der Tonfall lässt vermuten, dass unsere Anwesenheit ihr nicht gerade Freude bereitet. Meine Tochter hat eine Frage: sie sucht die Strümpfe der Marke X in der Stärke X mit Glanz..... konkrete Angaben, leicht zu beantworten, bei richtiger Handhabung garantiert diese Frage ein Erfolgserlebnis für jeden Verkäufer. "Haben wir nicht".... und ihr Blick sagt uns, dass wir außer der Störung, die wir verursachen auch noch das falsche Produkt begehren.... 2 grobe Fehler.... wir fühlen uns schuldig und senken die Augen zum Boden. Als sie von uns ablässt finden wir das Gewünschte jedoch und stöbern weiter, wir haben schließlich noch mehr Strümpfe zu kaufen - dafür sind wir ja gekommen - sofern man uns lässt. Wir gehen auf Zehenspitzen leise durch die Regale und sprechen nur flüsternd, damit uns die Verkäuferin nicht entdeckt. Sicher ist sicher, mehr Frustration wollen wir heute nicht erleben.... Als wir einen Stapel mit schon zum Kauf ausgewählten Artikeln ablegen, und zur weiteren Suche beide Hände frei zu haben, steht sie wieder hinter uns.." gehört das Ihnen" schnarrt sie und an... "ja, wir haben es nur kurz abgelegt" stottern wir schuldbewusst und laufen noch leiser durch die Gänge. Jetzt fährt sie härtere Geschütze auf, ein Wagen mit neuer Ware wird vor dem Regal positioniert, wo wir schauen wollen, so dass wir unerwarteter Dinge ins nächste Regal wechseln müssen. Es ist eben Glückssache an die Regale zu kommen, aus denen man etwas heraus nehmen will. Für den Fall, dass eine Verkäuferin anwesend ist eine doppelt so große Herausforderung…
Wir entscheiden uns, als nächstes in ein Schreibwarengeschäft zu gehen, um Einlageblätter für unsere Kalender zu kaufen.... Als wir durch die Tür die Verkaufsräume betreten laufen wir schon in leicht geduckter Haltung, da wir befürchten, dass uns ein Verkäufer zur Rede stellen könnte. Wir versuchen unbemerkt zu den Einlageblättern vorzudringen, was auch einfach ist, denn es ist weit und breit kein Verkäufer in Sicht. Wir entspannen uns allmählich, allerdings finden wir auch keine Einlageblätter, wir brauchen also doch einen von diesen unberechenbaren bedrohlich wirkenden Menschen, die wissen könnten, wo sich das befindet, was wir suchen. Ich schaue mich um, weit und breit niemand zu finden, der zum Laden gehört und uns Auskunft geben könnte..... halt dort hinten an der Kasse ist ein Mensch, der kassiert gerade, und ach ja, neben ihm sitzt noch jemand, der textet ihn zu, der scheint auch dazu zu gehören. 2 Menschen ist die magere Ausbeute für diesen großen Laden, immerhin, ich überschlage, dass wenn ich den Kassierer abziehe, noch der andere bleibt, der bequem auf einem Stuhl neben dem Kassierenden sitzt und ihm etwas erzählt. Aber was wird passieren, wenn ich ihn dort von seinem Stuhl weghole, ihn störe und sein Gespräch mit seinem Arbeitskollegen unterbreche.... und das alles nur für ein paar Einlageblätter. Ich riskiere es trotzdem. Mittlerweile bin ich bereit jeden Preis für die Einlageblätter zu bezahlen, wenn er mir nur als Kunden nicht dieses Schuldgefühl vermittelt etwas Unverschämtes von ihm zu verlangen. Als ich auf ihn zugehe, verdüstert sich seine Miene. Nachdem ich leise und verschämt ausgesprochen habe was ich suche, zeigt er mit dem Finger in die Richtung, in der sich das Gesuchte befindet. Ich verlasse den Laden mit den Einlageblättern und dem Gefühl, ein unfähiger Kunde zu sein.
Nach all dem ist es nun Zeit für ein wenig Entspannung und wir entscheiden uns für einen Drink an einem dieser vielen Stände, wo sie Saft auf frischen Früchten pressen. Meine Tochter will Granatapfel, der steht schon vorgepresst auf der Theke. An der Wand hängt die Getränkekarte mit der gesamten Auswahl und ich und wähle Mango Orange. 2 Verkäuferinnen stehen hinter einer kleinen Theke und die eine - ein junges Mädchen - nimmt unsere Bestellung auf. Ich sehe wie fasziniert auf ihr Piercing in der Nase, denn es ist ein halboffener Ring, der vorne durch den Nasenknochen geht und an den offenen Enden, die aus der Nase herausragen, sind kleine schwarze Kugeln angebracht. Ich habe immer das Gefühl, ihr die schwarzen Punkte aus der Nase wischen zu müssen, die dort so gar nicht hin passen.... man hat sofort eine Assoziation wenn man darauf schaut....
Wir sagen was wir wollen, Granatapfel und Mango Orange, und sofort schießt die andere Dame mittleren Alters auf die Gepiercte zu und bellt. "die müssen warten, den muss ich erst pressen". Klar denke ich, frisch gepresst muss man frisch pressen, sonst wäre es ja nicht frisch gepresst , wieso ist sie jetzt so unfreundlich. Hinter mir stehen 2 andere Damen, die eine sagt "die ist doch nur zu faul, den Saft frisch zu machen". Da wir ja noch warten müssen drehe ich mich um und sage lachend "ich hoffe, sie wissen, was sie wollen, sonst gibt es hier Ärger"
Die wütende Verkäuferin ist nun mit dem Ausschenken der vor gepressten Säfte fertig, dreht sich mit einem wütenden Schwung um, lehnt sich über die Theke und fährt mich an :"so was haben sie jetzt für ein Problem?" Ich denke an die vielen Verkaufsstrategiekurse die ich besucht habe, wo man lernt wie man Kunden anspricht und in keinem meiner Seminare habe ich je von einer solchen Kundenansprache gehört "was haben sie jetzt für ein Problem" vielleicht ist das ja neu. "ich habe gar kein Problem" erwidere ich "ich will nur etwas kaufen. Den Mango Orange".
"Der ist aber teuer, weil ich den erst frisch pressen muss" fährt sie mich an.
Ich zeige mit dem Finger auf die Tafel, auf der steht - Mango Orange - € 3,00 und sage:
"da steht es doch, das will ich, genau das zu dem Preis wie es dort steht".
Als die wütende Dame hinter der Theke aufgebracht die Kampfstätte kurz verlässt, um hinter einer Wand frische Mangos zu holen flüstert die Gepiercte uns Augenzwinkernd zu: "machen sie sich nichts draus!"
Die wütende Verkäuferin kommt zurück, schmeißt die geschälten Mangos in den Mixer und haut auf die Starttaste.
Als wir endlich unsere Getränke haben, so wie es auf der Tafel steht, sind wir froh, diesen Kauftag hinter uns zu haben. Für heute reicht es mit dem Service - entscheiden wir - und bevor uns noch ein Verkäufer Prügel androht, verlassen wir das Einkaufszentrum und fahren nach Hause. Es wundert uns nicht, dass immer mehr Menschen im Internet bestellen, da bekommt man auf jeden Fall keine Schuldgefühle außer denen, Geld ausgegeben zu haben.