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- 23.02.2005
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Verkrustet
Einatmen, ausatmen. Es wird nicht besser. Die Luft ist quadratisch. Sie fließt nicht in meine Lungen, sondern eckt überall an. Es kommt durch den Geruch in der Apotheke, beruhige ich mich - alles ist wie immer. Die Gedanken schießen kreuzweise wie Flipperkugeln. Silbern, glänzend, kalt.
Aber die Körperhaltung, das Haar ... Ich bin an der Reihe. ABC-Pflaster für meinen Rücken, bitte.
Was, wenn er es ist? Ich drehe den Kopf leicht nach links. Mein Herz pocht in die Mandeln. Er fischt sich ein Bonbon aus dem Körbchen vor der Kasse und nestelt an dem umwickelten Papier herum. Mit dem Pflaster zusammen bekomme ich noch die Apotheker-Rundschau in die Hand gedrückt. Knackige Frühlingssalate an Balsamico-Dressing frohlockt ein Rezept. Ich wende den Kopf noch einmal zu ihm.
Lasst mich doch in Ruhe, ihr Spießer! Er schrie es damals durch das ganze Haus, den Rucksack schon geschultert, zuletzt kam er auf mich zu: Wenigstens du hättest zu mir stehen können.
Ein kleines Päckchen Aspirin. Seine Stimme. Als würde sie sich in meine Ohren hineinbohren, durch Gewebe in die Gehirnwindungen vordringen: Ich zittere und müsste lügen, wenn ich behaupten würde, er wäre mir irgendwann egal geworden. In Freiraum treten, Luft holen, warten. Seinen Blick fange ich sofort. Er kommt auf mich zu, nimmt meinen Kopf in seine Hände, gibt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich freue mich sehr, dich zu sehen.
Das weiß ich noch nicht. Meine spröde Antwort lässt seine linke Augenbraue kurz zucken.
Das kann doch nicht sein, dass du immer noch an dem alten Kram rummachst?
Du hast nichts begriffen. Ich habe die Entscheidung akzeptiert, aber Mama, die alle ihre Brüder im Krieg verloren hat, hat nie verstanden, dass du dich nicht für den Zivildienst entschieden hast und zum Kommiss gegangen bist. Wieso kommst du denn überhaupt jetzt erst wieder in die Stadt, nach all den Jahren? Nun hat sie auch nichts mehr davon! Beerdigen können wir sie auch alleine.
Mit meinem Handrücken wische ich langsam über die Augen. Ich möchte die Tränen abfangen, bevor es nach Weinen aussieht.
Hey, es ist mein Leben. Was ich damit mache, ist meine Entscheidung. Er klemmt die Lippen zusammen.
Ja, du hast Recht. Da wir dir solange egal waren, kann es doch weiterhin auch so sein.
Er öffnet den Mund, langsam, schließt ihn wieder. Steht bewegungslos. Schüttelt den Kopf, dreht sich um und geht.
Du bist mir so egal, du Scheißtyp!
Ich wünschte mir so sehr seine Schulter zum Anlehnen.
(Aus der Wörterbörse: Balsamico, ABC-Pflaster, Kuss, Zivildienst, lügen)