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Verloren und wiedergefunden
Es war Liebe auf den ersten Blick. Der Ring thronte im Schaufenster eines Schmuckgeschäfts und strahlte sie an. Fasziniert drückte sie sich am Fensterglas die Nase platt. „Der ist es, genau den möchte ich haben! Mama, kaufst du mir diesen Fingerring?“ fragte sie ihre Mutter. Doch diese schüttelte den Kopf. „Nein Ayana, das kommt nicht infrage“, antwortete die Mutter. Ayana zog eine Schnute. „Bitte, Mama! Ich will ihn unbedingt haben!“ bettelt sie. Doch ihre Mutter blieb dabei. „Wenn du den Ring unbedingt haben willst, dann gibt es nur eins: Du legst jede Woche ein bisschen von deinem Sackgeld auf die Seite, bis du genug Geld beisammen hast, um ihn dir selber zu kaufen. So beweist du, dass dir der Ring wirklich wichtig ist und du wirst Sorge zu ihm tragen.“
Zuerst war Ayana enttäuscht, weil sie den Ring nicht sofort haben konnte. Aber zu Hause angekommen, bastelte sie sich ein Sparschwein. Sie nahm sich fest vor jeden Tag eine Münze hineinzuwerfen. Auf einem Blatt notierte sie jedesmal, wie viel Geld sie einwarf.
Aber das Sparen war gar nicht so einfach. Wenn ihre Freundinnen Süssigkeiten kauften, durfte sich Ayana keine leisten. Einmal hätte sie das Sparschwein fast geplündert, denn sie hatte eine wunderschöne preisgünstige Barbie-Puppe im Kaufhaus gesehen. Bevor sie jedoch Geld aus dem Sparschwein nahm, ging sie nochmals zum Schmuckgeschäft. Und da wusste sie sofort wieder mit Bestimmtheit, dass es sich lohnte, für den Ring zu sparen.
Nach diesem Vorfall ging sie fast täglich beim Schmuckgeschäft vorbei, damit sie ja nicht vergessen würde, wofür sie sparte. Und natürlich wollte sie sich auch vergewissern, dass der Ring noch zu haben war. Sie erfreute sich jedesmal aufs Neue am strahlenden Funkeln des hellblauen Steins in der Mitte des Ringes.
Die Zeit verging für Ayana schrecklich langsam. Das Sparschwein wollte sich einfach nicht füllen. Doch dann war es endlich so weit. Auf den Rappen genau lag das Geld in ihrem selbst gebastelten Sparschwein. Voller Freude trug Ayana es ins Schmuckgeschäft – ihre Mutter begleitete sie.
Der Ring war noch da! Die Verkäuferin steckte ihn Ayana an den Ringfinger. Er sass etwas locker, aber das war gerade recht, denn so konnte sie sicher sein, dass sie ihn auch in ein paar Jahren noch tragen konnte. Sie war stolz, sich den Ring selber leisten zu können.
Auch heute thront der Ring an Ayanas Finger. Es ist Ostern und sie sucht mit der Familie im Garten nach Ostereiern, die der Osterhase versteckt hat. Natürlich weiss Ayana schon längst, dass es keinen Osterhasen gibt. Aber Ayanas kleine Schwester, Simiona, glaubt noch fest an ihn. Ausserdem macht die Suche auch dann Spass, wenn man weiss, dass die Mutter die Sachen versteckt hat.
Die beiden Mädchen durchsuchen den Garten gründlich: Da, in den blühenden Osterglocken steckt ein Osterei! Und dort unterm Grill ist noch eins! Im Gebüsch! Und dort zwischen den Steinen versteckt sich eins! Und was ist das? Ayana entdeckt eine riesige Weinberg-Schnecke, die ihre schleimige Spur zwischen gelben Blumen zieht. Ayana nimmt das Tier in die Hand und zeigt es ihrer kleinen Schwester. Simiona ist begeistert von dessen grossen Haus. Ayana holt ihren Schnecken-Zoo-Kessel und setzt die Riesen-Schnecke hinein. Die beiden Mädchen sammeln nämlich Schnecken und füttern sie mit Löwenzahn. Da Simiona viel mehr Schnecken hat als Ayana, ist Ayana besonders stolz einen solch speziellen Fund gemacht zu haben.
Nachdem alle Otereier gefunden worden sind, sitzt die Familie jetzt am Tisch und geniesst unter der Frühlingssonne ihren Oster-Brunch. Plötzlich springt Ayana von ihrem Stuhl. „Mein Ring ist weg!“, schreit sie entsetzt. Alle starren auf ihre Hand. Nirgends funkelt der hellblaue Stein.
Sofort beginnt eine grosse Suchaktion. Es wird in allen Ostereier- Verstecken nachgesehen. Ayana rennt durch den Garten. Ist der Ring vielleicht unterm Grill? Rasch bückt sie sich und schaut nach. Nein da ist nichts. Dann ist er sicher im Gebüsch! Sie sucht das Gebüsch gründlich ab. Die stachligen Äste ritzen ihr dabei die Haut auf, doch sie merkt es kaum. Den Ring findet sie auch dort nicht. Verzweifelt sucht sie weiter. Wo hat sie noch nicht nachgesehen? Zwischen den Steinen! Ayana hebt verschiedene Steine hoch und beigt sie um, doch da ist nichts, bis auf eine Spinne, die hastig davon krabbelt.
Entmutigt lässt sich Ayana in der Mitte des Gartens auf den Rasen fallen. Es ist aussichtslos. Der Ring ist unauffindbar. Tränen kullern ihr über die Wangen. Sie hatte doch so lang für ihn gespart und war so stolz auf das Schmuckstück. Sollte etwa alles umsonst gewesen sein?
Simiona rennt zu ihrer enttäuschten Schwester und will sie trösten. „Nicht traurig sein, Ayana. Wenn du willst, schenke ich dir die schönste Schnecke aus meiner Sammlung.“ Simiona hält Ayana ihren Schnecken-Zoo-Kessel hin. „Hier, du kannst dir eine aussuchen.“ Schnecken in unterschiedlichen Grössen und mit verschiedensten Mustern strecken Ayana die Fühler entgegen. Da fällt es Ayana wieder ein. Natürlich! Jetzt weiss sie wo sie noch nicht nachgesehen hat.
Hoffnungsvoll rennt sie zum letzten noch nicht durchsuchten Ort. Und tatsächlich: Da, zwischen den gelben Blumen, wo sie die Riesen-Schnecke gefunden hatte, funkelt ihr geliebter Ring. Voller Freude und Dankbarkeit nimmt sie den Ring an sich und schliesst ihn ganz fest in ihre Hand ein.
Simiona, die ihr gefolgt war, schreit: „Mama, Papa, schaut nur, Ayana hat ihren Ring gefunden!“ Beide hasten herbei. Ayana fällt ihrer Mutter glücklich in die Arme. „Er lag da, zwischen den gelben Blumen!“ stammelt Ayana, diesmal mit Freudentränen in den Augen. Sie nimmt sich vor, in Zukunft besser auf ihren Ring aufzupassen. Sie hat auch schon eine Idee: Von diesem Tag an trägt sie den Ring an einer Kette um den Hals, bis er genau auf ihren Ringfinger passen wird.