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Verschollen
Der Wald klirrt und ich habe Tage gebraucht, mich in ihm zu erkennen. Ich wollte das andere Leben finden, unterm Moos und zwischen den Spalten des uralten Felsgesteins. Sei leise und wecke nicht die Kobolde, sage ich mir. Meine Lippen bleiben zu, weil es so besser ist.
Aber mein Herz.
Mein Herz.
Wie es darin aussieht, wenn ich Steinpilze finde, sage ich nicht. Ich schlafe mitten zwischen ihnen und sie beschützen mich. Wenn ich schlafe, höre ich den Wald atmen.
Atme mit mir, flüstern seine Quellen, die mit ihrem Silber in den Nächten dem Mond um nichts nachstehen. Auch wenn ich nicht schlafe, träume ich. Auch wenn ich nicht träume, habe ich meinen Wald und sein Moos unter den Fußsohlen. Auch wenn ich den Wald nicht hätte, wäre ich auf dem Weg zu ihm. Ich will nicht mehr als ich schon davor hatte.
Den Wald hatte ich nie.
Er war das, was ich wünschte zu besitzen. Das ist nicht möglich, weiß ich jetzt. Weil der Wald nie Besitz ist, sondern immer nur Geschenk sein kann. Möglich ist es, ihn zu erkennen. Das habe ich getan und werde immer besser darin. Jetzt bin ich in ihm und lasse mich verschlucken von seinen Nebeln.
Sein Grün reinigt mich.
Warum habe ich das nicht schon früher zugelassen?
Oft einmal schwingt sich der Tod jauchzend durchs Geäst der Tannen und jagt dem Leben hinterher. Als ob ihm das nicht genügte, krault er dem Gemsbock dann das Nackenhaar.
Spring weg auf deine Klippen, raunt er ihm ins Ohr, noch ist das darunter dein Tal und die Jäger weit. Ich habe noch alle Zeit deiner Welt für dich geplant. Zuerst komm ich zu den Jägern, dann schau ich in dein Gemsenherz. Und du wirst da sein, weil du mich schon immer erwartet hast.
Der Nadelteppich meines Bettes hatte unter diesen Worten gebebt und tatsächlich hat der Tod weiter unten im Tal zugelangt. Ich habe die Glocken mit dem schwarzen Klang gehört, als ich unter greisen Tannen aufgewacht bin.
Bleib noch bei uns und keine Eile, haben die zu mir gesagt. Niemand vermisst dich, weil alle wissen, dass du gut aufgehoben bist. Und niemand weiß, dass du es tatsächlich bis zu uns geschafft hast. Und: Der eine Jäger ist deine Trauer nicht wert.
Alle Pilze um mich wussten es, glaubte ich zu spüren.
Nur ich meinte, mich damit wichtig machen zu müssen, dass ich von Traurigkeit sprach.
Was meinst du damit, wenn du uns auf mögliche Tränen ansprichst, fragten die Tannen. Alles hier lebt doch und du atmest mitten drinnen. Warum also deine Trauer, wenn irgendwo ein Herz zerbricht? Noch dazu das eines Jägers. Ich spürte die Geringschätzung in ihren Worten.
Nicht lachen, aber ich höre schon das Gras wachsen. Es wächst mit viel Tumult und sein Geschrei dabei übertönt den Klang der Totenglocken im Tal. Ich liebe endlich. Ich habe nicht geahnt, dass ich dies jemals könnte. Der Wald hat meine Wurzeln und spielt mit meinen Sinnen. Der Wald hat mich aufgeweckt.
Wer bist denn du, hat mich ein schwarzer Salamander gefragt und dabei mit seinem Gold meine Augen geblendet. Warst du der, der dem Tod applaudiert hat, als der sich durch die Tannen schwang?
Hättest du nicht müssen, weil der Gemsbock wusste, was auf ihn zukommen würde, sagte der Salamander, weil das mit dem schwarzen, entgültigen Gejauchze öfter vorkommt und wir hier im Wald nichts Ungewöhnliches daran finden, wenn wieder einer von uns sein Ende anerkennt. Und das muss er, will er zu uns gehören.
Schön und danke, dass du es mir so gesagt hast, habe ich geantwortet und mich auf die andere Seite meines Nadelbettes gedreht. Nur um zu sehen, ob die Ameisenstrasse ihre Richtung beibehalten und den Pfifferlingen einen schwarzen Strich durch ihre gelbe Rechnung gemacht hat.
Einer von den roten Fliegenpilzen brachte dann all seinen Mut auf und hatte mich gefragt, woher ich denn käme. Und was ich hier wollte. Ja, auch das hatte er gefragt. Atmen, habe ich geantwortet. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, wenn es gestattet ist. Es ist, es ist, kam die Antwort und sein Schirm triefte vor Ergebenheit. Atme mit uns, vielleicht erkennst du dich. Wir sind hier unter uns und tun uns nichts, weil wir uns, so wie wir sind, brauchen. Ja, sagte ich, deshalb bin ich gekommen. Ich will auch gebraucht werden. Das mag schon sein, kam wiederum die Antwort. Nur kann hier keiner etwas wollen, weil alles, das du brauchst, ohne deinem Zutun passiert.
Hier ist alles. Und so passiert es.
Nicht mehr, aber nie weniger.
Verstehst du?
Ich rede mit den Eichelhähern.
Sie haben eine Sprache, die glücklich macht. Ihre Sprache hat mich beflügelt und meinen Gedanken wuchsen Federn, die jetzt in allen Farben leuchten. Wir wollen dich einem guten Freund vorstellen, wurde mir von ihnen gesagt und sie meinten, mich in das versteckteste Tal entführen zu müssen, obwohl ich doch auf den Gipfel wollte. Muss nicht sein, wurde mir gesagt, als ich glaubte, mich herrichten zu müssen und damit begann, meine Nadeln aus dem Wams zu stochern.
Bleib der, der du bist. Wir sind hier, hier im Wald. Hier zählt dein Herz.
Wenn wir uns nicht irren, bist du endlich daheim.
Ich bleibe, weiß ich heute zu sagen.
Es ist das Moos und es sind die Wildbäche, in deren Klarheit ich mich endlich wiederspiegeln kann. Ich habe nichts verloren, seit ich mich in den Wäldern verloren habe. Im Gegenteil. Mein Gewinn ist einzigartig.
Sie haben mich mit einem Baum sprechen lassen, mit einer Eiche, die gespalten und hundertfach vom Blitz getroffen, mehr als nur die Wahrheit zu sagen wusste. Alles passt zusammen, sagte die zu mir. Ich wachse zwar im Tal, doch ich weiß auch über die Gipfel Bescheid. Dass auch du jetzt bei uns bist, macht die Sache umso schöner und damit zu unserer gemeinsamen. Die Sache ist nämlich die, sagte sie und ihre Stimme knarrte ein kleines bisschen angewidert dabei, wir brauchen die Menschen nicht. Sie aber uns und das ist deren Dilemma.
Ich bin ein Mensch, gab ich zu bedenken, wenn ich bei euch bleibe, wird das dann gut gehen mit uns?
Mach dir keine Sorgen, sagte die Eiche, der Wald ist stärker als du für möglich hältst.
Dann bin ich eingeschlafen und die Welt hält mich seitdem für verschollen. Kein Hundegebell kann mich finden. Nichts stöbert mich hier auf.
Ich will mich auch nicht mehr zu erkennen geben.
Hier habe ich mein Herz gebettet. Der Eichelhäher passt darauf auf und wenn er über den Tannen kreist, ist der Salamander zur Stelle, um ein Unglück zu verhindern.
Verschollen. Ich klatsche in die Hände. In den Felswänden turnt mein Echo.