- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Via Crucis
Der flackernde Lichtfleck war in der Dunkelheit nicht zu verfehlen gewesen. An seinem Ziel angelangt, ging Adam in die Hocke und legte die Schaufel ab. Es war seit zwei Stunden dunkel und auf der Bundesstraße tasteten sich vereinzelte Lichtfinger durch das Nachthemd der dampfenden Äcker.
Die rauen, faltigen Hände auf den Schenkeln übereinander gelegt, dachte Adam nach. Das Grablicht war halb heruntergebrannt. Seltsam. Jemand war also hier gewesen. Ohne verstanden zu haben, ob das gut oder schlecht war, machte er sich an die Arbeit. Der Boden war weich, die Schaufel hätte er sich sparen können. Er zog das Holzkreuz aus der Erde, löschte die Laterne und verstaute alle Einzelteile sorgfältig in der mitgebrachten Kiste.
"Was ist denn das für eine verdammte Sauerei?", brüllte Faber und schlug mit der flachen Hand gegen die Seitenscheibe des Führerhauses. Einem erschossenen Raubtier gleich, steckte der Bagger im Morast. Seine Schaufel war abgelegt, aus einem geplatzten Hydraulikschlauch strömte dampfendes Öl und sickerte in dickflüssigem Strom an der verrosteten Oberfläche des Arms entlang, einem schmutzigbraunen Wasserloch entgegen. Die Novembersonne hatte sich hinter einer gräulichen Schauerwolke verkrochen.
"Maschin kaputt, Chef." Adam stand neben der havarierten Baumaschine, deutete auf eine geplatzte Verschraubung und hob bedauernd die Schultern. "Brauch neu Teil."
"Wie soll man hier vorwärts kommen, wenn dauernd so eine Scheiße passiert?"
Fabers Mobiltelefon meldete sich und hinderte ihn daran, weiterzuschimpfen. Adam zog die Kapuze seines Regenmangels weiter vor das Gesicht, um sich vor den quer anrennenden Tropfen zu schützen. Hier gab es nichts mehr für ihn zu tun. Faber hatte sich hinter die Baumaschine verkrochen und suchte eine windgeschützte Stelle. Mit seinem Rücken an gelb lackiertes Eisen gelehnt, von dem die Farbe abblätterte, versuchte er sich zu verständigen. Einen Finger ins Ohr gesteckt, brüllte er gegen den Sturm, Ärger und seinen Chef an:
"Nein, die Verschalung steht noch nicht, … keinen Beton schicken … Was heißt, nichts geht vorwärts? … Nein, …wahrscheinlich nicht … der alte Mist fällt dauernd aus … Ja, natürlich ... aber ... wenn ihr uns nur lauter schrottreife Maschinen schickt … Ich verstehe Sie nicht … nein, keine Chance … morgen? … das Wetter … hier steht alles unter Wasser …"
Das Telefon durfte wieder in die schützende feuchtwarme Dunkelheit an Fabers Brust zurück. Er ließ seinen Blick über die Baustelle schweifen: Dreck, wassergefüllte Fahrspuren und eine halbfertige Böschung, die bald abrutschen würde, wenn die Wolken noch mehr Regen auskotzen sollten. Am Horizont bekräftigten einige über die Äcker verstreute Brückenfragmente jene vage Vorstellung einer elegant geschwungen Linie, die bisher nur auf dem Papier existierte. Die Pläne dazu lagerten in einem verdreckten Containerbüro, das Faber nun aufsuchen würde.
Telefonieren, Ersatzteile ordern, umorganisieren. Eine Dose Bier trinken, sich in die Wärme flüchten. Hauptsache, das Elend nicht mehr mit eigenen Augen ansehen müssen.
"Hilf den anderen da hinten!", bellte er Adam an und machte sich auf den Weg. Nach wenigen Schritten klingelte sein Telefon erneut.
Es waren einunddreißig Grabsteine. Vom Küchenfenster aus konnte Magdalena die Reihenhaussiedlung, den Supermarkt und das westliche Ende des Friedhofs sehen. Wie schnell es doch im Herbst dunkel wurde! Die nachmittäglichen Spaziergänger hatten sich nach und nach in ihren zentralgeheizten Wohnungen verkrochen, so dass es im Park nichts mehr zu sehen gab. Bis ein Krimi im Fernsehen kommen würde, war noch lange hin. Also warum nicht dem Flug der Ahornblätter zusehen und Grabsteine zählen? Nachher würde es Brot mit Käse geben. Blauschimmelkäse von Aldi.
Als nur noch die rötliche Leuchtreklame des Supermarktes zu erkennen war, stand Magdalena auf und machte Licht. Es war Zeit, Veronika anzurufen und das wohlbekannte Ritual von Frage und Ausweichmanöver zu inszenieren. Den Enkeln ginge es gut, der Jüngere hätte in Deutsch eine Zwei nach Hause gebracht, Vater komme spät von der Arbeit heim. Er sei in letzter Zeit öfters abends nicht da gewesen.
Nachdem sie den Hörer aufgelegt und den Plan verworfen hatte, die Schlechtigkeit der Welt in Bildern anzusehen, konnte sie die nahe liegenden Gedanken nicht länger wegschieben.
Ob der Hof schon abgerissen war? Sie wollte es nicht wirklich wissen, jedenfalls brachte sie die Energie nicht auf, Veronika zu bitten, sie dort hinzufahren.
"Was gibt’s, Adam?", fragte Faber die tropfende Gestalt in gelbem Ölzeug. Rotbrauner Schlamm sickerte kotgleich von Adams Gummistiefeln auf den zerschrammten Fußboden, der zu biblischen Zeiten, einmal weiß gewesen sein mochte. Durch die geöffnete Tür des Bürocontainers drängelte sich nasse Zugluft ins mühsam gewärmte Innere.
"Brauch Hilfe, Chef", antwortete das tropfende Elend im Türahmen. Faber seufzte. In seinem Kopf drehte sich das Rad denkbarer Katastrophen: Eine umgestürzte Maschine, zwei zerquetschte albanische Hilfsarbeiter, ein unerwarteter Besuch der Gewerbeaufsicht oder doch nur ein abgesägter Arm?
"Mir helfen, jemand finden", fuhr Adam fort und schob seinen Kopf aus der Kapuze, wie eine Schildkröte. Die am Kopf verklebten dunklen Locken ließen ihn aussehen wie einen aus dem Wasser gezogenen Pudel.
"Jemanden finden? Wen denn?" Die andere Seite des Katastrophenrades drehte sich nach oben. Sie waren auf römische Ruinen gestoßen, müssten ein archäologisches Gutachten abwarten, bevor weitergearbeitet werden könnte. Eine fünfjährige Verzögerung mit nachfolgender Verlegung der Trasse. Faber wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Adam sich endlich die rechten deutschen Worte zusammengesucht hatte:
"Eltern suchen, Bruder, Schwester."
Zur Lösung des Rätsels hatte er die Kotspur bis zu Fabers Schreibtisch verlängert, in die Seitentasche seines Ölzeugs gegriffen und eine schokoladengroße Bronzeplakette hervorgezogen. Er reichte das Metallstück an Faber weiter.
"Florian Kleeberger, 21.3.1979 – 9.9.2002", las dieser die Gravur vor. "Wo hast du das her, Adam?"
"Von Böschung für morgen. Gibt noch Kreuz, Blume und Licht."
Faber seufzte und verstand.
"Und was soll ich damit?"
"Musst finden Mutter. Bruder, Schwester."
Die einzige Möglichkeit, den letzten Rest Warmluft am Entweichen aus dem Container zu hindern, war es, Adam schnellstmöglich loszuwerden.
"Ist in Ordnung, Adam bring den Rest auch noch her. Und mach' die Tür zu."
Faber verschwendete einige verärgerte Gedanken an den unbekannten Kosmos von Adams erzkatholischem Heimatland, dann griff er zum Telefon. Der verdammte Regen, auch morgen würden sie den Beton noch nicht brauchen.
Mühsam übertönte die Musik das Prasseln der Regentropfen auf der Frontscheibe von Fabers Geländewagen. Was für ein Scheißtag. Die zehn Minuten bis zur Pension zerliefen zu einer Ewigkeit.
Morgen würde die Böschung abrutschen, Faber hatte es im Urin. Und im Kofferraum lagen ein verdrecktes Holzkreuz, eine Metalltafel und eine schmiedeeiserne Grablaterne. Er stellte den Wagen ab und schleppte sich ins dampfige Innere des lieblos hochgemauerten Nachkriegsbaus.
Stammtischzeit, Rauchzeit. Faber nahm das kleine Tischchen neben der Türe. Unaufgefordert stellte Isa das erste Bier vor ihm auf. "Heut' hätten wir hausg'machte Maultaschen." Faber nickte, alles war gut, nur keine weiteren Entscheidungen mehr. Essen, duschen, schlafen.
Während er wartete, hallte vielstimmiger Lärm vom Nachbartisch herüber. Gemütlich wirkende Gestalten mit knolligen Nasen und rötlich blauen Äderchen im Gesicht sinnierten über die Wesentlichkeiten des Lebens. Der vielstimmige Chor wurde vom Solo eines Tenors unterbrochen: "Habt ihr schon g'hört, der Türk hat sich um'bracht!"
Die gesamte Gesellschaft verfiel in zwei Takte andächtiger Pause, bevor ein Bass den Faden wieder aufnahm: "Wie hat er denn des g'schafft?"
"Dürfen die das denn, die Mohammedaner?", fragte der Bariton nach. Und wieder zerlief die Unterhaltung in polyphonem Gelächter.
"Isa, du stammst doch hier aus der Gegend?"
Die Tochter des Hauses sah in Fabers Augen. Der Herr Ingenieur hatte sie etwas gefragt, das über die Tageskarte, Kellerbier und das universale Alibi-Thema Wetter hinausging.
"Ja, wieso?"
"Sagt dir der Name Kleeberger etwas?"
Isa warf einen Kontrollblick zur frisch versorgten Meute der Stammtischbrüder. Dann setzte sie sich an Fabers Tisch.
"Der Aussiedlerhof auf eurer Baustelle …"
Mit welcher seltsamen Betonung hatte sie das "eurer" ausgesprochen. Faber verlor sich in der Auslegung ihres Tonfalls und der ungewohnten Nahansicht des schmalen Schlitzes, der sich am Rande ihres Dirndls abzeichnete. Ihren Brüsten war anzusehen, dass sie sich fest anfühlten. "… kam bei einem Motorradunfall um. Die Mutter lebt in der Stadt, ist weggezogen nach dem Prozess. Hatte keine Lust mehr zu streiten, der alte Kleeberger ist auch schon ein paar Jahre tot …"
"Wo der denn das Geld für den Strick her hatte … die morschen Deckenbalken in der Bruchbude … Isabel, Ihsahbell!"
Faber hatte gerade noch Gelegenheit gehabt, ihr ein "Danke" mit auf den Weg zu geben, schon war sie aufgesprungen. Einige Weißbier und Schnäpse später kam sie wieder, jedoch nur um ihm einen Teller Maultauschen auf den Tisch zu stellen. Sie schmeckten nach Sägespänen.
Magdalena deckte den Tisch zum Abendbrot. Die Wäsche war gebügelt und das bunt bebilderte Heftchen mit dem halbnackten Mädchen auf dem Titelblatt kündigte für den Abend James Bond an. Veronika war nicht ans Telefon gegangen, also war sie wie üblich mit den Kindern schwimmen gegangen.
Gerade hatte Magdalena den Blauschimmelkäse aus seiner Plastikfolie gepult, als der synthetische Dreiklang der Türglocke etwas Außergewöhnliches anmeldete. Magdalena zögerte, überdachte die verschiedenen Möglichkeiten, was die abendliche Störung bedeuten könne, während sie schwerfällig von Küchentisch aufstand und sich zur Wohnungstür schleppte. Im Spion sah sie das Gesicht eines jungen, nassen Manns. Sie öffnete die Türe und vergaß in aller Aufregung, die Sperrkette einzuhängen.
"Frau Kleeberger, bitte entschuldigen Sie die späte Störung. Mein Name ist Roland Faber, ich arbeite für die Ratzack Bau."
Faber trottete den dunklen Gang entlang, einer buckligen Zwergin folgend, die ihn in das Innere ihres Berges führte. Er hatte die Sätze herunterdekliniert, die er sich wieder und wieder zurecht gelegt hatte. Aber anstatt im Hausgang verabschiedet zu werden, war er in Frau Kleebergers Wohnung gebeten worden, einen Wunsch, den er ihr nicht abschlagen konnte.
Die blaue Kunststoffkiste in Händen haltend, kam er verloren vor einem gedeckten Holztisch zu stehen. Die Wände des Raums waren mit den Reliquien einer anderen Welt verstellt: Bilder, dunkle Holzmöbel und zusammengewürfeltes Inventar, das nicht in eine Neubau-Eigentumswohnung passen wollte.
Die gekrümmte Gestalt, nötigte ihn Platz zu nehmen. Die Kiste mit den Mitbringseln stellte er ratlos zu Boden. Über wenige Scheiben Brot und die Magarine hinweg fiel sein Blick auf ein Schränkchen. Neben dem Fernseher thronte eine Sammlung von Bildern: Ein älterer Mann, ein Jugendlicher und ein Familienbild mit zwei Kindern. Daneben akkurat gestapelt einige Dutzend Sterbebildchen.
"Und, habt ihr schon alles niedergerissen?"
Sie meinte offensichtlich den Hof. Isabels Erklärungen und einige Randbemerkungen von Fabers Chef vermengten sich zu einer Wahrheit, die Fleisch geworden als gebückte alte Frau ihm am Tisch gegenüber saß. Umweltverträglichkeitsprüfung, Enteignungsverfahren und schließlich das Ende in der letzten Instanz. Die ideale Trassenführung war durch den Kleebergerschen Hof verlaufen.
"Nächste Woche", antwortete Faber und dachte an den Regen, die ständigen Verzögerungen auf der Baustelle und an Isabel. Gestern Abend hatte sie das blaue Kleid getragen. Für eine Wirtstochter war sie erstaunlich wenig übergewichtig, schien nicht in das dumpfe Universum von Weißbier und Fleischkäse zu passen. Und dennoch war sie die designierte Erbin des Hauses, und wie abgestandener Rauch in der Gaststube stand die Erwartung über ihr, sie würde Wirtschaft und Pension einmal übernehmen und das Lebenswerk der Eltern fortführen.
"Wir haben das Haus selber gebaut. Nach dem Krieg, als es nichts gab. Mit eigenen Händen. Können Sie sich das vorstellen?"
Faber konnte es nicht. Mit eigenen Händen? Ohne entsprechenden Maschinenpark ging nichts, jedenfalls nicht in endlicher Zeit. Wieder musste er an Isabel denken. Es war Stammtischabend. "Ihsahbel! Komm her zu uns! Setz dich doch!"
"Fünfzig Jahre haben wir dort gelebt."
Magadalenas Blick wanderte hinüber zu Faber. Er sah nicht aus wie ein Bauarbeiter und hatte nicht die schwieligen Hände von einem, der tagein tagaus Betonplatten schleppte. Vielleicht zeichnete er ja Pläne. Oder er arbeitete im Büro und schrieb Briefe. "Sehr geehrte Frau Kleeberger, wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass …"
Nein, er sah nicht aus, als würde er irgendetwas bedauern. Zu seinen Füßen stand diese verdreckte Kiste, und er hatte einfach hineingeworfen, was an die Stätte von Florians Tod erinnern hätte sollen.
"Erst der Bub und jetzt der Hof. Beides hat man mir genommen. Die Brücke kann nirgendwo anders gebaut werden, haben sie gesagt." Wie konnte man nur so wenig Respekt haben, das Kreuz in eine Kiste werfen, wie ein Stück Holz? Bestimmt kam er aus der Stadt, war bei den Heiden aufgewachsen, wo man nicht lernte, wie Boden roch, was Ehrfurcht bedeutete vor Gott und der Schöpfung.
"Was soll ich mit dem Geld, das sie mir gegeben haben? Das letzte Hemd hat keine Taschen, haben Sie da schon einmal d'ran gedacht? Keiner kann etwas mit 'rübernehmen."
"Frau Kleeberger, es tut mir leid …" Faber brach den Satz ab, weil ihm nach dem verheißungsvollen Anfang eine Fortsetzung fehlte. Sein Blick jagte nach Hilfe suchend durch den Raum. Das Familienbild mit den Enkeln wirkte aufgesetzt. Demonstrative Harmonie, vierfach gequältes Lächeln. Eine passende Antwort rückte in unerreichbare Ferne. Was hätte ihm Leid tun sollen?
"Er war nicht schuld. Der andere hat ihm einfach die Vorfahrt genommen. In seinem dicken Mercedes ist ihm nicht viel passiert! Das neue Motorrad hatte er noch nicht lange."
"Ich wollte Ihnen eigentlich nur die Sachen vorbeibringen, damit alles seine Richtigkeit hat."
"Seine Richtigkeit? Hier hat nichts seine Richtigkeit."
"Ich wollte Sie auch gar nicht lange aufhalten … bestimmt haben sie … ich muss noch zurück auf die Baustelle …"
Es hatte aufgehört zu regnen. In geduldiger Gleichmäßigkeit zogen die Autos durch die Dunkelheit. Man hielt Abstand, niemand überholte. Auch Faber reihte sich willig in die geistlos dahinfließende Kolonne ein. Das Autoradio hatte er abgestellt, ihm war nicht nach Zerstreuung zu Mute. Ein verdrecktes Schild wies ihn einladend darauf hin, auf eine Nebenstraße einzubiegen. Einige Minuten später hatte er sein Ziel erreicht.
Er sperrte den Wagen ab und ging zum Haus. Grübelnd durchquerte er die Wirtsstube; es war zu spät, um noch etwas zu Essen zu bestellen.
"Ein Bier vielleicht?"
"Nein, Isa. Heute nicht. Bring mir ein Mineralwasser."
Die Mannschaft am Stammtisch beschäftigte sich mit sich selbst und nahm keinerlei Notiz von seiner Anwesenheit. Faber kannte sie mittlerweile recht gut, hatte sich erlaubt, den verschiedenen Stimmlagen Charaktere zuzuordnen: Der cholerische Tenor, der melancholische Bass und der phlegmatische Bariton
"Und wie war es?"
Isa hatte sich an sein Tischchen gesetzt und saß quer auf dem Stuhl, um die zahlende Stammkundschaft besser im Auge zu haben.
"Beschissen", antwortete Faber und wunderte sich, warum er keinen doppelten Whisky bestellt hatte. "Ich frage mich, wozu ich überhaupt hingefahren bin." Isa nickte und wippte mit ihren seitlich ausgestreckten Füßen. Sie trug Sandalen, luftige, weitmaschige weiße Socken, durch die sich lackierte Zehennägel abzeichneten.
"Und wieso?", fragte sie mit der Naivität eines Rauschgoldengels. Im Takt ihrer Zehen bewegte sich der Rock mit und berührte den Boden.
"Kein Wort des Dankes. Nur Hass und Verbitterung."
Isa zog die ausgestreckten Füße an und drehte sich zu Faber hin. Den Kopf in die Hände gestützt, die Ellbogen auf dem Tisch, fragte sie: "Hast du etwas anderes erwartet?"
Faber schüttelte den Kopf. Auch er fühlte sich müde. Unendlich müde.
"Kennst du das? Manchmal einfach alles hinschmeißen wollen. Weggehen, zum Zigaretten holen fahren und nicht wiederkommen? Etwas ganz anderes machen, vielleicht Schafe züchten in Neuseeland?", fragte er den Engel auf der anderen Seite des klebrigen Wirtshaustisches.
"Ihsahbell! Nachschub!"
Sie nickte, um aufzustehen und an der Theke zwei Weißbiere, drei Helle und zwei Schnäpse einzuschenken.
Faber klemmte einen Geldschein unter den Aschenbecher und stand auf. Er hatte gewartet, bis Isabel wiedergekommen war. Sie überschlug die Höhe ihres Trinkgeldes und schenkte ihm ein kleines Lächeln.
"Mir geht es manchmal genauso", meinte sie, als sie auf dem Weg zur Zapfanlage scheinbar zufällig für eine Zehntelsekunde mit ihrer Hand an Fabers Hüfte entlangstrich.
"Gute Nacht, Isabel."
"Gute Nacht."
Bevor er die Treppe zu seinem Zimmer hochstieg, warf er noch einen Blick zurück in die Gaststube. Isabel war zur Theke gegangen, um zwei Biere zu zapfen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie auf, um sich dann mit einem Lächeln wieder den Gläsern zuzuwenden.