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Via Crucis

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04.11.2006
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Via Crucis

Der flackernde Lichtfleck war in der Dunkelheit nicht zu verfehlen gewesen. An seinem Ziel angelangt, ging Adam in die Hocke und legte die Schaufel ab. Es war seit zwei Stunden dunkel und auf der Bundesstraße tasteten sich vereinzelte Lichtfinger durch das Nachthemd der dampfenden Äcker.
Die rauen, faltigen Hände auf den Schenkeln übereinander gelegt, dachte Adam nach. Das Grablicht war halb heruntergebrannt. Seltsam. Jemand war also hier gewesen. Ohne verstanden zu haben, ob das gut oder schlecht war, machte er sich an die Arbeit. Der Boden war weich, die Schaufel hätte er sich sparen können. Er zog das Holzkreuz aus der Erde, löschte die Laterne und verstaute alle Einzelteile sorgfältig in der mitgebrachten Kiste.

"Was ist denn das für eine verdammte Sauerei?", brüllte Faber und schlug mit der flachen Hand gegen die Seitenscheibe des Führerhauses. Einem erschossenen Raubtier gleich, steckte der Bagger im Morast. Seine Schaufel war abgelegt, aus einem geplatzten Hydraulikschlauch strömte dampfendes Öl und sickerte in dickflüssigem Strom an der verrosteten Oberfläche des Arms entlang, einem schmutzigbraunen Wasserloch entgegen. Die Novembersonne hatte sich hinter einer gräulichen Schauerwolke verkrochen.
"Maschin kaputt, Chef." Adam stand neben der havarierten Baumaschine, deutete auf eine geplatzte Verschraubung und hob bedauernd die Schultern. "Brauch neu Teil."
"Wie soll man hier vorwärts kommen, wenn dauernd so eine Scheiße passiert?"
Fabers Mobiltelefon meldete sich und hinderte ihn daran, weiterzuschimpfen. Adam zog die Kapuze seines Regenmangels weiter vor das Gesicht, um sich vor den quer anrennenden Tropfen zu schützen. Hier gab es nichts mehr für ihn zu tun. Faber hatte sich hinter die Baumaschine verkrochen und suchte eine windgeschützte Stelle. Mit seinem Rücken an gelb lackiertes Eisen gelehnt, von dem die Farbe abblätterte, versuchte er sich zu verständigen. Einen Finger ins Ohr gesteckt, brüllte er gegen den Sturm, Ärger und seinen Chef an:
"Nein, die Verschalung steht noch nicht, … keinen Beton schicken … Was heißt, nichts geht vorwärts? … Nein, …wahrscheinlich nicht … der alte Mist fällt dauernd aus … Ja, natürlich ... aber ... wenn ihr uns nur lauter schrottreife Maschinen schickt … Ich verstehe Sie nicht … nein, keine Chance … morgen? … das Wetter … hier steht alles unter Wasser …"
Das Telefon durfte wieder in die schützende feuchtwarme Dunkelheit an Fabers Brust zurück. Er ließ seinen Blick über die Baustelle schweifen: Dreck, wassergefüllte Fahrspuren und eine halbfertige Böschung, die bald abrutschen würde, wenn die Wolken noch mehr Regen auskotzen sollten. Am Horizont bekräftigten einige über die Äcker verstreute Brückenfragmente jene vage Vorstellung einer elegant geschwungen Linie, die bisher nur auf dem Papier existierte. Die Pläne dazu lagerten in einem verdreckten Containerbüro, das Faber nun aufsuchen würde.
Telefonieren, Ersatzteile ordern, umorganisieren. Eine Dose Bier trinken, sich in die Wärme flüchten. Hauptsache, das Elend nicht mehr mit eigenen Augen ansehen müssen.
"Hilf den anderen da hinten!", bellte er Adam an und machte sich auf den Weg. Nach wenigen Schritten klingelte sein Telefon erneut.

Es waren einunddreißig Grabsteine. Vom Küchenfenster aus konnte Magdalena die Reihenhaussiedlung, den Supermarkt und das westliche Ende des Friedhofs sehen. Wie schnell es doch im Herbst dunkel wurde! Die nachmittäglichen Spaziergänger hatten sich nach und nach in ihren zentralgeheizten Wohnungen verkrochen, so dass es im Park nichts mehr zu sehen gab. Bis ein Krimi im Fernsehen kommen würde, war noch lange hin. Also warum nicht dem Flug der Ahornblätter zusehen und Grabsteine zählen? Nachher würde es Brot mit Käse geben. Blauschimmelkäse von Aldi.
Als nur noch die rötliche Leuchtreklame des Supermarktes zu erkennen war, stand Magdalena auf und machte Licht. Es war Zeit, Veronika anzurufen und das wohlbekannte Ritual von Frage und Ausweichmanöver zu inszenieren. Den Enkeln ginge es gut, der Jüngere hätte in Deutsch eine Zwei nach Hause gebracht, Vater komme spät von der Arbeit heim. Er sei in letzter Zeit öfters abends nicht da gewesen.
Nachdem sie den Hörer aufgelegt und den Plan verworfen hatte, die Schlechtigkeit der Welt in Bildern anzusehen, konnte sie die nahe liegenden Gedanken nicht länger wegschieben.
Ob der Hof schon abgerissen war? Sie wollte es nicht wirklich wissen, jedenfalls brachte sie die Energie nicht auf, Veronika zu bitten, sie dort hinzufahren.

"Was gibt’s, Adam?", fragte Faber die tropfende Gestalt in gelbem Ölzeug. Rotbrauner Schlamm sickerte kotgleich von Adams Gummistiefeln auf den zerschrammten Fußboden, der zu biblischen Zeiten, einmal weiß gewesen sein mochte. Durch die geöffnete Tür des Bürocontainers drängelte sich nasse Zugluft ins mühsam gewärmte Innere.
"Brauch Hilfe, Chef", antwortete das tropfende Elend im Türahmen. Faber seufzte. In seinem Kopf drehte sich das Rad denkbarer Katastrophen: Eine umgestürzte Maschine, zwei zerquetschte albanische Hilfsarbeiter, ein unerwarteter Besuch der Gewerbeaufsicht oder doch nur ein abgesägter Arm?
"Mir helfen, jemand finden", fuhr Adam fort und schob seinen Kopf aus der Kapuze, wie eine Schildkröte. Die am Kopf verklebten dunklen Locken ließen ihn aussehen wie einen aus dem Wasser gezogenen Pudel.
"Jemanden finden? Wen denn?" Die andere Seite des Katastrophenrades drehte sich nach oben. Sie waren auf römische Ruinen gestoßen, müssten ein archäologisches Gutachten abwarten, bevor weitergearbeitet werden könnte. Eine fünfjährige Verzögerung mit nachfolgender Verlegung der Trasse. Faber wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Adam sich endlich die rechten deutschen Worte zusammengesucht hatte:
"Eltern suchen, Bruder, Schwester."
Zur Lösung des Rätsels hatte er die Kotspur bis zu Fabers Schreibtisch verlängert, in die Seitentasche seines Ölzeugs gegriffen und eine schokoladengroße Bronzeplakette hervorgezogen. Er reichte das Metallstück an Faber weiter.
"Florian Kleeberger, 21.3.1979 – 9.9.2002", las dieser die Gravur vor. "Wo hast du das her, Adam?"
"Von Böschung für morgen. Gibt noch Kreuz, Blume und Licht."
Faber seufzte und verstand.
"Und was soll ich damit?"
"Musst finden Mutter. Bruder, Schwester."
Die einzige Möglichkeit, den letzten Rest Warmluft am Entweichen aus dem Container zu hindern, war es, Adam schnellstmöglich loszuwerden.
"Ist in Ordnung, Adam bring den Rest auch noch her. Und mach' die Tür zu."
Faber verschwendete einige verärgerte Gedanken an den unbekannten Kosmos von Adams erzkatholischem Heimatland, dann griff er zum Telefon. Der verdammte Regen, auch morgen würden sie den Beton noch nicht brauchen.

Mühsam übertönte die Musik das Prasseln der Regentropfen auf der Frontscheibe von Fabers Geländewagen. Was für ein Scheißtag. Die zehn Minuten bis zur Pension zerliefen zu einer Ewigkeit.
Morgen würde die Böschung abrutschen, Faber hatte es im Urin. Und im Kofferraum lagen ein verdrecktes Holzkreuz, eine Metalltafel und eine schmiedeeiserne Grablaterne. Er stellte den Wagen ab und schleppte sich ins dampfige Innere des lieblos hochgemauerten Nachkriegsbaus.
Stammtischzeit, Rauchzeit. Faber nahm das kleine Tischchen neben der Türe. Unaufgefordert stellte Isa das erste Bier vor ihm auf. "Heut' hätten wir hausg'machte Maultaschen." Faber nickte, alles war gut, nur keine weiteren Entscheidungen mehr. Essen, duschen, schlafen.
Während er wartete, hallte vielstimmiger Lärm vom Nachbartisch herüber. Gemütlich wirkende Gestalten mit knolligen Nasen und rötlich blauen Äderchen im Gesicht sinnierten über die Wesentlichkeiten des Lebens. Der vielstimmige Chor wurde vom Solo eines Tenors unterbrochen: "Habt ihr schon g'hört, der Türk hat sich um'bracht!"
Die gesamte Gesellschaft verfiel in zwei Takte andächtiger Pause, bevor ein Bass den Faden wieder aufnahm: "Wie hat er denn des g'schafft?"
"Dürfen die das denn, die Mohammedaner?", fragte der Bariton nach. Und wieder zerlief die Unterhaltung in polyphonem Gelächter.
"Isa, du stammst doch hier aus der Gegend?"
Die Tochter des Hauses sah in Fabers Augen. Der Herr Ingenieur hatte sie etwas gefragt, das über die Tageskarte, Kellerbier und das universale Alibi-Thema Wetter hinausging.
"Ja, wieso?"
"Sagt dir der Name Kleeberger etwas?"
Isa warf einen Kontrollblick zur frisch versorgten Meute der Stammtischbrüder. Dann setzte sie sich an Fabers Tisch.
"Der Aussiedlerhof auf eurer Baustelle …"
Mit welcher seltsamen Betonung hatte sie das "eurer" ausgesprochen. Faber verlor sich in der Auslegung ihres Tonfalls und der ungewohnten Nahansicht des schmalen Schlitzes, der sich am Rande ihres Dirndls abzeichnete. Ihren Brüsten war anzusehen, dass sie sich fest anfühlten. "… kam bei einem Motorradunfall um. Die Mutter lebt in der Stadt, ist weggezogen nach dem Prozess. Hatte keine Lust mehr zu streiten, der alte Kleeberger ist auch schon ein paar Jahre tot …"
"Wo der denn das Geld für den Strick her hatte … die morschen Deckenbalken in der Bruchbude … Isabel, Ihsahbell!"
Faber hatte gerade noch Gelegenheit gehabt, ihr ein "Danke" mit auf den Weg zu geben, schon war sie aufgesprungen. Einige Weißbier und Schnäpse später kam sie wieder, jedoch nur um ihm einen Teller Maultauschen auf den Tisch zu stellen. Sie schmeckten nach Sägespänen.

Magdalena deckte den Tisch zum Abendbrot. Die Wäsche war gebügelt und das bunt bebilderte Heftchen mit dem halbnackten Mädchen auf dem Titelblatt kündigte für den Abend James Bond an. Veronika war nicht ans Telefon gegangen, also war sie wie üblich mit den Kindern schwimmen gegangen.

Gerade hatte Magdalena den Blauschimmelkäse aus seiner Plastikfolie gepult, als der synthetische Dreiklang der Türglocke etwas Außergewöhnliches anmeldete. Magdalena zögerte, überdachte die verschiedenen Möglichkeiten, was die abendliche Störung bedeuten könne, während sie schwerfällig von Küchentisch aufstand und sich zur Wohnungstür schleppte. Im Spion sah sie das Gesicht eines jungen, nassen Manns. Sie öffnete die Türe und vergaß in aller Aufregung, die Sperrkette einzuhängen.
"Frau Kleeberger, bitte entschuldigen Sie die späte Störung. Mein Name ist Roland Faber, ich arbeite für die Ratzack Bau."

Faber trottete den dunklen Gang entlang, einer buckligen Zwergin folgend, die ihn in das Innere ihres Berges führte. Er hatte die Sätze herunterdekliniert, die er sich wieder und wieder zurecht gelegt hatte. Aber anstatt im Hausgang verabschiedet zu werden, war er in Frau Kleebergers Wohnung gebeten worden, einen Wunsch, den er ihr nicht abschlagen konnte.
Die blaue Kunststoffkiste in Händen haltend, kam er verloren vor einem gedeckten Holztisch zu stehen. Die Wände des Raums waren mit den Reliquien einer anderen Welt verstellt: Bilder, dunkle Holzmöbel und zusammengewürfeltes Inventar, das nicht in eine Neubau-Eigentumswohnung passen wollte.
Die gekrümmte Gestalt, nötigte ihn Platz zu nehmen. Die Kiste mit den Mitbringseln stellte er ratlos zu Boden. Über wenige Scheiben Brot und die Magarine hinweg fiel sein Blick auf ein Schränkchen. Neben dem Fernseher thronte eine Sammlung von Bildern: Ein älterer Mann, ein Jugendlicher und ein Familienbild mit zwei Kindern. Daneben akkurat gestapelt einige Dutzend Sterbebildchen.
"Und, habt ihr schon alles niedergerissen?"
Sie meinte offensichtlich den Hof. Isabels Erklärungen und einige Randbemerkungen von Fabers Chef vermengten sich zu einer Wahrheit, die Fleisch geworden als gebückte alte Frau ihm am Tisch gegenüber saß. Umweltverträglichkeitsprüfung, Enteignungsverfahren und schließlich das Ende in der letzten Instanz. Die ideale Trassenführung war durch den Kleebergerschen Hof verlaufen.
"Nächste Woche", antwortete Faber und dachte an den Regen, die ständigen Verzögerungen auf der Baustelle und an Isabel. Gestern Abend hatte sie das blaue Kleid getragen. Für eine Wirtstochter war sie erstaunlich wenig übergewichtig, schien nicht in das dumpfe Universum von Weißbier und Fleischkäse zu passen. Und dennoch war sie die designierte Erbin des Hauses, und wie abgestandener Rauch in der Gaststube stand die Erwartung über ihr, sie würde Wirtschaft und Pension einmal übernehmen und das Lebenswerk der Eltern fortführen.
"Wir haben das Haus selber gebaut. Nach dem Krieg, als es nichts gab. Mit eigenen Händen. Können Sie sich das vorstellen?"
Faber konnte es nicht. Mit eigenen Händen? Ohne entsprechenden Maschinenpark ging nichts, jedenfalls nicht in endlicher Zeit. Wieder musste er an Isabel denken. Es war Stammtischabend. "Ihsahbel! Komm her zu uns! Setz dich doch!"
"Fünfzig Jahre haben wir dort gelebt."
Magadalenas Blick wanderte hinüber zu Faber. Er sah nicht aus wie ein Bauarbeiter und hatte nicht die schwieligen Hände von einem, der tagein tagaus Betonplatten schleppte. Vielleicht zeichnete er ja Pläne. Oder er arbeitete im Büro und schrieb Briefe. "Sehr geehrte Frau Kleeberger, wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass …"
Nein, er sah nicht aus, als würde er irgendetwas bedauern. Zu seinen Füßen stand diese verdreckte Kiste, und er hatte einfach hineingeworfen, was an die Stätte von Florians Tod erinnern hätte sollen.
"Erst der Bub und jetzt der Hof. Beides hat man mir genommen. Die Brücke kann nirgendwo anders gebaut werden, haben sie gesagt." Wie konnte man nur so wenig Respekt haben, das Kreuz in eine Kiste werfen, wie ein Stück Holz? Bestimmt kam er aus der Stadt, war bei den Heiden aufgewachsen, wo man nicht lernte, wie Boden roch, was Ehrfurcht bedeutete vor Gott und der Schöpfung.
"Was soll ich mit dem Geld, das sie mir gegeben haben? Das letzte Hemd hat keine Taschen, haben Sie da schon einmal d'ran gedacht? Keiner kann etwas mit 'rübernehmen."
"Frau Kleeberger, es tut mir leid …" Faber brach den Satz ab, weil ihm nach dem verheißungsvollen Anfang eine Fortsetzung fehlte. Sein Blick jagte nach Hilfe suchend durch den Raum. Das Familienbild mit den Enkeln wirkte aufgesetzt. Demonstrative Harmonie, vierfach gequältes Lächeln. Eine passende Antwort rückte in unerreichbare Ferne. Was hätte ihm Leid tun sollen?
"Er war nicht schuld. Der andere hat ihm einfach die Vorfahrt genommen. In seinem dicken Mercedes ist ihm nicht viel passiert! Das neue Motorrad hatte er noch nicht lange."
"Ich wollte Ihnen eigentlich nur die Sachen vorbeibringen, damit alles seine Richtigkeit hat."
"Seine Richtigkeit? Hier hat nichts seine Richtigkeit."
"Ich wollte Sie auch gar nicht lange aufhalten … bestimmt haben sie … ich muss noch zurück auf die Baustelle …"


Es hatte aufgehört zu regnen. In geduldiger Gleichmäßigkeit zogen die Autos durch die Dunkelheit. Man hielt Abstand, niemand überholte. Auch Faber reihte sich willig in die geistlos dahinfließende Kolonne ein. Das Autoradio hatte er abgestellt, ihm war nicht nach Zerstreuung zu Mute. Ein verdrecktes Schild wies ihn einladend darauf hin, auf eine Nebenstraße einzubiegen. Einige Minuten später hatte er sein Ziel erreicht.
Er sperrte den Wagen ab und ging zum Haus. Grübelnd durchquerte er die Wirtsstube; es war zu spät, um noch etwas zu Essen zu bestellen.
"Ein Bier vielleicht?"
"Nein, Isa. Heute nicht. Bring mir ein Mineralwasser."
Die Mannschaft am Stammtisch beschäftigte sich mit sich selbst und nahm keinerlei Notiz von seiner Anwesenheit. Faber kannte sie mittlerweile recht gut, hatte sich erlaubt, den verschiedenen Stimmlagen Charaktere zuzuordnen: Der cholerische Tenor, der melancholische Bass und der phlegmatische Bariton
"Und wie war es?"
Isa hatte sich an sein Tischchen gesetzt und saß quer auf dem Stuhl, um die zahlende Stammkundschaft besser im Auge zu haben.
"Beschissen", antwortete Faber und wunderte sich, warum er keinen doppelten Whisky bestellt hatte. "Ich frage mich, wozu ich überhaupt hingefahren bin." Isa nickte und wippte mit ihren seitlich ausgestreckten Füßen. Sie trug Sandalen, luftige, weitmaschige weiße Socken, durch die sich lackierte Zehennägel abzeichneten.
"Und wieso?", fragte sie mit der Naivität eines Rauschgoldengels. Im Takt ihrer Zehen bewegte sich der Rock mit und berührte den Boden.
"Kein Wort des Dankes. Nur Hass und Verbitterung."
Isa zog die ausgestreckten Füße an und drehte sich zu Faber hin. Den Kopf in die Hände gestützt, die Ellbogen auf dem Tisch, fragte sie: "Hast du etwas anderes erwartet?"
Faber schüttelte den Kopf. Auch er fühlte sich müde. Unendlich müde.
"Kennst du das? Manchmal einfach alles hinschmeißen wollen. Weggehen, zum Zigaretten holen fahren und nicht wiederkommen? Etwas ganz anderes machen, vielleicht Schafe züchten in Neuseeland?", fragte er den Engel auf der anderen Seite des klebrigen Wirtshaustisches.
"Ihsahbell! Nachschub!"
Sie nickte, um aufzustehen und an der Theke zwei Weißbiere, drei Helle und zwei Schnäpse einzuschenken.
Faber klemmte einen Geldschein unter den Aschenbecher und stand auf. Er hatte gewartet, bis Isabel wiedergekommen war. Sie überschlug die Höhe ihres Trinkgeldes und schenkte ihm ein kleines Lächeln.
"Mir geht es manchmal genauso", meinte sie, als sie auf dem Weg zur Zapfanlage scheinbar zufällig für eine Zehntelsekunde mit ihrer Hand an Fabers Hüfte entlangstrich.
"Gute Nacht, Isabel."
"Gute Nacht."
Bevor er die Treppe zu seinem Zimmer hochstieg, warf er noch einen Blick zurück in die Gaststube. Isabel war zur Theke gegangen, um zwei Biere zu zapfen. Für den Bruchteil einer Sekunde sah sie auf, um sich dann mit einem Lächeln wieder den Gläsern zuzuwenden.

 

Hiho Alterchen,

also ein büschen Textkram vorweg:

Die Pläne dazu lagerten in einem verdreckten Containerbüro lagerten, das Faber nun aufsuchen würde.
im Eifer des Wortgefechts lagerte da ein lagerten zuviel.

Nach wenigen Schritten tönte ein unüberhörbares Klingeln aus seiner Brusttasche.
Also ein "Es klingelte erneut" hätte vollauf genügt, so machst du daraus einen leicht andramatisierten Satz und dann folgt nix... :D

Es waren 31 Grabsteine.
bevors jemand anders tut, ik glöv als, dat schriebense hier ut! einundreißig

der jüngere hätte in
Jüngere

Die am Kopf verklebten dunklen Locken ließen ihn aussehen, wie einen aus dem Wasser gezogenen Pudel.
YES! :D

las dieser vor, was eingraviert war,
vielleicht eleganter: "las dieser die Gravur vor"

Der verdammte Regen, auch morgen würden Sie den Beton noch nicht brauchen.
sie

Nur mühsam übertönte die Musik
nur ist überflüssig "Mühsam übertönte..."

und sich zur Wohnungstür zu schleppte.
klingt ohne "zu" besser

Magadalenas Blick wanderte hinüber zu Faber, der langsam abtrocknete.
klingt komisch, "der langsam abtrocknete" wie wärs wenn du den Satzteil beerdigst?

wir bedauern Ihnen mitteilen zu müssen, dass
bedauern, ...


und saß quer auf dem Stuhl um die zahlende Stammkundschaft
Stuhl, um

zerknitterten Engel
wieso ist sie zerknittert? hab ich wo was verpasst?


Ok, und nun meine Kritik:

was soll das werden?
Ein Exposé über einen Roman, den du noch schreiben möchtest?
Es passiert zwar in dieser Geschichte einiges und dir gelingt es auch, die Figuren gut zu zeichnen. Sie wachsen vor dem geistigen Auge zu Persönlichkeiten heran, ABER alles, was du beschreibst, versickert in der Grube.
Du reißt nur Geschehen an, aber strickst keinen Handlungsstrang weiter.
Nachdem Faber nun zu Bett gegangen ist, was passiert da? Soll da noch was folgen? Hast du die Lust verloren? Wo bleibt die Spannung? Hatten wir nicht vereinbahrt, grad in diesem Punkt etwas zu zaubern?

Gewiss, ich möchte jetzt den Text keineswegs abwerten, so wie er da steht, ist dir eine ruhige stimmungsvolle Zeitaufnahme mehrerer Personen gelungen und die Geschichte kann auch so für sich stehenbleiben.
Im Grunde genommen fehlt ihr nix.

Aber bist du dir sicher, dass das was du da geschrieben hast, wirklich die Art von Texten ist, die dir der Leser aus der Hand reißen wird? Und damit meine ich nun wirklich nicht, lieber AlterEgo, dass du fortan billiges oberflächliches effektheischendes Zeugs schreiben sollst.
Ist schon ok, wie du den Text angegangen bist, jedoch jetzt müsste er noch kombiniert und verwoben werden mit Spannung und Fesselung, sprich Unterhaltung!

So ist es nur eine gut gemachte Skizze. Aber wolltest du nicht ein Gemälde schaffen?

Ich weiß, du kannst meine schroffen Worte schon richtig einsortieren. Immerhin wissen wir beide, dass man nix unversucht lassen sollte, um NOCH BESSER zu werden, was impliziert, dass du schon ganz gut bist. :)

Lieben Gruß
lakita

 

Ach lakita,

was wäre ich ohne dich?

Der Textkram ist ausgebessert, herzlichen Dank fürs detaillierte Fieseln.

Nein, die Geschichte ist kein Exposee für einen Roman. Was jetzt auf der Hand liegt, nämlich die zarte Romanze des Hernn Ingenieuers mit der blutjungen Isabel war eigentlich etwas, das ich der Phantasie des Lesers überlassen wollte.

Bei näherem Nachdenken aber in der Tat etwas das noch hinzugefügt werden könnte. Ich werde mich dran machen und mal einen Entwurf schreiben ... Weihnachststress lässt grüßen.

Nicht zu vergessen liebe Grüße an dich.

AE

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo AlterEgo,

mir gefällt die Geschichte, wenn auch beim Dreh- und Angelpunkt davon bei mir ein großes Fragezeichen steht (siehe Anmerkung zum Grab auf privatem Grund).

Eine kleine Sozialstudie mit Faber, Adam, Isabel, Magdalena und den Stammtischbrüder zeigst du uns auf - alle werden in ihrer Rolle gut charakterisiert, wenn du es manchmal auch mit den Bildern übertreibst (im Detail später mehr dazu).

Auch nach dem zweiten Mal lesen wird mir jedoch die Intention von dem ersten Absatz nicht klar - was hatte Adam um Mitternacht, also heimlich, am Grab zu tun? Erst dachte ich, dass da jemand eine Leiche oder Urne ausgraben will ;) - nun ja, ohne Schaufel wäre das wohl etwas heftig, also ging es um etwas anderes. Mir wird nicht klar, was im Sack verstaut wird - auch nachdem ich die Geschichte gelesen habe. Das Kreuz kann es ja wohl kaum gewesen sein - oder wie groß war denn dieser Sack? Diese Szene als Einstieg zu wählen finde ich leider etwas irreführend.

In der Geschichte fehlt mir jedoch auch ein Fokus auf ein bestimmtes Detail in der Handlung - Fabers Ärger bei der Arbeit ist genauso gewichtet wie der Besuch bei Magdalena oder die Gedanken an Isabel.

Sollte der Titel im übertragenen Sinn für den Weg des abgetragenen Kreuzes und den Weg, den es nimmt, stehen, müsste dies meiner Meinung nach etwas mehr betont werden, indem das Drumrum schlichter serviert wird, da sich die Intention in diesem Falle in der Fülle der Nebenhandlungen verliert.

Was mir besonders gefällt sind manche Detailbeschreibungen, die sehr authentisch wirken.


Textarbeit:


"Brauch neu Teil"
Da fehlt ein Punkt.
Fabers Mobiltelefon meldete sich und hinderte ihn daran weiterzuschimpfen.
daran, weiterzuschimpfen

Adam zog die Kapuze seines Regenmangels weiter vor das Gesicht, um sich vor den quer anrennenden Tropfen zu schützen.
anrennend? Da hab ich ein Verständnisproblem.
Das Telefon durfte wieder in die schützende feuchtwarme Dunkelheit an Fabers Brust zurück.
Das liest sich, als würde das Handy das herbeisehnen, weil es ein fühlendes Wesen ist ;)

Hauptsache das Elend nicht mehr mit eigenen Augen ansehen müssen.
Hauptsache, das
Nachher würde es Brot mit Käse geben. Blauschimmelkäse von Aldi.
Machst du gerne Werbung? Wie wäre es mit Discounter oder Billigmarkt?

Als es nur noch die rötliche Leuchtreklame des Supermarktes zu erkennen war, stand Magdalena auf und machte Licht.
es raus
Es war Zeit Veronika anzurufen und das wohlbekannte Ritual von Frage und Ausweichmanöver durchzuexerzieren.
Ist ja schon ein Wortmonstrum, das durchzuexerzieren. Liest sich nicht schön. Wie wäre es mit: durchzugehen/ durchzuziehen / zu inszenieren?
Zudem: Es war Zeit, Veronika


Ob der Hof schon abgerissen war? Sie wollte es nicht wirklich wissen, jedenfalls brachte sie die Energie nicht auf, um Veronika zu bitten, sie dort hinzufahren.
das um vor Veronika muss weg


"Was gibt’s Adam?", fragte Faber die tropfende Gestalt in gelbem Ölzeug.
gibt's, Adam?
Rotbrauner Schlamm sickerte kotgleich von Adams Gummistiefeln auf den zerschrammten Fußboden, der zu biblischen Zeiten, einmal weiß gewesen sein mochte.
:D - die biblischen Zeiten finde ich doch etwas übertrieben. Wie wäre es mit: ... der vor langer Zeit (Komma weg) einmal weiß ...

"Brauch Hilfe, Chef.", antwortete das tropfende Elend im Türahmen.
Wenn der Satz weitergeht, ist der Punkt hinter Chef fehl am Platz. Weg damit.


"Mir helfen, jemand finden", fuhr Adam fort und schob seinen Kopf aus der Kapuze, wie eine Schildkröte.
Mir gefiele der Satz umgestellt besser: ... fuhr Adam fort und schob wie eine Schildkröte seinen Kopf aus der Kapuze.

Die am Kopf verklebten dunklen Locken ließen ihn aussehen, wie einen aus dem Wasser gezogenen Pudel.
Komma weg
"Jemanden finden, wen denn?"
Eigentlich sind das zwei Fragen: Jemanden finden? Wen denn?
Zur Lösung des Rätsels hatte er die Kotspur bis zu Fabers Schreibtisch verlängert, in die Seitentasche seines Ölzeugs gegriffen und eine schokoladengroße Bronzeplakette hervorgezogen.
Nun, es war ja keine richtige Kotspur, von daher finde ich es nicht so geschickt, den Vergleich noch einmal aufzugreifen, anstatt einfach von Schlammspur oder ähnlichem zu sprechen.

"Von Böschung für morgen. Gibt noch Kreuz, Blume und Licht."
Faber seufzte und verstand.
Was ich nicht so ganz verstehe ist der Umstand, dass in deutschen Landen irgendwo scheinbar ein einzelnes Grab außerhalb eines Friedhofes sein kann. Ich kann ja offiziell nicht mal einen Hund verbuddeln. Da müsste doch Faber etwas mehr als nur ein Seufzen von sich geben - ob er wirklich verstand? Es scheint sich ja auch nicht nur um eine Gedenkstätte zu handeln.
Er stellte den Wagen ab und schleppte sich ins dampfige Innere des seelenlosen Nachkriegsbaus.
Ich bin mir nicht sicher, ob du das so meintest, wie es geschrieben steht. Der Nachkriegsbau mag häßlich, architektonisch furchtbar und alles andere als optisch ansprechend sein - aber so, wie ich das hier lese, gibt es keine liebenswerten Menschen, die sich darin aufhalten.

"Heut' hätten wir hausg'machte Maultaschen:"
Was sucht der Doppelpunkt hier?

Die gesamte Gesellschaft verfiel in zwei Takte andächtiger Pause, bevor ein Bass den Faden wieder aufnahm: "Wie hat er denn des g'schafft?"
Das Bild mit dem Chor, dem Tenor, Bass und Bariton gefällt mir gut.

"Isa, du stammst doch aus der Gegend?"
Da sich das Gespräch vorher um einen Türken drehte, ging ich davon aus, dass der Protagonist mit der Frage meint, Isa sei doch aus der Türkei.
Ich würde ein hier einbauen. Also: Isa, du stammst doch hier aus ...

"Der Aussiedlerhof auf eurer Baustelle …" Mit welcher seltsamen Betonung hatte sie das "eurer" ausgesprochen.
Faber verlor sich in der Auslegung ihres Tonfalls und der ungewohnten Nahansicht des schmalen Schlitzes, der sich am Rande ihres Dirndls abzeichnete.
Ein irritierender Perspektivenwechsel in diesem Absatz.

Veronika war nicht ans Telefon gegangen, ein ganz normaler Dienstagabend.
Welche Information soll mir der Satz geben? Ich bin mir unsicher.

Im Spion sah sie das Gesicht eines jungen, nassen Manns.
[...]
Mein Name ist Roland Faber, ich arbeite für die Ratzack Bau."
Mein Faber war bisher mindestens zwischen 45 und 55. Ein junger Spund als Bauleiter bei so einem Großprojekt?

Die blaue Kunststoffkiste in Händen kam er verloren vor einem gedeckten Holztisch zu stehen.
Der Satz ist nicht ganz rund. ... in den/seinen Händen
Die gekrümmte Gestalt, die Faber in das Innere ihrer Höhle geführt hatte, nötigte ihn Platz zu nehmen.
Da bemühst du das Bild der Höhle einmal zu oft. Immerhin ist es eine Neubau-Wohnung mit Fenstern.

Isabels Erklärungen und einige Randbemerkungen von Fabers Chef vermengten sich zu einer Wahrheit, die Fleisch geworden als gebückte alte Frau ihm gegenüber saß.
Ich würde ihm nach geworden setzen
Die ideale Trassenführung war durch den Kleebergerschen Hof verlaufen
Punkt am Satzende fehlt


Für eine Wirtstochter war sie erstaunlich wenig übergewichtig, schien nicht in das dumpfe Universum von Weißbier und Fleischkäse zu passen.

:lol: - was hat denn Faber für eine Vorstellung von Wirtstöchern?

Magadalenas Blick wanderte hinüber zu Faber, der langsam abtrocknete.
Was trocknet Faber langsam ab ;)? Zudem sind nasse Kleider nicht so schnell trocken. Ich würde diesen Satzteil schlicht streichen.

Er sah nicht aus, wie ein Bauarbeiter, hatte nicht die verarbeiteten Hände von einem, der tagein tagaus Betonplatten schleppte.
Vorschlag, denn verarbeitet geht wirklich nicht:
Er sah nicht aus (Komma weg) wie ein Bauarbeiter, hatte nicht die schwieligen, rauen Hände von einem, der
Es hatte aufgehört, zu regnen.
Komma weg
Ein verdrecktes Schild wies ihn einladend darauf hin, auf eine Nebenstraße einzubiegen.
Ist ein verdrecktes Schild tatsächlich einladend?


"Und wieso", fragte sie mit der Naivität eines Rauschgoldengels.
Wenn sie fragt, sollte auch ein Fragezeichen hin.

Im Takt mit ihren Zehen bewegte sich der Rock mit und berührte den Boden.
Das geht eleganter.
Im Takt ihrer Zehen ... dann vermeidest du auch zweimal das mit.


Etwas ganz anderes machen, vielleicht Schafe züchten in Neuseeland?", fragte er den zerknitterten Engel auf der anderen Seite des klebrigen Wirtshaustisches.
Warum zerknittert? Habe ich was verpasst?


Sie nickte, um aufzustehen und an der Theke zwei Weißbiere, drei Helle und zwei Schnäpse abzufüllen.
ich würde einschenken dem abfüllen vorziehen

Die Stammtischler nennst du auch zwei- oder dreimal Meute. Das ist für mich auch zuviel. Für meinen Geschmack sollten solche vergleichenden Bilder sparsam eingesetzt werden. Es wird beim ersten Mal klar, wie sie dadurch charakterisiert werden, bei mehrmaligem Gebrauch nutzt sich dieses Bild eher ab als dass es einen positiven Effekt hat. Dann würde ich zB nur Stammtischbrüder wählen, die Meute hat man schon im Kopf.


Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Bernadette,

danke für deinen überaus ausführlichen Kommentar. Deine unglaubliche Detailarbeit lasse ich schnellstmöglich einfließen, sollte mich die Übermüdung daran nicht hindern, dann heute Abend noch.

Ein paar zusammenfassende Anmerkungen vornweg. Die Geschichte spielt irgendwo in Süddeutschland. Dort ist es üblich, die Todesstätten von verunglückten Verkehrsteilnehmern grabähnllich auszustatten. Kreuz, Gedenktafeln, Laterne haben sich zu einer Art Standard etabliert, auch auf privatem oder öffentlichen Grund.

Dass Adam in seiner "Sprachlosigkeit" das nicht richtig 'rüber bringt, ist systembedingt, doch dazu später. Die falsche Fährte mit dem "Grabraub" am Anfang, war Absicht, nur dass die Klarstellung im Bürocontainer nicht so ganz 100% funktioniert, sollte ich vielleicht noch in einigen Details deutlicher machen.

Tja, das mit dem Fokus ... ist ja auch im Kern Lakitas Vorwurf ... offensichtlich also etwas dran und vielleicht doch noch nötig eine Szene in Fabers Zimmer nachzulegen. Deine Bezeichnung als Sozialstudie ist nicht schlecht erraten. Worum es mir in dieser Geschichte ging, war das Thema Kommunikation oder eben mangelnde Kommunikation aller Beteiligten.

Bis kurz vor dem Ende reden alle irgendwie aneinander vorbei, sagen sich etwas, aber verstehen sich nicht. Das Muster wird dadurch aufgebrochen, dass zwei deutlich unterschiedliche Menschen einen gemeinsamen Nenner finden, ihre Verlorenheit nämlich in der Welt der Erwartungen un ddarüber -wenn auch nur ansatzweise- reden. Was sie daraus machen werden, wollte ich bewusst offen lassen, also eben nicht Isabel in Fabers Bett landen lassen oder die beiden alles hinschmeißen und gemeinsam auswandern. Es sollte dem Leser überlassen bleiben, sich auszumalen, ob und mit welchem Radius die beiden die Kurve bekommen.

Zu einigen Deiner Anmerkungen im Detail:

Machst du gerne Werbung? Wie wäre es mit Discounter oder Billigmarkt?

Nein, keine Schleichwerbung. Aldi hätte auch Lidl sein können. Die beiden Markennamen stehen für ein Lebensgefühl und selbiges wollte ich hier heraufbeschwören.

Zitat:
Veronika war nicht ans Telefon gegangen, ein ganz normaler Dienstagabend.
Welche Information soll mir der Satz geben? Ich bin mir unsicher.

Der Satz ist eine ewige Baustelle, ich habe ihn ca. 20mal geändert. Muss wohl doch noch eine klarere Variante finden. Die Essenz hätte sein sollen: Veronika hat Dienstag Abends einen regelmäßigen Termin, die Mutter weiß das, ruft aber dennoch regelmäßig an, um die Tochter zu kontrollieren. Wie bringt man sowas in maximal verdichteter Form 'rüber? Uff.

Das Bild mit dem Chor, dem Tenor, Bass und Bariton gefällt mir gut.

Danke: Muss allerdings gestehen, das Konzept ist zusammengeklaut. Das Gespräch über den Selbstmord des Türken hat tatsächlich stattgefunden. Die Formulierung "hat sich 'umbracht" ist Bach's Johannespassion entnommen, woher die Ideen für Chor und Solisten stammen. Und den Solisten auch noch Temperamente zuzuordnen, ist "Auerbachs Keller" aus Goethes Faust geschuldet ...

Damit genug des Outings ...

Ach ja, das Alter des Bauleiters ... Deine Schätzung ist nicht schlecht, das lebendige Vorbild das ich vor Augen habe ist ein paar Jahre jünger, jung jedenfalls aus der Perspektive von Magdalena ...

Ganz lieben Dank nochmals,

AE

 

Die Geschichte spielt irgendwo in Süddeutschland. Dort ist es üblich, die Todesstätten von verunglückten Verkehrsteilnehmern grabähnllich auszustatten. Kreuz, Gedenktafeln, Laterne haben sich zu einer Art Standard etabliert, auch auf privatem oder öffentlichen Grund.

Na, da bist du ja gerade an die Richtige geraten:
In meiner Fotoklasse hatte ich als Thema einer Semesterabschlussarbeit "Unfallkreuze", das ich auch als Langzeitprojekt weiterführe. Es gibt mittlerweile weit über hundert Fotos in meinem Archiv von solchen Gedenkstätten, ich bin also wirklich ganz tief drinnen in diesem Thema.
Und trotzdem kommt deine Erzählung mit diesem Einstieg ganz "schräg" bei mir an, da diese Mitternachtsatmosphäre eher an eine verbotene Tat denken läßt als an das Retten der Utensilien von so einer Gedenkstätte.

Deine Aussage, dass du damit auf eine falsche Fährte führen willst, kann ich nicht nachvollziehen - du siehst, du stiftest damit nur Verwirrung. Das bringt den Leser aus dem Gleichgewicht. Ich würde dir raten, den ersten Absatz noch einmal zu überarbeiten.

Veronika war nicht ans Telefon gegangen, ein ganz normaler Dienstagabend
Vielleicht: Veronika war nicht ans Telefon gegangen, also ist sie wie üblich in der Chor-/Theater-/Musikprobe.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hi bernadette,

Zeit dieses Ewigkeitswerk zur wohlverdienten ewigen Ruhe kommen zu lassen. Habe dem Anfang versucht, den Gruselfilmcharakter zu nehmen und mehr nach Routine aussehen zu lassen. Ist ja witzig, dass du jede Menge Routine mit Gedenkstätten haben zu scheinst ... habe ich noch nicht gehört, dass da jemand eine Fotoserie drüber macht.

Wie auch immer, ganz lieben Dank nochmals,

AE

 

Hallo AlterEgo,

ich konnte sofort in die Welt deiner Geschichte tauchen. Weniger die schlichten Ereignisse oder die Handlung waren es, die sie mich erleben ließen, als die plastischen Details - da kann man sich echt was abgucken!

Leider habe ich den Fehler gemacht, deine eigene Auslegung zu lesen. Ich werde es ab jetzt vermeiden, die anderen Kommentare zu lesen, wenn ich selbst eins schreiben will - fast hast du mir dadurch das Denken vorweggenommen.;)
Andererseits beziehe ich mich auf die Kritiken und sage, die Form der Geschichte ist für mich berechtigt. Der Grabraub ist eine falsche Fährte und doch nicht - es handelt sich ja um einen Raub der Vergangenheit! Die "mangelnde Kommunikation" kommt auch gut zum Ausdruck, sowie die Unterschiede / Mentalitäten der Charaktere.

Kleinigkeiten:

"Die rauen, faltigen Hände auf die Schenkel übereinander gelegt"
- Dativ

"Bis Mord und Totschlag durch das Abendprogramm flimmern würden, war noch lange hin".
- Das empfinde ich als Stilbruch. Meistens richtet sich die Sprache in deinem Text nach der denkenden Figur, Magdalena, als einfache Frau, denkt bestimmt nicht "ich schaue mir heute abend Mord und Totschlag an". Oder ist das eine Serie?

"Isabels Erklärungen und einige Randbemerkungen von Fabers Chef vermengten sich zu einer Wahrheit, die Fleisch geworden ihm als gebückte alte Frau gegenüber saß".
-?

Gruß
Kasimir

 

Hallo Kasimir,

danke für deinen wohlmeinenden Kommentar. Die von dir angemerkten Stellen werde ich umgehend ändern.

Mit dem letzten angemerkten Punkt hab ich es wohl metaphorisch etwas übertrieben. Das "Fleisch werden" bezieht sich auf die Lithurgie und den religiösen Kosmos von Magalena. Der Satz ist aber furchbar formuliert und wird geändert.


Wenn du dich nochmals zu der Geschichte äußern willst: Ich habe eine (dann aber definitiv letzte) Fortsetzungsszene konzipiert (gedanklich). Wäre das aus deiner Sicht ein Stilbruch? Wie geht es dir mit dem ENde in jetziger Form?

LG,

AE

 

hallo AlterEgo,

Kritiken sind immer wohlmeinend, oder nicht? :D Das Wort hat mich in seinen Bann gezogen, schon überlegt, ob ich das nicht immer unter meine Kommentare setze - die Ironie würde aber nicht jeder verstehen. So, genug gelabbert, es ist spät.

Zu deiner Frage: Eigentlich habe ich versucht, deine Geschichte als Einheit zu sehen und es fiel mir nicht mal schwer. Klar, der Leser bleibt am Ende etwas in der Luft, aber dafür gibt es den lit. Begriff "offener Schluß". Also warum nicht? Auch inhaltlich gerechtfertigt, nach dem Motto: Das Leben geht weiter! Eigener Zusatz: ... und hat meistens keine Pointe.

Einzige Stelle, wo ich etwas gestockt habe:

"Mir geht es manchmal genauso", meinte sie

Das war mir etwas schleierhaft - Warum sagt sie das, warum lässt der Autor sie das sagen? Nur muss ich nicht alles verstehen, vielleicht macht's für andere Leser mehr Sinn. Oder hast du dir dabei nix gedacht? Dann natürlich...;)

"Isabels Erklärungen und einige Randbemerkungen von Fabers Chef vermengten sich zu einer Wahrheit, die Fleisch geworden ihm als gebückte alte Frau gegenüber saß".

Den Satz hab ich endlich verstanden!

Nochmal zurück: Die Endscheidung bleibt naturgemäß bei dir, ob du das Ende änderst. Ich fand es so gut.

Gruß
Kasimir

 

Eine gute, ja eine sehr gute Geschichte ist das, AlterEgo. Es herrscht eine dichte Atmosphäre in ihr, obwohl nichts als Alltag eines Bauleiters schildernd.
Allerdings hat sie auch Schwächen. Da ist zuerst der lateinische Titel und dann kommen noch die ganzen biblischen Namen. Ich weiß, die Namen sollten die Gegensätze symbolisieren - da die alte Welt, dort die neue, fabersche -, aber weil man am Anfang noch nicht weiß, was das Ganze soll, bringst du mit dieser Symbolik Erwartungen hinein, die die Geschichte hinterher nicht einlöst und auch nicht einlösen kann.
Gut gelungen sind dir alle Personen, besonders hervorzuheben ist Magdalena, und dort der Satz: „Isabels Erklärungen und einige Randbemerkungen von Fabers Chef vermengten sich zu einer Wahrheit, die Fleisch geworden als gebückte alte Frau ihm am Tisch gegenüber saß.“
Den Satz „Die rauen, faltigen Hände auf den Schenkeln übereinander gelegt, dachte Adam nach.“ würde ich streichen, weil er schlicht überflüssig ist, und aus dem folgenden Grablicht eine Kerze oder einfach ein Licht machen, damit die Erinnerungsstätte, wie es auch mir passierte, nicht mit einem Grab verwechselt werden kann.
Bin gespannt auf weitere Geschichten von dir.

 

Hallo alterego

lakita und bernadette haben deine kg ja schon eingehend seziert. Seit dem hast du wohl schon einiges überarbeitet, ich kenne nur die jetzige Version. So wie sie dasteht, beschlich mich zaghaft ein ähnliches Gefühl, wie Lakita es beschrieben hat. Es macht den Anschein, als würdest du nur schüchtern Einblicke in etwas viel größeres gewähren. Etwas, dass auch durchaus hätte größer ausfallen dürfen - sollen, wie ich finde. Teilweise hatte ich das Gefühl, um die eigentliche Geschichte betrogen worden zu sein. Das klingt jetzt heftiger, als ich es meine, denn letztlich habe ich deine kg gerne gelesen. Hauptsächlich liegt das jedoch an deinem sehr guten Schreibstil, mit dem du einige Längen in der kg zu kompensieren verstehst. Mit Längen meine ich das Geschehen auf der Baustelle. Da bist du recht detailliert, wohingegen die Beziehung zwischen Prot und Barfrau recht dünn bleibt und auch die Einflechtungen der Witwe eher kurze Zwischenlichter darstellen. Dabei sind diese Passagen doch eigentlich viel wichtiger, als das gefrustete Leben auf der Baustelle ...
Hätte ich deine Intention mit der gescheiterten Kommunikation nicht gelesen, wäre sie vermutlich an mir vorbei gegangen. So kann ich sagen, dass ich deine Intention hinterher sehr schön finde. So ergibt dann auch die Baustellenszene mehr Sinn. Aber das kommt eben erst danach und ist nicht deutlich genug aus der kg zu lesen, wie ich meine.

Generell, wie auch bei deinen anderen Geschichten, die ich von dir gelesen habe, habe ich den Eindruck, dass du unter deinen Möglichkeiten bleibst. Schreiben kannst du, sogar sehr kraft- und gefühlsvoll, doch die Handlung/ Entfaltung des Plots will nicht so recht mit dieser Energie mitkommen :shy:

Meine Lieblingsstelle:

Der vielstimmige Chor wurde vom Solo eines Tenors unterbrochen: "Habt ihr schon g'hört, der Türk hat sich um'bracht!"
Die gesamte Gesellschaft verfiel in zwei Takte andächtiger Pause, bevor ein Bass den Faden wieder aufnahm: "Wie hat er denn des g'schafft?"
"Dürfen die das denn, die Mohammedaner?", fragte der Bariton nach. Und wieder zerlief die Unterhaltung in polyphonem Gelächter.
Das ist wirklich schön „stimmig“ verpackt

Hier bin ich beim Lesen gestolpert

Durch die geöffnete Tür des Bürocontainers drängelte sich nasse Zugluft ins mühsam gewärmte Innere.
Nasse Zugluft, die drängelt? Unstimmiges Bild.
Meinst du vielleicht drängt?

Grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Sirius, hallo weltenläufer,

herzlichen Dank für eure Rückmeldungen.

@Sirius: Erstmal danke für die aufmunternden Worte. Tja, ist vielleicht in der Tat etwas viel Latein. Via Crucis bedeutet Kreuzweg oder wörtlich der Weg des Kreuzes und steht für das Zurückbringen des Gedenkkreuzes an die Mutter. Die "biblischen" Namen sind in der Tat ein Symbol oder das "realistische" Abbild der bodenständig christlichen Lebenswirklichkeit von Magdalena. Und bei genauerem betrachten ist Faber auch lateinisch und bedeutet Handwerker.
Was das zu Recht von dir kritisierte "Grablicht" betrifft, habe ich mich an die Bezeichnung gehalten, die im Supermarkt über dem Regal mit roten, 48h Stunden lang brennenden Kerzen steht. Ich werde den Punkt aber nochmals überdenken.

@weltenläufer: Zusammen mit lakita und bernadette stößt du berechtigterweise ins gleiche Horn. Der Vorwurf lautet, zu wenig Handlung, kein greifbares Endergebnis. Ich kann dem nicht einmal widersprechen. Das ist mein Manko und ich kämpfe darum, es zumindest der Üung halber zu überwinden. Deine Aussage, der Text wirkt wie eine Einleitung zu sehr viel mehr, freut mich auf gewisse Weise. Das mag daran liegen dass auch in einer Geschichte solcher Länge, die Figuren wesentlich gereifter sind, als ich es darstellen kann. Da gibt es soviel mehr vor meinem geistigen Auge, das entweder unzähligen Kürzungen zum Opfer fiel oder nicht aufgeschrieben wurde, aber dennoch irgendwie mitzuschwingen scheint. Euren kollektiven Rückmeldungen entnehme ich, dass dies wenigstens zu funktionieren scheint.

Dass dich das Thema Kommunikation nicht als offensichtlichen Inhalt "angesprungen" hat und dass es nicht nur dir so ging, hat mich dazu veranlasst, eine Fortsetzungsszene zu planen. Ich zögere aber momentan, das Konzipierte aufzuschreiben, wenngleich die Mehrzahl der Kommentatoren in die Richtung zielt, dass der Geschichte in der vorliegenden Form etwas fehlt. Ich werde nochmal in mich gehen, versprochen.

Noch ein Wort zu deiner Lieblingsstelle: Hat echt so stattgefunden, im miefigen Rauch eines bayrischen Wirtshauses. Die besten geschichten schreibt halt immer noch das Leben.

Liebe Grüße,

AE

 

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