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Vielleicht hinter Aachen

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28.12.2009
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Vielleicht hinter Aachen

Wird ja jetzt wieder kühler draußen, und ich mach immer schon mittags die Fenster in der Küche zu, weil man nie genau weiß, Platzregen, Gewitter, kann alles passieren, und die Küche liegt eben im Wind, da regnet es voll rein. Regnet ziemlich oft in der letzten Zeit, also mehr als früher, denk ich, und wenn, dann auch richtig heftig. Einmal hat es sogar gehagelt, das ist aber schon was her, vielleicht `n Jahr oder so?, ich weiß es nicht mehr genau, da war ich noch mit Louisa schwanger, also nicht länger als ein Jahr, aber ist eigentlich auch egal, jedenfalls - wie doch die Zeit vergeht, denke ich gerade … und Bernd ist unterwegs, hat er mir eben geschrieben, so hat er das geschrieben: bin unterwegs, kuss!, aber er schreibt ja immer so kurz, weil er eben schnell nach Hause will und weil er so ist, bisschen maulfaul, aber damit kann ich schon umgehen. Meistens kommt er so kurz nach Zehn, jetzt haben wir es gerade mal Acht, und ich wüsste gern, wo er ist, einfach um mich drauf einzustellen, vielleicht ist er schon kurz vor Aachen, aber nee, kann nicht sein, denn von Aachen bis hier ist es nur knapp `ne Stunde, glaub ich, das passt dann nicht, von der Zeit her. Bernd geht immer, wenn er ankommt, nach Louisa gucken, das ist das Erste, was er macht, der zieht sich die Jacke aus und geht sofort an ihr Bettchen, und dann steht er da und sagt nichts, der guckt nur, und dann, später, dann sagt er jedes Mal, dass sie wieder was größer geworden ist, und ich sage ihm, dass das gar nicht sein kann, in einer Woche kann man gar nicht so viel wachsen, aber Bernd meint, `s is‘ Blödsinn, was ich da erzähle, er sei ihr Vater und Väter können das. Und es ist ja so, dass ich Louisa jeden Tag sehe, also von morgens bis abends, und da fällt einem das nicht mehr so auf, wenn sie so wachsen. Nach dem es so gehagelt hatte, damals, letztes Jahr, da bin ich runter, die ganzen fünf Stockwerke, mit dem dicken Bauch und alles, weil ich unbedingt einen von diesen Klumpen haben wollte, die lagen ja überall, auf der Straße, auf den Autos, aber der Bernd hätte mir das nicht geglaubt, wie groß die waren, wenn ich nicht einen ins Eisfach gelegt hätte, die waren so groß wie Eier; Wahnsinn, meinte selbst der Bernd. Die arbeiten gerade in Belgien, schon seit paar Monaten, bauen da die Kühlanlage von `ner neuen Fabrik auf, und Bernd will ja Vorarbeiter werden, deswegen fährt er auf Montage, immer wenn’s geht, ist gut wegen der Zuschläge und der Spesen, das lohnt sich richtig, sagt er, ich weiß da nix drüber, über Geld und so, das regelt der Bernd, Mathe war nie meine Stärke. Kümmer‘ du dich mal um das Kind, sagt er, und das tue ich, und jetzt geht das ja auch, man gewöhnt sich dran, man gewöhnt sich ja an alles, aber eins sag ich, am Anfang, unter der Woche, ganz alleine, nur mit dem Kind, nur mit der Louisa, das ist manchmal schon nicht einfach, aber beschweren will ich mich nicht, das sagt Bernd auch immer wieder, beschwer dich mal nicht, denen auf der Winterberger, denen geht’s viel schlechter, die hab’n gar nix, die fressen am Monatsende Trockenbrot, und wir wollen raus aus den Genossenschaftshäusern, weil es hier auch einfach zu viele Asis gibt mittlerweile, und Bernd sagt, so soll Louisa nicht aufwachsen, mit den ganzen Kanaken, und deswegen fährt er auch immer auf Montage, weil wir hier rauswollen, und weil der Chef da schon ganz genau hingeguckt, wer richtig arbeiten will und wer nicht, wer nur so tut … und ich meine, ich seh das ja, wie die da unten vor den Mülltonnen rumlungern, die Kanaken, die tun nie was, Arbeiten kennen die nicht, sagt Bernd, die kennen nur abkassieren, und denen ihre Kinder, also, die glotzen einen immer so an, das kann ich gar sagen, wie man sich da fühlt, ekelhaft ist das, meint Bernd, richtig ekelhaft, wenn die dich so anglotzen, und so soll das ja nicht werden, das man da später echt Angst haben muss, ich meine, so ist das halt mit Kindern, wenn du die alleine lässt, dann wird da eben auch nichts draus, das muss man sich schon gut überlegen, und die meisten hier haben ja nicht nur eins, die haben ja direkt `ne halbe Fußballmannschaft, da schmeißen die Frauen die hintereinander raus wie Maschinen, und deswegen sage ich auch immer, mit Kind, das muss man sich schon wirklich gut überlegen, wie man das macht, wie das laufen soll, und der Bernd, ich will ihm wirklich nichts vorwerfen, um Gottes Willen, das nicht, aber der Bernd weiß nicht, wie das ist, wenn die Louisa schreit, wenn sie schreit, und nicht nur so ein bisschen, sondern so richtig, rund um die Uhr, immer und immer und immer, und wenn du sie gar nicht ruhig kriegst, keine Minute lang, da kriegst du schon deine Gedanken, und das hört nicht auf, weil manchmal, da ist es wirklich so, da bist du am Ende, richtig am Ende, da willst du … ich darf das ja gar nicht sagen, aber da willst du, dass dann Ruhe ist, so richtig Ruhe, dass du mal durchatmen kannst, das kann man sich nicht vorstellen, das kann auch der Bernd nicht, und ich sag ja auch nix, weil ich weiß, er geht arbeiten und verdient das Geld und alles, und ich bleib zuhause, und ich bleib auch gern zuhause, besser als irgendwo bei NETTO an der Kasse, wie früher, oder wieder Putzen, auch wenn du da wenigstens mal was klönen konntest, das kann ich ja jetzt nicht mehr, jetzt ist nur Louisa, und alle anderen sind weg, Arbeiten oder sonst was, keiner hat da Zeit, aber trotzdem, trotzdem, manchmal da ist das eben so … aber Bernd ist ja sicher schon bald zu Hause, der ist auf der Autobahn, irgendwo hinter Aachen wahrscheinlich, und der hat davon nix mitbekommen, und ich sitz hier und wart‘ auf ihn und … ich will mich nicht beschweren, wirklich nicht, wenn er kommt, dann wird alles gut, denn ich weiß ja der lässt mich nicht alleine, das weiß ich ja, der lässt mich nicht im Stich, auch wenn mir das alles manchmal zu viel wird, da gewöhn ich mich dran, da hab ich mich schon dran gewöhnt, ich brauchte nur mal was Ruhe, dann geht es wieder, so wie jetzt, wo ich warte, jetzt ist es auch still, und ich steh auf dem Balkon und rauch eine Zigarette, ich steh einfach nur da und guck raus, ich lehn am Geländer und guck raus, und es ist still, und dann fängt es an zu regnen, und ich denk sofort an Bernd, weil der ja nicht so gerne im Regen fährt, und nachts auch nicht, aber er muss ja, er muss ja, und bestimmt ist er schon hinter Aachen, und wenn er kommt, dann mach ich ihm erstmal was zu essen, wenn er Hunger hat, also meistens hat er Hunger, Rühreier oder so, er mag ja auch so was wie Senfgurken und eingelegte Paprika, so Sachen, die ich selbst nie essen würde, aber der Bernd mag das eben, und das mit dem Regen ist schön, das mag ich, ich mag’s, wenn es auf die Dächer prasselt, das ist, als würde man gar nix anderes mehr hören können, da ist dann nur noch der Regen, wie so ein Rauschen wird das dann, aber richtig laut, so richtig, nur noch das Rauschen, und alles andere ist weg, und ich zieh an meiner Zigarette, und mein Herz klopft, und ich hör dem Regen zu, und das ist so, als kann man die Stille hören, ich weiß, das klingt jetzt komisch, aber so ist das. Einmal, da war ich mit Bernd unten am Siegufer, das ist über ein Jahr her, das weiß ich genau, denn ich war noch nicht schwanger, und wir haben da im Gras gesessen und geredet, und er hat eine Flasche Bier getrunken, die er da am Kiosk gekauft hat, und später sind wir Tretboot gefahren, das war eine richtig schöne Fahrt, die halbe Sieg runter, bis zum Wehr, wo das Wasser dann wild wurde und ich fast Angst bekommen hab‘, aber der Bernd hat das schon hinbekommen, der bekommt so was immer hin, und dann, auf dem Rückweg, da hat es angefangen zu regnen, zuerst nur ganz wenig, und wir dachten, wir kommen noch bis zum Auto, das stand da auf dem Parkplatz irgendwo, aber dann fing es so richtig an, und wir mussten losrennen und uns unter eine Bushalte stellen, und da, der Regen auf dem Dach, du hast dein eigenes Wort nicht mehr verstanden, wirklich, aber das war egal, das klang genau wie jetzt, das klang genau wie jetzt auch. Das war ein schöner Tag, und das kommt mir schon so lange her vor, dabei ist es erst ein Jahr her, oder vielleicht auch zwei, ich weiß es nicht mehr, so lange schon jedenfalls, und da war es so, da hat der Bernd mich noch anders angesehen, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, da war ich noch was anderes für ihn, und jetzt, jetzt guckt er ja gar nicht mehr nach mir, jetzt guckt er nur noch nach Louisa, früher hat er mir immer noch was mitgebracht, manchmal war’s nur was Kleines von der Raststätte, so dumme Sachen, `n Bärchen oder eine CD, so Hörbücher, oder eine Dose Red Bull Cola, wo er weiß, dass ich die so gerne trinke, die schmeckt mir einfach, obwohl von wegen Zucker und so und ich darf auch nicht fett werden, hab sowieso noch paar Kilo zu viel drauf, weiß ich auch, aber darum geht es ja nicht, es geht darum, dass er mir was mitgebracht hat, die Geste zählt, sagte meine Mutter immer, und dann lagen wir nebeneinander, der Bernd und ich, und dann hat er erzählt, wie das so war, auf Baustelle, da gibt es ja immer was, dies passt nicht oder das, und einer hat was vergessen, ein wichtiges Werkzeug oder so, oder was alles auf der Autobahn passiert ist, Stau oder Unfall oder was er da alles gesehen hat, das hat er mir immer alles erzählt, Bernd denkt immer an alles, und später wollen wir in die Stadt ziehen, wir wollen in eins dieser neuen Häuser, die sie jetzt bauen, mit so richtig großen Zimmern und Garten, so ein kleiner Garten wäre schön, ich mag Blumen, Hortensien und so was, bunt muss das sein, dann wird alles gut, in dem Haus da mit Garten, aber da denk ich jetzt nicht drüber nach, da will ich nicht drüber nachdenken, denn jetzt ist es wieder so wie an dem Tag, der Regen, die Stille, nur der Bernd fehlt, aber der ist unterwegs, sicher schon bei Aachen oder vielleicht hinter Aachen, jedenfalls irgendwo da in der Ecke, der wird bald wieder sein, und dann mach ich ihm Rühreier, ja, das mag er, mit Salz und Pfeffer, und außerdem hab ich noch eine Stunde, bis er hier ist, vielleicht ist er auch noch gar nicht hinter Aachen, sondern noch in Belgien, also eine Stunde oder länger, so lange bleibe ich hier stehen, so lange bleibe ich noch draußen auf dem Balkon, rauche und hör dem Regen zu, ich hör der Stille zu, so ist es …

 

Großartig, das neue Ende bringt die Geschichte noch mal auf ein ganz anderes Niveau.

Ja, ist auf jeden Fall besser, finde ich auch. Ich habe auch nochmals gelesen in einer alten Version, und werde da noch etwas mehr an Geschichte reinpacken, nicht viel, vielleicht nur ein sparsamer Nebensatz, aber dass es dadurch noch einmal mehr Tiefe gibt, mehr Raum. Ich probiere da noch mal rum und ändere die aktuelle Version, so lang ist der Text ja nicht, vielleicht lesen sich manche das noch ein zweites Mal durch.

Danke dir für deinen Kommentar, mighty webby!

Gruss, Jimmy

 

Hey jimmy,

Tschechow! Alles klar, ich geh mich jetzt betrinken!

:lol: Kann ja nun auch nichts dafür, dass der ein Kindermädchen ein Baby killen lässt, weil sie sooo müde ist ...

... kann alles passieren, und die Küche liegt eben im Wind, da regnet es voll rein.
Ist krass, wie dieses kleine Wort mich sofort die Prot. in ne Schublade stecken lässt.

... vielleicht `n Jahr oder so?, ich weiß es nicht mehr genau, ich glaube, da war ich noch mit Louisa schwanger, also nicht länger als ein Jahr,
Finde ich super geschickt, wie Du dem Leser da nebenbei zeigst, wie Mini die Louisa noch ist.

Kümmer‘ du dich mal um das Kind, sagt er, und das tue ich, und jetzt geht das ja auch, man gewöhnt sich dran, man gewöhnt sich ja an alles, aber eins sag ich, am Anfang, unter der Woche, ganz alleine, nur mit dem Kind, nur mit der Louisa, das ist manchmal schon nicht einfach, aber beschweren will ich mich nicht,
So im Präsens liest sich das schon bitter, so im zweiten Durchgang, wenn man um das Ende weiß.

... und deswegen fährt er auch so viel auf Montage, weil hier rauswollen, und weil der Chef da
Weiß nicht, sie spricht doch sonst auch nicht so grammatikalisch unvollständig ...

und deswegen sage ich auch immer, mit Kind, das muss man sich schon wirklich, wirklich gut überlegen, wie man das macht, wie das laufen soll,
Auch so ein Satz, der sich in den Magen drückt im zweiten Durchgang.

... wirklich nicht, wenn er kommt, dann wird alles gut, denn ich weiß jaKOMMA der lässt mich nicht alleine, das weiß ich ja, der lässt mich nicht im Stich, auch wenn mir das alles manchmal zu viel wird, da gewöhn ich mich dran, da hab ich mich schon dran gewöhnt, ...
Oh je, oh je, oh je. Das ist schon sehr tricky gemacht. Ich weiß grad gar nicht, ob ich sie schütteln oder mitleidig angucken will. So perplex anstarren, völlig handlungsunfähig.

... und da war es so, da hat der Bernd mich noch anders angesehen, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, da war ich noch was anderes für ihn, und jetzt, jetzt guckt er ja gar nicht mehr nach mir, jetzt guckt er nur noch nach Louisa, da gibt’s nur Louisa hier, Louisa da, aber da denk ich jetzt nicht drüber nach, da will ich nicht drüber nachdenken,
Beim ersten Lesen habe ich mich an der schreienden Louisa festgebissen, hat mir als Motivation auch völlig gereicht. Schlafmangel und Überforderung reichen mir komplett. Aber gut, so Eifersucht noch dazu und sie ist eh so ein Typ des geringsten Widerstandes ... ist schon gut gemacht und ich stelle mir das auch echt nicht einfach vor.

... vielleicht ist er auch noch gar nicht hinter Aachen, sondern noch in Belgien, also eine Stunde oder länger, so lange bleibe ich hier stehen, so lange bleibe ich noch draußen auf dem Balkon, rauche und hör dem Regen zu, ich hör der Stille zu, so ist es …
Ja. Finde das jetzt auch stärker. Diese Ungewissheit, nur die Ahnung, das macht ja was mit mir als Leser, wenn ich nicht so genau weiß, obwohl ich doch weiß, aber nicht wissen will und deshalb nochmal lese und eigentlich dann doch nur Bestätigung finde ... ey, ey, ey.

Wiederhole mich gern, feiner Text!
Besten Gruß, Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Der Text hat einen guten Rhythmus, beinahe musikalisch getaktet fließt der Gedankenstrom, Inhalt passt zur Form, das ist schon sehr fein gestaltet.

Was mich aber an Texten wie diesem stört: die fehlenden Absätze, die das Lesen erschweren und dazu verführen, einfach ein paar Zeilen weiterzuspringen - selbst wenn die Geschichte mich in den Bann zieht, ein guter Sog entsteht.

Nur als Anregung: ich finde es eine Überlegung wert, den Text in Absätze einzuteilen.
Zum Beispiel wenn einzelne Passagen mit einem "und" verbunden werden, bzw dann, wenn die Erzählerin Luft holt und von vorne anfängt oder einen Gedanken wieder aufnimmt. Kannst ja mal drüber nachdenken, würde dem Text etwas Luft verschaffen mMn.

Zum Inhalt und zur Qualität ist, glaube ich, vieles gesagt worden, deshalb verzichte ich, meine Variante beizusteuern.

viele Grüße
Isegrims

 

Dudes, ich arbeite dran! Ihr werdet es sehen! Jetzt aber muss ich mich betrinken. Absätze, mehr Input, mehr Realität, ich sage euch, ihr habt es so gewollt!!!!

 

Das nutze ich doch gleich mal für einen Kommentar, @jimmysalaryman

Beim Lesen des ersten Satzes kam bei mir erstmal das große Stutzen. Ein Haufen Füllwörter, etc. Weitergelesen habe ich, weil das hier ein Textarbeits-Forum ist, und es aus dieser Perspektive keinen Sinn macht nur den ersten Satz zu lesen und einen Text zu bewerten und zweitens - und das finde ich nach wie vor spannend - weil bereits der erste Satz eine tolle Melodie hat. Beim Weiterlesen hatte ich unwillkürlich "Irgendwann werden sie kommen" im Kopf, denn von der Melodie erinnert mich dieser Text daran. Mich interessiert es daher wirklich sehr, ob du diesen Textrhythmus mit Absicht platziert hast, oder ob das ein intuitives Jimmy-Ding ist.
Zusätzlich habe ich ganz kurz überlegt - auch wenn ich Was-wäre-wenn-Konstrukte eigentlich nicht praktiziere - ob man diesen Text auch unter einer Maske dir zugeordnet hätte. Ich behaupte ja, weil die Melodie zu dir gehört, vielleicht war ich aber auch durch den Autorennamen bereits geimpft.

Insgesamt hast du meiner Meinung nach die richtige Länge für diesen Text gefunden, viel länger sollte er nicht sein. Ich lese meist auf dem Handy und muss zugeben, dass ich nach der Hälfte des ersten Textes nach unten gescrollt habe um zu sehen wie lange das denn noch geht, bevor ich weitergelesen habe.

Das liegt vor allem am Tonfall der Protagonistin, den du zwar gut getroffen hast, jedoch bringt er mich recht schnell an das Maximum meiner Ertragen-können-Schwelle. Das ist aber eine sehr subjektive Wahrnehmung und dem Rollenprosa geschuldet. Andere Worte wären an der Protagonistin vorbei platziert.

Ich habe ein paar Punkte, die ich davon unabhängig gerne ansprechen möchte, das sind reine Logik-Dinger, die ich eher kritisch sehe, bzw. der Prota nicht so zuordnen würde, wie du es im Text getan hast

Einmal hat es sogar gehagelt, das ist aber schon was her, vielleicht `n Jahr oder so?, ich weiß es nicht mehr genau, ich glaube, da war ich noch mit Louisa schwanger, also nicht länger als ein Jahr, aber ist eigentlich auch egal jetzt
Hier definiert sie noch, dass es egal ist, in welchem körperlichen Zustand sie da gerade war
Nach dem es so gehagelt hatte, damals, letztes Jahr, da bin ich runter, die ganzen fünf Stockwerke, mit dem dicken Bauch und alles ...
... wenige Zeilen später weiß sie es ganz präzise.
Das ist mir ein bisschen zu weit auseinander. Mir erschiene es schlüssiger, wenn sie bereits oben den Hagel ihrer Schwangerschaft zuordnen würde, das kann ja aus dem Diffusen kommen, aber so ist es schon ein starker Wechsel.
und ich bleib zuhause, und ich bleib gern zuhause, besser als irgendwo bei NETTO an der Kasse, wie früher, oder wieder Putzen,
Ganz ehrlich bezweifle ich, dass sie lieber alleine zuhause bei ihrem schreiendem Kind ist, als an der Kasse zu arbeiten oder zu Putzen. Da ist es nämlich im vergleich echt still und: MAN KANN MIT ERWACHSENEN SPRECHEN. Es klingt so, als würde sie sich eh sehr zurückziehen und selbst wenn man das nicht tut, es ist faszinierend, wie sehr man sich mit einem Baby dann doch auf Gespräche mit einem Erwachsenen freut, selbst wenn der Partner jeden Abend nach Hause kommt. Ich kann mir vorstellen, dass das Bernd immer zu ihr sagt: Zuhause ist doch besser als so ne lahme Kassen-Arbeit oder zu Putzen, aber in ihrer aktuellen Situation, noch VOR dieser Eskalation, gehe ich doch zu 99% davon aus, dass sie sich nach NETTO oder Putzen sehnt. Und zwar sehr.
auch wenn mir das alles manchmal zu viel wird, da gewöhn ich mich dran, da hab ich mich schon dran gewöhnt, ich brauchte nur mal was Ruhe, dann geht es wieder, so wie jetzt, wo ich warte,
Braucht es deiner Meinung nach dieses "da hab ich mich schon dran gewöhnt"?

Das war's von mir,
feurig

 

Es wird letzt wieder kühler draussen. Ich schliesse (ja) bereits mittags die Fenster in der Küche,
weil man nie genau weiss ( unvollendete Gnade ? ). Platzregen, Gewitter, ( unvollendete Gande ? )
dann Komma, dann "kann alles passieren" und wieder Komma, bevor es dann zum "und" geht und ab in die Küche. "Voll rein ". Asphalt pur. I'm lovin' it. ES regnet ziemlich oft in letzter Zeit.

Nein, mein lieber Herr Salary. Literarisch ist das eine Nullnummer.


Ich sags mal sehr deutlich, weil es selbst mir jetzt mit dir und deinen unqualifizierten Kommentaren absolut reicht: Wenn du unfähig bist, einen Text und seine beabsichtigte Machart zu begreifen, dann halte dich gefälligst aus den Kommentaren raus. Wie du eventuell festgestellt haben wirst, bemüht man sich hier nicht nur in den Texten, sondern auch in den Kommentaren um ein gewisses Niveau, das du nicht mal annähernd versuchst zu erreichen. Beim nächsten Trollkommentar fliegst du hier raus, das Maß ist voll.

 

Hallo @Dosenfood

Soll das cool sein ?

Nee, cool soll das überhaupt nicht sein.

Nein, mein lieber Herr Salary. Literarisch ist das eine Nullnummer.

Na ja, immerhin dürfte dir das dann ganz gut zupasskommen, denn du stehst doch hier für literarisches Dosenfood, oder habe ich das falsch verstanden? No worries. Keep truckin.

Hallo @feurig,

danke dir für deinen Kommentar. Ich finde den Sound hier überhaupt nicht vergleichbar mit "Irgendwann werden sie kommen." Ist natürlich subjektiv, aber den Text hier finde ich viel oraler, viel ungeordneter, weniger gefilter, weniger komponiert.

Ich lege Ware auf den Tischen zusammen: Jeans im Sonderangebot, Blusen aus Polyester, Flanellhemden. Kurz vor Mittag mache ich meine erste Pause. Dabei behalte ich die hintere Ladenzeile im Blick, gehe langsam Richtung Aufzug. Die meisten Kunden, die um diese Uhrzeit in die Shoppingwelt kommen, wollen nichts kaufen. Sie kommen, um sich die Zeit zu vertreiben. Natürlich gucken sie sich ein paar Teile an, wühlen die Auslagen durcheinander, probieren vielleicht ein Oberteil, aber sie tun es ohne echtes Interesse. Oft halten sie sich die Teile nur an und nehmen sie nicht mal mit in die Umkleidekabine.

vs

Es wird jetzt wieder kühler draußen, und ich mach ja immer schon mittags die Fenster in der Küche zu, weil man nie genau weiß, Platzregen, Gewitter, kann alles passieren, und die Küche liegt eben im Wind, da regnet es voll rein. Regnet ziemlich oft in der letzten Zeit, also mehr als früher, denk ich, und wenn, dann auch richtig heftig. Einmal hat es sogar gehagelt, das ist aber schon was her, vielleicht `n Jahr oder so?, ich weiß es nicht mehr genau, ich glaube, da war ich noch mit Louisa schwanger, also nicht länger als ein Jahr, aber ist eigentlich auch egal jetzt, jedenfalls - wie doch die Zeit vergeht, denke ich gerade …

Sind beides erste Person, gleiche Perspektive, aber ich finde sie dennoch recht unterschiedlich in der Anlage, die hier im vorliegenden Text ist naiver, verquasselter, unsicher.

Das liegt vor allem am Tonfall der Protagonistin, den du zwar gut getroffen hast, jedoch bringt er mich recht schnell an das Maximum meiner Ertragen-können-Schwelle.

Das ist natürlich richtig, da kommt das Sättigungsgefühl recht schnell. Mir geht das auch so, wenn ich solche Texte lese, aber beim Schreiben macht mir das immer so sauviel Spaß, dass ich das nicht so mitbekomme. Manchmal schlägt man eben über die Stränge.

Mir erschiene es schlüssiger, wenn sie bereits oben den Hagel ihrer Schwangerschaft zuordnen würde, das kann ja aus dem Diffusen kommen, aber so ist es schon ein starker Wechsel.

Vollkommen korrekt, wird geändert.

MAN KANN MIT ERWACHSENEN SPRECHEN.

Ebenfalls ein guter Punkt, ich hatte in einer frühen Version da einen etwas anderen Satz drin, wo sie das genau so sagt: Da kannst du aber wenigstens mal einen Satz geradeaus sprechen, da steckt das also genau drin, den habe ich aber aus Gründen der Kondensation rausgenommen. So, wie du hier aber argumentierst, und das finde ich richtiger, müsste der wieder rein. Es ist ja auch so, man weiß nie oder soll nie so genau wissen, ist das, was sie erzählt, zuverlässig, oder ist das auch etwas, das sie Bernd nachfaselt? Aber das ist natürlich ein sehr guter Punkt, das werde ich überarbeiten, weil es da auch in die Tiefe geht. Hast du sehr aufmerksam gelesen.

Gruss, Jimmy

 

Hm, Molly Bloom - sicherlich manchem ein unzulässiger Vergleich, gleich Joyce auszugraben – monologisiert ohne Punkt und Komma und dass Geschichte in einem Satz geht, hab ich schon in meiner Anfangszeit hierorts belegt (da aber doch mit ordentlicher Zeichensetzung und inzwischen orientierungshalber mit Vor- und Nachsatz versehen) – und das eine oder andere Komma ließe sich auch hier gefahrlos einsparen (besonders vor jedem „und“. Ich unterstell sogar, dass selbst ich auf Grammatik (wie jedes Regelwerk will sie Komplexität einschränken) in Gedanken pfeif. Der innere Monolog ist ja auch eine besondere Form der Kommunikation, die ohne einen/den „anderen“ abläuft. Ob der Gedankenstrom im Rollenwechsel (Frau/Mutter), der eh nur eine Annäherung sein kann, kann nur Frau/Mutter sagen,

lieber Jimmy -

was ich aber kann, sind die paar Flusen aufheben, wie bereits hier

Meistens kommt er so kurz nach [z]ehn, jetzt haben wir es gerade mal [a]cht, und …
(weil eigentlich acht bzw. zehn Uhr)
schwierig wird‘s hier
…, und ich wüsste gern, wo er ist, einfach um mich drauf einzustellen, vielleicht …
wo ich fürchte, dass ein Komma direkt vor die Konjunktion gehört und „einfach“ weder als Adjektiv noch Partikel (was das wahrscheinlichere ist), das finale „um zu“ verstärkt und somit ein weiteres Komma erzwingt (…, einfach, um …) ansonsten „…, wo er ist, um mich [einfach] drauf ...“


... weil es hier auch einfach zu viele Asis gibt mittlerweile, und Bernd sagt, so soll Louisa nicht aufwachsen, mit den ganzen Kanaken, und deswegen fährt er auch so viel auf Montage, weil hier rauswollen*, und weil der Chef da schon ganze genau hingeguckt, wer …
* ?

und eine Art grammatischer Ungleichbehandlung

..., irgendwo hinter Aachen wahrscheinlich, und der hat davon nix mitbekommen, und ich sitz hier und wart‘ auf ihn und … ich will …
wobei ich denke, sie wird schon gelegentlich endungslos (besonders beim stimmlosen Endungs-[ə]) „hart“ sprechen/denken.

Schönen Restsonntag (mit Unwetterwarnung?) aus'm Pott

Friedel,
der die Stelle schnell nutzt zu einer Nachricht an Kollegen Df

Moin @Dosenfood - hastu kein Interesse mehr an "Bogota"?

 

Hallo Jimmy

Der Schweizer Extrembergsteiger Erhard Loretan, der in einem Blitzaufstieg den Mount Everest, sowie 13 Nordwände innerhalb 13 Tagen bezwang:
"...hatte am 24. Dezember 2001 die Nerven verloren, weil sein einziger Sohn schrie. Das Kind starb aufgrund des Schütteltraumas. Loretan gestand und stimmte der Veröffentlichung seines Namens zu, um auf die Folgen des Babyshakings hinzuweisen."
(Quelle: Tagesanzeiger, 2011)

Was ich mit dem traurigen Zitat zum Ausdruck bringen möchte: Es braucht für so eine schreckliche Tat oft keine ungewöhnliche, bzw. vielschichtige Motivation. Auch bei einem sich in Extremsituation gut auskennenden Menschen können in einem Moment der Überforderung sämtliche Glühbirnen duchbrennen.

Somit folgte ich atemlos der sich zuspitzenden Erzählung dieser emotional verlassenen Frau, wie sie Vorwürfe abfeuert, sie gleich aber wieder relativiert, da steht sie ja drüber, ne, und sie muss wissen wo er ist, schliesslich will sie sich einstellen darauf (OMG - Louisa), und wie bei einer Zwiebel schält sich Schicht um Schicht ab, entblösst die immer beissender werdende Gewissheit und doch überlässt du es, dank überarbeitetem Schluss, dem Leser, das Unvermeidliche für sich selbst auszusprechen. Ich bin begeistert, da gibt's für mich nichts zu meckern und die Geschichte hallt nach, entfacht in mir (Vater von 2 bereits erwachsenen Kindern) das ambivalente Gefühl von Mitgefühl und Abscheu.

Stil und Länge absolut passend, feine Sache.
Gruss dot

 

Ich finde den Sound hier überhaupt nicht vergleichbar mit "Irgendwann werden sie kommen." Ist natürlich subjektiv, aber den Text hier finde ich viel oraler, viel ungeordneter, weniger gefilter, weniger komponiert.
[...]
Sind beides erste Person, gleiche Perspektive, aber ich finde sie dennoch recht unterschiedlich in der Anlage, die hier im vorliegenden Text ist naiver, verquasselter, unsicher.
Das stimmt. Auch das der Sound anders ist. Ich hatte eher das Gefühl wie bei zwei Liedern von zwei unterschiedlichen Alben derselben Band. (Im besten Fall) unterschiedlich, aber dennoch erkennt man die Band. Aber ich bin dabei selbst unsicher, ob ich vielleicht einfach zu sehr den Autorennamen im Kopf hatte.

 

Moin @Friedrichard

Flusen aufgelesen! Danke dir dafür. Ich hab Joyce nie gelesen, dafür reicht meine Aufmerksamkeitsspanne einfach nicht aus. Aber ich finde, das ist ein interessantes Medium, ein interessanter Rahmen für eine Erzählung; da muss halt schon alles passen, und es darf weder zu lang noch zu kurz sein, das ist ein Format, das auch schnell anstrengt, mir schon klar.

Der Schweizer Extrembergsteiger Erhard Loretan, der in einem Blitzaufstieg den Mount Everest, sowie 13 Nordwände innerhalb 13 Tagen bezwang:

Mensch, @dotslash , freut mich sehr, mal wieder was von dir zu hören! Ja, der Typ hatte ja eine krasse Biografie, ich habe mal recherchiert - und grausam, mit dem Kind. Das sind so existenzielle Fragen, die mich mir stelle: wie kann man und kann man überhaupt danach weiterleben? Was macht das mit deinem Gewissen, wie sehr zermürbt dich die Schuld? Krass.

Ich bin begeistert, da gibt's für mich nichts zu meckern und die Geschichte hallt nach, entfacht in mir (Vater von 2 bereits erwachsenen Kindern) das ambivalente Gefühl von Mitgefühl und Abscheu.
Das freut mich besonders, wenn du das sagst, ehrlich.

Ich hatte eher das Gefühl wie bei zwei Liedern von zwei unterschiedlichen Alben derselben Band.

Liebe/r @feurig

DAS ist etwas anderes. Wenn du sagst, der Sound ist unverkennbar, den würde ich sofort wiedererkennen, DAS ist ein riesiges Kompliment. Schwierig wird es, wenn du sagen würdest: Na ja, also das ist in der Anlage so gleich, das ist eigentlich die gleiche Geschichte nur ein wenig different, aber ich erkenne sofort, wer das ist, einfach wegen dieser Gleichheit. Das wäre fatal. Ich glaube ja daran, dass viele Autoren immer wieder die gleiche Geschichte schreiben, nur Variationen davon, also zumindest kommt es mir so vor, und für mich gilt das auch irgendwie.

Gruss, Jimmy

PS: Ich habe die Version noch einmal geändert und angepasst.

 

Wenn du sagst, der Sound ist unverkennbar, den würde ich sofort wiedererkennen, DAS ist ein riesiges Kompliment.
Das habe ich gemeint. Da die Geschichten so unterschiedlich sind ;) weiß ich eben nur nicht genau, ob mich vielleicht der Autorennamen da ein bißchen gespoilert hat, aber auch nachdem ich in deinem obigen Post mehrfach die zwei Anfänge der Geschichten nochmals gelesen habe, ist da einfach etwas im Rhythmus, das die beiden (für mich) verbindet.

Zwei kleine Details habe ich nach deiner letzten Korrektur noch gefunden:

Arbeiten kennen die nicht, sagt Benrd
das kann ich gar sagen,

Ansonsten gefallen mir die Änderungen sehr gut :), ich finde das jetzt noch stimmiger.

Grüße,
feurig

P.S. ich bin Mutter, mein Sohn ist 18 Monate und auch wenn ich im Vergleich recht früh wieder zu arbeiten angefangen habe, kenne ich dieses Vermissen von Erwachsenen-Gesprächen doch sehr. Deswegen ist mir das sofort ins Auge gestochen ^^'.

 

Mein lieber @jimmysalaryman,

jetzt habe ich es auch mal geschafft, spät spät spät, und wenn ich wiederhole, was schon besprochen wurde, sieh es mir nach. Aber ein Fuffzgerl möchte ich gerne dalassen, weil ich das gut finde, was du da gemacht hast.

Gedankenströmen zu folgen gelingt mir nicht immer, da muss ich in der Stimmung zu sein. Wenn ich es aber bin, dann kann ich da voll eintauchen. Ich weiß noch, als ich vor geraumer Zeit Kerouacs ON THE ROAD gelesen habe, hat mich das echt weggehauen. Habe mir in so einem Laden in San Fran das Original Scroll gekauft, also kaum lektoriert und große Teile einfach nur Gedankenstrom, von einem ins andere in nächste und übernächste. Und mich hat das total weggetragen. Es gibt immer noch einen Teil im Buch, den würde ich mir am liebsten tätowieren lassen, schauen wir mal, was daraus wird :D
Mit deiner Protagonistin hat das bei mir ebenfalls geklappt, das mit dem Wegtragen, vielleicht auch, weil mein eigenes Verhältnis zu Kindern und Frauen mit Kindern manchmal bittersüß ist.

Interessant ist, wie sie selbst in den Hintergrund gerückt ist, wie sie ihre Meinungen mit denen ihres Mannes rechtfertigt, fast kommt es mir so vor, als ob sie dabei ist, sich aufzulösen. Oder als sei sie durchsichtig. Weiß nicht, kann das gerade ganz schwer beschreiben. Wenn ich mir die Frau vorstelle, ist sie irgendwie verblasst, wie auf so nem alten Foto.

und ich sage ihm, dass das gar nicht sein kann, in einer Woche kann man gar nicht so viel wachsen, aber Bernd meint, `s is‘ Blödsinn, was ich da erzähle, er sei ihr Vater und Väter können das
Das ist so einer der Sätze, der bei mir einiges triggert. Ich bin ja seit Jahren stille Beobachterin der unterschiedlichsten Familienkonstrukte um mich herum. Und es kommt schon noch oft vor, dass der Mann, geldverdienend und oft abwesend, trotzdem immer ganz in vorderster Reihe steht, wenn es um solche Dinge geht. Ich bin der Vater, ich weiß das! Hach, Jimmy, ich kann das gerade schwer in Worte fassen, aber diese Stelle hier hat so eine gewisse Wut ausgelöst. Das ist ein verzwicktes, vielschichtiges Thema, diese leisen Schichten die zwischen Elternpaaren (generell Paaren, aber das ändert sich mit Kind ja schon noch mal immens) entstehen. Und manche Schichten finde ich angsteinflößend und manche machen mich aggressiv. Ich kann es gerade nicht besser ausdrücken, ich hoffe, du verstehst, was ich dir sagen will. Ein guter Satz jedenfalls, weil da sehr viel drinsteckt.

Kleiner Kürzungsvorschlag zwischendrin:

ich weiß da nix drüber, über Geld und so, das regelt der Bernd, Mathe war nie meine Stärke
Das Fettmarkierte würde ich löschen, das ist mir in diesem gut funktionierenden Fluss irgendwie zu sehr Klischee, dieser Satz, zu ausgelutscht. Auch macht die Streichung das "das regelt der Bernd" irgendwie stärker, bzw. ihre Abhängigkeit von ihm.

Und hier ein kleiner Buchstabendreher:

Arbeiten kennen die nicht, sagt Benrd

Ja, was soll ich sagen, ich glaube, ich könnte einen Aufsatz zu deinem Text schreiben, weil da so viele Dinge in mir ausgelöst werden. Das sich Aufgeben für die Familie. Die Beziehung, die durch ein Kind in Schieflage gerät, Befindlichkeiten, Sehnsüchte und Wünsche, die dahinter zurückstecken müssen. Eine Wut, eine unsagbare Wut auf dieses kleine, unschuldige Wesen, das alles verändert, das brüllt und nimmt und alles andere verdrängt. Du siehst, ich bin eher bei ihrem Antrieb gelandet, als bei Bernd ;) Weil das ein Thema ist, was viel zu selten wirklich deutlich beim Namen genannt wird. Ich bin sehr froh, dass ich Frauen in meinem Freundeskreis habe, die da sehr ehrlich drüber reden, über diese Wut, die sie manchmal empfinden, die Hilflosigkeit, die Überforderung. Is nich immer alles nur schön mit den Kleinen. Selbst meine Mom hat mir mal gebeichtet, dass sie an einem Nachmittag allein daheim kurz davor war, mich aus dem Fenster zu werfen (ich war ein extremes Schreibaby). Das ist ein Tabu, dass unter Frauen immer noch herrscht, das von Männern vielleicht manchmal schwer zu greifen ist. Dieses Zerrissenheit zwischen Liebe, Familienwunsch, dem eigenen Ich, diesem kleinen Wesen, das dich braucht, meine Güte, da kann einem schwindlig werden. Und ich finde es sehr gut, dass du da viele Themen auf den Tisch packst, ohne sie explizit auf den Tisch zu packen.

Ich habe anhand der Kommentare gesehen, dass die erste Version wohl eindeutiger war, was das Ende angeht. Finde es gut, dass es nun offen bleibt. So ist dieses Erahnen, was passiert sein könnte, sogar noch eindringlicher.

Ich musste, als ich fertig war, und mir all diese Gedanken im Kopf rumgeschwurbelt sind, an das Buch "Chanson douce" von Leïla Slimani denken. Kennst du das? Ich fand das unfassbar gut. Also, mir ging's nicht gut, als ich fertig war, aber das hat richtig gesessen, das war so kühl geschrieben, trotz der Thematik, dass mich das richtig umgenietet hat.

So, jetzt is aber auch genug.
Liebe Grüße!
RinaWu

 

Hallo @jimmysalaryman

durch die Veränderung des Textes verschwimmt das tragische Element im Ungefähren. Wenn ich mir das Wissen über die Urversion aus dem Kopf drücke, gibt der Text nur noch einen Einblick in den Alltag und die Gedankenwelt der Figur. Ich kann die einzelnen Änderungen nicht benennen, aber die Überarbeitung hat auf jeden Fall die Wirkung des Textes intensiviert. Obwohl die plötzliche Stille die Interpretation einer Tötung immer noch zulässt, erzwingt sie diese Sichtweise nicht.

Mindestens ebenso interessant wie diese gut ausgearbeitete Persönlichkeitsstudie, die ja auch eine Skizze der Gesellschaft ist, sind für mich, in soziologischer Hinsicht, die Reaktionen darauf. Nachdem ich den Thread zu diesem Text verfolgt habe, kommt mir unwillkürlich der Höhepunkt eines Klassikers in den Sinn. Natürlich losgelöst von seinem Bezug zum Krieg.

Zitat:
"Doch schweig' ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest, und Glut und Hungersnot,
Dass auch der Seelen Schatz, so vielen abgezwungen."
[Andreas Gryphius; Tränen des Vaterlandes; Anno 1636]

Ich hoffe auf viele weitere Texte aus Deiner Feder

Schönen Gruß!
Kellerkind

 

Hallo @RinaWu

danke dir für deinen tollen Kommentar. Ich gebe dir Recht, für Soc muss man in the mood sein. Ich gebe auch zu, ich schreibe die ja viel lieber, als ich sie selber lese ... On the road habe ich auch mal im Original gelesen, unredigiert, das ist schon ein herbes Stück Literatur, muss man eben lesen wollen. Ich fand es damals ziemlich gut, weil ich kein Buch öfters gelesen habe als On the road - ich weiß nicht, wie das heute aussieht. Ich denke auch, es ist ein Stilmittel, und Stil muss oder sollte dem Sujet angeglichen werden, es muss passen, da muss eine innere Kohärenz sein, und wenn es dann passt, wird es meistens ein gut lesbarer, erlebbarer Text.

Interessant ist, wie sie selbst in den Hintergrund gerückt ist, wie sie ihre Meinungen mit denen ihres Mannes rechtfertigt, fast kommt es mir so vor, als ob sie dabei ist, sich aufzulösen.

Das ist ein wichtiger Punkt, den du da nennst. Ich finde es in der zweiten Version viel klarer, da steht sie selbst irgendwie weniger im Vordergrund, sie verschwindet regelrecht, sie wird durch ihren Mann, durch Bernd geformt, sie wiederholt alles, aber inhaltsleer, das ist nicht sie selbst, sie ist eher eine Vorstellung ihres Mannes. Gibt es wahrscheinlich sehr oft, so absolut dysfunktionale Beziehungen, wo sich ein Partner mehr oder weniger auflöst.

Das sich Aufgeben für die Familie. Die Beziehung, die durch ein Kind in Schieflage gerät, Befindlichkeiten, Sehnsüchte und Wünsche, die dahinter zurückstecken müssen.

Kriegen die meisten ja nicht mit und/oder halten das für normal. Bis es dann zu solchen Übergriffen kommt, da ist ja nichts spontan, das ist alles aufgestaut, das entlädt sich dann, und danach ist es eben der große Skandal. Gab mal ein Buch von einer französischen Feministen, die schrieb, dass sie ihr Kind manchmal hasse und es gerne schlagen würde; gab natürlich einen riesigen Aufriß, aber nur, weil sie natürlich Recht hatte - diese Gefühle kennen wohl alle Eltern und Mütter, aber man darf sie eben nicht sagen, nicht denken, die sind Tabu.

Ich musste, als ich fertig war, und mir all diese Gedanken im Kopf rumgeschwurbelt sind, an das Buch "Chanson douce" von Leïla Slimani denken. Kennst du das?

Kenne ich nicht, ist aber notiert! Danke für den Tip!

Hallo @Kellerkind,

Obwohl die plötzliche Stille die Interpretation einer Tötung immer noch zulässt, erzwingt sie diese Sichtweise nicht.

Finde ich auch besser so. Da passiert auch mehr beim Leser, da muss mehr Transferleistung her, bzw eine Art emotionale Arbeit, so eine kleine Gedankenschleife, was kann da noch passieren? Es ist jetzt nur noch eine von vielen Möglichkeiten.

Mindestens ebenso interessant wie diese gut ausgearbeitete Persönlichkeitsstudie, die ja auch eine Skizze der Gesellschaft ist, sind für mich, in soziologischer Hinsicht, die Reaktionen darauf.

Ja, ist interessant, ist vielleicht auch ein Querschnitt der Gesellschaft, habe ich mich nicht so mit beschäftigt. Aber es zeigt ja, dass so ein Text Wirkung zeigt bzw zeigen kann, wie die nun auch immer aussieht.

Ich hoffe auf viele weitere Texte aus Deiner Feder.
I keep on truckin!

Danke dir für deinen erneuten Kommentar und das erneute Lesen!

Gruss, Jimmy

 

Hallo @jimmysalaryman,

Mich hat der Sprachstil auch an Thomas Bernhard erinnert, von dem ich vor kurzem zum ersten Mal etwas gelesen habe. Ein Text, dessen Ende Anfang sein könnte. Ein psychologischer Text, ein Text, bei dem jeder Satz etwas über die Erzählerin offenbart, aber keiner so stark, dass er die anderen überblendet. Für mich ist das ein Kriterium sehr guter Texte; kein Inselspringen von Stelle zur Stelle, sondern ein geschlossenes Ganzes.

Ich glaube, dass die Distanz zwischen Bernd und der Erzählerin entscheidend für deinen Text ist. Wie viel von dem, was für Bernd richtig ist, nimmt die Erzählerin in ihr Selbst- und Weltbild auf? Wie stark ist sie von Bernd abhängig? Inwiefern kann sie Ansichten Bernds auch hinterfragen oder reflektieren? Schnell kann der ganze Text gelesen sein, aber es sind kleine, fast unmerkliche Nuancen, über die du die Erzählerin mit-charakterisierst:

aber er schreibt ja immer so kurz, weil er eben schnell nach Hause will und weil er so ist, bisschen maulfaul, aber damit kann ich schon umgehen.

`s is‘ Blödsinn, was ich da erzähle, er sei ihr Vater und Väter können das.

Ansichten, so stabil wie die Schwerkraft eines Planetens, gab's schon immer, wird's immer geben, ist eben so. Bernd ist der Mann, der die Leitplanken setzt, vielleicht sogar ein Lotse für sie, den sie aus irgendeinem Grund braucht: Sei es auf Grund ihres Stresses mit der Kindererziehung, sei es auf Grund einer wahnsinnig unsicheren Persönlichkeit, sei es auf Grund finanzieller Abhängigkeit, Bernd sagt und sie folgt.

Aus dem jetzigen Text lese ich die Kindstötung nicht mehr heraus, man kann es so lesen, man kann es auch nicht so lesen, hier wirkt der Eindruck des ersten Lesens. Ich mag jetzt nicht zynisch klingen, aber in der ersten Fassung las ich die Kindstötung als erste und einzige selbstbestimmte Handlung der Erzählerin, als einen Akt zu ihrer persönlichen Freiheit.

das lohnt sich richtig, sagt er, ich weiß da nix drüber, über Geld und so, das regelt der Bernd, Mathe war nie meine Stärke. Kümmer‘ du dich mal um das Kind, sagt er, und das tue ich, und jetzt geht das ja auch, man gewöhnt sich dran, man gewöhnt sich ja an alles, aber eins sag ich, am Anfang, unter der Woche, ganz alleine, nur mit dem Kind, nur mit der Louisa, das ist manchmal schon nicht einfach, aber beschweren will ich mich nicht, das sagt Bernd auch immer wieder,

Hm, als ich den Text gestern gelesen habe, bin ich über den Mathe-Stärke-Satz gestolpert. Ich nahm es der Erzählerin nicht ab, keine Expertin für Geldangelegenheiten zu sein. "Geld" ist für die Erzählerin sehr konkret, sehr alltagsbezogen, das Wort "Mathe" eher ein abstraktes Schulfach. Ich kann mir die Erzählerin sehr gut beim Durchblättern der aktuellen Angebote aller umliegenden Supermärkte vorstellen. Und wenn Bernd längere Zeit auf belgischer Montage ist, wird sie haushalten müssen, Lebensmittel, Windeln ... Vielleicht "Steuern"? Oder stärker betonen, dass sie den Satz von Bernd "internalisiert" hat?

beschwer dich mal nicht, denen auf der Winterberger, denen geht’s viel schlechter, die hab’n gar nix, die fressen am Monatsende Trockenbrot, und wir wollen raus aus den Genossenschaftshäusern, weil es hier auch einfach zu viele Asis gibt mittlerweile, und Bernd sagt, so soll Louisa nicht aufwachsen, mit den ganzen Kanaken, und deswegen fährt er auch immer auf Montage, weil wir hier rauswollen, und weil der Chef da schon ganz genau hingeguckt, wer richtig arbeiten will und wer nicht, wer nur so tut … und ich meine, ich seh das ja, wie die da unten vor den Mülltonnen rumlungern, die Kanaken, die tun nie was, Arbeiten kennen die nicht, sagt Benrd, die kennen nur abkassieren, und denen ihre Kinder, also, die glotzen einen immer so an, das kann ich gar sagen, wie man sich da fühlt, ekelhaft ist das, meint Bernd, richtig ekelhaft, wenn die dich so anglotzen, und so soll das ja nicht werden, das man da später echt Angst haben muss,

Die Passage Winterberger-Asis: Hier ordnest du zum ersten Mal Bernd und die Erzählerin in ein soziales Umfeld ein. Die Antwort Bernds auf den Stress mit Louisa finde ich stark, da überzeugend und argumentativ totschlagend vorgetragen. Bringt ihr ja gar nichts. Mir gefällt es richtig gut, wie nie so ganz klar ist, ob die Erzählerin Bernds Ansichten auch übernommen hat oder nicht, hier verschmelzen zwei Personen zu einer Identität (na, jetzt übertreibe ich). Finde ich richtig gut.

Bernd verwendet in seiner Rede die klassischen Stammtischfloskeln, die können nie arbeiten und kassieren nur die Sozialleistungen ab. Er sagt: Ich arbeite, die nicht. Ich fragte mich, ob die Erzählerin diese Feindlichkeit übernimmt und auf ihren Alltag überträgt: In den Küchen muss es stinken, die schmeißen Fischabfälle in die Biotonne, Monatsanfang schmeißen die das Geld raus und Monatsende stehen sie beim Roten Kreuz in der Winterberger ... egal, auf welcher Sprosse der sozialen Hierarchie, es gibt immer, immer jemanden unter mir. Also, ob sie Bernds Ansichten weiterspinnt.

Meistens kommt er so kurz nach Zehn, jetzt haben wir es gerade mal Acht, und ich wüsste gern, wo er ist, einfach um mich drauf einzustellen,

Eine starke Stelle, denn sie belügt sich selbst: Sie stellt sich darauf ein? Quatsch, sie muss einfach wissen, wo er ist, weil sie von ihm abhängig ist. Hier rechtfertigt sie sich selbst.

weil ich weiß, er geht arbeiten und verdient das Geld und alles, und ich bleib zuhause, und ich bleib auch gern zuhause, besser als irgendwo bei NETTO an der Kasse, wie früher, oder wieder Putzen, auch wenn du da wenigstens mal was klönen konntest, das kann ich ja jetzt nicht mehr, jetzt ist nur Louisa, und alle anderen sind weg, Arbeiten oder sonst was, keiner hat da Zeit, aber trotzdem, trotzdem, manchmal da ist das eben so … aber Bernd ist ja sicher schon bald zu Hause, der ist auf der Autobahn, irgendwo hinter Aachen wahrscheinlich, und der hat davon nix mitbekommen, und ich sitz' hier und wart‘ auf ihn und …

Und vielleicht ahnt sie, dass sie Angst vor sich selber hat, dass da eine unkontrollierbare, destruktive Kraft in ihr steckt, die Louisa etwas antun könnte. Das ist sehr gut gemacht, da nur vage angedeutet und rückt die ganze Beziehung in ein neues Licht. Mag sein, dass Bernd hier den großen Macker macht, sie ahnt, dass ohne ihn weniger eine finanzielle als viel mehr eine menschliche Katastrophe drohen könnte. Sie scheint überfordert, aber -

Einmal, da war ich mit Bernd unten am Siegufer, das ist über ein Jahr her, das weiß ich genau, denn ich war noch nicht schwanger, und wir haben da im Gras gesessen und geredet, und er hat eine Flasche Bier getrunken, die er da am Kiosk gekauft hat, und später sind wir Tretboot gefahren, das war eine richtig schöne Fahrt, die halbe Sieg runter, bis zum Wehr, wo das Wasser dann wild wurde und ich fast Angst bekommen hab‘, aber der Bernd hat das schon hinbekommen, der bekommt so was immer hin,

- Bernd kriegt das schon hin. Hat er schon immer.

jetzt guckt er ja gar nicht mehr nach mir, jetzt guckt er nur noch nach Louisa, früher hat er mir immer noch was mitgebracht, manchmal war’s nur was Kleines von der Raststätte, so dumme Sachen, `n Bärchen oder eine CD, so Hörbücher, oder eine Dose Red Bull Cola, wo er weiß, dass ich die so gerne trinke, die schmeckt mir einfach, obwohl von wegen Zucker und so und ich darf auch nicht fett werden, hab sowieso noch paar Kilo zu viel drauf, weiß ich auch, aber darum geht es ja nicht, es geht darum, dass er mir was mitgebracht hat, die Geste zählt, sagte meine Mutter immer, und dann lagen wir nebeneinander, der Bernd und ich, und dann hat er erzählt, wie das so war, auf Baustelle, da gibt es ja immer was,

Vielleicht die einzige Stelle, in der sie eine Forderung formuliert und auch der Ansicht ist, dass die Forderung berechtigt ist. Hm hm, mich hat es verwundert, dass sie keine reflexartige Begründung vorträgt, warum Bernd ihr nichts mitbringt (ist viel Stress, wenig Zeit, wird immer teurer alles).

***

So, das war's! Ich hoffe, du konntest damit etwas anfangen, sind eben nur ein paar Anmerkungen.. Ach stopp, hier noch eine:

Nach dem es so gehagelt hatte, damals, letztes Jahr, da bin ich runter, die ganzen fünf Stockwerke,

Haben die keinen Aufzug?

Lg
kiroly

 

Mich hat der Sprachstil auch an Thomas Bernhard erinnert, von dem ich vor kurzem zum ersten Mal etwas gelesen habe

Hallo @kiroly,

und danke dir für deinen sehr guten Kommentar. Wie immer, analytisch und stringent. Ja, TB, ich habe eine ganze Weile fast nur TB gelesen, und ich fand diesen bestimmten Sound super, der fräste sich immer weiter ins Hirn, aber irgendwann las ich ein Interview mit Helmut Krausser, der sagte, Bernhard sei einfach nur eine Maschine, die, einmal angeworfen, den immergleichen Sound produziere. Weiß nicht, Holzfällen und Gehen finde ich immer noch geil. Aber klar, dieser mäandernde Singsang, der ist natürlich immer auch Bernhard geschuldet.

Wie viel von dem, was für Bernd richtig ist, nimmt die Erzählerin in ihr Selbst- und Weltbild auf?
Das ist erstaunlich, wie oft das passiert, das etwas abfärbt von einer Person auf die andere, oder aber es gar nicht hinterfragt wird, weil es das einfacher macht; ich muss nicht selber denken, nicht selber entscheiden. Die meisten Menschen haben davor Angst, und auch vor den Konsequenzen. Was passiert, wenn ich mich entscheide, wenn ich mir eine Meinung bilde, und wie lebe ich damit?

Ansichten, so stabil wie die Schwerkraft eines Planetens, gab's schon immer, wird's immer geben, ist eben so.
Das kumuliert dann in genau so etwas.


Ich mag jetzt nicht zynisch klingen, aber in der ersten Fassung las ich die Kindstötung als erste und einzige selbstbestimmte Handlung der Erzählerin, als einen Akt zu ihrer persönlichen Freiheit.
Das ist überhaupt nicht zynisch. Ich denke oft, für manche Menschen gibt es nur diesen einen Ausweg, das ist ein wenig wie suicide by cop - in seiner Radikalität unfassbar. Als ich im Knast letztes Jahr dieses Schreibding laufen hatte, da waren auch Mörder dabei, einer, so ein kleiner, verhutzelter Typ, der wie ein Hippie wirkte, saß seit 21 Jahren wegen besonderer Schwere der Schuld - man vergisst, Mörder werden oft nur einmal kriminell, es passiert nur eine einzige Sache in ihrem Leben, und danach ist so etwas wie Willensfreiheit oder Chancen, die sind meistens weg oder extrem limitiert. Für manche mag das auch eine Art der Befreiung sein, so seltsam das auch klingen mag.

Bernd verwendet in seiner Rede die klassischen Stammtischfloskeln, die können nie arbeiten und kassieren nur die Sozialleistungen ab.

Es ist ja oft so, dass in meinen Texten vor allem Männer immer auch, oder meistens, ein wenig rassistisch sind, weil ich es eben auch genau so erlebe: meine Onkel, mein Vater, alle sind ein wenig rassistisch, manche verbalisieren das eher, andere nicht. Die wählen die Sozialdemokraten, die sind oldschool links, aber trotzdem sind sie "Ausländern", "Einwanderern", "Flüchtlingen", skeptisch gegenüber eingestellt, to say at least.

Und vielleicht ahnt sie, dass sie Angst vor sich selber hat, dass da eine unkontrollierbare, destruktive Kraft in ihr steckt, die Louisa etwas antun könnte. Das ist sehr gut gemacht, da nur vage angedeutet und rückt die ganze Beziehung in ein neues Licht.

Ist schön, wenn du das so liest. Ich glaube, in jedem Menschen steckt so eine negative Energie, die einen lernen eben, die zu sublimieren, die anderen lassen sie raus; das hat viel mit der Sozialisation zu tun.

Hm, als ich den Text gestern gelesen habe, bin ich über den Mathe-Stärke-Satz gestolpert. Ich nahm es der Erzählerin nicht ab, keine Expertin für Geldangelegenheiten zu sein. "Geld" ist für die Erzählerin sehr konkret, sehr alltagsbezogen, das Wort "Mathe" eher ein abstraktes Schulfach.
Ist ein super Punkt, das lese ich jetzt ähnlich, das passt nicht zu ihr, sie würde das nie so sagen. Ändere ich.

Hm hm, mich hat es verwundert, dass sie keine reflexartige Begründung vorträgt, warum Bernd ihr nichts mitbringt (ist viel Stress, wenig Zeit, wird immer teurer alles).
Auch hier: voll rein. Vollkommen klar, das muss da noch rein, denn Bernd hat die Kohle unter Kontrolle, und wenn der sagt, et is zu dür, dann wird nicht mehr gekauft.

Ja, kiroly, wie immer, ein toller Kommentar, der mich weiterbringt, hat mich sehr gefreut, dass du vorbeigeschaut hast.

Gruss, Jimmy

 

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