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Vier Minuten
Du schaust auf die Uhr. Deine Hände zittern. Rasender Puls. Tobender Beifall.
Sie war gut. Du musst besser sein.
Angst. Gleich musst du nach draußen. Der Moment, von dem du dein Leben lang geträumt hast.
Vier Minuten. Aufstieg oder Fall. Top oder Flop.
Du trittst aus den Katakomben hervor.
Kälte umfängt dich.
Helles Scheinwerferlicht.
Die Stimme des Sprechers erklingt. Du klammerst dich an der Bande fest.
Eine Hand auf deiner Schulter.
Lampenfieber.
Das Gefühl, zu ersticken.
Angst steigert sich ins Unermessliche. Spannung wird unerträglich.
Dein Herzschlag, Explosionen.
Representing on the ice. Dein Name fällt.
Kein Zurück mehr.
Du gleitest hinaus. Applaus erklingt.
Einlaufrunde. Dein Trainer nickt, sieht angespannt aus.
Konzentration.
Das Publikum wird still. Du auch.
Puls wird ruhig. Hände hören auf zu zittern. Tiefe Atemzüge.
Musik beginnt und es ist als ob dein Schlittschuh mit dem Eis verschmilzt.
Die Kür deines Lebens.
Vier Minuten.
Eröffnungspose.
Serpentinschrittfolge.
Drehung.
Anlauf zur Kombination.
Vertrauen. Vertrauen.
Lutz – Toeloop – Rittberger, dreifach, perfekt hintereinander aufs Eis gesetzt.
Die Musik wird lauter.
Waagepirouette – Positionswechsel – Sitzpirouette - Fußwechsel.
EINS, ZWEI, DREI … nicht nachlässig werden, die Preisrichter zählen mit … ACHT Drehungen.
Schwung holen für die Sprungsequenz.
Angst. Erinnerung. Sturz beim Training.
Doppelaxel – Landung auf der Außenkante – zwei Schritte – Umsprung auf die Innenkante – Dreifachsalchow.
Blick zum Trainer. Aufatmen.
Kreisschrittfolge. Erster Spreizsprung. Zweiter Spreizsprung. Spreizschritt.
Einsprungpirouette.
Dreierschritt - Verbindungsschritt - Rotationsschritt.
Rückwärts anlaufen, Fuß nach innen kippen, rechte Zacke ins Eis haken, Absprung zum Flipp.
Butterweiche Landung, lautloses gleiten.
Musik wird langsamer. Atem holen. Nicht aus dem Takt kommen.
Fliegerschrittpassage. Innenkante. Außenkante. Beinwechsel.
Du schwebst über das Eis. Bist eins damit.
Übergang in den Ina–Bauer–Mond.
Attitüde.
Bielmannpirouette.
Und dann verlierst du dich in einer Symbiose aus Kunst, Sport, Leidenschaft und Anmut.
Die Musik wird wieder schneller.
Anlauf zum Rittberger. Beine verkreuzt, linkes nach vorn. Absprung. Arme an den Körper pressen. ERSTE Drehung, ZWEITE Drehung, DRITTE Drehung. Beine öffnen, Landung auf Rückwärts.
Längsschrittfolge.
Deine Lunge brennt wie flüssiges Feuer, die Beine werden schwer. Durchhalten. Nicht aufgeben.
Aus der Schrittfolge heraus läufst du auf die Innenkante.
Nur nicht patzen. Auch leichtere Elemente können schief gehen.
Das Spielbein von hinten nach vorn durchziehen, anbeugen, Eindrehung, Vorwärtsabsprung von der Innenkante, ZWEIEINHALB Drehungen rückwärts gelandet.
Ein Doppelaxel wie aus dem Lehrbuch.
Himmelspirouette. Übergang in die Spirale. Schneller Gegenschritt.
Deine Muskeln verkrampfen sich.
Das Publikum klatscht im Rhythmus der Musik, dein Herz spielt den Bass dazu.
Alles wird unwichtig.
Zweiter Dreifachlutz – drei Schritte – umsetzen – Toeloop. Ekstase auf dem Eis.
Schwung holen.
Schrittpassage rückwärts auf einem Bein.
Twizzles.
Kreuzschritt.
Der Applaus brandet.
Die letzten Takte der Musik.
Jetzt kannst du es genießen.
Einwärtspirouette – Sitzpirouette – Standpirouette.
Übergang zur Schlusspose.
Das Publikum tobt.
Tränen rinnen deine Wangen hinab, fallen aufs Eis und werden zu kleinen Kristallen.
Stehende Ovationen.
Und du weißt es.
Dein Traum ist wahr geworden.
Vier Minuten.
Gold.
Olympiasieg.