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Vier Minuten

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16.10.2014
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Anmerkungen zum Text

Der Erzählfuchs hat diese Geschichte netterweise vertont. Wer reinhören will:
https://open.spotify.com/episode/0RnU7h2R0L3uKcoAcsa9N1
(Ist allerdings eine etwas ältere Version.)
Viel Spaß! :)

Vier Minuten

Ich zog mein Handy aus der Tasche, um nach der Uhrzeit zu sehen.
Noch fünf Minuten, bis der Bus kommen würde.
Ich steckte mir eine Kippe an. Raucher sterben früher, warnte mich die Zigarettenschachtel. Nicht das Schlechteste, dachte ich. Scheiß Tag. Scheiß Woche. Scheiß Leben!
Der Nieselregen schwoll zu einem Wolkenbruch an.
Das fehlte gerade noch! Als würde die Kälte nicht schon reichen!
Ich hasste Regen, Nässe allgemein.
Wahrscheinlich würde ich durch die wenigen Schritte, die ich gleich unter freiem Himmel zur Bustür würde gehen müssen, schon bis auf die Haut durchnässt werden.
Die Straße ertrank unter reißenden Bächen.
Ich starrte aus dem Unterstand der Haltestelle auf den Vorhang aus Wasser, da es sonst nichts zu sehen gab und ich auch nichts sehen wollte. Bei schönem Wetter hätte ich mich vielleicht kurz umgedreht, um einen Blick durch die Rückwand aus Plexiglas zu werfen, hinunter auf das Panorama mit der Rheinbiegung.
Das hob die Laune zugegebenermaßen.
Manchmal.
Aber sicher nicht heute.
Immer noch gab es da kein höheres Geländer, es war am Geiz der Stadt gescheitert.
Darum konnte manch ein Selbstmörder den Abhang nutzen und war genau von dieser Stelle aus zu seinem letzten Flug gestartet.
Viele Male war auch mir diese Idee gekommen, aber inzwischen war mir die Lust an Drama vergangen.
Mir war die Lust zu fast allem vergangen, seit ich mich damit abgefunden hatte, dass mir das Schicksal stets nur saure Äpfel in den Rachen stopfte.
Der Regen hatte die Passanten von der Straße gescheucht.
Gut.
Ich wollte keine Gesellschaft. Ich wollte mit meiner Kippe alleine sein.
Plötzlich flammte der Himmel auf.
Jetzt gewittert es auch no...
Ein Donnerschlag, nein, eine Explosion rammte mir eine Druckwelle in die Ohren.
Ich zuckte zusammen, mein Puls raste.
Fast wäre mir die Kippe aus dem Mund gefallen.
Meine Trommelfelle sirrten, mehrere Sekunden lang, so dass ich das Prasseln des Regens kaum noch hörte.
Der Blitz musste in unmittelbarer Nähe eingeschlagen sein! Wie knapp war ich dem Ende entkommen?
Ich sah mich um.
Neben dem Unterstand, da, wo der Bürgersteig aufhörte und das Gestrüpp anfing, war ein Krater.
Er maß vielleicht einen halben Meter im Durchmesser und war vorhin eindeutig noch nicht dagewesen.
Inmitten eines Rings aus frisch aufgeschüttetem Erdreich klaffte das Loch.
Rauchschwaden stiegen daraus hervor und taumelten zwischen den Regentropfen in die Höhe. Durch den angrenzenden Bürgersteig zog sich ein gezackter Sprung.
Ich nahm einen tiefen Zug aus der Kippe.
Da zuckte etwas im Krater.
Der Starkregen verwischte die Sicht, doch da war es wieder: Eine längliche, graue Kreatur bog und wandte sich über den Rand des Lochs. Es war ein Wurm – nein, eine Raupe! Eine riesige, fette Raupe!
Sie plumpste vom Kraterrand auf den Boden und kräuselte sich zwischen den Grasbüscheln.
Furcht und Erstaunen rangelten hinter meinen Augen um die besten Plätze, nach draußen schauen zu können.
Das Geschöpf reckte sich wie ein gebogener Zeigefinger nach oben und erstarrte.
Dann bog es sich nach vorne. Es zeigte auf mich.
Das Ding hatte keine erkennbaren Augen, und doch war mir, als würde es mich mit seinem Blick fixieren.
Mir standen die Haare vom Kopf bis zu den Schenkeln zu Berge.
Gerade, als mein Fluchtinstinkt vorsichtig die Hand hob um zusagen: Ich bin übrigens auch noch da!, schoss die Raupe nach vorne. Wie eine Flipperkugel schnellte sie im Zickzack über den Boden, um die Stütze des Unterstandes herum, stieß gegen meinen rechten Schuh und verschwand in meinem Hosenbein.
Wie von einem Stromschlag getroffen sprang ich zurück.
Die Kippe fiel hinunter. Ich schüttelte mein Bein in der Luft, als wollte ich es abwerfen.
Igitt! Igitt! Igitt!!
Ich schrie und hyperventilierte gleichzeitig.
Die Raupe arbeitete sich an meinem Bein hoch. Dutzende spitzer Füßchen bohrten sich rhythmisch in meine Haut.
Ich sprang rücklings gegen den Glaskasten mit den Fahrplänen.
Es schepperte.
Ich ließ ein Trommelfeuer aus Schlägen meiner flachen Hände auf mein Hosenbein niederprasseln, vergeblich. Das Ding näherte sich meinen sensiblen Körperregionen.
Ich warf mich auf den Boden und zappelte wie ein auf dem Rücken liegender Käfer, der in eine heiße Pfanne gefallen war. Ich erlebte ein ekelerregendes Kitzeln, als die Kreatur weiter empor kroch. Zum Glück an meinen Juwelen vorbei, über den Hosenbund hinweg und an meiner Flanke hinauf.
Sie passierte meine Achseln. Ich rollte mich hin und her, ich kreischte.
Die Raupe trat unter meinem Kragen ins Freie und krabbelte meinen Nacken hinauf. Und hinein in die Haare. Ich wollte sie mit den Händen von mir herunterwischen, doch das fette Ding klammerte sich in meine Kopfhaut als sei es festgeschraubt. Ich schlug meinen Hinterkopf auf den Asphalt, immer wieder und wieder, in der Hoffnung, das Ding könne abfallen oder platzen.
Aber es tat beides nicht.
Ich lag wimmernd auf dem Boden, als mich plötzlich eine Klarheit durchströmte, die tief aus meinem Inneren heraufgesogen zu werden schien.
Eine Woge der Wärme und Wachheit durchfloss mein Gehirn, der alles Schmuddelwetter der Welt nichts anhaben konnte.
Einen Augenblick später war sie verebbt.
Die Raupe löste sich und purzelte auf den Asphalt.
Befreit von dem Gewicht katapultierte ich mich in die Aufrechte und stolperte so weit wie es ging von der Kreatur weg.
Diese lag nun am einen Ende des Unterstandes und ich stand am anderen. Mein ganzer Körper bebte vor Ekel und Angst.
Ich starrte das Ding an.
Möglich, dass ich schluchzte.
Das Wesen veränderte sich: Es rollte sich zu einem kleinen C zusammen und bekam eine raue Oberfläche. Wie ein weggeworfenes Mini-Croissant lag es da und rührte sich nicht. Die Raupe hatte sich verpuppt! Ich tastete meinen Hinterkopf ab, ob die Kreatur ein Loch hineingebohrt hatte. Nein, zum Glück nicht. Nur ein Kribbeln spürte ich noch, das wurde aber immer schwächer.
Das Croissant blähte sich auf, veränderte seine Form ... zu der eines Embryos!
Keine drei Herzschläge später war er zu einem Säugling herangewachsen.
Mit schiefen Augen und etwas zu pummeligen Ärmchen und Beinchen, aber unverkennbar menschlich.
Noch während er wuchs und die ersten blonden Haare auf dem Köpfchen sprossen, öffnete sich der Mund. Ein Fiepen, dann ein Quieken, schließlich quoll das Kreischen eines Neugeborenen daraus hervor.
Das Wesen schlug die Augen auf. Stahlblaue Pupillen beäugten mich.
Eine Quäkstimme formte Worte:
„Hallo Mensch von der Erde, ich grüße dich!“
„Ha- hallo“, stotterte ich.
Meine Panik wich Neugierde.
Der Säugling rappelte sich auf die Beine. Als er stand, hatte er sich zu einem pausbackigen Kleinkind entwickelt.
„Ich bin ein Entdecker vom Planeten Ghdsddfkzebejjlmdrkldt...“
Das Ding drehte seine Pupillen in Richtung seines Mundes, mit dessen Lippen es bizarre Verrenkungen vollführte.
„Aber die Sprechorgane eurer Spezies haben offenbar Schwierigkeiten, diesen Namen korrekt wiederzugeben.“
Das Kind lächelte mich an und stakste einen Schritt auf mich zu. Die Freundlichkeit, die das Wesen ausstrahlte, linderte meine Angst weiter.
„Wenn du von einem anderen Planeten kommst, woher kennst du dann unsere Sprache?“, traute ich mich zu fragen.
„Wenn wir mit einer neuen Spezies Kontakt aufnehmen, dann immer erst auf physischem Wege, um deren DNA zu replizieren. Damit generieren wir einen passenden Körper für die jeweilige Umwelt. Und dann auf telepathischem Weg. Dabei tasten wir die Nervensignale ab. Dann kennen wir schon einmal alle grundlegenden Themenschwerpunkte unserer neuen Freunde. Und ich freue mich, alles andere auch bald zu lernen!“
Der Junge grinste mich weiter mit seinem schiefen Mund an, dann schrie er plötzlich.
„Aaaaaaaaaargh...! Etwas ist in meinem Mund!!“
Er riss seine Kiefer bis zum Anschlag auf und steckte seine Stummelfinger in den Mund, als wolle er seinen Arm verschlucken. Er ließ seine Fingerchen am Oberkiefer entlangwuseln. Ein kleiner Zahn leuchtete aus dem Mund hervor, dann noch einer, und noch einer.
„Ääääääh! Aaaaaaah!“, machte das Wesen. Inzwischen hatte es fast die Größe eines Vorschülers erreicht.
„Fühlt ihr so Schmerzen? Habt ihr immer solche Schmerzen? Warum habt ihr solche Schmerzen?!“
„Du bekommst deine Milchzähne. Das passiert bei Menschen in diesem … Alter.“
Das Wesen beugte sich vornüber und schnaufte heftig, dann beruhigte es sich.
„Wenn wir eine neue DNA integrieren, müssen wir mit dem individuellen Lebenszyklus ganz von vorne beim Juvenilstadium beginnen und ihn dann bis zum natürlichen Erliegen der Vitalfunktionen durchleben. Aber eure Spezies scheint sich außergewöhnlich schnell zur Adultform zu entwickeln!“
Erneut griff er in seinen Mund, schien auf seinen Fingern herum zu lutschen. Er zog etwas kleines Weißes heraus und legte es sich auf die Handfläche, während noch ein Speichelfaden daran hoch zum Mund führte. Er beäugte den herausgefallenen Milchzahn mit seinen Glupschaugen, dann blickte er fragend zu mir.
Nun tat mir das Wesen fast leid, als ich sah, wie überfordert es mit seiner neuen Existenz war.
„Du kriegst gleich wieder neue Zähne. Aber sonst tun wir das so nicht“, sagte ich.
„Habe ich etwas verkehrt gemacht?“
„Nein … ja … ich meine: Richtige Menschen brauchen viel länger, um so groß zu werden.“
„Viel länger? Wie viel länger? Mehr als doppelt so lang?“
„Oh ja. Wir brauchen so lange, dass man nicht einmal sehen kann, wie wir wachsen!“
„Oh nein! Dann wurde der Alterungsprozess nicht korrekt repliziert! Ausgerechnet!“
Das Wesen stöhnte, krümmte sich nach hinten, dann nach vorne.
Es bleckte sein neu entstandenes Gebiss.
Ihm war aber wohl nicht danach, Zähne schon wieder zum Thema zu machen. Mit einer Stimme, die während des Redens immer weniger quäkte, sondern stufenlos in eine tiefere Tonlage abrutschte, klagte es:
„Die Alterung lässt sich nicht rückgängig machen!“
Er humpelte mit seinen verschiedenlangen Beinen einen weiteren Schritt auf mich zu, so dass er mit seinem nackten Körper genau vor mir stand. Er gestikulierte mit seinen mittlerweile lang und dürr gewordenen Armen und rief:
„Sag bitte schnell! Bei meiner jetzigen Alterungsrate, wie lange habe ich noch zu leben?!“
Sollte ich die Wahrheit sagen?
Das deformierte Gesicht befand sich mit meinem jetzt auf Augenhöhe.
Unter den zu groß geratenen Augen, dem asymmetrischen Mund und den Haaren, die über das ganze Jugendalter hinweg zu einer langen Mähne gewuchert waren, erkannte ich plötzlich mein eigenes Antlitz, verdeckt von dieser Maske aus unzulänglich verarbeiteter DNA. Bald würde er mein jetziges Alter erreicht haben, und danach bekäme ich eine Aussicht auf mein Gesicht im Greisenalter, wenn auch etwas verzerrt.
Ich sagte zu meinem Klon:
„Puh, ja, also da muss ich schätzen ...“
Wie groß war denn eigentlich der Lebensanteil, den man als Jugendlicher verbrachte? Ich rechnete achtzig durch zwanzig, was natürlich nur grob war.
„Also etwa ein Viertel hast du schon rum“, verkündete ich. „Seit du hier runtergekommen bist, ist etwa eine Minute vergangen, also ...“
Das Wesen schlug seine Hände gegen die Schläfen.
„Oh nein, oh nein, oh nein! Ich habe keine Zeit mehr! Meine Forschungsmission ist es, so viel von eurer Existenz wie möglich zu durchleben! Schnell, sage mir, welche signifikante Erfahrung deine Spezies in dieser begrenzten Zeitspanne durchleben kann!“
Ohne es zu wollen, fiel mir ein versauter Witz über zwei Eintagsfliegen ein. Schnell verstaute ich ihn wieder.
Meine Hände taten, worauf sie in einer mental angespannten Lage konditioniert waren: Sie kramten Kippenpackung und Feuerzeug aus der Manteltasche und steckten eine Zigarette zwischen die Lippen.
„Tja, weißt du ...“
„Was machst du da?“, unterbrach mich das Wesen.
„Ich stecke mir eine Zigarette an. Rauchen nennen wir das.“
„Wozu macht ihr das? Nein, sag mir vorher, wie es sich anfühlt! Nein, lass es mich auch versuchen!“
„Nee, das ist eigentlich was Schlechtes. Ich versuche es mir abzugewöhnen, weil Raucher früher ...“
Ich erkannte die Absurdität meiner Ausführung.
„Aber es macht Spaß. Hier, nimm dir auch eine!“
Ich streckte ihm die offene Schachtel entgegen, gierige Finger fummelten eine Zigarette daraus hervor.
Mich genau musternd, steckte sich mein Klon das Filterende in den Mund. Ich gab ihm Feuer.
„Nein, du musst dran ziehen, die Luft durch die Kippe saugen. Guck, so!“
Er machte es mir nach, sog die Luft aber so heftig ein wie ein Staubsauger.
Ich hatte zuvor noch nie eine Zigarette so schnell abbrennen sehen. Weiße Schwaden umwölkten seinen Kopf, als wäre er ein Andengipfel. Ein Husten, das nur einen Spalt breit vom Erbrechen entfernt war, schüttelte den frischen Körper.
„Das macht euch Spaß?!“
„Ja okay, die erste Kippe schmeckt nie so gut.“
„Dann gib mir die Zweite!“ , bettelte mein Klon.
Mittlerweile stand ein Mann besten Alters vor mir, mit einem mächtigen Vollbart, in dem sich bereits die ersten grauen Spitzen zeigten.
Der Klon rauchte zum zweiten Mal.
Er hustete jetzt kontrollierter.
Mit der Gabel aus Zeige- und Mittelfinger nahm er die Kippe aus dem Mund und drehte sie vor seinen Augen zu allen Seiten.
„Ich verstehe, warum ihr das tut! Mit dem Gift darin provoziert ihr euren Körper zu einer Abwehrreaktion, wodurch sich euer Empfindungsspektrum erweitert!“
„Äh, ja … genau so machen wir das!“
Er steckte die Kippe zurück in den Mund und inhalierte daran, als wolle er die ganze Welt einsaugen.
Diesmal schien er das Husten zu genießen.
Sein Blick wanderte aus dem Unterstand heraus, hinein in den Regen.
Die Lust an der Freude strahlte in seinem Blick, während ein Stiel aus Asche vom orangenen Filter herabfiel, der einsam zwischen den Lippen stecken blieb.
Sein Lächeln bildete kleine Fältchen in seinen Augenwinkeln, und daraus wurden die ersten Furchen eines gereiften Gesichtes.
Das Wesen sagte: „Eine beeindruckende Natur habt ihr! Das viele Wasser! Es umgibt euch einfach überall!“
„Du hast leider Pech gehabt, bei diesem Mistwetter zu landen, wo es auch noch so arschkalt ist. Wenn die Sonne scheint, ist dieser Planet viel schöner!“
„Aber Wasser, das vom Himmel fällt, ist doch schön genug! Kann ich noch eine Zigarette haben?“
Ich steckte ihm auch diese an, dann sprang er, nackt wie er war, hinaus in die Fluten.
„Haha, juhuu! Was für ein Stimulus!“
Das Wesen hüpfte und tanzte wie ein ausgelassener Welpe, reckte seine nackte Brust gen Himmel und schüttelte seinen Leib durch, sodass die abprallenden Regentropfen in alle Richtungen gewirbelt wurden. Dann sprang es in den reißenden Bach, der sich vor dem Bordstein an der Haltestelle angestaut hatte.
„Hey, pass auf!“, protestierte ich, als mir der Schwall aus Wasser entgegen spritzte. Das Wesen lachte nur, aber es war kein gemeines Lachen.
„Komm auch hier raus ins Wasser! Es ist nass, es ist kühl!“
Er warf den Kopf in den Nacken, nahm die Kippe aus dem Mund und gurgelte die hereinströmenden Fluten in seinem aufgerissenen Rachen.
„Nein danke! Ich möchte gern trocken bleiben, Nässe mag ich nicht. Außerdem ist das mein Arbeitsanzug, der soll nicht eingesaut werden!“
„Warum denn nicht? Hier ist doch alles nass!“
Der Klon hielt inne, um einen Freudenzug von der Kippe zu nehmen, bemerkte dann aber, dass sie nicht mehr brannte.
Während er mich fragend ansah, wirkte es, als würde der Regen die Farbe aus der langen, vor Nässe triefenden Mähne des Neuankömmlings herauswaschen. Aber es war nur der natürliche Alterungsprozess, der das Haar grau und schließlich weiß werden ließ. Ich sagte zu dem Wesen:
„Deine Zigarette ist jetzt nass, dann brennt sie nicht.“
„Achso, ja … Aber ich will einen Stimulus. Einen, der auch im Wasser funktioniert!“
Er humpelte wieder auf mich zu und stellte sich vor mich. Die vertikale Grenze zwischen Regen und Trockenheit trennte uns wie die Scheibe eines Spiegels.
„Aber mach schnell! Ich glaube, meine Zeit läuft ab!“
Das Gesicht, das unter der Schicht aus Deformation und Alter immer noch meines war, sah mich flehend, ja gierig an.
Was für eine Forderung!
Ich musste improvisieren.
Wie viele Minuten – oder waren es nur noch Sekunden? - hatte ich denn überhaupt noch, um ihm seinen Wunsch zu erfüllen? Rings um seinen Schädel fielen ihm nun büschelweise Haare aus.
Sie fielen auf den wasserbedeckten Asphalt, wo sie Strähne für Strähne hinweggeschwemmt wurden.
Mein Klon verwandelte sich vor meinen Augen in ein gekrümmtes Gerippe, überzogen von ausgedörrter, fleckiger Haut.
„Keine Ahnung! Essen finden wir zum Beispiel ganz toll, also wenn's schmeckt … Moment, ich habe noch eine angefangene Tüte NicNacs in der Manteltasche … Ach nee, ist leer.“
„Nahrungsverwertung ist völlig sinnlos, durch das rasante Wachstum hat mein Metabolismus auf Notfallchemosynthese umgestellt. Ich brauche was anderes! Schnell!“
Da hatte ich eine Eingebung.
Einen Traum, den ich mir selbst nie getraut hatte, wahr werden zu lassen.
Den Traum zu fliegen.
Ich sagte zu dem Greis:
„Ich wüsste da was.“
Ich zeigte durch die Plexiglasscheibe hindurch den Abhang hinunter.
„Stell dich da hin, wo es den Hang runter geht. Du musst nur über die Balustrade klettern.“
Ohne zu fragen, gehorchte der alte Mann.
Ich fürchtete schon, dass er die paar Meter um den Unterstand herum nicht mehr schaffen würde, zumal sein Humpeln jetzt schwerfälliger und langsamer geworden war. Doch er hatte noch die Energie eines Kindes.
Mit seinen dürren Armen drückte er die noch dürreren Zweige neben dem Unterstand zur Seite, überwand die für diesen Ort lächerlich niedrige Brüstung und trat vorsichtig auf den schmalen Streifen zwischen Geländer und Abgrund. Seine bloßen Füße bohrten sich in das durch den Wolkenbruch zu Matsch gewordene Erdreich.
Er drehte seinen kahlen, von Altersflecken übersäten Kopf zu mir hin und blickte mich mit einer Mischung aus Vorfreude und Ehrfurcht an.
Konnte ich das wirklich verantworten?
In diesem Fall schon, entschied ich.
„Und jetzt … spring nach vorn!“
Ich hatte es unzählige Male in meiner Fantasie getan, und jetzt tat es das Wesen, aber ganz real.
Mit der letzten Kraft, die seine Waden noch aufzubringen vermochten, schleuderte sich mein Klon hinaus ins Bodenlose.
Nicht sehr weit zwar, und er war augenblicklich meinem Sichtfeld entschwunden. Doch ich meinte, durch das Prasseln des Regens ein Jauchzen gehört zu haben.
Einen Moment lang fühlte ich mit dem Wesen, wie es zusammen mit den Regentropfen durch ein Stück des Himmels glitt.
Vielleicht würde es den Aufprall auf dem Fluss gar nicht mehr mitbekommen, denn bei seinem Alterungstempo dürfte es ohnehin nur noch Sekunden gehabt haben.
Würde mein Klon genauso schnell verwesen, wie er herangereift war?
Ich stellte mir vor, wie sich sein Körper während des Sturzes auflöste und er wie aufgewirbelter Staub ein Stück weit über der Wasseroberfläche mit dem Regen tanzte, bevor sich seine Spur im Wind verlor.
Fast hätte ich nachgesehen, ob und wo er gelandet wäre, aber dazu hätte ich raus an das Geländer gehen und mich vollkommen einweichen lassen müssen. Außerdem würde der Bus gleich kommen. Es würde nicht mal mehr für eine Kippe reichen. Dabei hätte ich jetzt dringend eine nötig gehabt!
Da sah ich den Bus die Straße hinauffahren. Es grenzte an Gehässigkeit, wie er beim Bremsen volle Breitseite durch den Bach am Bordstein fuhr.
Ich bekam zum zweiten Mal eine Dusche aus Gossenwasser.
Ich fluchte leise und ermahnte mich, beim nächsten Dreckswetter nicht wieder meinen Schirm zu vergessen.
Der Bus senkte sich ab und öffnete die Tür.
Ich hastete die zwei Schritte durch den Regen ins Fahrzeug hinein und zückte mein Monatsticket. Als ich einen freien Sitz suchte, dachte ich nochmal an meinen Klon und dass er nicht lange genug existiert hatte, um je den Sonnenschein kennen gelernt zu haben.
Trotzdem war ihm das so wunderbar egal gewesen!
Ich hingegen hatte viele sonnige Tage gesehen, und dennoch erschien mir mein Himmel stets bewölkt. Vielleicht würde ich eines Tages meinem Klon folgen, einfach losfliegen vom Rand der Klippe und mich auflösen im Regen.
Ich strauchelte, als der Bus beschleunigte.

 

Halllo @MorningDew ,

deine Kurzgeschichte hat mich unterhalten. Themen wie Melancholie, Lebenskrisen, das Altern und anderes, werden in einer amüsanten Begegnung Zweier, die unterschiedlicher nich sein könnten und es trotzdem sind, zusammengetragen.
Allein, dass er seinem Klon die erste Zigarette gibt, hat mir ein amüsanten Bild von der Konversation gegeben.

Der mögliche Suizid wird auf eine interessante Weise ausgeführt. Das fand ich vom Konzept und als Pointe gut abgerundet.

Einige Sätze haben mir besonders gefallen:

Die Straße ertrank unter reißenden Bächen. Ich starrte aus dem Unterstand der Haltestelle hinaus auf den Vorhang aus Wasser, da es sonst nichts zu sehen gab und ich auch nichts sehen wollte.
Ein gelungener Satz, der die triste Szenerie einfängt und die Stimmung im Kopf der Figur gut untermalt. Wobei ich denke, dass "aus" und kurzdarauf "hinaus" etwas überflüssig klingen. Da könnte sich eins von beiden gespart werden, da zu sehr das Gefühl von "herausschauen" aufkommt und in meinem Kopf streckt die Figur dabei schon regelreicht den Kopf aus den Vorhang aus Wasser.

Furcht und Erstaunen rangelten hinter meinen Augen um die besten Plätze, nach draußen schauen zu können.
Die Vorstellung hat mir sehr gefallen, da es beleuchtet, mit welchem Blick eine Situation beäugt wird.

Während er mich fragend ansah, wirkte es, als würde der Regen die Farbe aus der langen, vor Nässe triefenden Mähne des Neuankömmlings herauswaschen. Aber es war nur der natürliche Alterungsprozess, der das Haar grau und schließlich weiß werden ließ.
Dieser Satz bestärkt die Schnelligkeit, mit welcher das Wesen altert und wurde hier wunderbar in die Szenerie eingebaut. Das hat mir sehr gefallen!


Einige Sätze kamen allerdings nicht so ganz bei mir an:

Das Geschöpf reckte sich wie ein gebogener Zeigefinger nach oben und erstarrte. Es zeigte auf mich.
Da fällt es mir einfach schwer "reckte" und "gebogener" unter einen Hut zu bekommen, vor allem da sie nah beieinander stehen. Es hat mich zum stocken gebracht, da ich mich bemüht habe, was für eine Bewegung das Wesen denn gerade macht. Vielleicht passen diese zwei Wörter nicht so gut zusammen, vor allem, wenn es sich ohnehin um ein relativ unbekanntes Wesen handelt.

Ich hatte mir das auch mal überlegt, aber inzwischen hatte ich keine Lust mehr auf Drama. Ich hatte zu fast gar nichts mehr Lust.
Hier verliert das innere Dilemma von dem Wartenden an der Bushaltestelle etwas an Glaubwürdigkeit. Mir erschließt sich nicht, was für eine Art von Drama er genau meint, da es im Zusammenhang mit dem Suizid steht. Das Drama was aus dem Suizid entsteht oder das allgemeine Drama, was aus seinem Leben entsteht? Ich erwarte nicht, dass stark darauf eingegangen wird, aber hier würde dem Satz etwas mehr Klarheit gut tun.


Kurzgesagt, deine Kurzgeschichte ist eine tolle Art und Weise einer Alien Begegnung, die ich so auch noch nicht gelesen habe. Sie hat mich motiviert alles zu lesen und ich wollte ab einem gewissen Punkt unbedingt wissen, was mit dem Wesen nun passiert.
Ein wenig Feinschliff macht diese Geschichte, meiner Meinung nach, zu einem gelungenem Lesespaß.

 

Hallo @Hirschkäfer !

Danke für das postive Feedback! 😄
Freut mich, dich unterhalten zu haben!

Da fällt es mir einfach schwer "reckte" und "gebogener" unter einen Hut zu bekommen, vor allem da sie nah beieinander stehen. Es hat mich zum stocken gebracht, da ich mich bemüht habe, was für eine Bewegung das Wesen denn gerade macht. Vielleicht passen diese zwei Wörter nicht so gut zusammen, vor allem, wenn es sich ohnehin um ein relativ unbekanntes Wesen handelt.
Recht hast du, habe es jetzt etwas anders beschrieben.
Hier verliert das innere Dilemma von dem Wartenden an der Bushaltestelle etwas an Glaubwürdigkeit. Mir erschließt sich nicht, was für eine Art von Drama er genau meint, da es im Zusammenhang mit dem Suizid steht. Das Drama was aus dem Suizid entsteht oder das allgemeine Drama, was aus seinem Leben entsteht? Ich erwarte nicht, dass stark darauf eingegangen wird, aber hier würde dem Satz etwas mehr Klarheit gut tun.
Der Prot hadert allgemein mit dem Leben, so war jedenfalls mein Konzept, aber habe das absichtlich vage gelassen. Ist immer so ein Balanceakt, dass man den Leser nicht mit unnötigen Details erschlägt, aber auch nicht alleine zurücklässt. Habe den Satz jetzt um eine Andeutung erweitert, mehr möchte ich nicht machen, allein schon, damit die eh schon etwas lange Einführungspassage nicht zu ausgedehnt wird.

VG
MD

 

Hallo @MorningDew

Deine Geschichte hat mir gut gefallen! Ich mag die Sätze mit Finesse die du teilweise ersonnen hast, z.B.

„Wozu macht ihr das? Nein, sag mir vorher, wie es sich anfühlt! Nein, lass es mich auch versuchen!“

„Ich verstehe, warum ihr das tut! Mit dem Gift darin provoziert ihr euren Körper zu einer Abwehrreaktion, wodurch sich euer Empfindungsspektrum erweitert!“
„Äh, ja … genau so machen wir das!“
Stilvoll😀 Deine Schreibweise ist sehr unterhaltsam

Die Gegenüberstellung des vom Leben müden Protagonisten mit "seinem Selbst" in Form des Alienklons, der nackt durch den Regen tanzt und versucht, so viel Freude und Erfahrung wie möglich in seine kurze Lebensspanne zu packen, ist dir gut gelungen.

Eine kleine Unstimmigkeit ist mir aufgefallen. Erst schreibst du:

Ich hatte mir das auch mal überlegt, aber inzwischen hatte ich keine Lust mehr auf Drama
Und zum Schluss:
Ich hatte es unzählige Male in meiner Fantasie getan
Der erste Satz macht den Eindruck, als hätte der Protagonist nur irgendwann kurz mal mit dem Gedanken gespielt, zu springen. Im zweiten Satz scheint es aber so, als wären diese Gedanken ein stetiger Begleiter gewesen.

Allgemein würde ich annehmen, dass es ein einschneidendes Erlebnis für den Protagonisten gewesen sein muss, seinen Klon, der aussieht wie er, altern und sterben zu sehen und das eine solche Erfahrung zwangsläufig eine innere Wandlung und eine neue Sicht auf das Leben nach sich zieht. Er scheint aber schnell wieder von seinen Alltagssorgen eingeholt zu werden. Vielleicht war das genau so von dir beabsichtigt.

Alles in allem eine sehr gelungene Geschichte, hat Spaß gemacht zu lesen!

Viele Grüße
MehrKoffein

 

Hallo @MehrKoffein !

Vielen Dank! :D Baut mich auf, deine Kritik :)
Vor allem, weil ne Menge Arbeit in dem kurzen Text steckt.

Der erste Satz macht den Eindruck, als hätte der Protagonist nur irgendwann kurz mal mit dem Gedanken gespielt, zu springen. Im zweiten Satz scheint es aber so, als wären diese Gedanken ein stetiger Begleiter gewesen.
Das Letzte stimmt: Der Gedanke war/ist ein alter Begleiter. Der erste Satz war nur ungünstig formuliert, habe das geändert.

Allgemein würde ich annehmen, dass es ein einschneidendes Erlebnis für den Protagonisten gewesen sein muss, seinen Klon, der aussieht wie er, altern und sterben zu sehen und das eine solche Erfahrung zwangsläufig eine innere Wandlung und eine neue Sicht auf das Leben nach sich zieht. Er scheint aber schnell wieder von seinen Alltagssorgen eingeholt zu werden. Vielleicht war das genau so von dir beabsichtigt.
Ist tatsächlich so beabsichtigt. Habe den Prot als jemanden angelegt, der allgemein mit dem Leben und der Welt hadert, vielleicht schon auf pathologische Weise. Darum sieht er immer das Negative in allem und positive Erlebnisse dringen nicht besonders zu ihm durch. Habe das Ganze surreal überspitzt, so dass er am Ende in den Bus steigt und sich wieder nur über den Regen ärgert. In der Realität wäre das natürlich eine massive Erfahrung, und zwar schon an dem Punkt, wo er den Klon heranwachsen sieht. Ein echter Mensch hätte sicher eher Reißaus genommen, statt ihm eine Kippe anzubieten, aber dann wäre das auch eine komplett andere Handlung ;)

Schönen Gruß,
MD

 

Hallo @MorningDew,

erst mal die leidige Textarbeit:


Viele Male hatte auch ich mit dieser Idee gespielt, aber inzwischen hatte ich keine Lust mehr auf Drama. Ich hatte zu fast gar nichts mehr Lust, seit ich mich damit abgefunden hatte, dass mir das Schicksal stets nur saure Äpfel in den Rachen stopfte. Der Regen hatte die Passanten von der Straße gescheucht.
Vielleicht kannst du "hatte" einsparen.

gerade, als mein Fluchtinstinkt vorsichtig die Hand hob um zusagen: Ich bin übrigens auch noch da!,
Ich finde ein Fluchtinstinkt ist zu adrenalintreibend, um nur die beschriebene, vorsichtige Reaktion hervorzurufen.


Ich schüttelte mein Bein in der Luft, als wollte ich es abwerfen.
Eigentlich tut er nicht nur so, als "wolle" er es abwerfen, er will das fiese Ding loswerden!

Befreit von dem Gewicht katapultierte ich mich in die Aufrechte
Kommt mir seltsam vor: Erstens kann das Ding nicht so sehr schwer sein, um ihn dermaßen zu unterdrücken, zweitens ist ein Mensch nicht so elastisch, dass er sich so katapultarig entspannt, drittens hört sich "in die Aufrechte" wie aus einem technischen Lehrbuch an.

Der Croissant
Das
schließlich das Kreischen eines Neugeborenen quoll daraus hervor
schließlich quoll das ...

„Wenn wir mit einer neuen Spezies Kontakt aufnehmen, dann immer erst auf physischem Wege, um deren DNA zu replizieren. Damit generieren wir einen passenden Körper für die jeweilige Umwelt.

Das ist ein guter inhaltlicher Kniff, der viel erklärt.

Wenn wir mit einer neuen Spezies Kontakt aufnehmen, dann immer erst auf physischem Wege, um deren DNA zu replizieren. Damit generieren wir einen passenden Körper für die jeweilige Umwelt. Und dann auf telepathischem Weg. Dabei nehmen wir eine Probe der Nervensignale.
Wenn ich Und "dann auf telepathischem Weg" ist der Bezug zu dem "Kontakt" schon weg.
(Als zweiten Schritt sammeln wir Informationen auf telepathischen Weg anhand der Nervensignale).
"Probe" klingt für mich nach Biopsie, passt nicht zu 'Signalen'


Ihm war aber wohl nicht danach, Zähne schon wieder zum Thema zu machen.
Schön dieser Anflug von Humor, der den veränderten Angstzustand des Protagonisten gut darstellt.

Bald würde er mein jetziges Alter erreicht haben, und danach bekäme ich eine Aussicht auf mein Gesicht im Greisenalter, wenn auch etwas verzerrt.
Da wird jemand aber schön der Spiegel vorgehalten! In diesem Moment pysisch, später auch psychisch.
„Puh, ja, also da muss ich schätzen...“
schätzen ... (Leertaste)


Ohne es zu wollen, fiel mir ein versauter Witz über zwei Eintagsfliegen ein.
Gute Idee, der absurden Situation wird ein ebensolcher Gedanke entgegengesetzt.

Schnell verstaute ich ihn wieder.
Den Witz wirklich "verstauen"?

Ich versuche es mir abzugewöhnen, weil Raucher früher...“
Ich erkannte die Absurdität meiner Ausführung.
Netter Gedankengang ... im Angesicht des Zeitraffermomentums ...

Sekunden? - hatte
Eigentlich ein Gedankenstrich, kein Minuszeichen: –

durch das rasante Wachstum hat mein Metabolismus auf Notfallchemosynthese umgestellt
Das ist gut, diese kurze, aber vielsagende Erklärung, wie das alles überhaupt geschehen kann! (So ganz rettet es die Problematik nicht, da das Wesen sich an menschlicher DNA und ihren Möglichkeiten orientiert. Vielleicht nur teilweise?).

Ich fürchtete schon, dass er die paar Meter um den Unterstand herum nicht mehr schaffen würde, zumal sein Humpeln jetzt schwerfälliger und langsamer geworden war. Doch er hatte noch die Energie eines Kindes.
Er kann ruhig kraftlos agieren, sonst passt das nicht zu:
Mit der letzten Kraft, die seine Waden noch aufzubringen vermochten,

Trotzdem war ihm das so wunderbar egal gewesen! Ich hingegen hatte viele sonnige Tage gesehen, und dennoch erschien mir mein Himmel stets bewölkt.
Tja – und hier dann der psychische Aspekt.

Hast du mal überlegt das Ganze in der Gegenwart zu schreiben? Vielleicht wirkt dann alles unmittelbarer.
Und ein letzter Wunsch: Absätze.
+

Nun, MorningDew – was soll ich sagen? Zurerst dachte ich 'oh weh, Selbstmordgedanken, das dazu schon verpflichtend schlechte Wetter, ein 'Blitzeinschlag', dann halt Monster mit ein wenig Ekeleffekt.

Aber du hast das gekonnt gemacht, erst dieser bedrohliche Aufbau, dann der Wechsel von der vermeintlichen Bedrohung zu den Erkenntnissen des Protagonisten. Schön auch der gelassene Umgang des Unzufriedenen mit solch einer Situation. Das konnte man alles gut lesen und für mich war es sozusagen 'glaubhaft' geschildert, trotz der ganzen Fiktion.

Hat mir gut gefallen, diese Stimmigkeit und der philosophische Anklang. Endlich wieder mal etwas flüssiges und trotz Selbstmord-Anklängen frisches, Neues.

Wünsche dir noch viele Leser, schade, dass der Text nicht mehr Beachtung gefunden hat.

Woltochinon

 

Hallo @Woltochinon !

Vielen Dank für das Lob! Freut mich sehr :D

Wünsche dir noch viele Leser, schade, dass der Text nicht mehr Beachtung gefunden hat.
Naja, vielleicht haben sich nicht viele aus diesem Forum auf den Text gestürzt, aber dafür ist ein Hörbuchvorleser darauf aufmerksam geworden und hat mich gefragt, ob er ihn vertonen kann :D
Hier das Resultat:
https://open.spotify.com/episode/0RnU7h2R0L3uKcoAcsa9N1?si=a9286ddc0dd2482e

Ich mache Werbung für ihn, weil er stimmlich echt was leistet und seinen Kanal gerade aufbaut :D Sind auch noch andere Geschichten aus diesem Forum vertreten. Und nein, ich verdiene nix daran ;P

Zur Textarbeit:

Vielleicht kannst du "hatte" einsparen.
Da habe ich irgendwie einen blinden Fleck. Immer übersehe ich die "Hattes", auch in anderen Texten. Danke für den Hinweis, wird überarbeitet!

Ich finde ein Fluchtinstinkt ist zu adrenalintreibend, um nur die beschriebene, vorsichtige Reaktion hervorzurufen.
Das ist so eine Gratwanderung zwischen realistischem Verhalten und der (gewollt) absurden Handlung: Wie im vorherigen Kommentar erwähnt, verhält sich mein Prot nicht wie ein echter Mensch, wenn er so ein Ding sehen würde. Ich wollte ihn nicht wegrennen lassen, weil sonst die Handlung nicht zustande gekommen wäre. Ihn gar keine Furcht empfinden zu lassen, wäre mir aber auch zu unrealistisch, darum hat er halt einen schwachen Fluchtinstinkt.

Kommt mir seltsam vor: Erstens kann das Ding nicht so sehr schwer sein, um ihn dermaßen zu unterdrücken, zweitens ist ein Mensch nicht so elastisch, dass er sich so katapultarig entspannt, drittens hört sich "in die Aufrechte" wie aus einem technischen Lehrbuch an.
Er entspannt sich auch nicht katapultartig, sondern er springt aus eigenem Antrieb nach oben. Er wurde auch nicht vom Gewicht nach unten gedrückt, sondern hat sich hingeworfen. Vielleicht ein wenig unpassend formuliert, mal sehen, ob ich was Besseres finde.

Verdammt, du hast Recht! Im Wörterbuch steht "das Croissant" Ich sage seit jeher "der". Vielleicht Lokalkolorit? Werde es trotzdem ändern.

Wenn ich Und "dann auf telepathischem Weg" ist der Bezug zu dem "Kontakt" schon weg.
(Als zweiten Schritt sammeln wir Informationen auf telepathischen Weg anhand der Nervensignale).
"Probe" klingt für mich nach Biopsie, passt nicht zu 'Signalen'
Habe es jetzt ohne "Probe" umgeschrieben. Deinen Einwand mit dem "Kontakt" verstehe ich ehrlich gesagt nicht ganz...

Den Witz wirklich "verstauen"?
Finde ich passend. Der Witz kommt ihm unfreiwillig, und sinnbildlich will er den sofort wieder wegpacken/verstecken, weil er ihm unangenehm ist.

Das ist gut, diese kurze, aber vielsagende Erklärung, wie das alles überhaupt geschehen kann! (So ganz rettet es die Problematik nicht, da das Wesen sich an menschlicher DNA und ihren Möglichkeiten orientiert. Vielleicht nur teilweise?).
Eine Notlösung, die ich nachträglich eingeschoben habe. Wäre er zu 100% menschlich, müsste er in der kurzen Zeit Unmengen essen (und wieder ausscheiden...). Das wäre zu lang geworden. Also ja, er ist teilweise ein Alien ;)

Hast du mal überlegt das Ganze in der Gegenwart zu schreiben? Vielleicht wirkt dann alles unmittelbarer.
Und ein letzter Wunsch: Absätze.
Habe tatsächlich über das Präsens nachgedacht. Weiß nicht mehr, warum ich mich dagegen entschieden habe, wahrscheinlich aus Gewohnheit. Werde ich jetzt auch nicht mehr ändern, sonst müsste ich alles nochmal neu schreiben. Aber ich behalte es fürs nächste Mal im Hinterkopf.
Mehr Absätze mach ich rein :)

Danke fürs Lesen!
VG

 

Hallo @MorningDew,

toll, dass deine Geschichte vorgelesen wurde. Der 'Fuchs' macht das echt gut (er hat aber auch einen guten Text ausgesucht ...:lol: ).
Danke für deine Erläuterungen, ist ja nicht mehr so selbstverständlich welche zu bekommen. Hier muss ich wohl noch etwas erklären:

Wenn ich Und "dann auf telepathischem Weg" ist der Bezug zu dem "Kontakt" schon weg.
(Als zweiten Schritt sammeln wir Informationen auf telepathischen Weg anhand der Nervensignale).
"Probe" klingt für mich nach Biopsie, passt nicht zu 'Signalen'
Habe es jetzt ohne "Probe" umgeschrieben. Deinen Einwand mit dem "Kontakt" verstehe ich ehrlich gesagt nicht ganz...

Du schreibst: „Wenn wir mit einer neuen Spezies Kontakt aufnehmen, dann immer erst auf physischem Wege, um deren DNA zu replizieren. Damit generieren wir einen passenden Körper für die jeweilige Umwelt. Und dann auf telepathischem Weg. Dabei tasten wir die Nervensignale ab."
Dieses: "Und dann auf telepathischem Weg" beziehe ich auf: "Damit generieren wir einen passenden Körper ..." und nicht darauf, dass es wiederum um "Kontakt" geht. (Vielleicht nur meine Sackgasse ... :bonk:).

Deshalb dachte ich, es könnte so beschrieben werden:

„Wenn wir mit einer neuen Spezies Kontakt aufnehmen, dann immer erst auf physischem Wege, um deren DNA zu replizieren. Damit generieren wir einen passenden Körper für die jeweilige Umwelt. Als zweiten Schritt sammeln wir Informationen auf telepathischem Weg. Dabei tasten wir die Nervensignale ab."

Dann ist "Und dann auf telepathischem Weg." auch ein vollständiger Satz.

Den Witz wirklich "verstauen"?
Finde ich passend. Der Witz kommt ihm unfreiwillig, und sinnbildlich will er den sofort wieder wegpacken/verstecken, weil er ihm unangenehm ist.
Okay - so gesehen ... ja, das kauf ich!


Und das muss ich noch anmerken:

Furcht und Erstaunen rangelten hinter meinen Augen um die besten Plätze, nach draußen schauen zu können.

Schon lange keine so originelle Formulierung mehr entdeckt!

L G,


Woltochinon

 

Hi nochmal @Woltochinon ,

"Und dann auf telepathischem Weg" beziehe ich auf: "Damit generieren wir einen passenden Körper ..." und nicht darauf, dass es wiederum um "Kontakt" geht. (Vielleicht nur meine Sackgasse ...
Achsoooo 😅
Jetzt hab ich die Passage aber schon umgeschrieben... egal, ich lass es jetzt einfach so 😁

Schon lange keine so originelle Formulierung mehr entdeckt
Hehe, danke auch dafür! ☺️

Schönen Abend!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hello @MorningDew, ein amüsant-skurriles Ding hast du abgeliefert und ich habe mich gut damit unterhalten, ohne die lebensphilosophischen Aspekte zu übersehen (wie ich vermute).
Wie die Alternative zu Miesepetrigkeit und Existenzmüdigkeit aussehen kann, selbst wenn da kaum Zeit und Chancen sind etwas zu erleben. Neugier und Sich-einlassen. Das begegnet sich schön.

Die Zitate fürs Kommentieren habe ich während des ersten Lesens gepflückt, zeugen also von meiner Auffassung der Geschichte am jeweiligen Punkt; dadurch werden auch die Schwierigkeiten deutlich, die ich anfangs mit deinem Text hatte.
Der Ton und Duktus anfangs weisen nämlich keineswegs darauf hin, was das für ein absurder, skurriler Ritt werden wird, und vielleicht könntest du das ändern. Einen Vorschlag dazu habe ich. Gibt sicher auch andere Lösungen.
Anfangs klingt es nach einer 'ernsten' Geschichte.
Aber der Reihe nach.

Die Straße ertrank unter reißenden Bächen.
Wäre es nicht eher so, dass sie in den Bächen ertrinken müsste? Auch wenn es schon stimmt, dass sie unter ihnen ist?

Die Stadt war immer noch zu geizig für ein höheres Geländer gewesen.
Holprig. Ich weiß, was du meinst. Immer noch gab es da kein höheres Geländer. Es scheiterte am steten Geiz der Stadt.

Darum konnte manch ein Selbstmörder den Abhang anderweitig nutzen und war genau von dieser Stelle aus zu seinem letzten Flug gestartet.
Aus Sicht des Selbstmörders wird der Abhang ja gerade richtig genutzt. Natürlich ist klar, aus welcher Perspektive das stimmt. Dennoch meine ich, das anderweitig kann weg:
Darum konnte manch ein Selbstmörder den Abhang nutzen und war genau von dieser Stelle aus zu seinem letzten Flug gestartet.

Plötzlich flammte der Himmel auf.
...
Ein Donnerschlag, nein, eine Explosion rammte mir eine Druckwelle in die Ohren.
Ich zuckte zusammen, mein Puls raste.
...
Meine Trommelfelle sirrten, mehrere Sekunden lang, so dass ich das Prasseln des Regens kaum noch hörte.
Der Blitz musste in unmittelbarer Nähe eingeschlagen sein! Wie knapp war ich dem Ende entkommen?
Ich sah mich um.
Neben dem Unterstand, da, wo der Bürgersteig aufhörte und das Gestrüpp anfing, war ein Krater.
Er maß vielleicht einen halben Meter im Durchmesser und war vorhin eindeutig noch nicht dagewesen.
Inmitten eines Rings aus frisch aufgeschüttetem Erdreich klaffte das Loch.
Und hier kommt, was ich eingangs meinte. Ab hier wirds skurril und abgedreht. Die zitierte Passage eignet sich außerdem (leicht geändert) für den Einstieg in die Story, und es geht gleich zur Sache.
Ich sehe auch, dass die Anfangssequenzen wichtig sind, um den Erzähler zu zeigen, seine miesepetrige Haltung zur Welt usw., die bekommt ja gleich das Gegenüber.
Man könnte den Teil aber -- falls dir so eine Struktur zusagt -- als kleinen Rückblick nach dem Krater im Boden zeigen. Dann hättest du auch einen Cliffhanger.

Rauchschwaden stiegen daraus hervor und taumelten zwischen den Regentropfen in die Höhe.
Gefällt mir hervorragend, coole Formulierung!

Der Starkregen verwischte die Sicht, doch da war es wieder: Eine längliche, graue Kreatur bog und wandte sich über den Rand des Lochs. Es war ein Wurm – nein, eine Raupe! Eine hässliche, fette Raupe!
Das Geschöpf reckte sich wie ein gebogener Zeigefinger nach oben und erstarrte.
Da fragte ich mich, wie groß diese Raupe ist.

Gerade, als mein Fluchtinstinkt vorsichtig die Hand hob um zusagen: Ich bin übrigens auch noch da!,
Ein so dezenter Fluchtinstinkt ist extrem unwahrscheinlich. Außer man hat vorher 12 Bier getrunken. Und jetzt wird der Ton der Story 'witziger'; bis hierher hätte das immer noch eine 'ernste' Horror-Fiction-Story werden können.

Wie eine Flipperkugel schnellte sie im Zickzack über den Boden, um die Stütze des Unterstandes herum, stieß gegen meinen rechten Schuh und verschwand in meinem Hosenbein.
Schön formuliert, aber auch schon sehr exaltiert beschrieben.

Das Ding näherte sich meinen sensiblen Körperregionen.
Und diese pikierte Umschreibung passt dann in nichts mehr rein. Nicht in den noch-nicht-ganz-ausgeschlossenen SF-Ton, aber auch nicht zum legeren Stil des Protagonisten.

Ich warf mich auf den Boden und zappelte wie ein auf dem Rücken liegender Käfer, der in eine heiße Pfanne gefallen war.
An dieser Stelle und auch an einigen weiteren dachte ich, es wäre vielleicht besser, den Ich-Erzähler gegen einen Personalen zu tauschen (oder auktorial zu schreiben). Denn so Wahrnehmungen wie die oben kommen aus einer Außenansicht (man sieht sich selbst nicht zappeln, aber einen anderen, den sieht man, wenn er das tut). Und ohne den Ich-Erzähler hättest du wirklich die Gelegenheit zu humoristischer Distanz.

Zum Glück an meinen Juwelen vorbei, über den Hosenbund hinweg und an meiner Flanke hinauf.
Die Juwelen ... offen gesagt, ist das so daneben an der Stelle, in der Situation, dass ich empfinde, es ist zu weit daneben. Denn ich stelle mir das so scheußlich vor, dass mir dieser relativierende Juwelenwitzausdruck niemals in den Sinn käme, wenn ich es beschreibe, nachdem es mir passiert ist. Auch hier dachte ich wieder, dass der Ich-Erzähler das Problem ist.

Ich tastete meinen Hinterkopf ab, ob die Kreatur ein Loch hineingebohrt hatte.
Grauslich.

war er zu einem Säugling herangewachsen.
Schön

„Ich bin ein Entdecker vom Planeten Ghdsddfkzebejjlmdrkldt...“
Ja, und jetzt ist es natürlich klar, das ist Ulk. Macht nix. Ich mag das, was mir aber fehlte, ist der Hinweis darauf an einer deutlich früheren Stelle ... in dieser Story hätt ich das besser gefunden, da stört mich der Wechsel der Textfarbe zu einem doch recht späten Zeitpunkt, sozusagen vom tristen Selbstmordkandidaten zum angstfreien sich-um-die-Kronjuwelen-Sorgender ;)
--
Danach habe ich eine weite Strecke nichts mehr zitiert. Das läuft eben so flüssig durch ab hier, zu kritisieren gab es nichts, und nun passt auch alles zueinander. Liest sich gut, ist elegant geschrieben und allmählich dämmert durch, dass dein Text auch ein Thema hat, unter dem Ulk.

Ich fluchte leise und ermahnte mich, beim nächsten Dreckswetter nicht wieder meinen Schirm zu vergessen.
Da hat der Protagonist wieder was gelernt ,)

Trotzdem war ihm das so wunderbar egal gewesen!
Tatsächlich brauchst du das nicht extra zu sagen. Das ist etwas, was man auch mir manchmal vorwirft: Dem Leser noch eine Interpretationshilfe am Schluss reinzuschreiben.

Ich hingegen hatte viele sonnige Tage gesehen, und dennoch erschien mir mein Himmel stets bewölkt.
Auch das brauche ich nicht. Ist sonnenklar, was in deinem Text steckt, glaub mir ;)
Fazit ist klar, schön durchdachter Plot, gut geschrieben, unterhaltsam, einige schöne Formulierungen. Der Anfang zu lang und zu lang unklar, dass das hier so abgedreht wird.
Geht mir zumindest so.
Thema und Pointe gelungen.

Vielleicht magst du dran noch was schrauben ...

Gruß von Flac

 

Hallo @FlicFlac !

Danke fürs Lesen, die Komplimente und die Kritik! :D

Habe nochmal drübergelesen und auch gemerkt, dass der Ton vom Anfang nicht zum Rest passt. Tatsächlich wusste ich zu Beginn des Schreibprozesses noch gar nicht, wie abgedreht es werden würde, ist dann einfach so passiert. Finde den Anfang inzwischen auch etwas zu langatmig. Höre ich öfter, dass der Ton meiner Texte nicht immer einheitlich ist, daran feile ich gerade. Bin geneigt, den Anfang nochmal komplett neu zu schreiben.
Einen Cliffhanger im Intro einzubauen habe ich in meiner letzten Geschichte sogar gemacht, die war aber deutlich länger. Bei so einer Kurzen müsste ich echt überlegen, wie ich das hinkriege.
Ich lass die Idee mal sacken, finde sie aber nicht schlecht.

Wäre es nicht eher so, dass sie in den Bächen ertrinken müsste? Auch wenn es schon stimmt, dass sie unter ihnen ist?
Weiß nicht. "Unter" klingt für mich runder.

Holprig. Ich weiß, was du meinst. Immer noch gab es da kein höheres Geländer. Es scheiterte am steten Geiz der Stadt.
Finde deinen Vorschlag gut, baue ich ein :D

Aus Sicht des Selbstmörders wird der Abhang ja gerade richtig genutzt. Natürlich ist klar, aus welcher Perspektive das stimmt. Dennoch meine ich, das anderweitig kann weg:
Ist was dran, ich streiche das Wort.

Gefällt mir hervorragend, coole Formulierung!
Danke :D

Und diese pikierte Umschreibung passt dann in nichts mehr rein. Nicht in den noch-nicht-ganz-ausgeschlossenen SF-Ton, aber auch nicht zum legeren Stil des Protagonisten.
Kommt der Prot denn so leger rüber? Habe ihn mir nicht als vulgären Menschen vorgestellt, eher das Gegenteil, deswegen hab ich nicht Eier oder Klöten geschrieben :shy: Ok, ich lass ihn vorher "Scheiß Leben" sagen, aber das ist man eher gewohnt.
Aber ich sehe schon, das ist wieder die Sache mit dem Ton.

Da fragte ich mich, wie groß diese Raupe ist.
Größer als eine gewöhnliche Raupe. Habe ich mit dem Wort "fett" angedeutet, kommt aber wohl nicht deutlich rüber. Mache sie außer fett noch "riesig".

Tatsächlich brauchst du das nicht extra zu sagen. Das ist etwas, was man auch mir manchmal vorwirft: Dem Leser noch eine Interpretationshilfe am Schluss reinzuschreiben.
Ja, die Stelle fand ich schwierig. Ganz so schnell wollte ich den Prot auch wieder nicht ins Alltagsleben zurückfallen lassen. Also grübelt er ein wenig über das Erlebte nach. Vielleicht sollten seine Gedanken sinnbildlicher sein, nur fällt mir spontan nix Passendes ein...

So oder so, dein Input hilft mir weiter :D

VG

 

Guten Morgen, @MorningDew!

Ich wollte noch etwas beitragen zum Thema Ende.

Ja, die Stelle fand ich schwierig. Ganz so schnell wollte ich den Prot auch wieder nicht ins Alltagsleben zurückfallen lassen. Also grübelt er ein wenig über das Erlebte nach. Vielleicht sollten seine Gedanken sinnbildlicher sein, nur fällt mir spontan nix Passendes ein...
Ja, sinnbildlich-bildlicher. Die (konkreten) interpretierenden Sätze ersetzen durch Fragen und Bilder.
Die beiden interpretierenden Sätze (rot), die ich ändern oder streichen würde:

Als ich einen freien Sitz suchte, dachte ich nochmal an meinen Klon und dass er nicht lange genug existiert hatte, um je den Sonnenschein kennen gelernt zu haben.
Trotzdem war ihm das so wunderbar egal gewesen!
Ich hingegen hatte viele sonnige Tage gesehen, und dennoch erschien mir mein Himmel stets bewölkt.
Vielleicht würde ich eines Tages meinem Klon folgen, einfach losfliegen vom Rand der Klippe und mich auflösen im Regen.
Das Rote ist wie 'das Thema erläutern'. Zu direkt hingestellt.
Ich habe kurz eine eigene Version eines Endes entworfen. Ich bin damit nicht zufrieden, kann aber damit verdeutlichen, was ich meine, mit Bildern und Fragen statt Interpretation:

Ich suchte einen freien Sitz und dachte an meinen Klon. So unendlich kurz war sein Leben gewesen, die Sonne hatte er nie gesehen.
Eines Tages würde ich ihm folgen, würde losfliegen vom Rand der Klippe und mich auflösen im Regen. Woran könnte ich mich erinnern, fragte ich mich, wenn es so weit war? Welche Himmel hätte ich gesehen?

... nur so ungefähr ... geht sicherlich besser ...

Er drückt sich ja auch schon anfangs bildhaft aus:

Ich starrte aus dem Unterstand der Haltestelle auf den Vorhang aus Wasser
seit ich mich damit abgefunden hatte, dass mir das Schicksal stets nur saure Äpfel in den Rachen stopfte.

Daher, why not?

Gruß von Flac

 

»Würde« ist die konditionale Form von dem, was einer ist.... «
Karl Kraus

Ah, vier Minuten werd ich wohl aufbringen, @ MorningDew, und was ich zu mosern hab betrifft nix, was falsch wäre, aber warum die Kopie anglo-amerikanischer Schreibkunst, wenn das Deutsche im keineswegs würdelosen Indikativ (Futur) bleiben kann wie bereits hier, wenn der Fahrplan i. d. R. befolgt wird ...

Noch fünf Minuten, bis der Bus kommen würde.
und der Zweifel – der da im Konjunktiv, ob potentialis oder irrealis - Jacke wie Hose -, mitschwingt und dann noch als Kopie des angloamerikanische would -
als kennte das Englische keine Möglichkeitsform
Aber wie „würdestu“ den Anfang der englischen Hymne interpretieren, wenn da keineswegs ein durch aus grammatisch korrektes „God saves the King“ stünde? Fast jJedes würde ist ein Wort zu viel, finde ich (wohlwissend, dass mancher den Beitrag hier als einen zu viel ansehen kann (oder doch könnte und noch wahrscheinlicher „wird“) – aber zum Glück wird ja nicht die Warnung
Ich steckte mir eine Kippe an. Raucher sterben früher, warnte mich die Zigarettenschachtel.
nicht mal in indirekter Rede = Konj. I missbraucht.

Schau ich mal, wo sich würde-Konstrukte verhindern lassen ...

Als würde die Kälte nicht schon reichen!
(als reichte die Kälte nicht schon)

Wahrscheinlich würde ich durch die wenigen Schritte, die ich gleich unter freiem Himmel zur Bustür würde gehen müssen, schon bis auf die Haut durchnässt werden.
würde lässt sich hier leicht zu einem werde korrigieren und das zweite gar ganz wegfallen,
also
etwa „Wahrscheinlich werde ich durch die wenigen Schritte, die ich gleich unter freiem Himmel zur Bustür gehen muss, schon bis auf die Haut durchnässt werden."

Bei schönem Wetter hätte ich mich vielleicht kurz umgedreht, um einen Blick durch die Rückwand aus Plexiglas zuwerfen, hinunter auf das Panorama mit der Rheinbiegung.
„zu werfen“, einen Ball kannstu - wem auch immer - zuwerfen

Immer noch gab es da kein höheres Geländer, es war am Geiz der Stadt gescheitert.
Hm, ich weiß nicht, aber ein – wenn auch nicht allzu hohes – Geländer gibts doch und mal ganz nüchtern betrachtet, ob es nicht eher die Haushaltslogik und der Wunschzettel des Wahlvolkes statt des Geizes ist ... Was wäre mit 'ner Spende?

Rauchschwaden stiegen daraus hervor und taumelten zwischen den Regentropfen in die Höhe.
Schönes Bild!

Hier lässt sich auf alle Fälle ein würde vermeiden aufgrund des verschwiegenen „als (ob)“

Das Ding hatte keine erkennbaren Augen, und doch war mir, als würde es mich mit seinem Blick fixieren.
„…, und doch war mir, als fixierte es mich mit seinem Blick.

Bald würde er mein jetziges Alter erreicht haben, und danach bekäme ich eine Aussicht auf mein Gesicht im Greisenalter, …
„Bald“ verweist auf die Zukunft, warum also nicht schlicht „bald wird er mein … erreicht haben ….

„Nee, das ist eigentlich was Schlechtes. Ich versuche es mir abzugewöhnen, weil Raucher früher…“
direkt am Wort behaupten die Auslassungspunkt, dass da mindestens ein Buchstabe fehle – was nicht der Fall ist. Also ein Leerstelle zwischen früher und den Punkten ...

Ich fürchtete schon, dass er die paar Meter um den Unterstand herum nicht mehr schaffen würde, zumal sein Humpeln jetzt schwerfälliger …
vielleicht besser, auf jeden Fall sparsamer:
Ich fürchtete schon, dass er die paar Meter um den Unterstand herum nicht mehr schafft, zumal sein Humpeln jetzt schwerfälliger …

Vielleicht würde es den Aufprall auf dem Fluss gar nicht mehr mitbekommen, denn bei seinem Alterungstempo dürfte es ohnehin nur noch Sekunden gehabt haben.
Vielleicht bekommt es den Aufprall auf dem Fluss gar nicht mehr mit, denn ...

Würde Wird mein Klon genauso schnell verwesen, wie er herangereift war?

Außerdem würde der Bus gleich kommen. Es würde nicht mal mehr für eine Kippe reichen.
„wird“, statt würde

Vielleicht würde ich eines Tages meinem Klon folgen, einfach losfliegen vom Rand der Klippe und mich auflösen im Regen.
„Vielleicht“ hält das Futur „vielleicht wird …“ offen

Wie dem auch wird,

gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo @MorningDew,

@FlicFlac (sei gegrüßt):

Der Ton und Duktus anfangs weisen nämlich keineswegs darauf hin, was das für ein absurder, skurriler Ritt werden wird, und vielleicht könntest du das ändern. Einen Vorschlag dazu habe ich. Gibt sicher auch andere Lösungen.
Anfangs klingt es nach einer 'ernsten' Geschichte.

Habe nochmal drübergelesen und auch gemerkt, dass der Ton vom Anfang nicht zum Rest passt. Tatsächlich wusste ich zu Beginn des Schreibprozesses noch gar nicht, wie abgedreht es werden würde, ist dann einfach so passiert.
Seltsam - diese Peripetie, dieser plötzlich Umschwung im Erlebten (in diesem Fall hin zum Skurrilen) fand ich besonders reizvoll. Außerdem entspricht das der alltäglichen Erfahrung: Überraschende Dinge kommen unerwartet, deshalb ist man nicht auf sie vorbereitet ...:D

Zum Glück geht es meistens ohne Loch im Kopf aus.


Beste Grüße,

Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @Woltochinon!

Seltsam - diese Peripetie, dieser plötzlich Umschwung im Erlebten (in diesem Fall hin zum Skurrilen) fand ich besonders reizvoll. Außerdem entspricht das der alltäglichen Erfahrung: Überraschende Dinge kommen unerwartet, deshalb ist man nicht auf sie vorbereitet

Der Punkt: Es geht nicht um den Umschwung im Geschehen. Das meinte ich nicht. Ich meinte den Tonfall -- manche nennen das den 'Farbton' des Texts.
Ich war mal bei einer Lesung mit vielen anderen, und direkt vor mir war jemand, der todtraurige Texte über Verlust und Trennung vorlas. Stille und Betroffenheit im Saal. Danach kam ich mit humoristischen Geschichten. (keine Ahnung, warum die Veranstalter diese Reihenfolge geplant hatten). Dieselben Geschichten hatte ich ein paar Wochen vorher woanders gelesen und die Leute hatten gelacht, an vielen Stellen. Dort blieb es totenstill. Die ganze Zeit, 25 Minuten humoristische Texte und ein Publikum, das schwieg. Kein einziger Lacher. Die Stimmung war eingefärbt und es konnte sich keiner mehr (so meine Theorie) vorstellen, dass das lustig sein konnte, jeder schien auf das Tragische zu warten, keiner traute sich zu lachen, weil das ein Fehler sein könnte und man sich damit blamiert. Es war krass.

Dennoch, ich würde auch nicht sagen, dass der Text deshalb schlecht ist. Und wenn es für dich reizvoll ist, dann sieht man halt wieder, das Geschmack unterschiedlich sein kann ;)

Gruß von Flac

Außerdem entspricht das der alltäglichen Erfahrung: Überraschende Dinge kommen unerwartet, deshalb ist man nicht auf sie vorbereitet
ps: Vielleicht ist das ein 2. Punkt: Das alles erzählt ein Ich-Erzähler im Imperfekt (und der weiß natürllich stets, was als Nächstes kam). Es gibt mehrere Stellen, wo das nicht ganz passt, daher ergab sich die Überlegung, eine personale oder auktoriale Sicht könnte sich eignen.

 

Hallo @Friedrichard ,

danke fürs Lesen!
War mir gar nicht bewusst, wie viele "würdes" ich verbaut habe :schiel:
Aber hast Recht, ohne liest sich das noch flüssiger.
Ich lass es diesmal so stehen, ist aber etwas, worauf ich beim Schreiben eines neuen Textes aktiv Acht geben würde werde :P

direkt am Wort behaupten die Auslassungspunkt, dass da mindestens ein Buchstabe fehle – was nicht der Fall ist. Also ein Leerstelle zwischen früher und den Punkten ...
Vermaledeit nochmal! Dabei pass ich darauf immer auf, seit du das schon in einem älteren Kommentar erwähnt hast. Asche auf mein Haupt!

„zu werfen“, einen Ball kannstu - wem auch immer - zuwerfen
Beim Übertragen des Textes ins Forum hat der Computer irgendwie alle paar Worte ein Leerzeichen gelöscht, kein Plan, warum. Musste ich alle in mühsamer Kleinarbeit wieder einfügen, das hier hab ich wohl übersehen.

Hm, ich weiß nicht, aber ein – wenn auch nicht allzu hohes – Geländer gibts doch und mal ganz nüchtern betrachtet, ob es nicht eher die Haushaltslogik und der Wunschzettel des Wahlvolkes statt des Geizes ist
Das überlasse ich der Interpretation des Lesers ;)

Schönes Bild!
Danke :D

Hi nochmal @FlicFlac ,

Ich suchte einen freien Sitz und dachte an meinen Klon. So unendlich kurz war sein Leben gewesen, die Sonne hatte er nie gesehen.
Eines Tages würde ich ihm folgen, würde losfliegen vom Rand der Klippe und mich auflösen im Regen. Woran könnte ich mich erinnern, fragte ich mich, wenn es so weit war? Welche Himmel hätte ich gesehen?
... nur so ungefähr ... geht sicherlich besser ...
So schlecht finde ich deinen Vorschlag nicht, ist jedenfalls eine gute Orientierungshilfe, danke! :D

Über das Ende gehe ich vielleicht nochmal drüber, genau wie über den "im Ton vergriffenen" Anfang für den Feinschliff, mit deinen Tipps im Hinterkopf.

Grüße,
MD

 

Hallo @FlicFlac,

Der Punkt: Es geht nicht um den Umschwung im Geschehen. Das meinte ich nicht. Ich meinte den Tonfall -- manche nennen das den 'Farbton' des Texts.
Danke für deine Erläuterung! Jedenfalls ist deine Anmerkung über den Tonfall ein beachtenswerter, konstuktiver Hinweis. Vielleicht ist es eine interessante Aufgabe einen Text zu schreiben, der die gesamte Palette der Farbtöne verwendet.

Die von dir geschilderten 25 Minuten müssen ziemlich unangenehm gewesen sein ... kann man den genannten Text hier lesen?

Dennoch, ich würde auch nicht sagen, dass der Text deshalb schlecht ist. Und wenn es für dich reizvoll ist, dann sieht man halt wieder, das Geschmack unterschiedlich sein kann ;)
So hatte ich dich auch nicht verstanden. Jedenfalls mal eine ungewöhnliche Art der Behandlung der Suizidthematik.

Vielleicht ist das ein 2. Punkt: Das alles erzählt ein Ich-Erzähler im Imperfekt (und der weiß natürllich stets, was als Nächstes kam). Es gibt mehrere Stellen, wo das nicht ganz passt, daher ergab sich die Überlegung, eine personale oder auktoriale Sicht könnte sich eignen.

Auktorial kann ich mir gut vorstellen, ich hatte mal Präsenz als Zeitform vorgeschlagen.

LG,

Woltochinon

 

Hi nochmal @Woltochinon , hi @FlicFlac ,

Auktorial kann ich mir gut vorstellen, ich hatte mal Präsenz als Zeitform vorgeschlagen.
Habe beide Vorschläge gesehen und lasse mir tatsächlich durch den Kopf gehen, ob ich zumindest eins von beiden beim Überarbeiten verwende. Schwanke noch. Tendiere momentan eher zum Umschreiben ins Präsenz, weil ich den Ich-Erzähler gerne behalten möchte. Ich will, dass man den Prot möglichst nah und persönlich erlebt.

VG

 

Hi @MorningDew,

Ich-Erzähler im Präsens ist eine Möglichkeit. Allerdings solltest du den Text dann genau anschauen. MMn sollten dann einige Formulierungen anders ausfallen. Weil sie Außenansicht sind oder/und weil sie im Präsens unnatürlich klingen. Für beides ein Beispiel:

Ich schrie und hyperventilierte gleichzeitig.
Im Präsens: Ich schreie und hyperventiliere gleichzeitig.

Außenansicht; so beschreibt jemand einen anderen in diesem Moment: 'Er schreit und hyperventiliert gleichzeitig.'
Klingt außerdem unnatürlich, dass jemand ad hoc solche 'Fachausdrücke' denkt, wie 'hyperventilieren'.
Müsste also so sein: 'Ich schreie, bekomme kaum noch Luft.'
(Dabei fällt mir noch auf, dass es schwer sein dürfte zu schreien, ohne Luft).

Ich warf mich auf den Boden und zappelte wie ein auf dem Rücken liegender Käfer, der in eine heiße Pfanne gefallen war.
Ich werfe mich auf den Boden und zappele wie ein auf dem Rücken liegender Käfer, der in eine heiße Pfanne gefallen ist.

Das Rote ist eher eine Außenansicht (er sieht sich ja nicht selbst da zappeln).
Das Blaue klingt unnatürlich, weil jemand, der gerade auf dem Boden zappelt, nicht im selben Augenblick (im Präsens) in Metaphern denkt (außer vielleicht Friedrich Schiller). So beschreibt man im Rückblick (Imperfekt, wenn's dann länger her ist).

Diese 'Probleme' hast du mit dem auktorialen Erzähler nicht, aber klar, die Distanz ist dann größer.

Gruß von Flac

 

@FlicFlac :

Jaha, das wird nicht so einfach, wie ich mir das vorgestellt habe 😅 Da werde ich mehr als nur einen Abend dran sitzen

VG

 

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