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Virus

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30.09.2005
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Virus

Nervös saß Uni auf seinem Stuhl und wartete darauf, dass er aufgerufen wird.
In letzter Zeit war er oft hier gewesen und jedes Mal unbefriedigt nach Hause gegangen.
Wie viel Zeit er schon in diesem Raum verbracht hatte, endlose Minuten und Stunden, die ihm nichts und Niemand wiedergeben konnte.
Immer, wenn er diesen Ort verließ, sagte er sich, dass er sich beim nächsten Mal eine Beschäftigung mitnehmen würde, aber bisher hatte er es immer vergessen, und so saß er nun da und starrte an die Decke mit ihren kleinen Rissen und Löchern.
Er versuchte, seine Gedanken abschweifen zu lassen, zu einem schöneren Ort, an die sorglosen Tage seiner Kindheit, doch er schaffte es nicht, diese unterschwellige Angst abzulegen, sie überlagerte ihn wie ein modriges Tuch, und bei jedem Atemzug schmeckte er dessen Fäulnis auf seiner Zunge. Er hatte Angst um sein Leben.
Die Lautsprecher knackten, und eine gelangweilte, männliche Stimme forderte ihn auf, sich in Zimmer Acht zu begeben.
Das Gesicht zu dieser Stimme hatte er noch nie gesehen, aber er fragte sich, wie oft er sie noch würde hören müssen, bis dies hier endlich vorbei war.
Er stand auf und begab sich zu Zimmer Acht, es lag links den Flur hinunter. Eine ganze Weile musste man gehen, und trotz der guten Beleuchtung fühlte er sich, als würde er eine Höhle betreten, die er nie mehr verlassen würde.
Als er das Zimmer betrat, wartete der Doktor bereits auf ihn. Ohne ein Wort zu sagen deutete er ihm, Platz zu nehmen.
Uni ließ sich auf den schweren Stuhl fallen und blickte den Doktor ängstlich und erwartungsvoll an.
Der Doktor war schon etwas älter, wirkte aber keineswegs gutmütig, sondern einfach nur alt.
Verrunzelt, tiefe Krater zogen sich durch seinen Körper, man konnte meinen, er wäre bereits Millionen von Jahren alt.
Uni hatte sich beim ersten Mal gedacht, dass an der Freundlichkeit eines Arztes kaum seine Kompetenz gemessen werden könne, deswegen vertraute er dem Doktor voll und ganz.
„Tja…“, sagte der Doktor und blätterte in seiner Akte, die vor ihm auf dem Tisch lag, „es tut mir wirklich Leid Uni, aber ich habe so etwas wirklich noch nie erlebt. Diese Art von Krankheit ist völlig neuartig, ich habe mit Kollegen gesprochen, mir Rat eingeholt, aber keiner von ihnen hat jemals einen Patienten gehabt, der auch nur ansatzweise deine Symptome aufweist“.
Der Doktor lehnte sich zurück und sah Uni über die Akte hinweg kritisch an.
„Ich bin mir einfach nicht sicher. Wie haben nun wirklich alle notwendigen Untersuchungen gemacht“, fuhr er fort, „und ich denke, dieser Virus ist äußerst resistent. Keine von den probierten Therapien hat eine dauerhafte Wirkung erzielt.“
Das stimmte allerdings. Uni hatte unzählige, teils sehr schmerzhafte Dinge über sich ergehen lassen und jedes Mal gehofft, es würde endlich besser werden. Sie hatten versucht, das Organ zu „fluten“ und somit die bösartigen Zellen zu vernichten, sie hatten es mit Feuer probiert, mit Druck, mit Wärme, mit Kälte. Und es hatte auch gewirkt, viele der aggressiven Zellen starben ab, aber trotzdem hatten sich wieder gute angefangen zu verändern und vor allem sich zu vermehren.
„Das einzig Gute an der Sache ist“, sagte der Doktor und beugte sich zu ihm vor, „es ist wirklich nur dieses eine Organ befallen. Und Sie können gut und unbeschwert ohne es auskommen.“
„Wird das denn wirklich nötig sein? Müssen wir es wirklich entfernen?“, fragte Uni zaghaft.
„Ich fürchte, da werden wir nicht drum herum kommen“, sagte der Arzt, „momentan ist zwar nur diese Stelle befallen, aber es könnte sich auf die Dauer auch auf die anderen Organe ausbreiten, ich würde dieses Risiko ungern eingehen. Auch wenn mir das alles völlig fremdartig ist, halte ich dies doch für die beste Lösung.“
„Ich verstehe das alles nicht“, sagte Uni besorgt. „Wie kann denn das passieren? So wie ich das verstanden habe, waren diese Zellen doch schon ewig lange da, und Sie haben dem Organ doch gut getan. Sie haben es quasi ‚bewirtschaftet’, sich drum gekümmert, ihm beim Wachstum geholfen. Und dann drehen sie sich langsam um und zerstören das Organ, ihren Lebensraum? Sie vernichten sich gegenseitig? Das ist doch völlig sinnfrei“, sagte er bestürzt.
„Genau diese Dinge habe ich mich ja nun auch gefragt“, erwiderte der Doktor angespannt, „aber wir haben die Zellproben eingehend untersucht und haben lediglich festgestellt, dass sie aus irgend einem Grund nicht mehr hauptsächlich gutartig sind. Zu Ihrem eigenen Wohlbefinden würde ich Ihnen raten, die Operation möglichst schnell angehen zu lassen.
Ich glaube wirklich, dass wir danach keine Schwierigkeiten mehr haben werden, Sie werden völlig schmerzfrei sein. Es ist auch kein großer Eingriff, den können wir ambulant vornehmen.“
„Also gut, ich möchte endlich, dass diese Schmerzen und diese Unsicherheit vorbei sind“, sagte Uni überzeugt. „Sie sagen ja, dass es nicht lebensbedrohlich ist, dann nehmen Sie das verdammte Ding raus, dann ist hoffentlich Ruhe.“.
„Gut, wir werden das Organ nach dem Eingriff dann noch einmal einschicken, vielleicht finden wir dann noch ein paar Antworten. Lassen Sie sich doch bitte vorne einen Termin geben und keine Angst, die Operation ist wirklich ganz harmlos.“
Der Doktor erhob sich nicht, sondern deutete nur auf den Ausgang.
Uni stand auf und verabschiedete sich etwas erleichterter.
Er ging den Gang zurück und blieb vor dem grauen Kasten am Ausgang stehen.
„Einen Termin bitte“, sprach er, und die gelangweilte, männliche Stimme machte ihm blasiert einen Vorschlag, den er zustimmend annahm.
Auf dem Heimweg dachte er darüber nach, wie wohl er sich fühlen würde, so ganz ohne das kranke Organ. Vielleicht wäre er endlich nicht mehr so kränklich, sondern strahlend wie zuvor. Er würde keine Schmerzen mehr haben und die Enttäuschung über die dämlichen Zellen wäre sicher bald vergessen.
„Wer braucht schon die verdammte Erde?“, fragte sich Universum und dann ging er fröhlich pfeifend nach Hause.

 

Ich wußte nicht genau, wo hin damit. Wenn man also der Ansicht ist, es gehört woanders hin, möge man es verschieben.

 

Hallo Sumpkuh,

lange nicht dagewesen.
Irgendwie musste ich bei deinen Beschreibungen immer an den Candirú denken, auch wenn der ja eher ein Parasit als ein Virus ist und operativ entfernt oder durch Planzenkombination aufgelöst werden kann.
Der Name ließ mich eher an Universität als an Universum denken, was dir für deine Pointe sicherlich entgegen kommt.
Diese Pointe allerdings finde ich ehrlich gesagt schwach, denn sie reißt die Geschichte zu so einer üblichen misanthropischen Weltsicht, die nichts weiter aussagt, als die Erde sei unheilbar krank und ein Störkörper im Universum. Schon wegen des Aufbaus als Pointengeschichte darf die Krankheit der Erde vorher aber eben nicht wirklich analytisch geschrieben sein, denn sonst würde der Leser ja gleich darauf kommen. Es ist also die Frage, ob die Form für Gesellschaftskritik geeignet ist. Wenn es dir allerdings gelänge, die Symptome der Erde medizinisch auszudrücken und dabei trotzdem eine politische Analyse treffend zu skizzieren, dann wäre es natürlich großartig. So bleibt es bei einer Pauschalverurteilung, wie sie vielleicht Mode ist, aber substanzlos. Die Erde als Wurmfortsatz des Universums, der gefahrlos entfernt werden kann. Eine Routineoperation.
Sprachlich finde ich den Arzt nicht wirklich ärztlich.
Auffällig der Versuch auf religösen Sprachgebrauch zu verzichten, dabei bleibt die Geschichte in gewisser Weise trotzdem kirchenreaktionär, weil es ein von außen gesteuertes unabänderliches Schicksal für die Bewohner der Erde gibt. Der Planet als Organ ist Spielball der Götter.
Auch diese inhaltliche Aussage ist strukturbedingt, da die Geschichte schon im Ansatz eine der Erde übergeordnete Entscheidungsinstanz schafft. Selbst das Universum muss zum Arzt (Schöpfer, Bewahrer oder Vernichter der Schöpfung).
Was könnte bei der Obduktion des entnommenen Organs herauskommen? Die Menschen sind nicht hauptsächlich gutartig? Das steht schon in der Bibel, ist für den Schöpfer also keine Überraschung, es gab schon mal eine Sintflut deswegen. Die Menschen zerstören das Organ? Da fehlt es an weiteren Analysen.

Ich weiß nicht, ob du es so konservativ und voller katholischer Moral haben wolltest, wenn ist dir das gelungen. Ich persönlich habe selbst als glaubender und spiritueller Mensch damit meine Schwierigkeiten.

Lieben Gruß, sim

 

Tag, Sumpfkuh.
Die wichtigsten Kritikpunkte hat ja sim schon angeführt.
Mich erinnert dieser Text an eine Prosaversion des derzeit in jeder "Klimakatastrophen"-Diskussion unweigerlich geposteten "Treffen sich 2 Planeten"-Witzes.
Persönlich habe ich ein bisschen ein Problem damit, den Menschen als Virus, Naturschädling, oder was auch immer anzusehen.
Lustigerweise ist diese Einstellung gerade im Westen bei Wohlstandsbürgern verbreitet, die sich anscheinend langweilen, auf geteerten Straßen zu fahren, medizinische Behandlung jederzeit zu erhalten und bloß den Wasserhahn aufdrehen zu müssen, um klares Trinkwasser zu bekommen, während der unschuldige Indio am Amazonas ein weitaus tolleres Leben führt.
Ich weiß nicht, aus welcher Intention heraus du den Text verfasst hast - vielleicht Zorn, weil wieder irgendwo was über die Umweltzerstörung in China geschrieben stand?
Wahrscheinlich hattest du ehrbare Absichten, aber wie das so ist: Man schießt halt leicht übers Ziel hinaus. Das Thema ist ein sehr differenziertes, das sich nicht auf "Mensch = böse" reduzieren lässt, ohne unglaubwürdig zu wirken.
Erinnert mich ein bisschen an sehr emotionale Geschichten zB über Gewalttäter, in denen der Täter hässlich, fett, arbeitslos und einfach böse ist. Sprich: Hinreißend naiv und undifferenziert. Die meisten Leser werden solche Texte nicht ernstnehmen, und die vielleicht gute Intention geht flöten.
Wie in diesem Fall.

 

Hallo Sumpfkuh!

Im Grunde ist von sim schon alles angesprochen worden. Und dem kann ich mich weitgehend anschließen. Die Geschichte ist zu oberflächlich. Dadurch wirkt sie medienhörig und schlägt in die pauschale Propagandakerbe der aktuellen Klimadiskussion (die ich persönlich so überflüssig wie schwachsinnig halte, aber da soll und muss jedem eine eigene Meinung zugestanden werden :) ). Tiefgreifender und/oder Richtung Satire, dann gewinnt die Geschichte, mE.

Beste Grüße

Nothlia

 

Hallo Sumpfkuh,

also mir hat die Geschichte - wider meinen Vorrednern - gut gefallen, liegt vielleicht auch daran, daß ich keinen "höheren Sinn" hineininterpretiere. Auch keine allzu große Intention. Ich habe sie als Pointengeschichte gelesen und sogesehen hat sie mir sehr gut gefallen, zumal ich auch eher bei dem Namen "Uni" an Universität als an "Universum" denken mußte.

Gruß
stephy

 

Salut Sumpfkuh,
-was für ein herrlich merkwürdiger Nick :lol:, aber bleiben wir beim Thema...

'Ne nette Kg, mit überaschend simplen Ende, -was ich übrigens nicht schlecht finde, bei all dem tiefsinnigen Hokuspokus auf der Kg-Seite. Erst dachte ich, Uni, wer heißt schon Uni, wie Universität? Und dann habe ich das unwichtige Organ plötzlich mit dem Herzen asoziiert, was natürlich eine schockierende, aber auch hirnamputierte Pointe hätte sein können. Naja, so schlimm ist es ja gottseidank nicht gekommen.;)

Weiterhin sind mir zwei Kleinigkeiten ins Auge gefallen:

Er versuchte, seine Gedanken abschweifen zu lassen, zu einem schöneren Ort, an die sorglosen Tage seiner Kindheit, doch er schaffte es nicht, diese unterschwellige Angst abzulegen,
Irgendwie stört mich das an ein wenig...
Seine Gedanken an die sorglosen Tage abschweifen zu lassen, klingt nach meinem Geschmack nicht besonders gut.


doch er schaffte es nicht, diese unterschwellige Angst abzulegen,
sie überlagerte ihn
wie ein modriges Tuch,
Eine Angst, die jemanden wie ein Tuch überlagert? Ein Uni ist doch kein Veilchenduft, der von dem modrigen Tuch Angst, wie von dem Geruch der Friedhofserde überlagert wird!
Das passt meiner Meinung nach nicht...


Viele Grüße
A.Merg

 

Hallo!!

Erstmal vielen Dank für`s lesen und auch kommentieren sei es denn negativ oder positiv.
tatsächlich ist die Geschichte einfach nur eine Pointengeschichte, wäre dies nicht meine Absicht gewesen, dann wäre sie mit Sicherheit um einiges länger ausgefallen.
Aber sie schwirrte mir schon lange im Kopf und musste mal "Kurz" abgetippt werden.
Natürlich hatte ich im Hinterkopf, dass es um die Erde schlechter steht als noch vor einigen Jahren (dabei denke ich an Regenwald ect. und dass zu meiner Schulzeit noch kein Lehrer Angst haben musste in die Schule zu gehen und kein Schüler seine Zukunft abschminken konnte, nur weil er hauptschüler war).
Aber wie schon gesagt, eine tiefere Aussage wollte ich gar nicht machen.
Trotzdem nochmal danke für die KOmmentare.

 

Hallo Sumpfkuh,

während des Lesens hab ich immer gespannter auf die Auflösung gewartet, welches Organ es denn nun sei und warum und weshalb. Spannung hast Du also bei mir sehr gut aufgebaut, und die Lösung am Schluss ist auch sehr befriedigend, auf einmal will man die Geschichte ein zweites Mal lesen, nämlich mit dem Wissen, dass das alles auf die Erde bezogen ist. Vielleicht könntest Du noch mehr entsprechende Andeutungen einbauen (oder hast das schon getan und mir wird es erst beim 2.Lesen auffallen.)

Ehrlich gesagt hab ich bei den ersten Sätzen noch vermutet, der Text wird mich nicht sehr ansprechen bzw. er wird nicht besonders gut sein, aber spätestens hier:

diese unterschwellige Angst abzulegen, sie überlagerte ihn wie ein modriges Tuch, und bei jedem Atemzug schmeckte er dessen Fäulnis auf seiner Zunge. Er hatte Angst um sein Leben.

war ich mir sicher, dass Du was auf dem Kasten hast, und das hat sich dann auch bestätigt :-)

 

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