Vom leeren Tank zur Mitgliedschaft
Bisher war immer alles gutgegangen. Ich war schon oft am äußeren Rand des roten Feldes meiner Tankanzeige angekommen und hatte die erschreckten Gesichter meiner Mitfahrer immer nur müde belächelt. Es ist ja nicht so, daß ich nicht tanken fahren will, ich warte nur immer auf eine Gelegenheit, an der ich an einer günstigen Tankstelle vorbeikomme, nicht unter Zeitdruck stehe und zudem noch genug Geld in der Tasche habe. Aber nein, der dritte Punkt muß nicht immer zutreffen. Ich bin inzwischen tatsächlich in der Lage, mir meine vierstellige Geheimzahl zu merken. Obwohl mich bei der Eingabe der Nummer in das kleine Gerät an der Kasse immer wieder ein unbehagliches Gefühl überkommt, ich die Nummer doch nicht richtig behalten habe und ich meine Schulden nicht bezahlen kann. Ich frage mich immer, was dann wohl passieren würde. Polizei? Spülen? Aber was gibt es in einer Tankstelle zu spülen? Aber heute hatte ich andere Sorgen. Es hatte sich wieder einmal eine solche schöne Gelegenheit nicht ergeben, vorgestern war es zu spät, gestern morgen wäre ich zu spät zur Arbeit gekommen, abends war die Tankstelle schon zu und heute morgen war es doch schon wieder verdammt noch mal so spät geworden, daß mir die Zeit zum Tanken fehlte. Inzwischen hatte sich der kleine Zeiger schon vom roten Feld entfernt und war links daneben gerutscht. Ach, das kleine Stück schaff ich noch, dachte ich, und heute abend tanke ich endlich. Dann passierte es tatsächlich. Mein sonst so liebes und tapferes kleines Auto humpelte und wurde – trotz durchgedrücktem Gaspedal – immer langsamer. Ich trieb das arme Auto an wie ein lahmendes Pferd. Erwischte mich dabei, wie ich mit meinem Oberkörper Anschwung nehmen wollte wie beim schaukeln. Nein bitte, alles, nur nicht auf der Autobahn wegen Benzinmangels stehen bleiben. Bitte, kleines Auto, tu mir das nicht an. Aber es half kein Bitten und kein Betteln. Es blieb mir nichts anderes übrig, als mein stotterndes Gefährt auf den Schotter rechts neben der Fahrbahn zu lenken, da der LKW hinter mir schon unruhig hupte. Dort saß ich dann furchtbar schuldbewußt hinter meinem Steuer und fragte mich immer wieder „Warum? Warum habe ich nicht eher getankt?“ Doch ich fand keine befriedigende Antwort. Mein Gott, ist das peinlich, wie kann man nur so blöd sein. Solche und ähnliche Vorwürfe verbanden sich mit Schlägen auf mein armes Lenkrad. Nachdem die ersten Wutausbrüche gebändigt waren, stieg ich aus meinem wackelnden Gefährt aus, denn jedes Mal, wenn ein LKW vorbeifuhr, bebte mein kleiner Wagen von dem Windstoß und ich betete, daß uns keiner dieser Kolosse aus Versehen streifte, denn besonders günstig und weit entfernt stand ich nicht gerade von der Fahrbahn. Er war wie gesagt nur ein Stück Schotter, bevor es in den Graben hinab ging. Also gut, auf zur Notrufsäule. Ich wollte immer schon mal wissen, wie so ein Gerät funktioniert. Ich hob den Hebel hoch und rief hinein. Tatsächlich antwortete eine Stimme, aber ich verstand kaum etwas, da es schrecklich laut war von den vorbeirauschenden Autos. Also fing ich an, zu versuchen, meinen Standort zu erklären. Ich suchte Schilder und brüllte die Ortsnamen in diese orange Säule, aber die Stimme fragte nur: „Haben Sie eine Panne?“ „Nein, ich hab kein Benzin mehr.“ (schäm) Ungerührt antwortete die Säule: „Ich schicke jemanden.“ Während ich mich auf den Rückweg zu meinem Auto noch fragte, wie der Mann in der Säule meine diffusen Erklärungen bezüglich meines Standortes verstehen konnte, wurde mir langsam klar, daß es ein Ding der Unmöglichkeit seien muß, auf die Erklärungen eines Gestrandeten an der Notrufsäule angewiesen zu sein, da ja nicht alle fünf Meter ein Schild mit detaillierten Erklärungen a la `Sie befinden sich hier` steht und das logische Denkvermögen, die Fahrstrecke nachvollziehen zu können, in solchen Momenten sehr eingeschränkt ist. Ich setzte mich wieder in mein Auto. Es passierte eine lange Zeit gar nichts, außer dass ich jede Sekunde die Luftverdrängung der LKW´s zu spüren bekam. Nach einer halben Stunde fuhr die Polizei an mir vorbei – und hielt einige hundert Meter weiter an. Ein Polizist kam auf mich zu und fragte mich, ob ich ein Panne hätte. Ich verneinte wie schon bei dem Notrufsäulenmann. „Ich hab kein Benzin mehr...“ Um sicherzugehen, drehte er die Zündung um, kam zu dem gleichen Ergebnis wie ich und fragte „Haben Sie einen Reservekanister?“ Wiederum verneinte ich und ärgerte mich etwas. Auch wenn ich nicht rechtzeitig den Ernst der Benzin-Lage und die Notwendigkeit des Tankens erkannt hatte, wäre ich doch in der Lage gewesen, mich an einen Reservekanister im Kofferraum zu erinnern, wenn dort einer gewesen wäre. „Dann kommen Sie mit, ich fahre Sie zu einer Tankstelle, dort können Sie einen Kanister kaufen.“ Ich wollte schon begeistert zustimmen, als mir einfiel, dass ich ja vor Ewigkeiten an der Notrufsäule Hilfe zugesagt bekommen hatte. Als ich dem Polizisten das mitteilte, sprach er auch noch mal mit der netten Säule und sagte mir anschließend „Warten Sie hier, es kommt jemand“. Ich setzte mich wieder in mein Auto und einige Lieder später erschien tatsächlich Hilfe in Form eines gelben Wagens. Ich erwiderte nochmals auf die Frage nach einer Panne mein Benzinproblem. „Solange die Polizei nicht vorbeikommt, ist das kein Problem“. „Ach, die war schon da!“ Der Engel schaute mich entgeistert an: „Sie haben ja hoffentlich nicht gesagt, dass Sie kein Benzin mehr haben!“ „Doch sicher“. Blöde Frage, soll ich ein Panne vortäuschen? Spätestens, wenn er die Zündung umdreht, sieht er doch, dass es keine ist. Das wäre ja noch peinlicher. Ich schilderte ihm, was vorgefallen war. Der Engel war verblüfft. „Da haben Sie aber Glück gehabt. Normalerweise kostet es Strafe, wenn man aus Benzinmangel auf der Autobahn stehen bleibt. Außerdem hätten Sie noch Strafe zahlen müssen, dafür, dass Sie kein Warndreieck aufgestellt haben und im Wagen hätten Sie auch nicht sitzen bleiben dürfen. Ich war verblüfft, erschrocken und beschämt. Verblüfft, weil ich dachte, zu spät zu tanken wäre schön ziemlich das blödeste, was einem passieren kann, erschrocken, weil ich wohl so ziemlich alles falsch gemacht hatte, was man im Falle einer Panne (oder sonstigem Versagen des Autos...) tun sollte und beschämt darüber, dass ich wahrscheinlich gerade alle Vorurteile gegenüber Frauen bestätigt hatte. Aber der Engel lächelte nur und füllte ein Formular aus. Ich hatte die Wahl, die Anfahrt des netten Herrn plus Benzin zu bezahlen oder Mitglied zu werden und nur das Benzin zu bezahlen. Ich war mit den Nerven so fertig, dass ich ihm wahrscheinlich auch eine Waschmaschine abgekauft hätte, also unterschrieb ich die Mitgliedschaft.
Das ist nun 5 Jahre her und ich bin immer noch Mitglied. Nein, ich bin (bisher) nie wieder aus Benzinmangel stehen geblieben, aber ich habe schon ein paar Mal die Hilfe dieses Vereins in Anspruch genommen.
Inzwischen habe ich ein Auto, bei dem erst ein rotes Lämpchen angeht und nach einigen Kilometern zu blinken beginnt. Das macht mich so nervös, dass ich so schnell wie möglich tanke. So ist mir eine solche Geschichte zum Glück nie wieder passiert. Aber beim nächsten Mal stelle ich mit Sicherheit ein Warndreieck auf und stelle mich hinter die Leitplanke. Ich habe seitdem auch immer eine Decke im Auto, es kann nämlich schrecklich, kalt, windig und ungemütlich werden, wenn man eine Dreiviertelstunde am Autobahnrand verbringt.