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Vom Schreiben

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12.11.2008
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Vom Schreiben

Wortleichen starren mich an. Sie liegen verkrümmt zwischen Satzfragmenten. Seht mich nicht so an. Ich kann euch nicht heilen, kann euch nicht ins Leben holen.
Könnte ich es, wäre ich ein Schriftsteller.
Lasst mich in Ruhe, hört ihr? Lasst mich in Ruhe! Ich kann euch nicht geben, was ihr wollt.
Ihr seid selbst schuld. Bedrängt habt ihr mich, getrieben, gequält.
Bis ich euch endlich zu Papier brachte, förmlich mit dem Stift erbrochen habe.
Doch stellt euch das zufrieden?
Nein, ihr bedrängt mich weiter.
Selbst, wenn ich euch wegsperre, einpferche zwischen Buchdeckel und im Schreibtisch begrabe, ihr schweigt nicht.
Ich kann euch spüren, wie ihr da im Dunkel lauert.
Ihr glaubt, ich bemerke es nicht, vergesse euch irgendwann.
Und dann, wenn ich nicht daran denke und wieder in das Buch schaue, seid ihr da. Springt mich förmlich an. Saugt euch an meinen Gedanken fest.
Selbst meine Träume gehören mir nicht mehr. Besitz habt ihr von ihnen ergriffen. Ihr vergiftet sie mit euren Schreien. Schreit danach, endlich ganz zu werden.
Manchmal verstummt ihr.
Doch nicht, um mich in Ruhe zu lassen. Ihr schleicht euch in meine Gedanken. Nistet euch dort ein, heimlich.
Ihr nährt euch an meiner Konzentration auf andere Dinge, bis ihr so fett seid, dass keine andere Idee mehr Platz hat.
Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe?
Eine Geschichte wollt ihr erzählen und kennt doch eure eigene Geschichte nicht. Ihr drängt euch aneinander wie Schafe im Sturm und seid doch alleine.
Ich kann euch nicht trösten.
Kann euch keinen Zusammenhalt geben.
Ich kann eure Geschichte nicht für euch erzählen.
Lasst mich doch. Bedrängt mich nicht. Gebt mir Stille.
Lasst meinen echten Gedanken Raum.
Vielleicht gibt mir die Stille Kraft genug, euch zu helfen. Also SCHWEIGT ENDLICH!

„Wann hat er das geschrieben?"
„Kurz bevor er sich die beiden Stifte in die Ohren gerammt hat."
„Wann ist er hier eingeliefert worden?"
„Vor zwei Wochen, Herr Direktor."
„Wie ist seine Anamnese?"
„Unauffällig bisher. Keine Indizien für eine psychische Störung."
„Gut. Machen Sie mit der Behandlung weiter. Mal sehen, wie er darauf anspricht. Und halten Sie ihn von Schreibutensilien fern.“
„Jawohl, Herr Direktor."

Alle sind freundlich zu mir. Das tut wohl.
Man hilft mir, nicht ich euch.
Doch das ist nicht wichtig.
Ich habe endlich Stille. Ich höre euch nicht.

 

Hi!
Deine Geschichte hat mir gefallen! Vorallem der Sprung zur Irrenanstalt hat es mir angetan.

Doch ist nicht wichtig.
Ist dir da ein Fehler unterlaufen? Das ist kein vollständiger Satz, oder ist das Absicht?
Im Anfang sehe ich einen kleinen Widerspruch: Erst sind es Wortleichen, dann sollen sie geheilt werden? Das ist nicht sehr logisch.
ihr schweig nicht.
Hier hast du ein "t" vergessen.
Sonst ist mir nichts aufgefallen. Außer vielleicht, dass ich den Anfang ein wenig zu lang und wiederholend finde, und das Ende etwas zu abrupt.
Sonnige Grüße
Cathy

 

Hallo Cathy,

vielen Dank fürs Lesen, das Lob und die Fehlersuche. Manchmal sieht man das Wort vor lauter Buchstaben nicht. :)

Ich habe die Fehler korrigiert und den Satz mit den Wortleichen ergänzt. Ich hoffe, er bekommt dadurch etwas mehr Logik.

Das dir der Sprung zur Irrenanstalt gefallen hat, freut mich besonders. Eigentlich war die Geschichte als reiner innerer Monolog gedacht. Da man mich freundlich darauf hingewiesen hat, dies gehe so auf KG.de nicht, habe ich diese Sequenz eingebaut, und den Monolog um den letzten Teil erweitert . Schön, das es so gut funktioniert hat.

Lieben Gruß
Dave

 

"Wortleichen starren mich an", ja Sätze und das Massengrab eines Textes. So geht's zu bei uns Bekloppten,

lieber Dave,

das gefällt mir, könnt' glatt von mir stammen - keine bange, bin nicht neidisch, sehen wir von der Formulierung "förmlich mit dem Stift erbrochen" ab, ach wo, selbst das nicht, schreib ja am PC - und da gibt's nix zu mäkeln (jetzt heult die Kleinkrämerseele in mir auf). Gleichwohl freu ich mich schon, dass wir uns mal in der Anstalt begegnen und dann was Verrücktes zusammen machen, und sei's auch nur, das Mobiliar zu verrücken.

Ah, wart mal, die Kleinkrämerseele macht dann doch noch'n Vorschlag, dass Du nämlich die Anrede (" Ich kann EUCH nicht heilen, kann EUCH nicht ins Leben holen. ... Ich kann EUCH nicht geben, ... Bedrängt habt IHR mich," etc.) groß schriebest, was der Einweisung sicherlich gut täte.

Und jetzt bin ich aber stille,

friedel

 
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Hallo friedel,

und vielen Dank fürs Lesen und die schöne Kritik.

Ja, manchmal frage ich mich tatsächlich, ob ich verrückt genug bin, mich als normal zu bezeichnen. :)

Bei den Anredepronomen bin ich stets hin- und hergerissen.

*Klugschwätzermodus an*
informelle Anredepronomen und ihre Possesivpronomen werden klein,
formelle Anredeunsoweiter groß geschrieben
*Klugschwätzermodus aus*

Das Pronomen im Ganzen groß zu schreiben ist ein schönes Stilmittel, wäre mir hier aber persönlich zu viel. Ausserdem:
"Wissen Sie, Herr Doktor, die Leute da auf der Strasse", sagte der Mann und zeigte auf die am Fenster Vorbeigehenden,"die sind alle verrückt."
Sprach´s und verzog sich mit seinem Schnuffeltuch in eine Ecke.

In diesem Sinne ;)

Lieben Gruß
Dave

 

Hallo Dave!

Eine tolle kleine Geschichte. Gefällt mir gut, zumal sie in ihrem Irrsinn durchaus realistisch ist. Hatte beruflich häufiger auf geschlossenen psychiatrischen Stationen zu tun. Habe mich dort mal mit einem kongenialen schizophrenen Maler unterhalten, der nicht mehr malte, weil seine Bilder ihn aufzufressen drohten. Deine Geschichte erinnert mich an ihn.

Weiter so.
Gruß
Machaczek

 

Auch die Antwort gefällt, denn was ist schon "normal", wo selbst ein Normalo (Weiterentwicklung der "Realos") sich schon mal in Haar eingewiesen findet?

Bin schon auf Deine nächste Arbeit gespann,

lieber Dave.

Gruß

friedel

 

Hallo machaczek,

vielen Dank für das Lob. Allerdings mache ich mir jetzt ein bisschen Gedanken über meinen Geisteszustand. *schiel*

Nein, ernsthaft. Das Lob freut mich ehrlich.

Lieben Gruß
Dave

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo friedel,

freut mich, dass Du auf mehr hoffst. Insbesondere, nachdem ich einige Deiner Geschichten gelesen habe. Wortgewaltig, wortverspielt, gernelesbar sind Adjektive, die mir spontan einfallen.

Nicht so wie ich (meistens, für meinen Geschmack), durch Wortruinen und Trümmersätze stolpernd, dem gelungenen Schrieb immer einen Schritt hinterher.

Genug der Selbstbemitleidung, ich muss halt noch viel lernen, auch wenn ich auf dem richtigen Wege zu sein scheine :)
(Das ist kein fishing-for-compliments, ich muss wirklich noch viel lernen.)

Die nächste Geschichten sind in der Mache, werden aber eher im Bereich SF&Fantasy anzutreffen sein.

Lieben Gruß
Dave

 

Ah, das Lob tut gut,

Dave,

aber Du weißt ja gar nicht, welche (textlichen) Leichen in meinem Schädel (nicht im Keller, wie im Flick-Flack behauptet) rumliegen. Trümmerfelder findestu auch bei mir und ich behaupte einfach, dass alles hier nur Fragmente sind, Fingerübungen, für (sinnbildlich gesprochen), das zu pfalnzende Apfelbäumchen sind. Und: ich hoffe, dass wir alle noch lernfähig sind, ich zumindest bemüh mich, zumindest so zu erscheinen (ha, ich Schauspieler). Ich bin gespannt und schau mich mal um ...

Bis dann

Friedel

 

Hallo Dave
Du hast genau meinen Nerv getroffen. Genau so sind sie, die verdammten Wortfetzen, ausgefranste Puzzleteile, immer bestrebt zusammengesetzt zu werden.

„Gut. Machen Sie mit der Behandlung weiter. Mal sehen, wie er darauf anspricht. Und halten Sie ihn von Schreibutensilien fern.“
Schöner Kontrast, kommt authentisch rüber.

Gerne gelesen, schöner Happen für zwischendurch.
Gruss.dot

 

hallo Dave,

ich fand die geschichte ganz nett, aber mehr nicht.Der Anfang zieht sich irgendwie dahin, es ist immer das Gleiche... man redet mit den wörtern, sie lassen dich nicht in Ruhe, usw... Und dann endet die KG schon , und zwar wieder einfach so, nun lassen sie dich in Ruhe...
War nicht ganz mein Fall.

mfg,

JuJu

 

Wortleichen starren mich an. Sie liegen verkrümmt zwischen Satzfragmenten. Seht mich nicht so an. Ich kann euch nicht heilen, kann euch nicht ins Leben holen.
Selbst, wenn ich euch wegsperre, einpferche zwischen Buchdeckel und im Schreibtisch begrabe, ihr schweigt nicht.

Hallo Dave,
"Wortleichen" ist der Aufreißer, anders funktioniert es nicht. Aber sind es wirklich Leichen? Eigentlich beschreibst Du ja Gespenster, oder, euphemistisch interpretiert: Seelen, die auf ihre Inkarnation warten...
Die Wiedergeburt geschieht nicht im Buch, das ist ja nur das neue Grab; die Wiederbelebung geschieht beim Schreiben, oder überhaupt: wenn sie sich einen Menschen untertan machen - womit wir dann bei der Psychose angekommen wären.
Die Vorstellung, daß Gedanken von außen kommen und nicht aus dem Hirn, ist vielen Religionen inhärent; es ist eine archaische Vorstellung, daß der Künstler immer nur Medium ist, das vermittelt, zusammenfügt, freilegt, was ist und immer schon war, und nichts Eigenes erschafft. Das ist an sich ok., pathologisch ist die Angst, die dieser Vorgang des "von außen kommens" bei Dir (oder bei Deinem Prot.) hervorruft.

Sehr eindringlich beschrieben.

Gruß Set

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo .dot, JuJu und Set,

vielen Dank fürs lesen und eure Kommentare.

@.dot: schön, dass dir die Geschichte gefällt. Ich vermute, unser Geschmack hat ein paar Konvergenz-Punkte (wie auch bei Angriff auf Biospace II angedeutet.) :)
Guten Appetit!

@JuJu: "nett" ist sicherlich im Zusammenhang mit dieser Geschichte interpretativ etwas gewagt :). Siehe unten.


@Set: man könnte trefflich an dieser Stelle eine Diskussion um Wahrnehmungsformen und Weltbilder starten. Solipsistisch betrachtet würde der Protagonist sich selber (aus dem Unbewußten) um Rettung anflehen. Im deterministischen Universum wäre seine Flucht egal, da seine Rettung vorherbestimmt wäre.
Grundsätzlich ging es mir um die Auseinandersetzung mit dem Gefühl des Nicht-Schreiben-Könnens, welches jeder Autor immer wieder neu kennenlernt, denke ich.

es ist eine archaische Vorstellung, daß der Künstler immer nur Medium ist, das vermittelt, zusammenfügt, freilegt, was ist und immer schon war, und nichts Eigenes erschafft.
Das fände ich etwas beängstigend, würde es doch jede Eigenbestimmung ausschließen und dem Autor die Freude am Geschaffenen zur Gänze verwehren.
Ich danke dir für deinen Kommentar, der mich zum Nachdenken angeregt hat.

Lieben Gruß euch allen
Dave

 

Hallo Nocturn

Gefällt mir irgendwie nich so. Den Autor als nur leidende Kreatur zu zeigen, dem Irrsinn nahe, finde ich doch schon grenzwertig nahe am Klischee eines längst verblichenen Künstler-Ideals. Auch die Kurve mit der Klappse hat mich nicht so überzeugt. Vielleicht liegts an meiner Einstellung zum/beim Schreiben, da vermischen sich Leid und Freud (nich der Siegmund) und es macht auch Spaß, sich Sätze auszudenken, die manchmal halbwegs eine Geschichte hergeben.
Also, zu pathetisch für meinen Geschmack, über den kann man ja streiten, aber jetzt sind wir alle auf Obama und da iss vorerst kein Streit angesacht.

Grüsse

 

Hallo Hawowi,

natürlich habe ich auch Spass beim Schreiben (sonst würde ich es ja nicht tun;) ). Diese Geschichte entstand, als ich mit der Arbeit an einer anderen Geschichte partout nicht weiterkam. Dies ging soweit, dass ich auch keine andere Geschichte anfangen konnte, weil mir die "Unvollendete" immer im Sinn herumschwirrte. In diesem Kontext betrachtet ist die Geschichte schon eine gute Zustandsbeschreibung meiner Innenwelt zu diesem Zeitpunkt. Wenn auch etwas lyrisch angehaucht :).

lieben Gruß
Dave

 

Hey Dave!

Mir war es wirklich zu lyrisch, ich will eine Kurzgeschichte mit Handlung und Figuren lesen, keinen Monolog, der Dialog sieht tatsächlich wie angeklebt aus, nur damit der Text nicht gelöscht wird. Die Sätze treffen zwar schon meinen Geschmack, aber sie sind so lose über den Bildschirm verstreut, dass ich einfach nix damit anfangen kann.

JoBlack

 

Hallo Jo,

vielen Dank fürs Lesen und die Kritik.

Wie ich schon früher geschrieben habe, war der Dialog auch eher eine "heiße Nadel" Lösung, die erstaunlicherweise bei den Meisten gut funktioniert hat.

Das die Sätze (wenn auch zu verstreut) Deinen Geschmack getroffen haben, freut mich.

Auch Monologe können Personen und Handlungen enthalten, siehe etwa "Zelle" von Kyra, oder auch "Meer der Ruhe" (das war der Werbeblock :) ) von mir.

Lieben Gruß
Dave

 

Hallo Dave,
hat mir gefallen - kurz und gut. Für die Länge des Textes sehr schön abgestimmt. Nur als innerer Dialog wär's wohl nicht so gut rübergekommen. Die neue Handlung - Dialog der Ärzte - setzt (für meinen Geschmack) genau im richtigen Moment ein. In seinem letzten Gedankengang (zum Schluss) hätte ich irgend etwas Neues erwartet, was nicht kommt. Muss auch nicht unbedingt sein.

Gruss

Elisabeth

 

Hallo Elisabeth,

danke fürs Lesen und das Lob. Freut mich, dass die Idee mit dem eingeschobenen Dialog funktioniert. Ein anderes Ende wäre gewesen, dass der Prot keine Erlösung findet. Aber ich kann ja nicht immer nur düstere Geschichten Schreiben. :)

 

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