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vom Steffl

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08.02.2006
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vom Steffl

Vom Steffl

In einem kleinen, abgeschiedenen schweizerischen Bergdorf nahe des Grimselpasses wurde einst ein Bauernjunge geboren. Es geschah zu nächtiger Zeit im Hause der Familie Resch.
Schon seit Monaten hatte das dunkelgraue Bergmassiv der schwangeren Bäuerin zugeschaut, wie sie mit dem Kinde im Bauch unter perlendem Schweiß in der Sonne den Käse gewaschen hatte. Nur in der letzten Zeit hatte sie dann nicht mehr anders gekonnt, als kürzer zu treten. Doch die Berge lugten auch dann noch durch die offenen Fenster des Bauernhauses auf die Bäuerin, die meist bei einem unangerührten, dickkrustigen Stück Brot und einem Humpen Wasser am massiven Holztisch saß oder daneben auf der Bank lag und ein nachdenkliches Gesicht machte. Das hatte sie vorher nicht oft getan. Sie hatte oft ein müdes, ein angestrengtes oder auch ein freudiges Gesicht gemacht, aber nachdenklich hatte sie nicht häufig dreingeschaut. Doch die letzten Tage hatte sie unter großer Anstrengung gegrübelt, wie das Kind, wenn es denn mal geboren war, nun nennen solle. Zu viele Namen kannte sie nicht. Zu wenige waren es auch nicht, wie sie fand. Als der Bauer mit moosbefleckter Hose vom Holzhacken in die Stube kam, fragte sie ihn, wie sie das Kind denn nur nennen könne. Der Bauer wusste nicht so recht. Er sagte sie solle ihn in ruhe lassen, er habe schwer gearbeitet und sie habe doch genug Zeit, wo sie doch immer nur noch rumsäße und eigenartig dreinschaue. Der Bauer sagte, er würde jetzt in die Schenke gehen, nahm das Stück Brot, welches immer noch unangerührt vor ihr lag, Biss mit kräftigem Ruck hinein und öffnete die Tür der Stube um zu gehen. Da sagte er noch mit vollem Munde: „Nenn es halt Steffl!“ Und sie nannten es Steffl.
Nun schauten die Berge, welche als Zuschauer in den blaugrauen Septembernachthimmel ragten, durch einen Spalt durch die Fensterläden in die erleuchtete Stube, wo die Bäuerin gerade den Steffl geboren hatte und erschöpfter denn je dreinschaute. Der Steffl schrie und der Bauer, mit freudigem Gesichtsausdruck, denn es war sein erster Sohn, ging mit dem schreienden Steffl im Arm vor das Haus. Er wollte ihm die Berge zeigen. Denn er glaubte, seinem Sohn, wo er nun da wäre, zu Belohnung für die schwere Ankunft etwas zeigen zu müssen. Der Bauer sagt: „Hier Steffl, das sind die Berge. Die sind immer da, morgen auch noch und groß sind sie noch dazu.“ Der Steffl schrie noch lauter und von drinnen schimpfte die Tante, der Bauer solle den Steffl reinholen, er würde noch krank. Da brachte der Bauer den Steffl rein, enttäuscht davon, dass das, was er dem Steffl zeigen wollte, dem Steffl nicht gefallen hatte.
Der Steffl sei ein dämliches Kind, sagte der Bauer immer. Denn der Steffl war nicht besonders geschickt bei den meisten Arbeiten, die er rund um des Vaters Hof zu erledigen hatte. Der Steffl sei gar nicht so blöd, sagte die Bäuerin manchmal. Denn der Steffl war immer recht fleißig, wenn es darum ging, in der Küche zu helfen und er schälte die Kartoffeln stets flink. Der Steffl sei kein ordentlicher Bur, sagte der Bauer einmal, als der Steffl nicht zum Grimselsee wollte und dann in der Stube saß und mit einem Apfel spielte. Die Bäuerin stimmte zu. Ein richtiger Bur, der gehe spielen, baden und sitze nicht rum. Doch der Steffl wollte nicht so recht.
Der Steffl liebte seinen Großvater sehr. Der Alte Bauer Resch arbeitete nicht mehr viel. Er meinte, er habe in seinem Leben schon genug gearbeitet. Er nuschelte manchmal durch seinen trocken-bauschigen Vollbart, dass es auch keinen Unterschied mehr mache, wenn er ein Paar Dutzend mehr Bäume fälle und einige Kühe mehr melke. Er wolle lieber sehen, wie die anderen sich schlügen.
So kam es, dass der Großvater viel Zeit für den kleinen Steffl hatte und dieser saß oft bei ihm vor dem Bauernhaus in der Sonne mit Blick auf das Dorf und den Kirchturm und eben alles, was es im Tale gab und ließ sich etwas erzählen. Er guckte auf das Tal, das weit und irgendwie lebendig war und das der Steffl nicht recht verstand. Es war eine undurchschaubare Formel, ein unerklärliche Phänomen, ein System, das er nicht durchblickte. So durchblickte er vieles nicht. Er sah, was die Dinge und Menschen taten, wie sie aussahen, wie sie rochen, aber er verstand nicht wozu das gut sein sollte. Der Großvater war nicht besonders geschwätzig und überhaupt niemand in dieser Gegend war besonders gesprächig. Man nahm die Ernte wie sie kam. Doch der Steffl stellte eben besonders viele Fragen. Der Großvater stutzte manchmal, was für eigenartige Fragen der Steffl doch stellte. Aber er beantwortete sie stets nach kurzem stirnrunzelndem Überlegen.
Der Steffl fragte zum Beispiel: „Sag Großvater, warum werden dauernd die Kühe gemolken? Sind die nicht irgendwann einmal leer?“
Der Großvater sagte darauf: „Ach Steffl, die Milch, die tut immer wieder nachwachsen.“ Der Steffl guckte darauf sehr verwundert. Er sagte, dass er nicht verstehe, was das für einen Sinn mache. Als der Vater dann mit dem schwankenden Melkeimer in der behaarten Hand wiederkehrte auf die beiden zukam, sagte er, der Steffl solle den Großvater nicht so löchern und dass er sich damit abfinden soll, denn ändern könne er es doch sowieso nicht und die Milch die würde er ja schließlich auch trinken. Also sei die Sache doch gut wie sie ist und der Steffl solle lieber etwas mehr beim Melken helfen, vielleicht würde er dann auch einmal mehr verstehen.
Einmal fragte der Steffl den Großvater, welcher gerade mit ruhendem Blick seine Pfeife stopfte, ob es schlimm sei, das er nicht so viel verstünde. Der Großvater blickte kurz auf, strich dem Steffl über sein blondes, strohiges Haar, wand sich dann wieder seiner Pfeife zu und sagte: „Schau her Steffl! Du musst nicht sofort alles verstehen. Ich erklär dir immer wieder etwas kleines und dann etwas größeres und irgendwann verstehst du vielleicht einmal alles.“ Das hörte sich gut an und gefiel dem Steffl.
Der Steffl spielte weniger als früher, denn er verstand nicht so recht, wozu es gut sein sollte. Aber er brachte dem Großvater oft ein Bier, denn er hatte verstanden, dass wenn er dem Großvater ein Bier brachte, der Großvater ihm mehr erzählte. Das leuchtete dem Steffl ein. Es war klar wozu es gut war, es war klar, warum man es tat.
Der Steffl machte die Hausarbeit so flink, weil er wusste, dass wenn er damit fertig war und sie zur Zufriedenheit der Mutter getan hatte, er beim Großvater vor dem Häusle auf der Holzbank sitzen konnte. Der Steffl machte die grobe Arbeit wie das Holzhacken nicht recht ordentlich, da er wusste, das der Vater ihn diese nicht mehr machen lassen würde, wenn er sah, wie dumm sich der Steffl doch anstellte.
Problematisch war für den Steffl, der im Gegensatz zu den Bergen von Jahr zu Jahr wuchs, dass er ohne den Großvater die Sachen nicht recht verstand. Es gelang ihm nicht, denn Sinn einer Sache alleine herauszufinden. Wenn der Großvater sprach, verstand der Steffl auch nicht alles, aber er hatte das Gefühl, dass er immer mehr verstünde und irgendwann wüsste wozu denn alles gut sei, wozu man die Arbeiten tat, wozu die Schafen blökten, wozu man in die Kirche ging, wozu man eine Nase hatte, wozu das Gras grün war und zu guter letzt sicherlich auch wozu die Berge da waren.
Doch dazu kam es nicht. Der Großvater war schwach und eines Tages sogar tot. Es herrschte bei allen Mitgliedern der Familie Resch große Trauer. Doch nach ein Paar Tagen stellte sich die Arbeit wieder ein. Dem Großvater war ein Sarg und ein Kreuz gezimmert worden, man hatte ihn hinunter zum Kirchfriedhof getragen und der Pfarrer hatte etwas gesagt, was der Steffl nicht verstanden hatte. Den Steffl plagte es von diesem Tage an furchtbar. Er wollte nicht mehr aus dem Hause. Er sagte, die Berge schrieen ihn an in ihrer riesigen grauen unverständlichen Sinnlosigkeit. Er sagte, er hasse die Berge und sie seien Nichtsnutze. Der Bauer wurde böse. Er schrie, der Steffl solle sich nicht so haben und der einzige Nichtsnutz sei doch er. Doch der Steffl ging nicht mehr vor die Tür. Er ertrug es nicht. Er ertrug nicht seine Arbeiten zu tun, er ertrug nicht, dass die Schafe blökten, er ertrug nicht, dass die Menschen in die Kirche gingen und er ertrug nicht, das er eine Nase hatte. Er verabscheute das Gras, das hoffnungslos grün war und am allermeisten hasste er die Berge, die so mächtig, beständig und sinnlos waren. Den ganze Tag saß er alleine in seiner Kammer und versuchte sich nicht zu bewegen. Denn er ertrug die Sinnlosigkeit einer Bewegung nicht. Die Bäuerin machte sich große Sorgen um den Steffl, denn er aß nicht mehr. Er wollte nie mehr essen. Die ganze Bauernfamilie stand um das Bett des Steffls herum, der leichengleich in seinem Bettkasten lag und ruhig atmete. Man holte den Dorfarzt, welcher jedoch nichts zu tun wusste. Man versuchte dem Steffl Essen einzuflößen, welches der Steffl jedoch ohne jede Regung in seinem Munde ließ und nicht ansatzweise herunterschluckte. Am dritten Tage starb der Steffl. Sein Gesicht war angestrengt und er hatte Fieber bekommen. Die Familie stand schweigen um das Grab herum, welches man ihm ausgehoben hatte, um den Sarg, den man ihm gezimmert hatte und vor dem Kreuz, welches man ihm gefertigt hatte. Der Bauer murmelte, dass er das nicht so recht verstehe und dass der Steffl schon sehr komisch gewesen sei. Dann sagte er noch dass Gott ihn selig haben solle und gingen schlurfenden Schrittes wieder in das Häusle. Das Grab vom Steffl war nicht auf dem Friedhof. Es war über dem Hause bei der Scheune und das Kreuz war groß, die Schafe blökten im Hintergrund und die Berge warfen ihren massiven Schatten auf das Kreuz.

 

Hallo Sander,

eine schöne Geschichte, sehr berührend in ihren Grundzügen, auch die Sprache passt gut zu dem, was sie aussagen will. Vielleicht solltest du nur versuchen, entweder alle dialektausdrücke (Bur z.B.) zu tilgen, oder die direkte wie die indirekte Rede stärker damit ausstatten. Sonst wirkt speziell das "Bur" wie ein Fremdkörper oder soagr wie ein Schreibfehler.

Aber ich finde erstens, dass der Steffl ein bisschen schnell groß wird. Eben erst geboren, ist er im nächsten Absatz schon so alt, dass er Hausarbeiten erledigen soll. Das geht mir zu schnell.

Eine kleine Stolperstelle für mein Sprachempfinden:

Der Großvater war schwach und eines Tages sogar tot.

Durch das "sogar" klingt das so, als sei der Tod nur eine Art Steigerung der Schwäche. Schwäche kann aber vorübergehen, der Tod ist endgültig. Überhaupt ist ja die Zustandsformulierung "tot sein" eine schier unmögliche. Denn niemand "ist" tot. Jemand stirbt und damit ist sein Sein vorbei. Danach "ist" er gar nichts mehr. Das fällt mir jetzt gerade, wo ich das schreibe auf. Ich muss mal meine Sachen durchgehen, ob ich das auch verwende. Besser gefallen würde mir persönlich also:

Der Großvater war schwach und eines Tages starb er.

viele Grüße,
Platoniker

PS: Ein bisschen erinnert das ganze an das Heidi, das könnte u.U. bei manchen eine unfreiwillige Komik erzeugen, bei all dem Schindluder, der mit den Geschichten von Johanna Spyri getrieben wird. Das könntest du u.U. durch die Erwähnungen der konkreten Orte (Schweiz etc.) vermeiden, denn die sind ja für die Essenz der Geschichte nicht wichtig.

PPS: In "Jugend" passt die Geschichte finde ich nicht so gut, wüsste aber nicht, wo sie besser aufgehoben wäre.

 

Vielen Dank erstmal für das Lob.
Und natürliche erst recht Dank für die kritik.
Sehr richtig; des Großvaters Tod is unzureichend beschrieben. --> Verbesserung folgt noch
Die genaue Schilderung des Handlungsortes (alos schweiz etc.) muss sein, hat Hintergrund...
Tja, in welche Kategorie damit? Jugend ist wohl nicht ganz passend, aber wohin sonst?
Au revoir
Sander

 

Bon jour Sander,

warum muss das sein? - Schon klar, für dich besteht ein gewisser Hintergrund, warum du die Geschichte dort ansiedelst, aber: dem Leser wird nicht klar, warum das ausgerechnet in den Schweizer Alpen, an diesem Ort spielt.

Das es im Hochgebirge sein muss, ist klar, aber das Motiv der Konkretisierung des Ortes ist dem Leser unklar.

Jeder verbindet, wenn er/sie eine Geschichte erzählt, mit den Schauplätzen gewisse reale Orte, schon gleich gar, wenn autobiographische Hintergründe bestehen oder tatsächliche Ereignisse verarbeitet werden. M. E. sollte dies aber in einer Geschichte nur dann auch konkretisiert werden, wenn sich damit entweder eine Logik im Handlungsverlauf ergibt, die sonst nicht aufgeht (also ein Politroman über die BRD muss zwangsläufig u.a. auch Berlin zum Schauplatz haben) oder wenn man so real schildern will, dass der Leser den Ort aufsuchen kann, wenn er will. Du belässt es aber nur am Anfang bei der Nennung der Gegend, ohne dass der Grund dafür erkennbar wäre. Das ist alles nicht so wichtig, ich wollte es nurmal grundsätzlich aufschreiben, damit klar wird, was ich meinte mit meiner Kritik.

liebe Grüße,
Platoniker

 

Ach so. Da sollte ich das wohl ersetzen. Allerdings würde der Heidi-Eindruck noch verstärkt, wenn ich lediglich die Schweiz als Handlungsort nennen würde. Was sagst du dazu?

Dank an den Platoniker

 

Hi Sander,

wie wäre es denn, wenn Du als Handlungsort einfach nur "Hochgebirge" nimmst? Durch die anderen Schilderungen wird dem Leser schon klar, dass die Handlung nicht im Himalaya spielt, sondern in den Alpen.

Übrigens, der "trocken-bauschige Vollbart" des Großvaters ist auch so ein Heidi-Anklang, ich muss da leider unwirklich an die japanische Trickserie aus meiner Kindheit denken, obwohl damit deine Geschichte nichts zu tun hat. Aber ich kann mir vorstellen, dass auch andere diese Assoziation haben.

liebe Grüße,
Platoniker

 

Ja, das mit dem Hochgebirge wäre akzeptabel.
Ist schon komisch mit dem Heidi-Anklang. Ich hab nie Heidi gesehen oder gelesen oder wie auch immer.... Also du sihest es ist ganz ungewollt. Mal sehen, ob auch andere diesen Anklang spüren.

 

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