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Von der unendlichen Weite zwischen den Zeilen

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29.11.2005
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Von der unendlichen Weite zwischen den Zeilen

„Äpfel! Welch kernige Kraft allein aus diesem Wort erblüht, goldgelb und vitalrot aus grünen Baumkronen herableuchtend, sinnbildliche, urstrotzende Lebendigkeit, die unserem Übermut Flügel verleiht und unseren Flügeln Übermut, und doch ist stets ein Hauch süßsauren Sündenfalls zu erahnen, heimliche Lust auf etwas Verbotenes entfesselnd, über Zäune und Grenzen hinweg ins Paradiese sich zu schlängeln, um dort mit heißer Versuchung im kühlen Grase sich zu wälzen, sinnlich, erotisch und auf die Ewigkeit pfeifend, weil ein Moment der wahren Begierde gar köstlich mundet und alles, was dann noch kommen mag, einfach kommen mag.

Welch gewagten Kontrast bietet da die Kartoffel, diese spröde, wahrhaftige Lebensfrucht, mitten im Vaterlande dem fruchtbar-feuchten Schoße Mutter Erdes entrissen, nur um des Hungers profane Gier zu stillen, so demütig und doch so notwendig - und sehe ich da nicht deutlich einer Greisin gebeugte Gestalt über tausend Äcker humpeln, wie sie aus müde gestarrten Augen Ausschau hält, nach letzten alten Resten oder ersten jungen Trieben, gefangen zwischen gestern und morgen, zwar immer auf Gott vertrauend, doch nimmer satt – ein Bild, so aufschreiend und so unabwendbar, aus nur eines Wortes Geiste geboren.

Oh, wie erfüllet mich Begeisterung, wenn sogleich und so tiefsinnig und so gescheit gelenkt Wasser mir ins Bewusstsein sprudelt, still, natürlich, natürlich still, Lebensquell und geheimnisvoll gurgelnder Beginn unseres Da und unseres Seins, allen Seins, unseres Hier und Jetzt, unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, so elementar, so fließend, so tief und gründig, diese klare und reine Sinnbildlichkeit, die mein Herz in einen wahren Freudentaumel stürzt, da sitzt ein jeglich Wort auf einem Throne und regiert ein buntes Märchenland, und alles atmet symbolträchtig symbolträchtige Symbolträchtigkeit, und das ist so kritisch und politisch, so genial phänomenal, das ist minimalistisch gewagt und ökonomisch komisch, einfach eine Revolution der Gedankenwelt, ein Feuerwerk aus Geistesblitzen, eine mutige Geschichte in starken Worten verborgen, mit unendlichen Weiten zwischen den Zeilen. Äpfel! Kartoffeln!!Stilles Wasser!!! Was mag wohl folgen, was wird dieser großartigen Worte nächster Bruder und Verbündeter sein?“

„Klopapier. Und mach bitte nicht immer solch ein Theater, wenn du mal einen Einkaufszettel schreibst.“

 

Hallo JuJu,

ich freue mich, dass dir der Text/die Sätze gefallen haben. Beim Wasser wollte ich es so richtig lossprudeln lassen - das scheint besonders gut anzukommen.

Danke für deine Meinung.

Rick

 

>Ich kann mit solchen theatralischen Satzgebilden auch nicht allzu viel anfangen (aber so zu schreiben macht höllisch Spaß, hätte ich gar nicht gedacht), da sind wir uns einig<, bingo,

lieber Rick!

Zunächst dacht ich an eine Parodie auf die Mentalität der Gartenläubler (Courts-Mahler und Epigonen), mit dem Schlusssatz neigte ich zur Satire -
mit der Fortsetzung obigen Zitates kam aber doch der Kleinbürger zum Vorschein, dass ich mir sicher bin: entweder Gartenlaube und/oder Ikea. Da lob ich mir doch Ingrid Noll, die's zauberhaft findet:

>Man schreibt etwas und jemand anderes kann es deuten*.<

Nix für ungut

Friedel

* Zeit Magazin Nr. 14, 26. 3.2009, S. 46

 

Hi Rick,

wenn ich meine Einkaufsliste am PC schreiben würde, sähe die wahrscheinlich ähnlich aus. Zumal meine Frau mir bereits Zettel und Stift in die Hand drückt, wenn Sie noch gar nicht weis, was gebraucht wird. Da bleibt dann zwangsläufig zwischen Äpfel und Klopapier jede Menge Zeit für allerlei Geschreibsel.

Also ist deine KG sogar aus dem Leben gegriffen. Jedenfalls aus meinem.
Einfach wunderbar!

Gruß
Asterix

 

Hallo Friedrichard,

danke für deine Meinung zum Text. Es ist vielleicht eine Mischung aus allem, und Ingrid Noll hat sicher recht. Darum geht es wohl. Auch bei meinem Text. Freut mich, dass es dir die Anmerkungen wert war.

Hallo Asterix,

aus dem Leben gegriffen klingt gut. Ist es ja auch, irgendwie. Freut mich, dass es dir gefiel und du sogar Parallelen zu deinem Alltag entdecken konntest. Seit ich diese KG geschrieben habe, kann ich meine Einkaufszettel nicht mehr unbelastet schreiben. Ständig kreist mir jetzt irgendwelche Symbolik durch den Kopf. Das hab' ich nun davon!

Rick

 

Tag Rick,

Ich habe echt laut lachen müssen - und das in einem Internetcafé! :D

Gefällt mir, très beaucoup!
;)

lg, mongmong

 

Hallo mongmong,

es freut mich, dass dieser kleine Text im Internetcafé zu deiner Erheiterung beitrug. Danke für deinen Kommentar.

Rick

 

Großartige Satire (:

Wenn ich ab und zu die Filmkritiken eines gewissen Herrn Ulrich Behrens lese, dann frage ich mich ob er eigentlich gerade den Film oder seinen Wortschatz feiert. Wenn ein Satz mehr Kommata als Buchstaben hat und man am Ende bereits vergessen hat, wie er einmal begann, dann macht man doch irgendetwas falsch.
Tolle Pointe!

 

Hallo Ristas,

willkommen hier bei kg.de und vielen Dank für deinen Kommentar. Freut mich, dass mein Text dir gefiel.

Rick

 

Hallo Rick

auch ich hab bei der Pointe geschmunzelt, vor daher kann ich wohl nicht mehr behaupten, dass mir die Geschichte nicht gefallen hat, was sie hat, bis zur Pointe. Von daher gelungen. Gut, dass sie nicht länger ist, das hast du gut gemacht, sie eher auf Witzlänge zu halten.

lieben Gruß

 

Hallo Aris,

der verlorene Sohn hat heimgefunden :-).

Welcome back! Freut mich, dass dir der Text zu einem Schmunzeln verhalf und dir letztendlich (auch von der Länge her) gefiel.

Danke für deinen Kommentar.

Rick

 

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