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Von Gips und Handschellen
Es hatte begonnen zu regnen. Ich sah jetzt noch weniger aus meiner Windschutzscheibe, doch es war mir schon fast egal. Das schlimmste war das konstante Prassen, dieses Rauschen. Es übertönte in schweigsamem Lärm meine Gedanken, die ich sowieso nicht sortieren konnte. Meine Augen schmerzten, mein Körper war angespannt wie ein steifes Brett aus trockenem Holz. Ich war jetzt in der Innenstadt. Nicht mehr weit bis zu seiner Wohnung. Ich hatte die Adresse, die dieser Detektiv mir gegeben hat, in meinem Notizbuch aufgeschlagen. Es lag verrenkt neben mir.
Noch eine gelbe Ampel. Ich drückte das Gaspedal durch, der Motor gurgelte in absaufender Kraft. Es war ein alter Pick-up. Mir scheiß egal, ich werde ihn eh gegen die Tunnelwand fahren, wenn das alles vorbei ist.
Meine Überholmanöver wurden stetig ungestümer.
„Noch darfst du nicht draufgehen. Noch nicht.“ Ich knurrte mich selbst an.
Die Wahrheit war, ich hatte Angst. Angst vor ihm. Ich hatte auch Angst vor ihr. Das gestand ich mir aber nicht ein. Was wenn sie gerade das tun... Diesen Gedanken beendete ich nicht und presste weiter aufs Gaspedal. Der Lärm war wie ein öliger Balsam für meinen Kopf, Heroin für mein Gewissen.
Ich kam dort an. Die Zeit, die verging seitdem ich den Anruf bekam, bis zu diesem Moment, war eine unendliche Sekunde gewesen, in die Länge gezogen wie ein gespanntes Stahlseil. Jetzt wo ich vor der Wohnung stand, brach es. Das Surren in meinem Gehörgang war das Resultat des Echos. Die Luft wurde zu Sirup und nun schienen die paar Schritte zu ihrer Haustür wie Sisyphos‘ Aufstieg auf diesen beschissenen Berg.
Das Licht brannte. Es schien seicht durch einen weißgrauen Vorhang hinter einem schmalen Fenster auf den durchnässten Parkplatz und spiegelte sich am Asphalt, überwältigt von der schlurfenden Dunkelheit der Nacht. Ich trat an die Tür heran, sie war angelehnt. Meine Knarre gezückt, ging ich in die Wohnung und ließ den Regen hinter mir weiter rieseln.
Wenn in einem sonst dunklen Raum die einzigen Lichtquellen eine Schreibtischlampe und ein laufender Fernseher sind, dann macht es diese Wohnung aus irgendeinem Grund noch dunkler, als der Mangel an gänzlichem Licht es schaffen würde. Natürlich, man sieht zwar mehr, aber dennoch sieht man eigentlich gar nichts. Es ist als ob diese Unheimlichkeit des gering plastischen Lichtscheins die Schwärze unterstreicht und noch schwärzer macht. Noch finsterer.
Die Pistole im Anschlag tastete ich mich langsam vor. Mein Herz pochte. Ich tat einen großen Schritt nach vorn und trat aus dem winzigen Vorraum hinein in die Wohnküche. Dann fror ich ein. Stechen im Herz. Ein Infarkt? Nein, nein.
Zwei Gestalten lagen da auf der Couch vor mir. Schemen, umkranzt von jenem lichtraubenden Licht. Ich konnte keine Gesichter erkennen aber ich wusste, meine Frau lag da vor mir. Sie bewegten sich. Sie stöhnten. Sie fickten.
Er sah mich zuerst und sprang auf.
„HEY!“ schrie er. Er hieß Manuel Nussbacher hat der Detektiv gesagt. Judotrainer. Arschloch. Das letzte hat der Detektiv nicht gesagt.
Splitterfasernackt stand er da mit nem Ständer. Die Situation war fast komisch.
Ich schoss ihm dreimal in die Brust, einmal in den Sack. Ich hätte ihm zuerst in den Sack schießen sollen, dachte ich mir. Er ging zu Boden. Meine Frau schrie wie am Spieß.
Ich leerte mein Magazin in Richtung des Geschreis, bis die Pistole nur mehr ein Klicken von sich gab. Stille.
Ich setzte mich wieder in meinen Pickup und fuhr auf die Autobahn auf. Ich war erstaunt, dass er noch 240 schaffte als ich gegen die Wand krachte.
Das war das Letzte an was ich mich erinnern konnte, bis ich wieder aufgewacht bin.
Ich lag in diesem weißen Zimmer. Alles hier war weiß und vielleicht etwas Grauweiß war auch dabei und es roch penetrant nach Alkohol und Hartplastik. Meine Schmerzen übertönten jedoch alle meine Sinne derart, dass ich den Geruch zu dem Zeitpunkt eigentlich kaum wahrnahm. Als ich meinen Blick nach unten wandern ließ sah ich, dass ich in einer weißen Schale aus Gips und Bandagen gekleidet war. Dann sah ich den Stumpf der mal mein Bein war.
Etwas Silbernes blitzte in meinem Augenwinkel auf. Es war eine Handschelle, die an meinem linken Arm angebracht war. Jemand hatte sie über den Gips geschnallt und am Bettrand fest gemacht. Als ich das sah musste ich lachen. Ich lachte hysterisch und ungezwungen bis ich nur mehr hustete.
„Wie soll ich denn bitte noch weglaufen?“