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- 24.04.2003
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Von Kraken, Außerirdischen, Mysterien und gefüllten Kartons.
Wir hatten alle bereits mächtig einen über den Durst getrunken, als das krakenartige Wesen aus dem Teich kroch und Captain Schmonzel mit Sekret beschleimte.
Transton Ikmacks: "Seltsame Tintenfischbegebnisse"
"Na, Andy, isser die Auto kaputt?"
Mustafa trug befleckte Abenteurer-Shorts und zum Sommer passende Flip Flops. Auf ein Oberteil hatte er heute verzichtet, und so baute sich eine haarüberwucherte Masse schwitzigen Fleisches mit verschränkten Armen neben mir auf und grinste dämlich.
"Mufti, willste was trinken?"
"Ne du, lasse ma sein. Ich bin auf Weg zum alten Regener. Muss da Kartons holen."
Ich legte Schraubenschlüssel und Öllappen beiseite und ließ die Motorhaube zuschnappen. Die Mittagssonne trieb feine Bächlein über die Brust des Türkens, den alle hier im Ort nur als "den Türken" kannten.
"Watt denn für Kartons, willste was einpacken?"
Mustafas Augen weiteten sich, während die Pupillen im grellen Licht schrumpften.
"Wie, du hast nicht gehört?"
"Was hab ich nicht gehört?"
In diesem Augenblick klingelte drinnen mein Telefon. Ich verabschiedete mich hastig von Mustafa und eilte in den Flur.
"Susanne?"
Stille am anderen Ende der Leitung.
"Bist du das, Susanne?"
Wieder nichts, dann plötzlich: "Herr Gerards?" - Eine tiefe, brummende Männerstimme zerschlug augenblicklich all meine Hoffnungen, sie würde sich doch noch melden. Die schöne blonde Susanne, ein Traum von einem Urlaubsflirt.
"Ja, bin ich. Wer ist denn da?"
"Schönen guten Tag, Vollmer mein Name. Wir kennen uns nicht, aber ich habe einige höchst interessante Informationen für Sie."
"..."
"Herr Gerards?"
"Ja, ich höre."
"Die kann ich Ihnen aber nicht am Telefon mitteilen. Haben Sie ICQ?"
"Nein, ich weiß nichtmals, was das ist."
"Dann müssen wir uns treffen, in einer halben Stunde, bei der alten Scheune am Fluss, an die der Wald mündet, gleich neben dem Elfenstein, gegenüber dem Maisfeld, in der Nähe von der verlassenen Tankstelle."
"Hey hey hey ... moooooment mal, was wollen Sie überhaupt von mir? Ich hab da diesen alten Manta draußen aufm Hof stehen, der dringend ..."
"Glauben Sie an UFOs, Herr Gerards?"
"Was?"
"Sie sind unter uns, Herr Gerards ... unter uns. Also, im übertragenen Sinne, nicht, dass sie jetzt in irgendwelchen unterirdischen Höhlen leben würden, oder ..."
"Haben Sie was getrunken?"
"Beeilen Sie sich bitte, ich habe nicht viel Zeit, man verfolgt mich bereits. Sie werden mich anhand der schwarzen Aktentasche mit dem "Ein-Herz-für-Kinder" Aufkleber darauf erkennen. Enttäuschen Sie mich bitte nicht. Die Menschheit zählt auf Sie!"
"Ich ..."
Er hatte aufgelegt. Das konnte ja lustig werden, und vorallem ... was war mit dem Manta? Mensch, der musste doch fertig werden!
Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf.
Nein, eigentlich waren es nur zwei.
In der Küche schmierte ich mir schnell eine Stulle mit dick Butter und Teewurst, die als Proviant in die Brotdose wanderte. Anschließend machte ich mich auf dem Weg zum Fluss. Nahe der Hauptstraße begegnete mir Frau Henstel, die einen rappelnden Schuhkarton mit beiden Händen fest umschloss.
"Sie haben wieder Ölpfützen auffen Hof gemacht", stellte sie fest. - "Ich hab den Vermieter deshalb angerufen", kam es ergänzend hinzu.
"Tag Frau Henstel, na, haben Sie sich was zum Essen gekauft", deutete ich auf den wild hüpfenden Karton.
"Jetzt werden Sie mal nicht ... wie, haben Sie etwa noch nichts davon gehört?"
"Keine Zeit, Frau Henstel, keine Zeit."
Die Romantik des in Sonnenlicht getauchten Laubwaldes, die golden glänzenden Bächlein mit ihren alten Steinbrücken, die angrenzenden, bunten Felder des Ortes, die zwitschernden Vögel und die alles umfassende Idylle; all das erinnerte mich so gar nicht an die Zeiten, in denen Mama meinen torkelnden Papa mit den Worten "Die Märchen kannste dem Jungen erzählen, der glaubt dir vielleicht", durch die Zimmertür geschoben hatte. Es waren dann aber auch zumeist keine Märchen gewesen, die ich im Anschluss zu Ohren bekommen hatte. Später kam bei mir dann auch das Trinken dazu. Ich rauchte viel und hielt mich an Orten auf, an denen Zuhälter und Pokerspieler ihre rigorosen Machenschaften ausübten. Unwillkürlich geriet ich in diesen Strudel aus Gewalt, Sex und Alkohol. Mit 16 verübte ich meinen ersten Raubüberfall, danach Jugendknast, Resozialisierung. Ich ließ mich tätowieren und rauchte Crack. An den Wochenenden suchte ich Prügeleien, die meist äußerst blutig endeten. Ich klaute Verkehrsschilder und betrog alte Frauen um ihre Rente.
Mit 19 wusste ich dann, dass es so nicht weiter gehen konnte. Ich studierte kurzentschlossen alt germanische Sprachen und wurde Automechaniker.
Der dicke Mann im Anzug riss mich aus meinen Gedanken.
"Herr Gerards?"
"Hey, Sie haben ja wirklich sonen Aufkleber aufm Koffer."
"Wir müssen uns sputen. Sie werden gleich hier sein."
"Wer?"
In diesem Augenblick schoss eine fliegende Untertasse vom Himmel herab, aktivierte einen Lichtstrahl, und der mysteriöse Unbekannte verschwand vor meinen Augen.
Dann war das UFO wieder weg. Das war wirklich scheiße gelaufen.
Auf dem Rückweg aß ich die Stulle, und als ich zurück ins Dorf kam, wusste ich auch endlich, was alle hier in so helle Aufregung versetzte. Neben einem auf dem Marktplatz aufgebauten Stand, war ein großes Schild angebracht: Verschenke Meerschweinchen so viel Sie wollen. Alle aus eigener Züchtung. Verpackung müssen Sie selbst mitbringen.
Ich zuckte mit den Schultern und entschied, den Manta fertig zu machen.