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Von unsichtbaren Mauern

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21.09.2005
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Von unsichtbaren Mauern

Ein Wanderer traf eines Tages auf einen alten Mann, welcher bloß in eine Decke gehüllt auf dem Lehmboden saß und zu schlafen schien. Verwundert trat der Wanderer auf den Greis zu und schüttelte ihn sacht, damit er aufwache. Erschrocken wich der Alte zurück und fing alsbald an, den jungen Mann mit weit aufgerissenen Augen anzustarren. „Was tust du hier Alterchen?“ „Was ich hier tue fragst du? Was in Gottes Namen tust du hier?“, aus den Augen des Alten sprach nicht nur Verwunderung sondern eine ungeheure Entrüstung, die der Jüngling nicht zu deuten wusste. „Ich wandere.“ „Ich habe nicht gefragt, was du auf dieser Straße tust, sondern was zum Teufel du hier tust!“, die Stimme des Greises brach vor Aufregung und Zorn. Verwirrt blickte der Wanderer sich um, doch außer der Straße und ein paar verdorrten Büschen konnten seine Augen nichts erkennen, was die Worte des Alten erklären könnte. „Ich versteh nicht Alterchen, was meinst du, hier ist doch nichts.“ „Nichts? Nichts?“, die Stimme des Alten wurde unerträglich hoch.
“Das nennst du nichts?“, er deutete auf eine schmale Linie im Staub, die augenscheinlich mit einem Stock in den Boden geritzt worden war und den Alten in einer Kreisform umschloss. Erstaunt starrte der junge Mann, dem ausgestreckten Arm des Alten folgend, auf die Linie im Dreck. „Tut mir leid Alterchen, aber ich sehe nichts außer dieser Linie hier.“ Erbost streckte der Greis seinen dürren Arm nun so weit aus, dass er fast die Schuhspitzen des Wanderers berührt hätte.“Und, du Neunmalklug, auf welcher Seite der Linie stehst du?“ „Nun wohl auf der Innenseite.“, antwortete der junge Mann arglos. „Was also hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“ „Warum sollte ich mich verteidigen wollen?“ Der Zorn des Greises schien sich in´s Unermessliche zu steigern. „Warum wohl sollte ich einen Kreis um mich ziehen? Warum sollte ich mir diese Mühe machen, wenn er nichts bedeuten sollte? Und jetzt raus aus meinem Kreis!“
„Aber Alterchen, du hast kein Recht dazu, mich von diesem Fleckchen Erde zu vertreiben.“ Ein harter Schlag mit dem Stock traf den Jüngling, worauf dieser entsetzt einen Schritt zurück wich. „Da!Und jetzt bleib wo du bist! Wag es nicht noch einmal über diese Linie zu treten! Ich habe sehr wohl ein Recht dazu dich aus meinem Kreis zu vertreiben.“ Der Wanderer war nicht im Stande das Gebaren des Greises zu verstehen und wäre er nicht so jung und arrogant gewesen, so wäre er wohl mit einem Lächeln und einem Kopfschütteln gegangen. So aber blieb er. „Man hat mich in meinen Dorf wohl gewarnt, dass ich auf merkwürdige Menschen stoßen werde auf meiner Wanderung, doch von Dummen, war nicht die Rede!“
Plötzlich änderte sich der Ausdruck auf dem Gesicht des Alten und der Zorn wich einem leichten Schmunzeln und einer Resignation, welche jedoch nicht auf ein Einsehen seinerseits zurückzuführen war. Er fiel leicht in sich zusammen, so als würde er es sich bequem machen, wie der Gewissheit einer unumgänglichen längeren Unterredung folgend. Dann erhob er seine Stimme, diesmal jedoch in einem sanften Ton, eines Großvaters im Kreise seiner Enkel würdig: “Mein Sohn, wo liegt dein Dorf?“ Der junge Mann konnte der Verwandlung des Alten keinen Sinn abspenstig machen und antwortete so, ohne recht zu wissen aus welchem Grunde: “Hinter den Wäldern, hinter den Bergen und noch weiter fort.“ „Das ist wahrlich weit.“ „Das ist es.“ Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel des Greises: „Doch ihr wohnt dort in Häusern, wie die Menschen es hier zu Lande tun?“ „Selbstverständlich, du glaubst doch nicht etwa, wir wären dümmer als die Menschen, die du kennst?“ „Ich kenne viele Menschen Junge und einige davon sind dumm und andere wieder nicht, doch das soll hier nichts bedeuten. Wenn ihr aber in Häusern wohnt, schweben denn eure Häuser?“ Der junge Wanderer war nun nicht nur verwirrt, sondern auch verärgert, dass er seine Zeit mit einem, doch offensichtlich Geisteskranken vergeudete, trotzdem antwortete er: „Nein, sie stehen fest auf dem Boden, gemauert aus Lehm und verankert in der Erde.“ Nun endlich grinste der Alte mit seinen verfaulten Zähnen und als er sprach schien ein leichtes belustigtes Glucksen seiner Kehle zu entweichen:
„Ihr also nehmt die Erde und baut eine Mauer aus Ziegeln um euch her, ihr setzt ein Dach darauf, dass niemand hinein sehen kann, ihr versperrt dir Tür mit einem Schloss, dass niemand euer Fleckchen Erde betreten kann und mich scheltest du, dass ich einen Kreis um mich ziehe, um mich für ein paar Stunden von den Strapazen des Lebens zu erholen! Ich jedoch stehe bald wieder auf, verwische den Kreis mit meinem Stock, auf das jemand anderes sich auf diesem Fleck erholen solle, doch ihr, reißt ihr die Mauern ein, um jemand anderem ein Fleckchen Erde zu überlassen?“

 

Hallo Küken,

Ich habe deine Geschichte mit Interesse gelesen.
Ich finde es sehr gelungen, wie man sich zuerst mit dem Jungen identifiziert und seine Ansichten teilt. Zum Schluss bemerkt man, dass man selber auf Normen begrenzt ist und die der Anderen nicht auf den ersten Blick erkennt.

Ich frage mich nur ob das Geschehen der Geschichte so gut passt.
Wir bauen ja extra Häuser, damit feste Grenzen zu erkennen sind. Sie erfüllen einen Zweck, einen den wir, seitdem wir auf dieser Erde sind, für uns entdeckt haben. Wir sind auch keine Normaden, die ihre Grenzen einreißen können, weil wir uns anders an das Leben, und zwar als Siedler, angepasst haben.

Gleichzeitig verstehe ich nicht wieso der Alte so außer sich gerät!
Wenn es doch ein weiser, alter Mann sein soll, der den Jungen für naiv oder wie man es sonst nennen mag hält, dann sollte er doch etwas Rücksichtname besitzen und ihm seine Absichten sofort erklären! Er hat doch keinen Grund auszurasten. Außer er empfindet es als eine Beleidigung, dass der Junge seine "Privatsphere" verletzt und nicht erkennt. Nur das ist es ja gerade, warum wir unsere Grenzen so bestimmt ziehen und auffällig gestalten. Damit andere Menschen sie als Grenze erkennen.
Auch verstehe ich nicht wieso er zum Schluss über den Jungen urteilt!
Der Junge muss seine Mauern nicht einreißen um Platz zu machen, weil sich alle andern Menschen ja wie er selbst auch ansiedeln, weil das in der Natur des Menschen liegt( außer vielleicht in der Natur des Alten...kleiner Spaß am Rande ^^°).

Ich hoffe du verstehst, dass ich das Grundthema von Verständniss von Normen sehr gut finde und auch der Schreibstil flüssig und überzeugend klingt. Nur die Verarbeitung finde ich zweifelhaft!


Lass dich von der Kunst beflügeln...
kinky

 

Hallo Kücken,

eine recht märchenhafte, mit passender Sprache geschriebene Parabel. Sieht man den Zorn des Alten, kann man gewissermaßen extrapolieren, dass es ihm nicht nur um die Beanspruchung von Grund und Boden geht, sondern generell um dauernde Abgrenzung, Inanspruchnahme von Dingen, letztlich geht es auch um Sicherheitsbedürfnisse.
Habe den Text gern gelesen.

„Man hat mich in meinen Dorf wohl gewarnt, dass ich auf merkwürdige Menschen stoßen werde auf meiner Wanderung, doch von Dummen, war nicht die Rede!““

- Recht amüsant.

Ein Problem ist, dass der (weise!) Alte den Jungen ungerecht behandelt, indem er ihn so anfährt.

„Da!Und jetzt bleib wo du bist! Wag es“

- Da! Und

„Er fiel leicht in sich zusammen, so als würde er es sich bequem machen, wie der Gewissheit einer unumgänglichen“

- machen, der Gewissheit …

„Der junge Mann konnte der Verwandlung des Alten keinen Sinn abspenstig machen und antwortete so“

- Sinn abgewinnen - besser: für die Verwandlung keinen vernünftigen Grund erkennen

L G,

tschüß… Woltochinon

 

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