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Von zweien, die auszogen die Liebe zu töten
14. Februar
„Lass uns die Liebe töten“, haucht er leise in ihr Ohr. Er schließt sie in seine Arme, küsst sie auf die Stirn und streichelt sanft ihren Rücken.
„Ist was mit Anne passiert?“, fragt Sandra.
„Sie hat mich wegen Michael verlassen.“
Sandra lehnt sich zurück und sieht René ins Gesicht. „Was? Sag das noch mal.“
„Sie hat unsere Affäre mit dem Entschluss beendet, ganz zu ihm zurückzugehen.“
„Nein.“ Sandra schüttelt den Kopf.
René winkelt den rechten Arm an, lässt aber die Hand locker herunter hängen und wirft den Kopf in den Nacken. Mit einer übertrieben hohen Stimme sagt er: „Ach, Schatz. Es war immer ganz toll mit dir im Bett, aber du weißt ja, ich war schon fünf Jahre mit Michi zusammen. Ich bin einfach zu sehr an ihn gewöhnt.“
„Spinnt die?“ Sandra zieht die Augenbrauen zusammen. „Hat sie dir nicht noch letzte Woche gesagt, dass er ein selbstsüchtiges, Bier trinkendes, nie-Zeit-für-sie-habendes Arschloch ist?“
„Ja, so in etwa lauteten ihre Worte. Was ist nun? Kommst du mit?“
„Wohin?“
„Die Liebe töten.“
„Die Liebe töten?“
„Denk an Mandy, Andrea und Christiane und was sie dir angetan haben.“
Sandras Augen und Mund verwandeln sich in kleine schmale Schlitze.
...
Mit Fahrradhelm und Arbeitshandschuhen bekleidet und mit drei Spatzeneiern, einer Mistgabel und einer Axt bewaffnet, stehen Sandra und René vor dem „Olymp“. Er sieht auf die drei Spatzeneier in seiner linken Hand, dann zu Sandra. Beide nicken und betreten das Restaurant.
„Helas, ein Tisch für zwei?“, empfängt sie der Besitzer bereits an der Tür.
„Hallo Pandeles“, sagt Sandra.
„Netter Aufzug, darf ich euch das abnehmen?“, fragt Pandeles auf die Mistgabel und die Axt deutend.
„Gnōthi seauton“, grüßt René Pandeles und grinst.
„Du weißt, dass ich kein Altgriechisch spreche.“
„Helas Pandeles, tut mir Leid für den Schaden.“
„Halt! Welcher Schaden?“
Die beiden treten in die Mitte des Raumes. An der Wand gegenüber dem Eingang sind die zwölf Götter des Olymp dargestellt, an den anderen Wänden künden riesige, farbige Bilder von Homers Ilias und Odyssee. Davor stehen, jeweils im Abstand von etwa zwei Metern, ebenso hohe Statuen der zwölf Bewohner des Olymp. René lässt langsam seinen Blick von Statue zu Statue wandern und stoppt bei Zeus.
„Der Chef des Dutzends und an seiner Seite Hera. Und Poseidon. Sag mal, hast du heute schon einen Öltanker auf dem Gewissen?“ Mehrere Pärchen sitzen an Zweiertischen mit Kerzen, zwei Herren in Anzug und Krawatte schieben Akten und einen Taschenrechner hin und her. René dreht sich weiter. „Demeter, Hermes, Athene, Ares, alter Schlächter. Heute schon jemanden niedergemetzelt?“ Ein dritter, übergewichtiger Mann im Anzug lässt sich und seinen Geburtstag von etwa einem halben Dutzend weiblicher Angestellter feiern. „Apollon, Artemis, Hephaistos, der Pyromane und Hestia.“ René tritt vor die zwölfte Statue. „Na Aphrodite, du Schlampe. Führst du eigentlich Strichliste über all die gebrochenen Herzen?“ René sieht auf die Eier in seiner Hand.
„Wozu sind die eigentlich?“, fragt Sandra. Vereinzelt ist Getuschel von den Tischen zu hören und die Blicke sind auf René, Sandra und Pandeles gerichtet.
„Früher haben sie versucht, sie mit sexuell anregenden Früchten, Kräutern und so weiter für sich zu gewinnen. Daher auch die Bezeichnung Aphrodisiakum. Pandeles, in deiner Küche findet sich sicher einiges, was sich als Opfergabe anbietet. So schenkten ihr die Menschen damals Granatäpfel oder Knoblauch.“
„René, was genau hast du bitte mit diesen Eiern vor?“, fragt Pandeles leise.
„Weißt du, ich kann mir nichts Abtörnenderes, Beleidigenderes und Ekelhafteres vorstellen, als ein gammliges, stinkendes Spatzenei im Gesicht zu haben.“
„René!?“
Er schlägt die Eier an den Kopf der steinernen Liebesgöttin. „Athene hat viel mehr Sexappeal als du und Hera sieht tausendmal schöner aus als du.“ Jemand ruft: „Chef! So tun Sie doch was!“ René tritt einen Schritt zurück. Er wirft den mit Spatzenei verschmierten Handschuh an den Kopf der Statue.
„Bist du verrückt geworden?“ Aber René reagiert nicht auf Pandeles.
„Wenn ich dich richtig betrachte, bist du sogar hässlich.“
„Nein, Chef, bleiben Sie lieber hier.“
„So abgrundtief hässlich, dass nicht einmal die Titanen deinen Anblick ertragen würden. Kein Wunder, dass du es nötig hattest, im Wettstreit mit Hera und Athene Paris, den armen, schwachen Prinzen aus Troja, zu bestechen. Du bist nicht die Schönste unter den Göttinnen des Olymp. Du bist die Hässlichste!“ Das viskose Innere der Eier läuft zäh über den kalten Stein.
„Er hat eine Axt dabei!“
„Pah. Das stinkt!“ Pandeles presst Nase und Mund in die Armbeuge.
Die ersten Gäste erheben sich von ihren Stühlen. „Und sie hat eine Heugabel!“
„Was habt ihr da getan? Komme ich in euer Haus und mache so eine Schweinerei?“ Pandeles' erhebt seine Stimme. „Was habe ich euch getan?“ Auf der Oberfläche der Statue bilden sich Risse und ein grelles Licht scheint hindurch. „Hat euch etwa das Essen bei mir nicht-“ Pandeles sieht mit geöffnetem Mund auf die Statue. Sie bewegt sich, wächst. Die Beleuchtung fällt aus. Eine leichte nach Rosen, Anemonen und Zypressen duftende Brise durchströmt den Raum und lässt die Flammen der Kerzen zappeln. Pärchen liegen sich in den Armen. Die weiße Steinhaut der Statue bröckelt ab und eine neue erscheint darunter. Eine Haut, die so dunkel gebräunt ist wie Milchkaffee. Der weiße steinerne Haarknoten am Hinterkopf löst sich auf und die leicht gewellten Haare, die nun so schwarz wie das Gestein am Gipfel des Olymp sind, fallen locker bis zur Schulter. Ihr Körper ist von einem elfenbeinfarbenen Gewand bedeckt, das die sanft geschwungenen Formen ihres schlanken Körpers erahnen lässt. Ein Gürtel aus Gold und Edelsteinen hängt locker über ihre Hüfte. Sie wischt sich mit beiden Händen das stinkende Spatzenei aus dem Gesicht.
„Tu was“, sagt René.
„Sie ist so schön.“
„Ich weiß, aber das ist nur die Macht ihres Gürtels. Reiß ihn mit der Gabel ab.“ Sandra bleibt starr, als sei sie nun aus Stein. „Sandra! Der Gürtel!“ René stößt Sandra in die Seite. Sie schnellt mit der Mistgabel vorwärts, fädelt den Gürtel auf und zieht mit aller Macht daran.
„Vorsicht!“, ruft René und zerschlägt mit der Axt den goldenen Gürtel.
Sandra rammt die Mistgabel in Aphrodites Brust. „Nimm das, du Miststück. Das ist für all die Tränen!“ Die Göttin stößt einen schrillen Schrei aus. Die Beleuchtung geht wieder an und unter den Gästen verbreitet sich Unruhe. Sandra zieht die Gabel wieder heraus und stößt erneut zu. „Das ist für all die Schmerzen!“ Aphrodite krümmt sich nach vorn und hält die Wunden an ihrem Körper mit den Händen bedeckt. „Ihr einfältigen Sterblichen“, sagt sie leise, „ihr könnt die Liebe nicht töten.“
René beugt sich, die Axt mit beiden Händen fest umklammert, weit zurück. Jemand ruft: „Du hast mit dieser Hure gefickt! Ich weiß es genau.“ René reißt die Axt nach vorn und treibt sie krachend in Aphrodites Nacken. „Das ist für jedes Mal, das sie mir weh getan haben!“ Überall im Restaurant ist Streit ausgebrochen. Eine junge Frau schüttet ihrem Begleiter Wein ins Gesicht und schreit: „Wie konnte ich vor einer Sekunde noch zustimmen, deine Frau zu werden?“ Sie reißt sich einen Ring vom Finger und schleudert ihn gegen seine Brust. „Du willst doch nur, was alle Männer wollen: Dass ich deine Kinder in die Welt setze und den Haushalt schmeiße.“ Einige Tische und Vorhänge gehen in Flammen auf. René zieht das Beil aus Aphrodites Nacken und schlägt ein zweites und ein drittes Mal zu. „Für jedes Mal, das sie mir das Herz gebrochen haben und auf meinen Gefühlen herum getrampelt sind!“ Der Kopf der Göttin schlägt auf dem Boden auf. Ihre Lippen formen ein letztes, für niemanden in diesem Raum hörbares Wort: „Eros.“
René und Sandra sehen auf den regungslosen Leib der Aphrodite. „Wir haben die Liebe getötet“, sagt René tief atmend. Er lässt die Axt auf den Boden fallen.
„Wir haben die Liebe getötet“, wiederholt Sandra leise und rammt die Mistgabel in den leblosen Körper der Aphrodite. Sandra und René fallen sich in die Arme. „Die verdammte Liebe!“
Pandeles versucht die Feuer zu löschen. Möbel und Geschirr fallen dem tobenden Mob zum Opfer. Eine Frau hat eine andere am Kragen gepackt und schlägt mit ihrer Handtasche auf sie ein. „Du billiges Flittchen!“ Ein Mann schreit seine Begleiterin an. „Du blöde Schlampe!“ Die beiden Herren in den Anzügen ziehen sich gegenseitig an den gegelten Haaren. Ein ohrenbetäubendes, närrisches Lachen lässt das Chaos verstummen. Alle verschließen sich die Ohren mit ihren Händen. Die Blicke suchen nach der Quelle dieses Lachens, sie können es aber nicht orten. Das Lachen verstummt.
„Wer war das?“, fragt Sandra. René zuckt nur mit den Schultern. Ein pfeifender Ton zerschneidet die Stille. Sandra sackt, von einem goldenen Pfeil in die Brust getroffen, zusammen.
René sieht auf den Pfeil und sagt leise: „Eros.“ Er hebt die Axt wieder auf und stellt sich schützend vor die am Boden liegende Sandra. „Diesen Pfeil hast du vergeudet. Was willst du unheilbringender Handlanger der Liebe?“ Keine Antwort. „Wir haben deine Mutter bereits getötet. Mit dir werden wir auch noch fertig.“
„Ihr dummen Sterblichen“, schallt es durch den Saal, „ihr könnt die Liebe nicht töten.“
„Ach nein? Wir haben sie getötet!“
„Aber damit starb nicht deine Liebe zu ihr. Die Liebe ist in dir selbst. Hahahaha. Die kannst du nicht töten. Hahahaha.“
„Zeig dich du feiger Narr und ich spalte deinen Schädel!“ René schwingt die Axt durch die Luft.
„René“, flüstert die am Boden liegende Sandra. Er beugt sich zu ihr hinunter. Sie sagt: „Ich liebe dich.“
„Nein.“ René lässt die Axt langsam aus seiner Hand auf den Boden gleiten und kniet sich zu Sandra. Er legt vorsichtig ihren Kopf in seinen Schoß, zieht den rechten Handschuh aus, nimmt ihr den Helm ab und streichelt sanft über ihre Stirn. „Nein“, wiederholt er.
„Doch, ich liebe dich, René.“
„Aber du kannst mich doch gar nicht lieben. Ich bin ein Mann.“ Er streichelt ihre Wange, beugt sich vor und küsst sie auf die Stirn.
„Das muss der Pfeil gemacht haben.“
„Hahahahahahahahaha“, langsam verhallt das närrische Lachen des Eros, „hahahahhahahahhaha ...“