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Vorbei
Abermals verbot er seinen Gedanken, zurück zu den Offenbarungen seiner gehörnten Recherchen zu kehren- vergebens. Er wollte gar keine Bilder mehr sehen, die seine Wunden aufreißen würden. Es hatte keinen Zweck. In diesem Wohnzimmer hatten sie zu oft gemeinsame Stunden verbracht. Er fühlte sich nicht alleine, ihre Gegenwart erdrückte ihn schier. So warf er sich nachlässig eine dünne hellbraune Wildlederjacke über und trat auf die Straße. Wie von selbst trugen ihn seine Füße ans Rheinufer und unbewusst schritt er, in seinen trüben Grüblereien versunken, weiter zur Anlegestelle der Fähre.
Er lehnte sich mit den Armen auf die Brüstung und faltete die Hände. Der Tag war ebenso trüb wie seine Stimmung, nasskalt. Er kniff die Augen zusammen, um die Personen zu erkennen, die auf der gegenüberliegenden Seite mit der Fähre ablegten. Der Wind strich durch seine roten Locken. Beim Schließen der Augen stellte er sich, vor wie sie sich gerade auf dem Weg zu ihm befinden würde, sowie es viele Wochen gewesen war. Er hatte sie auf Deck zum ersten Mal aus einer plötzlichen Laune heraus geküsst. Es war unbremsbare Intuition, nicht mit seinem sonstigen Verstandsdenken in Einklang zu bringen. Sie war überrascht, natürlich, blieb aber cool und gefasst, was ihn beschämte. Dann, bevor sie anlegten, überraschte sie ihn mit einem Kuss als Antwort, ungeschickt und gestüm, der ihn völlig aus der Bahn warf.
Seine Gesichtszüge waren gequält auf Grund dieses Schwalls der Erinnerungen, sein Herz wollte zerspringen, er wollte körperlichen Schmerz spüren, um den seines Herzens zu verdrängen. Im Geiste sah er sie auf dem Boot auf dem Weg zu ihm; er lächelte vor Glück und Vorfreude auf sie. Ach, Quatsch, ermahnte er sich selbst. Er lechzte danach Wut zu verspüren, doch in diesem Moment überwältigte ihn Sehnsucht.
„Moritz?“ Gezwungen hielt er die Augen geschlossen um diese Situation seiner Einbildung nicht zu vertreiben. „Ich schäme mich.“, war alles was Mary sagte. Sein Hirngespinst stand leibhaftig vor ihm und spielte nervös mit ihren Händen. Entsprach es etwa der Wahrheit, dass Wünsche Realität werden können, wenn man sie sich nur intensiv genug herbeisehnt?
In ihrem Gesicht lass er jedoch sogleich, dass es kein Anfang einer neuen Chance, keine Entschuldigung aus Herzensgüte war. Er fasste auch keinerlei Hoffnung. Sie brachte es ordentlich und anständig zu Ende, wie es ihrer entsprach. Mary konnte nicht anders. „Moritz, ich hätte schon vorher zu dir kommen sollen, ich weiß. Weglaufen und Aufschieben ist mein übles Laster.“ Pause. „Ich möchte mit dir reden.“ Gleich nachdem Mary diese Worte ausgesprochen hatte, taten sie ihr Leid, wegen des Klischees und der Inhaltslosigkeit den sie verkörperten. Aber sie fand nie die richtigen Worte in wichtigen Situationen. „Was gibt es da noch zu sagen?“ wandte sich Moritz an sie. Es war völlige Resignation. Sie schaute verlegen an ihm vorbei . „Ich werde dir nicht sagen, dass ich es bereue oder dass es mir Leid tut“, war sie ganz ehrlich. „Für Liebe gibt es keine Entschuldigung.“ Das traf hart. Seine farblosen Augen suchten ihre und fanden ein falsches, erbittertes Lächeln, statt dem üblichen herzlich fröhlichem Ausdruck. Er wusste nun, mit wem sie so ausgelassen lachen konnte, dass einem das Herz über dieses Glück hätte selbst aufgehen können. „Was ich dir sagen wollte“, fuhr sie fort, „ist, dass du nicht mein Spielzeug warst.“ Er lachte bitter auf, warf den Kopf verächtlich zur Seite, während sie hastig weitersprach. „Unsere Beziehung ist aus, ich bin nicht frei um dich länger zu lieben, alles andere wäre Lüge. Es ist vorbei. Es ist aus. Du weißt es. Du hättest es nicht so erfahren sollen.“ Er hatte sie richtig eingeschätzt, kannte sie genug. Mary musste immer alles richtig und konventionell machen. Nichts laufen und verschludern lassen. Ihr Anstand verlangte von ihr, persönlich mit ihrem Freund Schluss zu machen. Dabei war es doch diese Affäre, die hätte beendet werden sollen...
„Willst du mit hereinkommen...“, begann er, sah sie an und stockte. Gehemmt und ungeduldig wich sie seinem Blick aus. „Besser nicht, glaub ich. - Ich werde die nächst Fähre zurück nehmen.“
Soviel ungesprochen.
„War dein dreiwöchiger Liebesurlaub in Kolumbien, oder wo immer du auch warst, schön? – Mit deinem heißen Latino-Lover?“, fragte er leise. Als er sich von ihr wegdrehte, liefen ihm die Tränen über die Wangen. Es war vorbei.